C. Kühberger u.a. (Hrsg.): Vergangenheitsbewirtschaftung

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Titel
Vergangenheitsbewirtschaftung. Public History zwischen Wirtschaft und Wissenschaft


Herausgeber
Kühberger, Christoph; Pudlat, Andreas
Erschienen
Innsbruck 2012: StudienVerlag
Anzahl Seiten
218 S., zahlr. SW-Abb.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Cord Arendes, Historisches Seminar, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Die Frage der Grenzziehungen, intern wie nach außen, ist für wissenschaftliche Disziplinen von großer Bedeutung, definiert sie doch deren Selbstverständnis. Der Bereich der Public History nimmt hier eine Scharnierfunktion ein: Er rückt zum einen die sektorale Binnendifferenzierung der Geschichtswissenschaft in den Blick; gleichzeitig thematisiert er das Wirken von außerwissenschaftlichen Instanzen in das Fach hinein. Vor allem aber zeigen Perspektiven der Public History, dass es sich bei dem großen Interesse, mit dem auch die Wirtschaft den Umgang mit „Geschichte in der Öffentlichkeit“ begleitet, längst nicht mehr um eine Einbahnstraße handelt: Auch die Geschichtswissenschaft hat in den letzten Jahren zunehmend die ökonomische Verwertbarkeit ihres Wissens entdeckt – Geschichte ist in doppeltem Sinne zu einem Wirtschaftsfaktor geworden.

Der Begriff „Public History“ wird heute vor allem verwendet für den öffentlichen Umgang mit dem Nationalsozialismus1, für die Darstellung von Geschichte in den Medien oder beim Aufbau neuer Studiengänge mit starkem Praxisbezug.2 Die positiven und negativen Folgen der Verschiebungen im Verhältnis zwischen Geschichtswissenschaft und Wirtschaft werden hingegen nur am Rande thematisiert.3 Der vorliegende Sammelband trägt den beschriebenen Entwicklungen schon mit der Wahl seines Titels Rechnung: „Vergangenheitsbewirtschaftung“, so Christoph Kühberger und Andreas Pudlat in ihrer sehr knapp gehaltenen Einleitung im Anschluss an Iris Hanikas Roman „Das Eigentliche“ (2010), soll „in plakativer Form auf das Spannungsverhältnis zwischen forschender Praxis, wirtschaftlicher Verwertbarkeit und moralisch-ethischer Dimensionierung aufmerksam machen“ (S. 7).

Die einzelnen Beiträge widmen sich einem sehr breiten Themenspektrum und reichen von unterschiedlichen Formen, Akteuren und Strategien des Geschichtsmarketings über historische Museen als Wirtschaftsstandorte bis hin zur Heritage-Industrie bzw. Geschichte als wichtigem Faktor der Tourismusbranche. Das Ziel der Herausgeber ist es, insgesamt drei große Themenfelder abzustecken, mit denen sich traditionelle Historiker und Public Historians gleichermaßen auseinandersetzen müssen: Erstens geht es um die grundsätzliche Frage, wann, wie und warum Geschichte zu einem Wirtschaftsfaktor wird, von dem Unternehmen mit guten Gründen annehmen können, dass er ihnen in der Öffentlichkeit einen Mehrwert einbringt. Zweitens rücken die geschichtswissenschaftlichen Akteure, die Historiker, in den Blick: Als Experten auf einem Arbeitsfeld jenseits des schützenden Elfenbeinturms müssen sie sich mit den Gesetzen des freien Marktes und den Vorstellungen ihrer Auftraggeber „arrangieren“ – ohne dabei ihre wissenschaftliche Identität aus den Augen zu verlieren. Deshalb gilt es drittens, ethische Standards zu definieren und gegebenenfalls neu zu verhandeln, die den Public Historians eine sichere Arbeitsgrundlage bieten: als Wissenschaftler wie auch als potenzielle Dienstleister im außerakademischen Bereich. Die einzelnen Beiträge des Sammelbandes sind allerdings nicht jeweils direkt einem der drei Themenfelder zugeordnet. Als „Facetten der Annäherung“ (S. 8) sollen sie helfen, an konkreten Beispielen die institutionellen wie akteurszentrierten Wechselbeziehungen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft auszuloten.

