A. Holian: Between National Socialism and Soviet Communism

Cover
Titel
Between National Socialism and Soviet Communism. Displaced Persons in Postwar Germany


Autor(en)
Holian, Anna
Reihe
Social History, Popular Culture, and Politics in Germany
Erschienen
Anzahl Seiten
367 S.
Preis
$54.26
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Grzegorz Rossolinski-Liebe, Berlin

Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges gab es in Deutschland circa 8 Millionen Displaced Persons (DPs). Sie kamen aus verschiedenen, überwiegend osteuropäischen Ländern. Ein Großteil von ihnen war während des Krieges als Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt worden, andere hingegen, wie litauische oder ukrainische Kollaborateure, waren zusammen mit den deutschen Besatzern vor dem Einmarsch der Roten Armee geflohen, um sich auf diese Weise den sowjetischen Repressionen zu entziehen. Auch ein Teil der Juden, die den Holocaust in Osteuropa überlebt hatten und nach dem Krieg mit Pogromen in Ländern wie Polen konfrontiert wurden, lebte in DP-Lagern.

Die Mehrheit der DPs kehrte in den ersten Monaten nach dem Kriegsende entweder freiwillig in ihre Heimat zurück oder wurde zwangsweise repatriiert. Im September 1945 waren nur noch ca. 1,2 Millionen DPs in Deutschland verblieben. Sie lebten in der amerikanischen, britischen und französischen Besatzungszone bis in die späten 1940er- und frühen 1950er-Jahre, bevor sie nach Australien, Großbritannien, Israel, Kanada und in die USA umgesiedelt wurden oder auch in Deutschland verblieben. Anna Holian untersucht im vorliegenden Band, wie die jüdischen, polnischen, russischen und ukrainischen DPs in der amerikanischen Besatzungszone ihren Alltag strukturierten, mit ihren Kriegserfahrungen umgingen und wie sie sich ihre Zukunft vorstellten.

Die Autorin weist gleich zu Beginn darauf hin, dass die Situation der DPs in Nachkriegsdeutschland schwierig, chaotisch und ungewiss war. Ihre größte Sorge war die Möglichkeit der Zwangsrepatriierung. Die Repatriierungspolitik löste eine Welle von Protesten und auch Selbstmorden aus, obwohl außer den sowjetischen Bürgern und Kriegsverbrechern angeblich keine DPs zur Repatriierung gezwungen wurden (S. 45). Die deutsche Öffentlichkeit verstand die DPs als eine Last, die wegen der Politik der Alliierten finanziert werden musste. Die deutsche Polizei führte Razzien in DP-Lagern durch und berief sich dabei auf die angebliche Teilnahme von DPs an kriminellen Aktivitäten. Erst nach dem gewaltsamen Tod Schmul Danzigers, eines KZ-Überlebenden, der von der deutschen Polizei erschossen worden war, entschied sich die amerikanische Besatzungsverwaltung zu intervenieren (S. 47f.).

Doch auch die Einstellung der Amerikaner gegenüber den DPs war nicht immer unproblematisch. Obwohl General Dwight D. Eisenhower darauf bestand, dass die DPs nicht diskriminiert werden dürften und unter guten Verhältnissen ihren Alltag gestalten sollten, zeugen zahlreiche Berichte vom Gegenteil. Earl G. Harrison, Dekan der Rechtsfakultät an der University of Pennsylvania, teilte im August 1945 in einem Bericht an den amerikanischen Präsidenten Harry S. Truman mit: „As matters now stand, we appear to be treating the Jews as the Nazis treated them except that we do not exterminate them“ (S. 60f.).

Bezüglich der Motive weshalb die DPs nicht zurückkehren wollten, stellt Holian erhebliche Unterschiede zwischen Polen, Russen und Ukrainern auf der einen Seite und den Juden auf der anderen fest: Erstere verstanden sich vor allem als Flüchtlinge vor dem Kommunismus. Sie fürchteten sich vor sowjetischen Repressionen und wollten nicht in Ländern leben, die nicht „frei“ oder „unabhängig“ waren. Ihr Antikommunismus war in ihren Nationalismus eingebettet. Bei den jüdische DPs dagegen, die in der Regel einem Leben in der Sowjetunion gleichfalls skeptisch gegenüber standen, wurde der Antikommunismus nicht zu einem maßgeblichen Aspekt ihrer Identität und politischen Haltung. Sie wollten nicht zurückkehren, weil ihre Familien den Krieg nicht überlebt hatten, ihre Wohnungen besetzt waren, ihre früheren Lebensorte in der alten Struktur nicht mehr existierten oder weil sie sich vor dem Nachkriegsantisemitismus fürchteten (S. 81–83).

Den heftigsten Widerstand gegen die Idee der Repatriierung leisteten die DPs aus der Westukraine. Während polnische DPs zu Diskussionen darüber bereit waren, ob sie trotz des kommunistischen Regimes zurückkehren und sich mit dem von der Sowjetunion abhängigen Machtapparat arrangieren könnten, waren die westukrainischen DPs fest davon überzeugt, dass die „Russen sie als Kollaborateure betrachten werden und sie entweder nach Sibirien schicken oder in Gefängnissen schließen“ würden. Sie verstanden sich selbst als „politische Emigranten“ und schwiegen über die ukrainische Kollaboration mit Deutschland sowie die ukrainische Involvierung in den Holocaust. Sie präsentierten sich als Opfer und Feinde sowohl des nationalsozialistischen als auch des sowjetischen Regimes (S. 99–104). Diese Haltung fand sich bei den ostukrainischen DPs kaum, da diese Gruppe den ukrainischen und zutiefst russlandfeindlichen Nationalismus nicht als einen Bestandteil ihrer Identität betrachtete und sich eher als Teil des großrussischen Reiches verstand.

