W. Wende: Filme, die Geschichte(n) erzählen

Cover
Titel
Filme, die Geschichte(n) erzählen. Filmanalyse als Medienkulturanalyse


Autor(en)
Wende, Waltraud „Wara“
Erschienen
Anzahl Seiten
276 S.
Preis
€ 39,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tobias Ebbrecht, Graduiertenkolleg Mediale Historiographien, Bauhaus-Universität Weimar

Dass audiovisuelle Medien und insbesondere Film und Fernsehen eine wichtige Rolle bei der Prägung von Vorstellungen über die Vergangenheit spielen, ist in den vergangenen Jahren oft betont und aus verschiedenen, interdisziplinären Perspektiven herausgearbeitet worden. Nicht nur die Geschichtswissenschaft, auch die historische Bildung hat sich verstärkt der Vermittlungsfunktionen von Filmen zugewendet, um deren Einfluss auf das Geschichtsbewusstsein zu bestimmen. Zur Hilfe kamen dabei, neben dem zunehmenden Interesse der Geschichtswissenschaft an visuellen und audiovisuellen Medien und Studien, die den engen Zusammenhang zwischen Massenmedien und der interpersonalen Tradierung von Geschichtsbildern betonten1, vor allem die längst zum Kanon erhobenen Gedächtnistheorien im Anschluss an Maurice Halbwachs, Jan und Aleida Assmann.2

Auch Waltraut ‚Wara‘ Wende, seit Juni 2012 Kultusministerin in Schleswig-Holstein und Herausgeberin zahlreicher Publikationen, die sich mit den Wechselwirkungen zwischen Medien und Geschichtsschreibung beschäftigen, nimmt die Gedächtnistheorie zum Ausgangspunkt, um die Bedeutung von Filmen für die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zu untersuchen. In acht Kapiteln, die teilweise auf bereits veröffentlichten Aufsätzen basieren, untersucht sie Beispiele aus unterschiedlichen Gattungen und Genres (Spielfilme, Dokumentarfilme und eine Fernsehserie), verschiedenen Epochen und Ländern (von den 1970er-Jahren bis zur Gegenwart, aus den USA aber insbesondere aus Deutschland) und zu unterschiedlichen historischen Ereignissen (Nationalsozialismus, Vietnamkrieg, DDR, Linksterrorismus). Die Kapitel sind untereinander nur lose verknüpft und bauen nicht theoretisch-analytisch, sondern eher historisch-chronologisch aufeinander auf.

Bereits in ihrer Einführung über die Wechselbeziehungen zwischen Film und Geschichte hebt Wende die Mittlerfunktion von Kino und Fernsehen aber gleichzeitig auch die „Differenz zwischen historischer Forschung und ihren Bildern der Geschichte einerseits und den in Spielfilmen gebotenen Geschichtsinterpretationen andererseits“ hervor (S. 14). Im ersten Kapitel stellt sie die von 1987 bis 1991 in drei Staffeln gesendete Fernsehserie „Löwengrube – Die Grandauers und ihre Zeit“ des Bayerischen Rundfunks vor. Nach allgemeinen Überlegungen zur Bedeutung von Medien für die Generierung von Geschichtsbildern diskutiert die Autorin die Serie unter dem Aspekt einer „am individuellen Einzelschicksal orientierte[n] […] Alltags-, Kultur- und Mentalitätsgeschichte“ (S. 33). Das zweite Kapitel widmet sich dem Film „Aimée und Jaguar“ (1999) über die Beziehung zwischen der nichtjüdischen Deutschen Lilly Wust und der Jüdin Felice Schragenheim Ende der 1930er-Jahre in Berlin und der diesem zugrundliegenden Buchpublikation von Erika Fischer. Im Zentrum steht dabei die weitgehend deskriptive Nachzeichnung der historischen Ereignisse aus der Perspektive Lilly Wusts. Der folgende Teil beschäftigt sich mit dem kontrovers diskutierten Film „Der Untergang“ (2004), von dessen kritischer Rezeption sich Wende explizit absetzt.

