J. Dillon: Language of Space in Court Performance

Cover
Titel
The Language of Space in Court Performance, 1400–1625.


Autor(en)
Dillon, Janette
Erschienen
Anzahl Seiten
280 S.
Preis
£ 58.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Jaser, Institut für Geschichte, Technische Universität Dresden

„Je suis reine par droit de naissance […] ma place devrait être la, sous ce daïs“ (S. 176) – im Wortsinn deplatziert kam sich Maria Stuart während ihres Hochverratsprozesses 1586 in der Presence Chamber von Schloss Fotheringhay vor: Statt unter dem Baldachin auf dem leeren Thronsitz der abwesenden Elisabeth I. zu sitzen, hatte sie mit einem etwas weniger auffälligen Sessel links vom Zentrum vorliebzunehmen, der ihren geburtsrechtlichen Ansprüchen nicht genügte und sie sichtbar der rechtlichen Autorität der englischen Königin unterwarf. Diese deklassierende Platzanweisung setzte sich nach Marias Hinrichtung nahtlos fort, denn bestattet wurde sie eben nicht in der königlichen Grablege, sondern in der Kathedrale von Peterborough, bezeichnenderweise neben „that other un-queened queen“ (S. 199), der nicht weniger prozessgeplagten Katharina von Aragon. Ein Vierteljahrhundert später folgte ihre Rehabilitierung durch ihren Sohn James I., spatial verewigt mit der Translation ihrer Gebeine nach Westminster und einem monumentalen Grabmal, prächtiger und kostspieliger als das ihrer Rivalin Elisabeth I. In Marias monarchischer Statusamplitude spiegelt sich eine hochsymbolische Sprache räumlicher Arrangements und zeremonieller Performanzen, deren subtilen politischen, verfassungsrechtlichen, hierarchischen und sozialen Lesarten Janette Dillon – Professorin für Dramaturgie an der University of Nottingham – in einem auch für Historikerinnen und Historiker lesenswerten Buch nachgeht.

Dabei erschöpft sich Dillons Blick auf die Mikropolitik des zeremoniellen Raums anhand des englischen Hofes zwischen 1400 und 1625 keineswegs darin, den Gegenstand als Bündel von statischen Konstruktionen im Sinne einer abgegrenzten, gerahmten und geschmückten Topographie zu beschreiben. Vielmehr rückt sie die damit verbundenen Codes der Bewegungen, Haltungen und Gesten von zeremoniellen Akteuren in den Fokus, die innerhalb bestimmter räumlicher Konstellationen und Grenzziehungen zu beobachten sind. Aus der Analyse „from the perspectives of place and space and the way people move into, out of and inside these“ (S. 11) gewinnt Dillon Aufschlüsse über das bedeutungsgenerierende Moment, das der Interdependenz von materiellem Raum und kinetischen Befunden im höfischen Bereich innewohnt. Hierfür werden in der knappen, überzeugenden und – gerade angesichts mancher Auswüchse des spatial turn – angenehm bodenständigen Einleitung die wesentlichen theoretisch-methodologischen Grundlagen gelegt und einem zwischen Materialität und Perzeption vermittelnden Raumbegriff der Vorzug gegeben. Anhand weiterer Leitbegriffe wie ‚Performanz‘, ‚Zeugenschaft‘ und ‚Hof‘ wird nicht nur die Theatralität höfischer Ereignisse zwischen performativer Aktion und beobachtender Anteilnahme akzentuiert, sondern auch deren politische Relevanz als Vollzugsformen von bedeutenden sozialen Transformationen.

