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Titel
Otto der Große: Kaiser und Reich. Eine Biographie


Autor(en)
Becher, Matthias
Erschienen
München 2012: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
332 S.
Preis
€ 24,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Wozniak, Institut für Mittelalterliche Geschichte, Philipps-Universität Marburg

Otto der Große wurde 912 geboren und so verwundert es nicht, dass 1100 Jahre später Tourismusbetriebe, Museen und Verlage das Jubiläum nutzen, um dem Herrscher ihre Produkte zu widmen. Für Matthias Becher, der als Professor für Mittelalterliche Geschichte in Bonn lehrt, kam die Anregung zu dieser neuen Biographie zu Kaiser Otto – trotz älterer, bis in seine Habilitationsphase zurückliegender Pläne – „allerdings recht kurzfristig“ (S. 7). Das Buch nähert sich dem Herrscher in zehn Kapiteln: Eine allgemeine Quellenübersicht, verbunden mit kritischen Anmerkungen, findet sich unter den „Voraussetzungen“ (S. 9–28), gefolgt von generellen Bemerkungen zu „Herrschaft und Gesellschaft im 9. und 10. Jahrhundert“ (S. 29–47). Breiter Raum wird den „Vorgängern und Vorfahren“ (S. 48–67) gegeben, insbesondere „Heinrich I. und [der] Begründung der liudolfingischen Königsherrschaft“ (S. 68–109), was sicherlich mit den vorangegangenen Arbeiten Bechers zum sächsischen Herzogtum zu tun hat. Im Kapitel „Die schwierigen Anfänge Ottos des Großen“ (S. 110–139) geht es um dessen Herrschaftsantritt mit den Problemen innerhalb der eigenen Familie, aber auch den Forderungen der Konradiner, nach dem Tod Heinrichs I. wieder an der Königsmacht beteiligt zu werden.

Das Verhältnis zu den westfränkischen, slawischen, böhmischen und dänischen Nachbarn steht im Mittelpunkt des Kapitels „Dominanz und Expansion“ (S. 140–157). Dem Königreich Italien ist unter Schwerpunktsetzung auf dem „Aufstand Liudolfs“ (S. 158–185) ein weiteres Kapitel gewidmet, in dem sich auch Anmerkungen zum Verhältnis zu Byzanz finden. Mit dem „Sieg über die Ungarn und [der] Konsolidierung des Reiches“ (S. 186–213) erreicht das Buch dann den Höhepunkt im Leben des Herrschers: „Otto und das Kaisertum“ (S. 214–255). In dem abschließenden Kapitel „Otto, ‚der Große’?“ (S. 256–273) wird auf die Rezeption im weitesten Sinne eingegangen. Ein umfangreicher Anhang (S. 274–332) enthält eine Karte zum Reich der Ottonen, eine Stammtafel der Liudolfinger, die Anmerkungen, ein Verzeichnis der Quellen und Literatur sowie separate Register zu Personen und Orten.

Die Literaturlage zu den Ottonen und speziell zu Otto dem Großen ist in 150 Jahren intensiver Diskussion stark angewachsen und unübersichtlich geworden. Eine Darstellung, die nicht versucht, alle, oft von nationalstaatlichen oder anderen anachronistischen Perspektiven aus geführten, Debatten nachzuvollziehen ist unter diesem Gesichtspunkt geradezu eine Wohltat. Trotzdem sind in der Biographie sehr viele Positionierungen in Einzelfragen notwendig. Solche Diskussionen, die nur am Rande gestreift werden, sind beispielsweise die Designationsfrage Ottos 928/929, die Krönung in Aachen 936, die Entwicklung der Verhältnisse zu seinen feindlich-gesinnten Verwandten, der Verlauf und die Auswirkungen der Lechfeldschlacht, die Motive der Italien- und Byzanzpolitik, aber auch die Intentionen und Motivationen der zeitgenössischen Autoren. Becher beschränkt die Beschreibung von Ottos Leben auf fünf große Bereiche: „Bekämpfung der gegen ihn gerichteten Aufstände, seine Politik gegenüber dem Westfrankenreich, sein(en) Sieg über die Ungarn auf dem Lechfeld, die Mission der Gebiete bis zur Oder und die Kaiserkrönung“ (S. 265f.). Dies wird ergänzt durch die mehr als das erste Drittel des Buches umfassende Schilderung der Voraussetzungen. Das letzte Kapitel demonstriert gut den Übergang von der nationalstaatlich dominierten Perspektive vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges hin zur Betrachtung der handelnden Personen und der strukturellen Rahmenbedingungen (nach Gerd Althoff: „Spielregeln“).

