Titel
Color in the Classroom. How American Schools Taught Race, 1900–1954


Autor(en)
Burkholder, Zoë
Erschienen
Anzahl Seiten
272 S.
Preis
€ 28,24
Rezensiert für die Historische Bildungsforschung Online bei H-Soz-Kult von:
Thomas Koinzer, Institut für Erziehungswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

„Rasse“ (Race) ist in den USA heute eine soziale Kategorie und Erziehungsprogramme gegen Vorurteile oder Diskriminierung hinsichtlich der ethnischen, religiösen oder sexuellen Zugehörigkeit oder Orientierung von Menschen sind ein nicht wegzudenkender Bestandteil schulischer Curricula amerikanischer High Schools. Zoë Burkholder hat mit Color in the Classroom ihre Zwillingsgeschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geschrieben. Im Zentrum des Buches steht die Deskription und Analyse des Diskurses von Lehrern über den (richtigen) Weg der Toleranzerziehung bzw. der interkulturellen Pädagogik in der Schule. Von herausgehobenem Interesse ist für Burkholder, welchen Einfluss die amerikanische Kulturanthropologie – namentlich Franz Boas, Ruth Benedict und Margaret Mead – und ihre Definition von Rasse auf den pädagogischen Diskurs hatte und wie sie die pädagogische Praxis in den Schulen zu verändern versuchte.

Die Quellenbasis von Burkholders Studie bilden pädagogische Zeitschriften, vorwiegend Publikationen der Englisch- und Social-Science-Lehrer, aber auch Zeitschriften aus dem naturwissenschaftlichen Spektrum, die in der Regel von den 1920- und 1930er-Jahren bis zum Ende des Untersuchungszeitraum 1954 ausgewertet wurden. Einige schuladministrative Verordnungen und Nachlässe ergänzen den Quellenkorpus ebenso wie die Publikationen besagter Anthropologen.

Burkholders Buch beginnt mit einer Geschichte der Rassedefinition respektive -diskussion in der amerikanischen Schulpädagogik, die nach 1900 begann und bis zum Einsetzen der kulturanthropologischen Intervention Ende der 1930er-Jahre geführt wurde. Burkholder zeigt hier, dass im Einwanderungsland USA eine erste schulpädagogische Auseinandersetzung mit Rasse im Rahmen schulischer Amerikanisierungsprogramme stattfand. Rasse, als Kennzeichen nationaler Herkunft gedeutet, verschwand in seiner schulpädagogischen Anverwandlung nicht gänzlich im Assimilierungs- respektive Amerikanisierungsprozess, sondern mündete in einen Diskurs über den Ausländer/Einwanderer als „Geschenk“ (gift) und Bereicherung. Erste Ansätze einer interkulturellen Pädagogik werden in diesem Zeitraum ausgemacht, deren Bezugspunkt das „Race as Nation“-Konzept war. Spezifische Gruppen, die Vorurteilen und Diskriminierung ausgesetzt waren, wie Juden, Katholiken oder Afro-Amerikaner, wurden damit ausgeschlossen. Mit Beginn der 1930er-Jahre macht Burkholder einen Wandel hin zu einem kulturalistischen Verständnis von Rasse im schulpädagogischen Diskurs aus. „Culture“ bezeichnete danach „a society’s way of life in term of artwork, literature, history, food, clothing, and special holidays and traditions“ (S. 30). Diesen Weg galt es für unterschiedliche soziale Gruppen zu markieren und in einen interkulturellen Lehr-Lern-Prozess einzuspeisen. Im weiteren Verlauf der 1930er-Jahre wurde diese Pädagogisierung von „Race as Culture“ zugespitzt durch die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und der Diskriminierung der Juden in Deutschland. Das war, wie Burkholder im Weiteren zeigt, ein nicht unwesentlicher Anknüpfungspunkt für den Kulturanthropologen Franz Boas und seine Schülerinnen Ruth Benedict und Margaret Mead.

Die folgenden beiden Kapitel widmet Burkholder den drei Kulturanthropologen. Sie expliziert ausführlich ihren biographischen und wissenschaftlichen Werdegang sowie ihre politische aber vor allem weitreichende pädagogische Tätigkeit bei der Verbreitung der Definition von „Race as Culture“, von „‚racial‘ differences […] as learned, and therefore malleable, ‚cultural‘ differences“ (S. 46). Burkholder verweist hier neben der Forschungs- und Publikationstätigkeit auf die postulierte konsequente Verknüpfung mit der Schule als zentralem Ort der Vermittlung: mit Wissenschaftlichkeit und Erziehungsprogrammen gegen Vorurteile und Diskriminierung. Deutlich wird hier, dass es sich nur um eine recht kurze zeitliche Phase der Intervention handelte, die 1939 unter anderem mit Boas’ Pamphlet „Can You Name Them?“ einsetzte, um eine wissenschaftliche Definition von Rasse vorzulegen und eine unzulängliche schulpädagogische Praxis zu kennzeichnen.1 Boas starb im Dezember 1942; Benedict und Mead führten seine Arbeit fort und legten unter anderem mit „The Race of Mankind“ (Benedict zusammen mit Gene Weltfish, 1943) entsprechende Publikationen vor.2 Im Zentrum stand das „colorblind ideal“ von Rasse, als logische Erweiterung der wissenschaftsbasierten Kritik am Rassismus. Hier rückt Burkholder eine weitere Akteurin in den Fokus, Rachel Davis DuBois, die zusammen mit Mead diverse Toleranzerziehungsprogramme in den späten 1930er- und frühen 1940er-Jahren verantwortete. Deren Nichtzugehörigkeit zur Boasschen Kulturdefinitionsschule lassen sie in Burkholders Buch eher randständig erscheinen. Aber ihre Präsenz in Diskurs und Praxis, wie sie Burkholder wiederholt offen legt, kann nicht übersehen werden und die Zusammenarbeit mit Mead markiert überdies, dass eine distinkte Trennung in der pädagogischen Arbeit nicht stattfand.