Mit dem vierten Kapitel wendet sich die Untersuchung anderen historischen Ereignissen zu. Wendes Analysen zur filmischen Darstellung des Vietnamkrieges setzen mit der zeitgenössischen Kriegsberichterstattung ein und nehmen dann einige später entstandene Spielfilme in den Blick. Es folgt eine genauere Lektüre von Stanley Kubricks „Full Metal Jacket“ (1987), an dem die Autorin die Öffnung narrativer Geschlossenheit hervorhebt. In den beiden anschließenden Abschnitten beschäftigt sich Wende mit Spielfilmen über die DDR. Leider bauen beide Texte nicht aufeinander auf, daher kommt es zu einigen Wiederholungen. Nach einer kurzen Skizze der historischen Ereignisse wird eine kursorische Übersicht über filmische Bearbeitungen der DDR-Vergangenheit gegeben und dann näher auf Florian Henckel von Donnersmarcks Film „Das Leben der Anderen“ (2007) eingegangen. Wende attestiert diesem Werk, „die Erfahrungswelt seiner Zuschauer zu erweitern“ (S. 169), was sie als Zeichen künstlerischer Qualität wertet.

Im folgenden Kapitel, das sich ebenfalls mit der DDR-Vergangenheit beschäftigt, stehen Komödien wie „Sonnenallee“ (1999) und „Good bye Lenin“ (2003) im Zentrum. Wende liefert hier eine zwar weitgehend auf den Inhalt konzentrierte aber vielschichtige Analyse. Dabei verteidigt sie die „mit Blick auf die Welt der Tatsachen autonom[en]“ (S. 176) fiktionalen Welten der Spielfilme gegen sogenannte „Echtheitsprüfer“ (S. 175), die historisch inkorrekte Darstellungen „alarmistisch“ (S. 176) beanstanden würden.

Im Folgenden verschiebt sich den Fokus weg von der konkreten Darstellung von Vergangenheit hin zur Auseinandersetzung mit kulturgeschichtlich bedeutsamen Diskursen, im konkreten Fall zur Frage der Gerechtigkeit. Filme bekommen dabei – in Wendes normativitätskritischer Perspektive – die Funktion, „den Möglichkeitssinn für ganz andere Ordnungsstrukturen zu stärken und vor allem Widerständigkeiten gegen jeden Anspruch auf Wahrheitsmonopole zu trainieren“ (S. 207). Dies versucht sie insbesondere an Hans Weingartners „Die fetten Jahre sind vorbei“ (2004) zu verdeutlichen. Das letzte Kapitel knüpft an verwandte Fragestellungen an und beschäftigt sich thematisch mit dem Linksterrorismus in der Bundesrepublik und rechtsradikaler Gewalt, vollzieht aber auch eine interessante Gattungswende, indem dokumentarische Erzählformen in den Blick genommen werden. Nach grundlegenden Überlegungen zum Verhältnis von Dokumentarfilm und Wirklichkeit analysiert Wende präzise die Verfahren des Regisseurs Andres Veiel, der in seinen Filmen „Black Box BRD“ (2001) und „Der Kick“ (2006) verschiedene filmische Formen der Annäherung an Vergangenes ausprobiert hat. Obwohl dieser Bezug auf dokumentarische Filme den Fokus des Bandes sinnvoll erweitert, fällt gerade vom Ende her gesehen auf, wie wenig Wende spezifisch filmische Verfahren (jenseits der verhandelten Inhalte) in ihre vorherigen Spielfilmanalysen mit einbezieht. Dies gilt auch für eine engere Verflechtung von filmischen Geschichtsinterpretationen und dem jeweiligen Entstehungskontext.

So bleibt der explizit betonte Aspekt der „kulturellen Sinnkonstruktionen“, die „bestehende Faszinationen und Phantasien“ reflektierten und „kollektive – politische und sozialpsychologische – Bedürfnisse und Dispositionen“ konservierten (S. 17), in den konkreten Analysen des Buches weitgehend unterbelichtet. Gleiches gilt für die Auseinandersetzung mit dem gesellschaftspolitischen Kontext, in dem die untersuchten Filme produziert wurden. Dies wird insbesondere in den Beispielanalysen von „Aimée und Jaguar“ und „Der Untergang“ deutlich. Zwar stellt Wende auf mehreren Seiten den geschichtlichen Hintergrund und die „Aimée und Jaguar“ zugrunde liegende Buchpublikation sowie die kontroverse Presserezeption von „Der Untergang“ dar. Der geschichtspolitische Kontext und die entsprechende gesellschaftliche Rahmung der beiden (nicht nur bei Historikerinnen und Historikern) umstrittenen filmischen Geschichtsfiktionen werden jedoch kaum reflektiert. Dies hat zur Folge, dass die Analysen weitgehend an der Oberfläche der um die Filme herum geführten Mediendebatten bleiben bzw. in erster Linie die filmischen Produkte gegen Kritik aus orthodox geschichtswissenschaftlicher Perspektive in Schutz zu nehmen versuchen. Die von den Filmen bedienten, von Wende selbst angesprochenen gesellschaftlichen Bedürfnisse und Dispositionen können so nicht aufgeklärt werden – vor allem deshalb, weil die ästhetisch-formale Seite der Filme kaum analysiert wird.