Ähnlich heterogen waren die Vorstellungen unter den russischen DPs. Die radikalsten unter ihnen sammelten sich im NTS (Natsional’no Trudowoi Soiuz, Bund der russischen Solidaristen), der mit der ebenso in den DP-Lagern wirkenden OUN-B (Organisation der Ukrainischen Nationalisten, Fraktion Bandera, Orhanizatsia Ukraїns’kykh Natsionalistiv-Bandera) die Kollaborationsgeschichte und die Begeisterung für den Faschismus teilte (S. 113f.). Im Allgemeinen war die antikommunistische Bewegung maßgeblich von rechtsradikalen und neo-faschistischen Aktivisten geprägt, von denen viele vor und während des Zweiten Weltkriegs ihre antisemitische Weltsicht nicht verhehlt hatten. Yaroslav Stets’ko, ein wichtiger OUN-B-Kader, Führer des ABN (Anti-Bolshevik Bloc of Nations) und eine wichtige Identifikationsfigur der westukrainischen DPs behauptete zum Beispiel in seiner 1941 verfassten Autobiographie: „I therefore support the destruction of the Jews and the expedience of bringing German methods of exterminating Jewry to Ukraine, barring their assimilation and the like“ (S. 129).

Im Allgemeinen waren die Antikommunisten in zwei Lager geteilt: ein föderalistisches und ein separatistisches. Das Erste wurde von russischen DPs geleitet, die die Sowjetunion in ein „föderatives demokratisches“ Russland verwandeln wollten, das Zweite wurde von ukrainischen DPs dominiert, die die Sowjetunion als ein „Gefängnis der Nationen“ verstanden und sie in unabhängige, ethnonationale Staaten auflösen wollten (S. 120f.). Neben zahlreichen Publikationen waren Demonstrationen im öffentlichen Raum ein wichtiges Propagandamittel der antikommunistischen DPs. Während der größten Demonstration am 10. April 1949 in München, die der Religionsfreiheit gewidmet war, huldigte man „the secular martyrs of the nationalist movements“ und versuchte, das sowjetische Konsulat zu stürmen (S. 140–146). Die amerikanische Verwaltung ließ solche Demonstrationen zu, selbst wenn sie die Rituale und Parolen der antikommunistischen Aktivisten als „a cover up for neo-fascist or reactionary movements“ einschätzte (S. 134).

Holian führt in dem antikommunistischen Diskurs auch ehemalige polnische und ukrainische Konzentrationslagerinsassen vor, die sich in ihrer gestreiften KZ-Häftlingskleidung porträtieren ließen oder sie auch stolz nach dem Krieg trugen. Besonderen Wert maßen ihrer Konzentrationslagervergangenheit jene ehemaligen Häftlinge zu, die antisemitischen und in den Holocaust involvierten Organisationen angehörten, wie zum Beispiel der bereits erwähnten OUN-B. Auch in diesem Zusammenhang überlappte sich der Nationalismus mit dem Märtyrertum oder im westukrainischen Kontext mit der Idee des Freiheitskampfes (S. 215–225).

Jüdische DPs standen den antikommunistischen Aufrufen der osteuropäischen DPs eher fern und organisierten Demonstrationen gegen den deutschen Antisemitismus, worauf die deutsche Polizei mit Einverständnis der Amerikaner heftiger reagierte als auf die Proteste der antikommunistischen Osteuropäer (S. 198). Juden in DP-Lagern verstanden sich als die letzten Überlebenden und Repräsentanten des europäischen Judentums (She’erit Hapletah). Sie erinnerten sich daran, dass Juden nicht nur von Deutschen, sondern auch von Ukrainern, Polen oder Rumänen ermordet worden waren und setzten sich dafür ein, von der DP-Verwaltung nicht als Polen, Litauer, Rumänen oder Ungarn, sondern als Juden anerkannt zu werden. Die Zionisten unter ihnen propagierten die Idee der „Rückkehr“ nach Palästina. Die gemeinsame Präsenz von deutschen und osteuropäischen Juden in den DP-Lagern sorgte für innerkulturelle Spannungen (S. 164, 167, 171, 174–175, 184, 187).

Holian resümiert sehr zutreffend, dass jüdische DPs die polnischen, russischen und ukrainischen DPs nicht als Leidensgenossen, sondern primär als Täter verstanden. Umgekehrt betrachteten polnische, russische und ukrainische DPs die Juden als Leidensgenossen und auch als Rivalen um die knappen Ressourcen (S. 268). Auch wenn in der vorliegenden Arbeit nicht alle Aspekte – wie zum Beispiel die ukrainische Beteiligung am Holocaust, die polnische und ukrainische Kollaboration mit den Deutschen, die Nachkriegskollaboration der ukrainischen Nationalisten mit den westlichen Geheimdiensten und die damit zusammenhängende Frage der antikommunistischen Gewalt in den DP-Lagern – berücksichtigt oder eingehend diskutiert wurden, ist Holians Monographie eine informative und interessante Studie und ein wichtiger Beitrag zur Erforschung der Geschichte der DPs in der amerikanischen Besatzungszone Deutschlands.

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