Cover
Titel
Evening's Empire. A History of the Night in Early Modern Europe


Autor(en)
Koslofsky, Craig
Reihe
New Studies in European History
Erschienen
Anzahl Seiten
431 S.
Preis
€ 71,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andrea Bendlage, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie, Universität Bielefeld

Die Nacht, die Zeit zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang, ist für den amerikanischen Historiker Craig Koslowsky mehr als eine dunkle Tageszeit, in der die Menschen schlafen. In seiner Studie Evening’s Empire zeigt der Autor in kulturwissenschaftlicher Perspektive, wie der Gegensatz von Tag und Nacht sowie Licht und Dunkelheit als Analysekonzept zur Beschreibung historischen Wandels genutzt werden kann. Noch Anfang des 16. Jahrhunderts ruhten die meisten Menschen in der Nacht, die sie mehrheitlich fürchteten. Im Verlauf der Frühen Neuzeit wurden die Nacht und die Dunkelheit jedoch zunehmend für vielfältige Aktivitäten und Vergnügungen genutzt: Europa wurde nocturnalised. Die Entdeckung der Nacht war eine „Revolution“, so der Autor. Sie änderte das Verhalten der Menschen und ihren Alltagsrhythmus. Die 2011 mit dem Longman-History Today Book of the Year Award1 ausgezeichnete Studie stützt sich auf die einschlägige Forschungsliteratur und eine Reihe gedruckter Quellen: Briefe, Tagebücher, Erinnerungen und Traktate, mehrheitlich aus Frankreich, England und Deutschland. Dem Autor geht es darum, in einem großen Überblick den Zusammenhang von Nacht und Gesellschaft zu beschreiben sowie die reziproken Beziehungen zwischen Dunkelheit, Hexen- und Geisterglauben, zwischen konfessionellen Spannungen und der “Entdeckung der Nacht“ oder den Zusammenhang neuer Herrschaftsrepräsentation und der Beleuchtung der Städte, um nur einige Stichpunkte zu nennen.

Im Kapitel „Die Dunkelheit und der Teufel“ wird zunächst der Diskurs über Hexenglauben zwischen 1450 und 1650 als Phase der teuflischen Verführung beschrieben, die von der Justiz schließlich mit tausenden von Hinrichtungen bestraft wurden. Noch zu Beginn des Reformationszeitalters bestimmte der Gegensatz zwischen Tag und Nacht, Christ und Antichrist die konfessionellen Debatten über die Dunkelheit, in der das Böse mit der Nacht assoziiert wurde. Am Anfang des 17. Jahrhunderts entstanden erste differenzierte Erörterungen über das Wesen der Nacht, die sich insbesondere in der Auseinandersetzung mit dem Hexenglauben widerspiegelten. Die „Suche nach Gott in der Dunkelheit 1530–1650“ zeigt, wie die unterschiedlichen Konfessionen zwischen Reformation und Aufklärung die Nacht nutzten, um Gott zu suchen. Die Nacht versprach Schutz vor Verfolgung und bot Zeit für heimliche Treffen und Gottesdienste. Die mittelalterliche Dichotomie von positivem Tageslicht und negativer Nacht, so der Autor, wurde langsam aufgelöst, indem die Dunkelheit Raum gab für Kontemplation, Anbetung und innere Einkehr. Besondere Wertschätzung erfuhr die nächtliche Andacht bei Wiedertäufern und reformierten Sekten. Getragen wurde diese Umdeutung durch die Erkenntnis, dass auch die Dunkelheit eine Schöpfung Gottes sei. Ins Gegenteil verkehrt wurde diese Überzeugung schließlich während der Hexenverfolgungen mit dem Bild des “teuflischen Bunds in der Dunkelheit“ (S. 86). Koslofsky sieht die Ursachen für diesen Wandel in den Konflikten und Unsicherheiten des konfessionellen Zeitalters, denn Ende des 17. Jahrhunderts waren die Grenzen zwischen Gut und Böse immer weniger klar.