Die vielen Forschungsbaustellen werden dem Leser kaum transparent gemacht. Stattdessen wird versucht, die derzeitigen Zwischenergebnisse zu präsentieren, ohne zu sehr ins Detail zu gehen. Das hat Vor- und Nachteile; einerseits wird das Buch dadurch leichter lesbar und ist nicht mit abwägenden Diskussionsdarstellungen und Exkursen überfrachtet. Andererseits liest es sich streckenweise wie eine Ausformulierung der Regesta Imperii (S. 283, 292) oder einer wenig kritischen Wiedergabe der Darstellung Widukinds von Corvey (S. 284f., 290), die im Nachhinein mit den gängigen überwiegend monographischen Werken unterfüttert wurde, also wie eine Art modernisiertes „Jahrbuch der Geschichte“, eine Zusammenfassung der Zusammenfassungen. Insgesamt folgt die Darstellung so sehr den genannten Werken, dass Spezialisten besser dort nachlesen werden. Das ist keinesfalls Kritik – was soll eine Biographie leisten, wenn nicht dem Leser einen Überblick über das Leben der zentralen Person zu geben, – sondern beschreibt, was den Leser erwartet, wenn er sich über Otto informieren will.

Technisch ist anzumerken, dass bei (zu) vielen Anmerkungen die genauen Seitenangaben fehlen. Hinsichtlich der Benutzbarkeit der Anmerkungen ist zu bemängeln, dass die Kopfzeilen über dem Textteil leider nicht die Nummerierung der Kapitel enthalten, wogegen die Anmerkungen im Anhang nach ebendiesen Kapitelnummern geordnet sind, ohne die Titel zu nennen. So muss ein Finger im Anhang und einer im Inhaltsverzeichnis bleiben, um die gesuchten Anmerkungen schnell finden zu können. Auch sind zu einigen Einzelproblemen doch mehr Titel erschienen, als der Anhang bereithält. Von den fehlenden seien genannt: Kerstin Schulmeyer-Ahls Band zu den Intentionen des Werkes von Thietmar von Merseburg und Andreas Ranfts Sammelband zum Hoftag in Quedlinburg 973.1 Andererseits erfüllt der Anhang aber auch die Funktion einer ausführlichen und aktuellen Bibliographie. Die 20 schwarz-weißen Abbildungen sind gut gewählt und illustrieren das Gelesene anschaulich. Kleine Ungenauigkeiten finden sich auf der Stammtafel der Liudolfinger (S. 275): statt König Heinrich I. wird dessen Sohn Heinrich, Herzog von Bayern, als „Heinrich I.“ bezeichnet, Heinrich der Zänker dann als „Heinrich II.“ und Kaiser Heinrich II. irreführend als „Heinrich III.“, obwohl er nach bayerischer Zählung als „Heinrich IV.“ auf Heinrich III. von Kärnten folgt.

Fazit: Dieses Buch lässt sich sehr gut lesen, es setzt wenig Vorwissen voraus und bietet einen eingängigen Überblick über das Leben Ottos des Großen und relativ ausführlich über das seiner männlichen Vorfahren. Insgesamt ist eine starke Konzentration auf die männlichen Handlungsträger zu beobachten, die in der älteren Forschungstradition steht. Obwohl sich Becher von dieser Tradition teilweise erfolgreich freimachen kann, wird der Einfluss der Frauen zu wenig dargestellt. Die kurze Abfassungszeit des Buches schlägt sich in einigen Lücken der Dokumentation in den Anmerkungen nieder. Das Werk bietet die biographischen und quellenkundlichen Informationen, die sich für einen Einstieg eignen. In den Anmerkungen wirft es den Leser, insbesondere die lernenden Studierenden, dann aber aufgrund der fehlenden Seitenzahlen in den unübersichtlichen Pool der bisherigen Forschungsliteratur. Für Leser, die sich über den Herrscher Otto und sein Umfeld informieren wollen, ist der Band aber durch seinen kurzweiligen Stil und die nicht detailüberfrachtete, quellennahe Erzählstruktur zu empfehlen.

Anmerkung:
1 Kerstin Schulmeyer-Ahl, Der Anfang vom Ende der Ottonen. Konstitutionsbedingungen historiographischer Nachrichten in der Chronik Thietmars von Merseburg, Berlin 2009 (rezensiert von Robert Gramsch: Rezension zu: Schulmeyer-Ahl, Kerstin: Der Anfang vom Ende der Ottonen. Konstitutionsbedingungen historiographischer Nachrichten in der Chronik Thietmars von Merseburg. Berlin 2009, in: H-Soz-u-Kult, 09.11.2011, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2011-4-097> (12.10.2012);
Andreas Ranft (Hrsg.), Der Hoftag in Quedlinburg 973. Von den historischen Wurzeln zum Neuen Europa. Symposium in Quedlinburg (7.–9. Mai 2003), Berlin 2006.

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