Christoph Kühberger gibt in seinem Einführungsbeitrag einen guten Überblick zum weiten Feld des Geschichtsmarketings. Geschichte als Wirtschaftsfaktor steht hier für die Transformation historischen Wissens in einen finanziellen Mehrwert. Instrumente und Formen des Geschichtsmarketings stellen somit vielerorts schon den Regelfall einer konsequenten und strategisch ausgerichteten Unternehmens- und Marketingkommunikation dar. Tritt aus Sicht der Geschichtswissenschaft vor allem das Spannungsverhältnis zwischen Forschung, Vermarktung und Ethik in den Vordergrund, so sind für die Unternehmen hauptsächlich die Orientierungsfunktion von Geschichte und die unterschiedlichen Strategien für einzelne Zielgruppen interessant. In vier weiteren Beiträgen werden Kühbergers grundsätzliche Überlegungen vertieft: In den Blick geraten die verschiedenen Akteure des Geschichtsmarketings inner- und außerhalb von Unternehmen (Jörg Lindner), Binnenstrategien mit dem Ziel der Verankerung von Marken in den Köpfen der Mitarbeiter (Jürgen Bauer / Elfriede Windischbauer) sowie erste Überlegungen zum Instrument einer „Corporate Historical Responsibility“ (Felix Ackermann). Claudia Schütze zeichnet die historischen Argumentationsmuster im Rahmen der institutionellen und medialen Identität eines Unternehmens am Beispiel der Norddeutschen Seekabelwerke nach: Unternehmensgeschichte kann als „gestylte Geschichte“ (S. 194) den Erfolg einer Firma dokumentieren. Zwei entscheidende Aspekte werden in allen genannten Beiträgen jedoch fast gar nicht angesprochen: Welche rechtlichen, finanziellen oder einfach nur praktischen Auswirkungen auf die Arbeit der Historiker hat die Zuordnung der Auftraggeber zum öffentlichen oder privatwirtschaftlichen Sektor? Und: Schlagen sich die beschriebenen Entwicklungen bereits in der Ausbildung von Mitarbeitern des Marketings und der Unternehmenskommunikation nieder? Werden sie damit als neue Strategien inkorporiert, oder sind auf diesem Feld tatsächlich Experten aus der Geschichtswissenschaft am Werk?

Manfred Grieger spitzt seine schon an anderen Orten präsentierten Erfahrungen als Leiter der Unternehmenskommunikation der Volkswagen AG für einen breiteren Leserkreis auf drei Globaltrends zu, die er im Zusammenhang mit generellen gesellschaftlichen Umbrüchen betrachtet sehen will: Verwissenschaftlichung, Marketingisierung und Eventisierung. Mit dem Trend bzw. „Zwang“ von historischen Museen und Ausstellungen zur marktwirtschaftlichen Orientierung beschäftigen sich an Beispielen aus der Archäologie Stefanie Samida (unter anderem anhand der Himmelsscheibe von Nebra und der Mannheimer Mumienausstellung) sowie am Beispiel der „Schloß Schönbrunn Kultur- und Betriebsgesellschaft“ in Wien Andrea Brait. Neben die „Eventisierung“ (S. 139), die in vielen Fällen durch eine (regional)politische Einbettung ökonomischer Interessen oder den Bereich des Kulturtourismus „getarnt“ werde, trete auf Seiten der Rezipienten auch das Bedürfnis nach komplexen Freizeit- und Urlaubsangeboten und auratischem Erleben hinzu.