Im Kapitel „Prinzen der Nacht 1600–1750“ beschreibt der Autor die weltlichen Dimensionen des Wandels und zeigt die zunehmende Bedeutung der Nacht für die barocke Kultur (Theater, Malerei, Dichtung) und die Politik. Mit der Zusammenführung der symbolischen Vorstellungen von göttlichem Licht, nächtlicher Dunkelheit und absoluter Monarchie wurden nicht nur neue Repräsentationsmöglichkeiten der königlicher Macht und Autorität möglich, diese wurden sogar zu großen Teilen in die Nacht verlagert. Nächtliche Spektakel am Hof wurden schließlich zentral für die politische Kultur der Frühen Neuzeit. Koslofsky. vermutet, dass neue Anforderungen an die Repräsentation der Monarchie für diese Entwicklung prägend waren. Die politische Philosophie, dargestellt im barocken Theater, reflektierte demnach nicht die tatsächliche politische Macht, sondern erschuf sie erst. Die „Geschichte der Beleuchtung der Straßen 1660–1700“ verweist auf das Entstehen einer neuen (Tages-)Ordnung auf den Straßen und am fürstlichen Hof. Mit der Beleuchtung – Paris machte 1667 den Anfang dem bald zahlreiche europäische Städte folgten – veränderte sich auch der Rhythmus städtischer Lebensgewohnheiten und somit das Verhältnis zwischen Sicherheitsbedürfnissen, Nachtleben und höfischer Kultur. Die Initiative ging selten von den Stadtobrigkeiten aus, denn sie fürchteten die Kosten, die in der Regel durch besondere Steuern aufgebracht werden mussten. Meist wurde die Beleuchtung durch den Landesherrn oder den Monarchen durchgesetzt. Neben Prestige und Repräsentation spielte Verhinderung von Kriminalität eine große Rolle, zuweilen – wie in Lille – die entscheidende. Die Ablehnung der Straßenbeleuchtung durch Moralisten transportierte zugleich Kritik an der höfischen Kultur und den nächtlichen Ausschweifungen.

Koslofsky zeigt über die genannten Motive hinaus, dass Sicherheitskonzepte auch zu einer colonization of the night führten: Die dunkle Tageszeit wurde von jeher bevölkert mit jungen Leuten, Adligen, Dienern, Studenten, Gasthausbesuchern, Prostituierten und allen Bewohnern, die eine gewisse Anonymität suchten. Demgegenüber bemühten sich die Obrigkeiten durch Gesetze, Gewalt und schließlich auch die Beleuchtung respektabler Stadtviertel eine Grenze zwischen akzeptablem und verbotenem nächtlichen Treiben zu ziehen. Der Autor zieht es vor, von „Kolonisierung“ und nicht einseitig von ‚“Disziplinierung“ zu sprechen, da die Beleuchtung erst das vielfältige soziale Leben in der Nacht ermöglichte. Geschlecht, Alter und sozialer Status spielten hierbei eine erheblich Rolle, wie etwa die Eroberung spezifisch weiblicher Lebenswelten (Kaffeehäuser) in der Nacht. Sie blieben jedoch adeligen Frauen vorbehalten und waren eine Ausnahme (Paris), während die „Nachtgänge“ bürgerlicher Frauen im 17. und 18. Jahrhundert weiterhin misstrauisch betrachtet und auch kriminalisiert wurden. Auch den Männern öffneten sich neue öffentliche Räume in der Nacht, etwa durch Salons, in denen Frauen des gleichen Standes nur selten als Besucherinnen geduldet wurden, allenfalls als Personal, Prostituierte und Kaffeehausbetreiberinnen.