Aus demselben Grund bleibt auch das von Wende thematisierte Paradox zwischen der filmischen Form als Geschichtsfiktion und dem von den Filmen und ihren Machern angebotenen Versprechen der historischen Authentizität unkonkret. Zwar ist es zweifellos richtig, wenn die Autorin wiederholt konstatiert, Filme seien immer nur subjektive „Wirklichkeitskonstruktionen“ (S. 103), selbst wenn ein Produzent (wie Bernd Eichinger im Falle von „Der Untergang“) die Detailgenauigkeit und historische Authentizität betone; ein Film gibt immer nur eine bestimmte Perspektive und einen bestimmten Ausschnitt wieder und ist – als Erzählung allemal – eine Konstruktion. Diese Erkenntnis schlägt jedoch dann ins Affirmative um, wenn damit eine – am Material und der Filmsprache durchaus analysier- und bestimmbare – Wechselwirkung zwischen gesellschaftlichen Bedürfnissen (zum Beispiel Nostalgie, Selbst-Viktimisierung) und geschichtspolitischen Diskursen verdeckt wird.

Anstatt die filmische Ebene zu analysieren, verlagert Wende den Blick auf die Rezipienten. Allerdings konstruiert sie dabei die Figur eines „aufmerksame[n] Zuschauer[s]“ (S. 103), der den Konstruktionscharakter der Filme durchschaue, weil er bereits ein Vorwissen über diesen habe. Dabei scheinen sich jedoch zwei unterschiedliche Perspektiven auf die filmischen Geschichtsfiktionen zu vermischen, die klarer auseinanderzuhalten wären: zum einen die kritische Analyse, die insbesondere durch die Untersuchung der ästhetischen und narrativen Form den Konstruktionscharakter und die darin zum Ausdruck kommenden Dispositionen der Gegenwart aufdecken kann. Zum anderen die (medienpädagogisch motivierte) Bewusst- und Produktivmachung der auf ikonischen Geschichtsbildern und stereotypen (Erinnerungs-)figuren basierenden Form der filmischen Geschichtsfiktion mit dem Ziel der Ausbildung eines aktiven und kritischen Zuschauers.

Dieser – vom Untertitel des Buches nahegelegte – Versuch einer Produktivmachung kritischer Filmanalyse als Instrument zur Exploration der Vergangenheit aus der Perspektive der Gegenwart gerät allerdings im Verlauf von Wendes Untersuchung mehrfach ins Stocken. Dies wird dadurch verstärkt, dass die unterschiedlichen Beiträge kaum aufeinander Bezug nehmen und keine theoretisch reflektierte Methode (weiter-)entwickeln. Stattdessen kommt es an vielen Stellen zu Redundanzen, weil die Kapitel am selben theoretischen Ausgangspunkt ansetzen bzw. wortgleiche Satzfragmente in unterschiedliche Kapitel eingeflochten werden. Dies führt einerseits zu Wiederholungen, andererseits entstehen teilweise Widersprüche zu jenen Kapiteln, die bisher weniger stark gedeutete Beispiele zum Gegenstand haben und sich – wie die Analysen von „Black Box BRD“ und „Der Kick“ – daher deutlich stärker am Untersuchungsmaterial orientieren.

Anmerkungen:
1 Vgl. Harald Welzer / Sabine Moller / Karoline Tschuggnall, „Opa war kein Nazi“. Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis, Frankfurt am Main 2002; vgl. Isabel Heinemann: Rezension zu: Welzer, Harald; Moller, Sabine; Tschuggnall, Karoline: „Opa war kein Nazi“. Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis. Frankfurt am Main 2002, in: H-Soz-u-Kult, 18.09.2002, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/ZG-2002-127> (16.10.2012).
2 Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992.

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