P. B. Radcliff: Making Democratic Citizens in Spain

Cover
Titel
Making Democratic Citizens in Spain. Civil Society and the Popular Origins of the Transition, 1960–78


Autor(en)
Radcliff, Pamela Beth
Erschienen
Basingstoke 2011: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
416 S.
Preis
€ 79,48
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Maria Hebenstreit, Leipzig/Valencia

Wenn auch für die internationale Geschichtsforschung weitgehend unbemerkt, hat sich seit Beginn der 1990er-Jahre in Spanien eine recht umfangreiche historische und sozialwissenschaftliche Oppositionsforschung zur franquistischen Diktatur herausgebildet, die sich in den letzten Jahren vor allem mit der Epoche des Spätfranquismus – die Jahre bis zum Tode Francos 1975 und bis zu den ersten demokratischen Wahlen 1977 – befasst hat. Interessanterweise leisten hierbei, wie bereits in der Bürgerkriegsforschung, einige nicht-spanische Historiker wichtige Beiträge zum Verständnis der zeitgenössischen spanischen Geschichte. Zu diesen gehört Pamela Beth Radcliff, Assistenzprofessorin für Geschichte an der University of California, San Diego.

In ihrem 2011 erschienenen Buch beschreibt sie die Ursprünge und Wurzeln der spanischen Bürgerbewegung und ihr Wiedererstarken, nach der Unterdrückung in den frühen Franco-Jahren, während der wirtschaftlichen und politischen Umbruchszeit der Diktatur der 1960er-Jahre und ihren schlussendlichen „burst of mobilization“ (S. 3) in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre. Zentraler Gegenstand des Buches ist die Frage, inwieweit das „associational milieu“ (S. 10), dessen Wurzeln lange Zeit vor dem Bürgerkrieg lagen, zum spanischen Demokratisierungsprozess beigetragen hat. In wieweit waren die sogenannten Nachbarschafts- (Asociaciones de Vecinos) und Hausfrauenvereine (Asociaciones de Amas de Casa) tatsächlich „Schulen der Demokratie“ – eine neue Art von ziviler Plattform, welche die Möglichkeit bot „to discuss and perform new civic identities and practices“ (S. 320) –, und welchen Anteil hatten sie tatsächlich an der Diskreditierung und dem Sturz der Diktatur? Der Beitrag der Bevölkerung, so das Argument Radcliffs, beschränkte sich dabei nicht nur auf die Menschen, die aktiv in der Opposition gegen Franco arbeiteten. Die verschiedenen Bürgervereine, ob staatlich motiviert oder eigeninitiiert übernahmen im Laufe ihrer Existenz demokratische Praktiken, welche bewusst „von unten“ mitgestalten und zu konstruieren versuchten und dadurch „bewusst“ oder „unbewusst“ die Diktatur zu unterwandern begannen (S. 10–11).

Die spanische „Transición“, die Demokratisierung und Konsolidierung nach dem Zusammenbruch einer vierzigjährigen (faschistisch-autoritären?) Diktatur hat sich in der historischen und politikwissenschaftlichen Forschung zu einem wichtigen Bezugspunkt der „Third Wave Democracies“ entwickelt. Der Erfolg des Spanischen Demokratisierungsmodells war einer ganzen Bandbreite von zahlreichen vorteilhaften, mit einander in Beziehung stehenden und sich gegenseitig beeinflussenden Faktoren geschuldet, welche sich nicht nur auf die politischen oder wirtschaftlichen Bereiche beschränkten, sondern sich auch auf Gebiete erstrecken, die für den Historiker im Allgemeinen schwerer fassbar sind, als die Untersuchung von strukturellen und politischen Wandel: der Beitrag der „gewöhnlichen Männer und Frauen“. Das Phänomen der Bürgerbewegung in Nachbarschafts-, und Hausfrauenvereinen, der Beitrag der einfachen Bevölkerung zur Herausbildung eines allgemeinen modernen Staatsbürger- und Demokratieverständnisses auf der iberischen Halbinsel, hat trotz seiner weiten Verbreitung während der letzten Jahre der franquistischen Diktatur und der Transición und seines enormen Mobilisierungspotentials, bisher recht wenig Beachtung von der spanischen, geschweige denn der internationalen Diktaturenforschung erhalten. Die akademischen Debatten und Forschungen werden dabei durch die, vor allem auf Seiten der franquistischen Institutionen lückenhafte Quellenlage, maßgeblich erschwert; ein Nachteil, welchen Pamela Radcliff durch die Verwendung von zahlreichen alternativen Quellen erfolgreich meistert.

Eine große Stärke ihrer Arbeit ist die Verwendung von umfangreichen, bisher unerschlossenen Material aus den Archiven der Nachbarschafts- und Hausfrauenvereinen, vorwiegend aus dem Großraum Madrid, sowie die Einbeziehung von zugänglichen, offiziellen Quellen des Ministeriums für Kultur und des Inneren, sowie des Vereinsregisters. Dadurch gewinnt der Leser wertvolle Einblicke in den strukturellen Aufbau der Bürgervereine, in den Prozess vom Erstellen bis zur Genehmigung der Vereinsstatute, in die Funktionen der Selbstverwaltung und die Entstehung demokratischer Entscheidungsfindung. Bewusst scheint sich Radcliff in ihrer Arbeit von einer soziologischen Herangehensweise abzusetzen, wie der Verzicht auf „oral history“ und Zeitzeugeninterviews zeigt. Angesichts der Fülle von schriftlichen Materialien ist eine solche rein historische Annäherung an das Thema sicher gerechtfertigt, könnte jedoch nach meinem Ermessen durch die Einbeziehung von mündlichen Quellen aufgewertet werden.