Anhand dieses Beschreibungsinstrumentariums wird in den folgenden sieben Fallstudien jeweils eine bestimmte Kategorie zeremonieller Ereignisse einer „micro-analysis“ (S. 17) von Platzierungslogiken und Bewegungsformen unterzogen, wobei auch quellentypologisch begründete Deutungspotenziale und -grenzen sorgfältig ausgelotet werden. Dabei geht Dillon in der ersten Fallstudie zu „Royal entries and coronations“ den vertikalen und horizontalen Raumsymboliken von Einzugsprozessionen und Krönungszeremonien nach, deren Choreographien und Bewegungsmuster – zum Teil aus dem gewinnbringenden Blickwinkel der modernen Tanztheorie – als „‚language‘ of command and control“ (S. 36) gelesen werden. Im Gegensatz zur urbanen Raumsprache des adventus-Zeremoniells geht es im folgenden Abschnitt („Royal progress“) zum Besuch Elisabeths I. in Kenilworth 1575 um „rural modes of representation“1: Spaziergänge in einer theatralisierten Gartenarchitektur sowie kleine Unterhaltungseinlagen unterliegen einer Bewegungs- und Transformationssymbolik, die einer positiven Wendung in der Beziehung zwischen Gastgeber – Robert Dudley, Earl of Leicester – und der Königin Bahn brechen sollten. Gerade im Bereich der vormodernen Diplomatie spielten Fragen der Präzedenz sowie der Nähe und Distanz zum Herrscher bekanntlich eine entscheidende und höchst konfliktträchtige Rolle, die sich in Dillons Fallstudie zu „Meetings with ambassadors“ bestätigt: Schon feinste Nuancierungen in der Proxemik des Stehens, des Sitzens und der Bewegung wurden von den Zeitgenossen wahrgenommen und kommentiert. Auch und gerade im Fall der Transgression blieb dieses Regelwerk als Bewertungsmaßstab virulent, etwa wenn in Zeiten sich verschlechternder Beziehungen die gewohnten Platzanweisungen außer Kraft gesetzt oder abseits des Protokolls informell-persönliche Gesprächssituationen zwischen Monarch und Botschafter ermöglicht wurden.

Gegenüber eher funktionalen Zeremonien wie Botschafterempfängen und Krönungen eröffneten typische Ausprägungen der höfischen Festkultur („Court revels“) wie etwa Maskenspiele, Theateraufführungen und Tänze aufgrund ihrer fiktionalen Rahmung eine größere „freedom of movement and speech“ (S. 104), wobei Dillon die Festivitäten in Greenwich 1527 sowohl aus zeitgenössischer Perspektive wie auch aus ihrer theatralischen Rezeption in Shakespeares Heinrich VIII. in den Blick nimmt. Zu dieser Gruppe gehörte auch das höfische Turnier, das aber in zeitlicher und räumlicher Hinsicht ein in sich geschlossenes und abgegrenztes Ereignis darstellte und dementsprechend eine eigene Fallstudie mit Beispielen aus dem späten 14. bis frühen 17. Jahrhundert verdient („Tournaments“). Da der kompetitive Kern des Turniergeschehens per se kontingent war und ohne Drehbuch auskommen musste, wurde umso mehr Wert auf ein durchreguliertes Raumarrangement und ein zeremonielles Rahmenprogramm gelegt, das im späten 15. Jahrhundert nach dem Vorbild Burgunds zunehmend theatralisiert und mit literarischen Motiven überformt wurde.