Ist in offiziellen Ausstellungen noch die konkrete Anbindung an die Wissenschaft erkennbar, so bedienen im Rahmen einer sich auch in Deutschland rasch etablierenden „erlebnisorientierte[n] Heritage-Industrie“ (S. 159) viele einzelne private Anbieter, oft ohne wissenschaftlichen Hintergrund, die Nachfrage der Freizeitgesellschaft nach personalisiertem, erlebnis- und emotionsorientiertem Infotainment (Beitrag von Sybille Frank). Authentizität gilt hierbei vor allem als unterhaltsam präsentierte historische Information bzw. ist das, was den Erwartungen der Besucher entspricht und einen Anschluss an deren Rezeptionsgewohnheiten garantiert. Für das Beispiel Berlin definiert Hanno Hochmuth deshalb Public History auch als öffentlich gemachte und allgemein zugängliche Stadtgeschichte: „Public History in den Berliner Museen ist vor allem Public Contemporary History.“ (S. 177) Hochmuth weist zudem noch einmal auf den wichtigen Umstand hin, dass private Unternehmer der Heritage-Industrie weniger um historische Interpretationen als um ihre Position am Markt ringen (ebd.).

Insgesamt gelingt es den Autorinnen und Autoren, einen breiten Überblick zu Potenzialen und Gefahren der Verbindung von Geschichtswissenschaft und Wirtschaft zu geben – auch wenn sich nicht alle exakt auf der einen oder anderen Seite positionieren möchten. Das zugrunde gelegte Begriffsverständnis von „Public History“ ist allerdings nicht einheitlich bzw. recht allgemein gehalten und wird in einigen Beiträgen auch nicht weiter definiert. In beinahe allen Aufsätzen wird dagegen der Bedarf einer ethischen Unterfütterung der Public History sichtbar. Interessant wäre deshalb gewesen, wie die Autorinnen und Autoren die Wirkung des „Code of Ethics and Professional Conduct“ des US-amerikanischen „National Council for Public History“ (NCPH) einschätzen.4 Grundsätzliche Überlegungen in diese Richtung hätten eine passende Ergänzung der Fallbeispiele geboten: Wenn Konflikte über die „richtige“ bzw. „angemessene“ Darstellung von Geschichte nicht ausbleiben, dann erhöhen schriftlich fixierte Verhaltensregeln nicht nur die Glaubwürdigkeit von Public Historians in der Öffentlichkeit, sondern machen auch deren Arbeitsgrundlagen transparent. Außerdem läge damit eine Vertragsbasis bzw. Absichtserklärung vor, auf die sich in Streitfällen sowohl Wissenschaft wie Wirtschaft berufen können. Unabhängig von diesen Hinweisen bietet der Band aber eine Reihe von Anregungen, um sich in Wissenschaft und Wirtschaft der jeweils eigenen Grenzen bewusst zu werden und so die Räume eines öffentlich geteilten Wissens produktiv zu erweitern.

Anmerkungen:
1 Frank Bösch / Constantin Goschler (Hrsg.), Public History. Öffentliche Darstellungen des Nationalsozialismus jenseits der Geschichtswissenschaft, Frankfurt am Main 2009 (vgl. Simone Rauthe: Rezension zu: Bösch, Frank; Goschler, Constantin (Hrsg.): Public History. Öffentliche Darstellungen des Nationalsozialismus jenseits der Geschichtswissenschaft. Frankfurt am Main 2009, in: H-Soz-u-Kult, 08.09.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-3-179> [20.07.2012]).
2 Einen Überblick zur Entwicklung der Public History gibt Irmgard Zündorf, Zeitgeschichte und Public History, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 11.2.2010, URL: <https://docupedia.de/zg/Public_History?oldid=75534> (20.07.2012).
3 Wolfgang Hardtwig / Alexander Schug (Hrsg.), History Sells! Angewandte Geschichte als Wissenschaft und Markt, Stuttgart 2009.
4 Die ursprüngliche Fassung stammt aus dem Jahr 1986 und wurde 2007 aktualisiert. Der Text ist auf der Website des NCPH zugänglich: <http://ncph.org/cms/about/bylaws-and-ethics/#Code%20of%20Ethics%20&%20Prof%20Conductduct> (20.07.2012).