J. N. Bremmer u.a. (Hrsg.): Perpetua’s Passions

Cover
Titel
Perpetua’s Passions. Multidisciplinary Approaches to the Passio Perpetuae et Felicitatis


Herausgeber
Bremmer, Jan N.; Formisano, Marco
Erschienen
Anzahl Seiten
383 S.
Preis
£ 75,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Henrike Maria Zilling, Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik, Technische Universität Berlin

Der mit 19 Beiträgen recht umfangreiche Konferenzband zu einer Tagung im Juli 2007 über die Passio Sanctarum Perpetuae et Felictati (PP) bietet eine inhaltlich, methodologisch sowie disziplinär breit angelegte Annäherung an einen einzigartigen christlichen Text, der von der Verurteilung und Hinrichtung einer Märtyrergruppe im Jahre 203 n.Chr. im Amphitheater von Karthago berichtet; diese Breite des Ansatzes kann in einer Rezension aber nur schlaglichtartig wiedergeben werden. In dieser Passio überlagern sich Elemente einer weiblichen Autobiographie, Visionsberichte und Märtyrerakte, weshalb er in der antiken Literatur eine Sonderstellung einnimmt und eine zeit- und raumübergreifende Faszination auf seine Leser ausübt (vgl. Formisano, S. 329ff.). Die Referenten und Autoren des Bandes, ob Literatur- und Kulturwissenschaftler, Historiker oder Theologen, eint, dass sie sich neu und unvoreingenommen aus unterschiedlichsten Perspektiven dem Text widmen wollen, unabhängig davon, ob sie diesen als ausgewiesene Experten im Bereich des Frühchristentums bereits gut kannten oder diesen erstmals analysieren.

Jan N. Bremmer und Marco Formisano verschaffen in ihrem Einführungskapitel einen nützlichen Überblick, der die vielfältigen Fragenkomplexe zum historischen, quellenkritischen, textuellen und literarhistorischen Kontext umreißt. Anschließend bieten Joseph Farrell und Craig Williams eine überzeugende neue Textübersetzung. Für die PP wird eine dreifache Autorschaft angenommen: ein Redaktor, der Perpetua wiederum als Autorin identifiziert, sowie die Textgestaltung durch ihren Lehrer Saturus (Mesnard, S. 323). Es folgen drei systematische, jeweils unter einer Überschrift stehende facettenreiche Beitragsteile (I The Martyr and her Gender; II Authority and Testimony; III The Text, the Canon, and the Margins), die hier nur selektiv betrachtet werden können.

Bremmer wendet sich nicht Perpetua, sondern der in ihrem Schatten stehenden, zweiten jungen afrikanischen Märtyrerin Felicitas zu. Felicitas ist eine junge Sklavin, deren Schicksal in den Acta beschrieben wird. Diese entstanden vermutlich nach der Passio und bieten einen Bericht über die Befragung vor dem Statthalter und das eigentliche Martyrium (S. 37–40; vgl. Formisano, S. 330f.). Bewegend am Schicksal der Felicitas ist insbesondere, dass sie im Kerker, wohl aufgrund der belastenden Umstände, frühzeitig ein Mädchen zur Welt bringt (Kapitel 15; Bremmer, S. 41–49), was sie erfreut, da die Hinrichtung von Schwangeren verboten war. Hierin zeigt sich die unbedingte Martyriumsbereitschaft der jungen Frau. Der Statthalter hatte vergeblich versucht, Perpetua und Felicitas zum Abfall zu bewegen – Perpetua war überdies eine verheiratete junge Mutter –, und bestrafte schließlich die Halsstarrigkeit der jungen Frauen mit der Verurteilung ad bestias. Bremmer schließt seine Ausführungen mit einem interessanten Vergleich zwischen christlichen Märtyrern und den aktuellen Selbstmordattentätern, der sich unter anderem auf die religionssoziologischen Arbeiten von Rodney Stark stützt (S. 51).1

Nach den von Craig Williams diskutierten Gender-Aspekten der Passio beleuchtet Walter Ameling den sozialen Hintergrund der Märtyrerin: Wie in einer Grabinschrift teilt uns der Redaktor bereits im Einführungsteil mit, dass es sich bei Perpetua um eine Frau „honeste nata“, „liberaliter instituta“, „matronaliter nupta“ (2, 1) handelt, die trotz ihrer paganen Erziehung Christin geworden sei. Die Frage zu stellen, ob eine sorgfältigere paideia im heidnischen Sinne die christliche Unterminierung einer angesehenen Familie verhindert hätte, lässt Ameling unbeantwortet mit dem Hinweis darauf, dass dies den Gegensatz zwischen der christlichen und der heidnischen Erziehung zu stark konturieren würde (S. 102; vgl. Sigismund-Nielsen, S. 107).

Eine philologische und zugleich soziologische Textannäherung bietet der Beitrag von Hanne Sigismund-Nielsen. Ausgehend von Augustinus’ sermo 282,3, in dem dieser Perpetuas angeblich weibliche Schwäche durch ihre Standhaftigkeit gegen die Verführungskünste des Teufels in der Arena überwunden und dadurch gleichsam die Transformation von der heidnischen Matrone in eine ideale christliche Jungfrau und Braut Christi vollzogen sieht, bringt Sigismund-Nielsen ihre epigraphischen Ergebnisse ein. Abgeleitet von der sozialen Kategorie dominus bzw. domina, die Perpetuas Vater in der Konfrontation mit der Tochter als Anrede benutzt, konstatiert Sigismund-Nielsen, dass diese Bezeichnung in christlichen Kreisen verwendet wurde, um den erhöhten Heilsstatus einer Person als „almost in heaven“ auszudrücken (S. 109 u. 116f.).