Auch auf dem Lande gab es eine spezifische nächtliche Öffentlichkeit. Auch hier waren Alter, Geschlecht und Sexualität die Schlüsselkategorien, um nächtliche Räume zu markieren. Koslofsky richtet seinen Blick auf den Einfluss der Kirche und des Staates, weil, so sein Befund, das ländliche Nachtleben aber auch die Vorstellungswelten von unterschiedlichen kulturellen und sozialen Kräften geformt und von anderen Verhaltensregeln geprägt wurden als in der Stadt. Die Nacht stand hier, aus Sicht der Obrigkeiten und Theologen, von jeher unter dem Verdikt der Unordnung. Sie galt als kaum zu kontrollieren und bedrohlich und bot insbesondere der Jugend Raum für eine nächtliche Gegenwelt. Da weder Staat noch Kirche effektiv auf ländliche Gewohnheiten einzuwirken vermochten, konnten Jugendliche länger ihr traditionelles Nachtleben bewahren, wie etwa in den vermeintlich zügellosen Zusammenkünften in den Spinnstuben und Wirtshäusern. Ob sich die nächtliche Unordnung auch höhere Kriminalitätsraten bewirkte, lässt sich nicht abschließend bewerten, das Nachtwandeln war auf dem Lande bis ins 18. Jahrhundert aber eine männlich dominierte Angewohnheit. Die Kolonisierung der Nacht auf dem Lande war, so die These, der Versuch, traditionelle nächtliche Aktivitäten zuunterbinden – entsprechend stand die Jugend im Fokus der Ordnungsbemühungen. Im Alltag führte dies zur Kriminalisierung traditioneller Bräuche und Rituale und insbesondere der vorehelichen Sexualität. Insgesamt blieben die Disziplinierungsmaßnahmen jedoch erfolglos, so lange eine Gemeinde oder Eltern die Bräuche unterstützten. Demgegenüber etablierte sich im 18. Jahrhundert ein neuer literarischer Topos, der die „Volkskultur“ (Country folk) und das Fehlen von nocturnalization, dem städtischen Nachtleben (city nights) entgegensetzte. Dieser Gegensatz wurde durch die Illuminierung der Städte und der Dunkelheit auf dem Land noch verstärkt.

Im letzten Kapitel geht der Autor der Frage nach, wie die Menschen – in seiner Untersuchung sind es Gelehrte und gebildete Schichten – die Dunkelheit im 18. Jahrhundert verstanden und als Zeit begriffen, die ihr alltägliches Leben bestimmte, die sich aber verändert hatte. An den miteinander verknüpften Kontroversen über den Glauben an Geister, Hexen und die Hölle (Phänomene, die traditionell mit Dunkelheit assoziiert wurden) zeigt er, dass diese Debatten die Vorstellungen der Menschen prägten und die Beleuchtung der Nacht (lighting) während der Aufklärung überkommene Anschauungen in Frage stellte. Während der Glaube an Geister kaum gesellschaftspolitische Bedeutung hatte und den Kritikern allenfalls den Vorwurf einbrachte, Gott zu leugnen, war der Hexenglaube eng im Rechtsleben verwurzelt. Doch auch hier sollte das Licht Dunkelheit und Aberglaube überwinden. Sowohl Befürworter als auch Skeptiker der geführten Kontroversen reflektierten diese fundamentalen Veränderungen im 18. Jahrhundert.

Evenning’s Empire ist eine interessante und ansprechend beschriebene Reise durch das nächtliche Europa in der Frühen Neuzeit. Mit Nocturnalization stellt Kosloysky ein neues Konzept zur Diskussion, um die großen Veränderungsprozesse und die Entstehung der bürgerlichen Öffentlichkeit während der frühen Neuzeit durch die Dimension Dunkelheit und den Gegensatz von Tag und Nacht zu erweitern. Man mag die von Koslofsky zuweilen etwas eindimensional beschriebenen mittelalterlicher Vorstellungen über die Bedeutung der Dunkelheit und Nutzung der Nacht kritisieren und bemängeln, dass die Entwicklungslinien zuweilen nur mit wenigen Beispielen untermauert sind, die Studie bietet gleichwohl vielfältige Impulse zur Frage, wie unser ‚modernes’ Nachtleben entstanden ist.

Anmerkung:
1 Der Preis, gestiftet vom Verlag Longman und dem Magazin "History Today" zeichnet in Erinnerung an den Historiker Sir Peter Courtney Quennell (1905–1993) Arbeiten aus, die sich an ein breites Publikum richten.

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