Titel
Res Severa Verum Gaudium. Bürgerliches Kulturengagement in Leipzig


Autor(en)
Pehl, Eva
Erschienen
Anzahl Seiten
192 S.
Preis
€ 28,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Werner, Historisches Institut, Justus-Liebig-Universität Gießen

„Kulturpolitik hat Geschichte“, mit diesem programmatischen Worten beginnt der Klappentext von Eva Pehls Studie zum bürgerlichen Kulturengagement in der Stadt Leipzig, die als Dissertation am Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim entstanden ist. Erklärtes Ziel des Bandes ist es, den Blick in die Vergangenheit fruchtbar zu machen für eine Analyse der Gegenwart. Das heißt, Pehl stellt das vom Leipziger Bürgertum im 18. und frühen 19. Jahrhundert getragene Engagement für kulturelle Einrichtungen aktuellen kulturpolitischen Entwicklungsplänen gegenüber, mit dem Ziel, „Grundlagen für den kulturpolitischen Diskurs der Jetztzeit zu schaffen“. (S.11)

Zurecht merkt die Autorin eingangs und an anderer Stelle an, dass in den kulturpolitischen Debatten hierzulande allzu lang die private Kulturförderung in den USA als Kontrastfolie für zukünftige Entwicklungen herhalten musste, während die Blickrichtung im 19. Jahrhundert eine andere war. Die Einsicht, dass Amerikaner ehedem auf die Kultur in Deutschlands Städten und insbesondere auch in Leipzig schauten, und das aus gewichtigen Gründen, bricht sich zwar mittlerweile auch im Kulturstaat Deutschland immer stärkere Bahn, bedarf aber nach wie vor Anschüben insbesondere aus der Wissenschaft. Im Sinne dieser Erkenntnis analysiert Pehl im umfangreichsten Teil ihrer Studie schrittweise und exemplarisch anhand dreier Kultureinrichtungen das bürgerliche Engagement in Leipzig. Die dabei aufgefundenen „Motivationsstränge“ für private Kulturförderung stellt sie dann in einem abschließenden Teil in Beziehung zum Bericht der Enquetekommission „Kultur in Deutschland“ des Deutschen Bundestages von 2007 und zum Kulturentwicklungsplan der Stadt Leipzig von 2008 als Referenzen für die heutige und zukünftige Kulturförderung.

Die Auswahl Leipzigs für ein solches Unterfangen ist wenigstens aus historischer Sicht mehr als gerechtfertigt. Das offene geistige Klima dieser prosperierenden „Bürgerstadt“, die sich in einem permanenten Konkurrenzverhältnis zur nicht weit entfernten Residenzstadt Dresden befand, brachte ein Kulturleben hervor, das so nur in wenigen anderen Städten anzutreffen war. Die entscheidende Voraussetzung für diese privat organisierte Kulturpflege sieht Pehl in der aus den lokalen Gegebenheiten erwachsenden breiten Basis für die Konstituierung des ‚modernen‘ Bürgertums seit der Aufklärung. Pehl stützt sich hierbei auf die Erkenntnisse der Bürgertumsforschung, wobei sie sich allerdings auf Klassiker konzentriert und neuere bürgertumsgeschichtliche Arbeiten und Ansätze vollständig unbeachtet lässt.

Der historische Teil der Studie beginnt mit der Darstellung der Gründungsprozesse des Leipziger „Bildermuseums“ (Städtisches Museum), des Gewandhausorchesters und des Theaters auf der Ranstädter Bastei als repräsentative Fallbeispiele für verschiedene Kultursparten. Neben älteren und neueren Publikationen zu diesen drei Institutionen nutzt die Autorin dafür verschiedenste Quellen aus der zweiten Hälfte des 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus den Beständen des Leipziger Stadtarchivs. Zeitlich ist die Studie damit in der Formierungs- und Frühphase des Bürgertums verortet. Somit betrachtet Pehl einen Zeitraum der vor der großen Blütezeit des deutschen Stiftungswesens und Mäzenatentums am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts liegt. Sie rechtfertigt diese Begrenzung insbesondere mit der zunehmenden Kommunalisierung bzw. Verstaatlichung kultureller Einrichtungen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Dem Rezensenten erscheint dieser zeitliche Fokus aber nicht nur aus geschichtswissenschaftlicher Sicht, sondern auch im Hinblick auf den kulturwissenschaftlichen Teil der Arbeit problematisch. Einerseits werden so wichtige Entwicklungslinien innerhalb des Bürgertums und seines kulturellen Engagements im 19. Jahrhundert unterschlagen, andererseits stellt sich von vornherein die Schwierigkeit eines Vergleich zweier sehr unterschiedlicher Epochen und damit folgend zumindest die Frage nach dem tatsächlichen Ertrag für zukünftige kulturpolitische Überlegungen.