Gerichtsprozesse gegen Häretiker, Katharina von Aragon und Maria Stuart bilden den Gegenstand der nächsten Fallstudie („Trials“), die neben den jeweiligen spatialen Dynamiken auch Faktoren der Theatralisierung des Prozessgeschehens auf den Grund geht: Die Bemühungen der Prozessleitungen, zur Demonstration der eigenen Verfahrenshoheit die räumliche Rahmung, das Verhalten der Zuschauer sowie die Platzierung, Kleidung, Bewegungen, Gesten und Redebeiträge des Delinquenten so strikt wie möglich zu reglementieren, bilden dabei nur eine Seite der Medaille. Gerade angeklagte Häretiker wie etwa John Ridley 1555 konterten mit einer demonstrativen „performance of simplicity“ (S. 164) die von ihnen ins Visier genommene katholische Theatralität und benutzten ihrerseits symbolische Gesten wie das Knien, das Spreizen der Arme in Kreuzform oder das beredte Schweigen, um die „encircling and overarching authority“ (S. 159) der Gerichtsherren zu konterkarieren. Ebenso wie Prozesssituationen wurden auch Hinrichtungen („Executions“) bereits von den zeitgenössischen Akteuren – den Opfern, Herrschaftsträgern, Zuschauern und Kommentatoren – in ihrer performativen Qualität durchschaut. Entsprechend eigneten sich gerade die Häretikerverbrennungen in der Retrospektive zu triumphalistischen Umcodierungen, wie Dillon etwa anhand der Holzschnitte aus John Foxes Acts and Monuments zeigen kann: In diesem „theatre of martyrdom“ (S. 189) vor einer dicht gedrängten Zuschauermenge offenbart sich das subversive Potenzial von Hinrichtungsszenen, deren Perzeption niemals ganz zu kontrollieren ist – sei es in Form von renitenten oder einfach empathischen Zuschauern, sei es in Form eines spirituellen Deutungsüberschusses.

Unter dem Bogen der Fallstudien, die Janette Dillon in einer breiten diachronen Perspektive – freilich mit einem deutlichen Schwerpunkt im 16. Jahrhundert – ausgearbeitet hat, verbergen sich nicht wenige Aspekte, die bereits als recht gut erforscht gelten dürfen. Das mindert allerdings nicht die analytische Leistung der Autorin, die in Serie mit interessanten Detailergebnissen zur Raumorganisation des englischen Hofzeremoniells aufwarten kann. In ganz besonderer Weise ist es aber ihr dezidierter und methodologisch reflektierter Zugriff auf zeremonielle Bewegungsdynamiken, der zu überzeugen weiß und von der zukünftigen Ritual- und Zeremonialforschung zu berücksichtigen sein wird. Kritisch anzumerken bleibt allerdings, dass Dillon von dem nicht selten zu beobachtenden morbus anglicus befallen ist und nicht-englischsprachige Forschungsliteratur nahezu vollständig ausblendet – etwa inhaltlich gewinnbringende deutschsprachige Vorarbeiten zu einzelnen Aspekten2 oder den wichtigen Sammelband Zeremoniell und Raum von Werner Paravicini.3 Wenn schon auf dem Parkett des vormodernen höfischen Zeremoniells nicht nur Englisch gesprochen wurde, sollte auch der internationale Forschungsdialog auf diesem Gebiet nicht einseitig aufgekündigt werden. Auch mit diesen Abstrichen bleibt Dillons Studie aber eine in hohem Maße anregende Lektüre und stellt für eine europäische vergleichende Perspektive auf höfische Raumsprachen und -symboliken eine materialreiche Grundlage bereit.

Anmerkungen:
1 William Leahy, Elizabethan Triumphal Processions, Aldershot 2005, S. 1.
2 So zum Beispiel zu Prozessionen Andrea Löther, Prozessionen in spätmittelalterlichen Städten. Politische Partizipation, obrigkeitliche Inszenierung, städtische Einheit, Köln 1999; zum adventus-Zeremoniell Gerrit Jasper Schenk, Zeremoniell und Politik. Herrschereinzüge im spätmittelalterlichen Reich, Köln 2003; zur Hinrichtung von Protestanten und dem Märtyrermotiv Peter Burschel, Sterben und Unsterblichkeit. Zur Kultur des Martyriums in der frühen Neuzeit, München 2004. Freilich ebenfalls nicht konsultiert wurde Brad S. Gregory, Salvation at Stake. Christian Martyrdom in Early Modern Europe, Cambridge, Mass. 1999.
3 Werner Paravicini (Hrsg.), Zeremoniell und Raum. 4. Symposium der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften, Potsdam, 25. bis 27. September 1994, Sigmaringen 1997.

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