Kapitel 1 beschreibt das Multifaktorenmodell, das in der zweiten Hälfte der Franco-Diktatur, unter anderem durch wirtschaftlichen Aufschwung, einer zaghafte Liberalisierungspolitik (das Vereinsgesetz von 1964) und der Öffnung neuer Kommunikationskanäle zur Reaktivierung der bürgerlichen Bewegung führte. Kapitel 2 erklärt ausführlich das ganze Spektrum der entstehenden (staats)bürgerlichen Gesellschaft und geht insbesondere auf die kirchlichen, staatlichen und die zunehmenden bürgerlichen Eigeninitiativen der 1960er-Jahre ein. Kapitel 3 widmet sich der komplexen Problematik der Frauenpartizipation innerhalb der Bewegungen. Kapitel 4, 5 und 6 untersuchen die „wesentlichsten öffentlichen und halböffentlichen Diskurse“ (S. 16) der Familien-, Hausfrauen- und Nachbarschaftsvereine, zu dessen wichtigstem Element die öffentliche Diskussion über politischer Partizipation und Kommunikation mit dem Staat wurde.

Als durchaus innovativ kann die Einbeziehung der Genderproblematik und die Untersuchung Rolle der Frau in Radcliffs Studie (Kapitel 3 und 5) bezeichnet werden. Anschaulich beschreibt sie das Paradoxon zwischen Geschlecht und „citizenship“ sowie der von den Bürgervereinen propagierten „Gleichheit“ und der tatsächlich umgesetzten „Gleichberechtigung“. Die Beteiligung der Frau an der Bürgerbewegung wurde im Allgemeinen, aufgrund ihrer mangelnden Präsenz in Führungspositionen ignoriert, auch wenn Frauen einen wesentlichen Anteil der Vereinsmitglieder ausmachten. Gründe dafür lagen vor allem in dem weitgehend „nicht politischen“ Charakter ihrer Mitarbeit; Aktivitäten, die sich vor allem auf das häusliche und unmittelbare nachbarschaftliche Umfeld beschränkten. Tatsächlich sind diese Geschlechterkonflikte, die innerhalb der gesamten spanischen Oppositionsbewegung in verschiedenem Ausmaß auftraten (in der Arbeiterbewegung ging die Beteiligung der Frau gegen Null), ein Spiegel der ungelösten Gender-Konflikte der gesamten westlichen Zivilgesellschaft der Epoche, was sich keinesfalls auf das spanische Diktaturmodell beschränken lässt.

In Kapitel 7 „The Civic Community in Practice“ werden die tatsächlichen praktischen Wirkung der verschiedenen zivilen Aktivitäten im öffentlichen, politischen und privaten Bereich und ihre Bedeutung für das Entstehen eines allgemeinen demokratischen Bewusstseins untersucht. Ebenso durchleuchtet Radcliff die institutionellen und organisatorischen Prozesse der Nachbarschaftsvereine: Selbstverwaltung, demokratische Vorgänge wie Abstimmungen und Wahlen, hierarchische Strukturen sowie die Vereinsbasis („rank and file“), die sich zu einem nicht unerheblichen Teil aus Frauen zusammensetzte.

Abschließend kontrastiert sie die zwei Modelle des kollaborierenden (Suche nach einem ausgleichenden, nicht öffentlichen Dialog mit dem Staat) und des oppositionellen Modells (öffentlicher Protest) und beschreibt den Zusammenbruch der Kommunikation mit den staatlichen Institutionen während der Transición. In einer Art Schneeballeffekt, so die Autorin, unterminierte die wachsende oppositionelle Haltung der Bürgervereine die Legitimität und die Stabilität des Franco-Regimes, zumal sich das Regime in zunehmendem Maße als zu unbeweglich im Hinblick auf die Lösung der Probleme seiner Bevölkerung erwies. Angesichts des ökonomischen Aufschwungs und der raschen Verwestlichung der spanischen Gesellschaft wurde der Diktatur die eigene Unfähigkeit, auf die neuen materiellen und kulturellen Bedürfnisse ihrer Menschen zu reagieren, zum Verhängnis.

Die Autorin hat mit ihrer innovativen Studie nicht nur eine Vorreiterarbeit auf dem Gebiet der spanischen Bürgerbewegungsforschung geleistet; ihr Verdienst liegt vor allem auch darin, dass sie ihre Forschungsergebnisse einer breiten, internationalen akademischen Leserschaft zugänglich gemacht hat. Aufgrund ihrer sorgfältig recherchierten und schlüssig formulierten Argumente, sowie zahlreicher Querverweise auf den historischen Hintergrund und Einbettung in die Rahmenbedingungen in den Spätfranquismus und die ersten Jahre der Demokratisierung ist dieses Buch eine ideale Lektüre nicht nur für Kenner der spanischen Oppositionsbewegung gegen Franco, sondern auch für diejenigen, die sich erstmals an die Geschichte Spaniens während des demokratischen Umbruchs der 1970er-Jahre annähern wollen.

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