In einem zweiten Schritt verlässt die Autorin die Ebene der Einzelbetrachtung der Fallbeispiele und sucht in einer Gesamtschau die „gesellschaftlich-ideellen“ und die „ökonomischen Gründe“ für das Kulturengagement des Leipziger Bürgertums. Unter ersteren identifiziert sie die „echte Verbundenheit mit der Kunst und ihren Ausführenden“ (S. 116) neben dem Willen nach Unterhaltung und dem bürgerlichen Bildungsdrang, weiterhin die Konkurrenz zu anderen Städten, ein allgemein starkes Repräsentationsbedürfnis des Leipziger Bürgertums und ein Gleiches auf individueller Ebene (einzelne Stifter) sowie letztlich religiöse und gemeinnützige Motivationen. Aus ökonomischer Sicht nimmt Pehl den unternehmerischen Ertrag von Kulturinstitutionen, die Einnahmen für die öffentliche Kasse, die wirtschaftlichen Implikationen aus einem vitalen Kulturleben für den Messestandort Leipzig sowie die Förderung des städtischen Konsums in den Blick. Abschließend kommt sie zu der Erkenntnis, dass die „gesellschaftlich-ideellen“ Gründe deutlich stärker ins Gewicht fallen als die ökonomischen, gleichwohl sei die vitale Kulturentwicklung Leipzigs nur aus der Kombination von „Geschäftssinn und Gemeinsinn“ zu erklären. (S. 168) Ist diese Argumentation und das Fazit im Grunde einleuchtend und im Lichte der bisherigen allgemeinen Bürgertums- und Stiftungskulturforschung auch nachvollziehbar, ist hier klar festzustellen, dass Pehl ihr selbstgestecktes Ziel einer geschichtswissenschaftlichen Betrachtung verfehlt hat. Das beginnt bei der allzu geringen Auseinandersetzung mit der inzwischen umfangreichen Literatur zur bürgerlichen Kulturpflege und zum privaten/öffentlichen Kulturengagement bis hin zu einer fundamentalen Unkenntnis im Umgang mit den aufgefundenen Quellen. Sie sieht (als Nicht-Historikerin) zwar deutlich die Problematik der Quellenarbeit (S. 12), kann die Dokumente aber trotz sichtlichem Bemühen nicht wirklich zum Sprechen bringen; nicht zuletzt fehlt ihr oftmals die notwendige kritische Distanz. Somit bleibt die Argumentation oberflächlich und zu wenig analytisch. Ein wissenschaftlich überzeugendes Panorama der Motivstrukturen unterhalb bzw. innerhalb des bürgerlichen Kulturengagements in Leipzig entwickelt sich so nicht, allenfalls einige lokale Spezifika werden sichtbar.

Ein negativer Befund ist auch für den deutlich kürzen kulturwissenschaftlichen Teil zu konstatieren. Pehl differenziert hier zwar ganz zurecht und nachvollziehbar zwischen dem vom Bürgertum getragenen Kulturengagement des 19. Jahrhunderts und dem heute immer wieder von Politik und Gesellschaft eingeforderten „bürgerschaftlichen“ Engagement, das auf den Staatsbürger abzielt (S. 171f.), gleichwohl differenziert sie viel zu wenig zwischen den historischen Befunden und den aktuellen Gegebenheiten. Ihre Argumentation für eine Vergleichbarkeit bezieht sich allein auf (kultur-)politische Aspekte, soziale und ökonomische Faktoren lässt sie unberücksichtigt. Insofern ist ihre Schlussfolgerung, dass es heute keine „neue[n] wichtigen Gründe für Kulturförderung gibt“, die nicht schon vor 250 Jahren eine Rolle gespielt hätten (S. 183), wenig überzeugend. Und Erkenntnisse wie die, dass kulturelles Engagement noch immer auch der Identifikation mit einer Stadt und der kommunalen Repräsentation dient, sind kaum überraschend. Somit bleibt festzustellen, dass die Autorin mit ihrem Vorhaben nicht nur aus geschichtswissenschaftlicher Sicht gescheitert ist. Zugute zu halten ist ihr aber, dass sie mit Ansatz, Struktur und Ziel ihrer Studie ein interessantes Arbeitstableau geliefert hat, das Impulse für weitere Abhandlungen zur alten und neuen „Kulturmetropole“ Leipzig liefern kann.

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