Ebenso ist der Einfluss der außen- und innenpolitischen Entwicklungen der 1940er-Jahre in der Folge sowohl für die wissenschaftliche Definition von race als auch im schulpädagogischen Diskurs nicht zu übersehen, bot nun doch auch die nicht nur militärisch geführte Auseinandersetzung mit Nazi-Deutschland ein explizites Feld der Toleranzerziehung. Burkholder legt offen, wie der Diskurs in den Kampf Demokratie und Toleranz (USA) vs. Faschismus und Intoleranz (NS-Deutschland) gestellt wurde. Nicht zu übersehen war dabei, dass in den bisher „weiß dominierten“ Debatten nun der afro-amerikanischen Bevölkerung Beachtung zukam. Im weitgehend segregierten Schulsystem der USA spielte sie im akademischen Diskurs und in der Toleranzerziehungsprogrammatik bisher kaum eine Rolle. In der Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus in Deutschland, so Burkholder, wurde ihre Diskriminierung nun durch die Wahrnehmung einer strukturellen Ähnlichkeit thematisiert. Burkholder zeigt aber auch, dass explizite „racial equality“-Debatten nicht geführt wurden. Die Diskriminierung der Afro-Amerikaner blieb damit weiterhin ein randständiger Gegenstand des schulpädagogischen Diskurses. Die interkulturelle Pädagogik wurde eher als integraler Bestand einer Demokratieerziehung postuliert, wobei – in Abgrenzung zur NS-Diktatur – die Werte von Vielfalt und Toleranz gefördert wurden, wohl aber auch um deren Position im schulischen Curriculum zu festigen.

Der schwere Stand der Toleranzerziehung in der Schule setzte sich fort, wie Burkholder im weiteren Verlauf zeigt, als diese in den Strudel der McCarthy-Ära geriet. War sie eben noch mit diversen Programmen und mit in den Lehrerzeitschriften skizzierten Unterrichtseinheiten in die Erziehung zur Demokratie eingebunden, stand man nun mit dem Toleranzansatz und der interkulturellen Pädagogik unter Kommunismusverdacht. Zudem, das zeigt die mühsame und im Ertrag ernüchternde Spurensuche Burkholders nach der schulpädagogischen Verarbeitung des kulturanthropologischen „scientific support[s]“ (S. 51), war eine hohe Persistenz von Rassismus bei Lehrern und Schülern zu konstatieren. Diese Ernüchterung scheint in Burkholders Auswertung der Zeitschriftenbeiträge wiederholt auf. Sie spiegelt eine in Amerika weit verbreitete hohe gesellschaftliche Erwartung an Erziehung und an die Leistungen der öffentlichen Schule wider – und ihre Enttäuschung. Der amerikanische Bildungshistoriker Lawrence A. Cremin hat dies bereits 1965 ironisch auf den Punkt gebracht: „[W]hen there is a profound social problem (in other countries) there is an uprising; in the United States, we organize a course!“.3 Burkholders Studie ist hierfür ein Beleg, sowohl für die Initiative als auch deren geringe Wirksamkeit. Die Durchdringung des schulpädagogischen Diskurses oder gar die Veränderung der unterrichtlichen Praxis mit dem Ziel der Einstellungs- und Verhaltensmodifikation mit Hilfe kulturanthropologischer Epistemologie kann höchstens als schleichend bezeichnet werden. Das Buch erzählt eine beispielhafte Geschichte von großen Erwartungen, gesellschaftliche Probleme über das Erziehungssystem lösen zu können – und ihrer Enttäuschung. Letzteres ist aber die Quintessenz. Nicht nur die interkulturelle Pädagogik kann hier aus der Geschichte lernen.

Anmerkungen:
1 American Committee for Democracy and Intellectuel Freedom, Can You Name Them?, New York 1939.
2 Ruth Benedict / Gene Weltfisch, The Race of Mankind, Public Affairs Pamphlet 85, New York 1943.
3 Lawrence A. Cremin, The Genuis of American Education, New York 1965, S. 11.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit der Historischen Bildungsforschung Online. (Redaktionelle Betreuung: Philipp Eigenmann, Michael Geiss und Elija Horn). https://bildungsgeschichte.de/
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