Die Dialektik zwischen Perpetuas Mutter- und Heiligenstatus betrachtet Julia Weitbrecht. Ihre vergleichenden Ausführungen zum „Bouch von den Heiligen Megden und Frowen“ (BM)2 und den Acta sind hochinteressant, denn Weitbrecht stellt eine größere Nähe des BM zu den Acta als zur Legenda Aurea fest (S. 163). Auch Sigrid Weigels Beitrag beleuchtet den Transzendierungsvorgang der Perpetua, indem sie eine vergleichende Analyse von Perpetua und Lukretia bei Livius vornimmt. Dabei konturiert sie den Topos des transformierenden Übergangs durch das Martyrium in der antiken Literatur. Die Entehrung der reinen Lukretia durch L. Tarquinius Superbus und ihr demonstrativer Freitod als Beweis ihrer Unschuld erfährt eine Verwandlung in ein Blutzeugnis im Moment des heiligen Racheschwurs, den Brutus über der Toten leistet (S. 194f.). Die Perspektive des Livius ist historisierend, das Selbstzeugnis der Perpetua und die Darstellung des Redaktors dagegen progressiv auf die erlösende Christusnachfolge ausgerichtet; so wandelt sich die durch sexuelle Erfahrungen „befleckte“ Vibia Perpetua im Martyrium in eine Braut Christi (S. 199f.).

Katharina Waldner zeigt rhetorische Momente auf, die in kritischer Distanz zu der These gehen, dass es einen deutlichen Bezug zwischen dem Montanismus und christlicher Prophetie gebe. Vielmehr spielen ihrer Meinung nach legitimitäts-, macht- und herrschaftsbezogene Topoi eine Rolle in der Terminologie: „Prophetic dreams legitimate authorship and political power. The Christian text of Perptua’s visions gains a new dimension in consideration of this background: the powerless, condemned to death, employ rhetoric which is swiftly becoming the privilege of the most powerful“ (S. 219). Auch Christoph Markschies behandelt instruktiv die komplizierte und vieldiskutierte Frage des montanistischen Einflusses auf die PP. Dabei klärt er, was unter der prophetischen Bewegung des afrikanischen Montanismus zu verstehen sei, und diskutiert, ob es zu Beginn des 3. Jahrhunderts diesen als eigenständige Gemeinschaft mit nennenswertem Einfluss gegeben habe, was zum Beispiel Salisbury rigoros verneint (S. 281).3 Markschies sieht dies differenzierter, denn er beschreibt ein heterogenes nordafrikanisches Christentum sowie den Wirkungsbereich einer „Hauskirche Tertullians“ innerhalb der Gemeinde von Karthago und keineswegs ein Schisma. In diesem Kontext verweist er darauf, dass weder das Phänomen des phrygischen Montanismus und dessen Verbreitung noch die konkrete Ermittlung der Protagonisten der Bewegung abschließend geklärt sei; ferner reiche der auffällige Umstand der besonderen Rolle weiblicher Prophetinnen im Montanismus kaum aus, um die Visionen Perpetuas als montanistisch inspiriert zu bezeichnen. Markschies konstatiert abschließend: „No ‚Montanism light‘, nor any cunningly concealed version of Montanism, is detectable here“ (S. 290).

Mesnards Textreflektionen verbinden seine Forschungsarbeiten über die Konzentrationslager der Nationalsozialisten mit der Passio. Ihn interessieren situative Standpunkte von Augenzeugen- und Erfahrungsberichten und die Problematik des Interpretationskontextes angesichts grauenhafter Inhumanität. Schließlich erreiche die Leser durch diese „nur“ eine subjektiv deutende Beschreibung eines unsäglichen Geschehens. Damit gehört für ihn das Ereignis in einen Bereich jenseits der Sprache. Er drückt dies mit Wittgenstein so aus, worüber man nicht sprechen könne, darüber müsse man schweigen; anderes gewendet, eine drastische Gewalterfahrung oder Menschenrechtsverletzung erscheint „re-inscribed in the sphere of language […] without making it speak“ (Mesnard, S. 328).

Hiermit seien die vielfältigen Beiträge eines sehr lesenswerten und ertragreichen Konferenzbandes in Auszügen vorgestellt. Die Autoren versuchen, einen enigmatischen Text zu erfassen, der den Leser durch seine Unmittelbarkeit, seine Realitätsnähe und -ferne zugleich, durch seine Präsenz des Religiösen und Numinosen, seine starken Bilder und Szenen bis heute fesselt.

Anmerkungen:
1 Rodney Stark, The Rise of Christianity, Princeton 1996, S. 163–189.
2 Entstanden um 1460 bietet das BM eine Zusammenstellung zahlreicher weiblicher Heiligenlegenden der „Schreibmeisterin“ Regula aus dem Zisterzienserinnenkloster Lichtenthal.
3 Vgl. den in Anm. 21 erfolgten Verweis auf Joyce E. Salisbury, Perpetua’s Passion, New York 1997, S. 158f.

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