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Titel
Liberal Peace. Selected Essays


Autor(en)
Doyle, Michael W.
Erschienen
London 2011: Routledge
Anzahl Seiten
243 S.
Preis
£ 23.99
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Gottfried Niedhart, Seminar für Neuere Geschichte, Universität Mannheim

In der außenpolitischen Rhetorik von Präsident Clinton gehörte der Zusammenhang von freiheitlich-demokratischer Verfassung und friedlichem Konfliktverhalten zu den Standardformeln. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts galt Demokratieförderung in den 1990er-Jahren als Königsweg zu einer befriedeten Welt. Schon während des Wahlkampfes präsentierte sich Clinton in der Tradition des liberalen Internationalismus, wie er von Woodrow Wilson in der amerikanischen Außenpolitik verankert worden war: „Democracies don’t go to war with each other.“ Clintons außenpolitisches Beraterteam griff auch auf Texte aus der Feder von Michael W. Doyle zurück, der im Methodenstreit zwischen „realistischer“ und „liberaler“ Schule in der Lehre von den internationalen Beziehungen die liberale Position vertrat und dies bis heute tut. Sein umfangreicher Aufsatz über „Kant, liberal legacies and foreign affairs“ aus dem Jahr 1983, der den Auftakt zu den in diesem Band publizierten Aufsätzen bildet, zählt zu den schlechterdings klassischen Texten in dieser Debatte. Wie sich der an der New Yorker Columbia-Universität lehrende Politikwissenschaftler bis 2009 an der weiteren, vor allem in den USA, in Skandinavien und Deutschland geführten Diskussion beteiligt hat, machen die folgenden acht Beiträge deutlich. Wie stets bei derartigen Publikationen sind Wiederholungen und Überschneidungen nicht zu vermeiden. Auch unterscheiden sich die für verschiedene Anlässe geschriebenen Artikel in Umfang und analytischer Schärfe. Hervorgehoben seien ein Tagungsbeitrag, in dem unter dem Titel „The Voice of the People“ gezeigt wird, wie unterschiedlich die Auswirkung von demokratischer Partizipation auf die Formulierung von Außenpolitik sein kann; ferner eine zwanzig Seiten umfassende Besprechung von John Rawls’ „The Law of Peoples“1, in der Doyle an seiner tendenziell dichotomischen Unterscheidung von liberalen und nicht-liberalen Ordnungen festhält und Rawls Toleranz für Zwischenstufen zurückweist. Das Ganze wird von einer konzisen Einleitung, in der Doyle seine Kernthesen formuliert und Begriffe definiert, und einem für diesen Band geschriebenen Schlussbeitrag eingerahmt, in dem eine Auseinandersetzung mit denen stattfindet, die nicht an das Theorem vom Frieden durch Demokratie glauben. In erster Linie stellt die Aufsatzsammlung in Anknüpfung und Ergänzung eines früheren Buches von Doyle2 ein wirkungsvolles Plädoyer für die Relevanz des Liberalismus in der internationalen und transnationalen Politik dar, darüber hinaus aber auch einen willkommenen Beitrag zur Theoriedebatte und zu den Ungewissheiten, wenn es zur Umsetzung des liberalen Modells in der politischen Praxis kommt.

„Liberal states are different.“ (S. 2) Diese zunächst nicht unbedingt Aufsehen erregende Aussage gewinnt ihre Bedeutung erst im Hinblick auf die zentrale Frage von Krieg und Frieden. Denn: „Liberal states do exercise peaceful restraint and a separate peace exists among them.“ (S. 3) Liberale Staaten, die Doyle durch liberale „Prinzipien“ wie individuelle Freiheitsrechte und „Institutionen“ wie Demokratie und Marktwirtschaft konstituiert sieht, sind besser als andere in der Lage, Friedenszonen zu bilden. Die Anfänge sieht Doyle schon mit der transatlantischen Zone des 19. Jahrhunderts gegeben, in der die damals führende Weltmacht Großbritannien und die potentielle Weltmacht USA als liberale Staaten ihre Konflikte friedlich zu regeln vermochten. Im weiteren Verlauf erscheint Westeuropa als überzeugendes Beispiel für die Gültigkeit der These vom demokratischen Frieden: „Western Europe was once the most war prone region; with the spread of liberal republics it has become a zone of peace.“ (S. 2) Auch wenn wenig an dem empirischen Befund des europäischen Friedens zu deuteln ist, räumt Doyle doch sofort ein, dass es unterschiedliche Erklärungen dafür gibt und dass über die Bedeutung der Faktoren Demokratie und Marktwirtschaft unter Politikwissenschaftlern und Historikern kein Konsens herrscht.

Als Mitglied im Beirat des United Nations Democracy Fund zählt Doyle heute ca. 70 liberale Staaten. Eine globale Demokratisierung sieht er ungeachtet ihrer so genannte dritten Welle nicht in Reichweite und damit auch nicht die weltweite Akzeptanz des westlichen Modells der Friedenssicherung. Liberale haben es nicht zuletzt deshalb oft schwer überzeugend zu wirken, weil als liberal geltende Staaten immer wieder im Namen der Menschenrechte und der Demokratie interventionistisch aufgetreten sind und dabei wirtschaftlich oder sicherheitspolitisch motivierte Machtpolitik betrieben haben. Nicht nur die Schaffung von Friedenszonen findet sich in der liberalen Leistungsbilanz, sondern auch die ausgeprägte militärische Gewaltanwendung gegen nicht-liberale Staaten. So sehr ihm an der Liberalisierung der Welt gelegen ist, so entschieden distanziert sich Doyle von Präsident Bush und seinem Versuch, auf missionarische Weise und mit kriegerischen Mitteln der Demokratie im Nahen und Mittleren Osten zum Durchbruch zu verhelfen. „The fiasco of George W. Bush’s invasion of Iraq gave democracy promotion, the invasion’s last and most desperate justification, a bad name.“ (S. 199)

Die Diskreditierung des liberalen Modells durch die Falken im Weißen Haus ist für Doyle selbstverständlich kein Grund, den liberalen Entwurf aufzugeben. Allerdings empfiehlt er, sich auf „soft power“ zu konzentrieren, wolle man Demokratieförderung mit dem Ziel der Transformation illiberaler Systeme erfolgreich betreiben: „Promoting democracy is best done indirectly through trade, investment, and foreign aid.“ (S. 204) Die Hinwendung des Theoretikers zur Praxis des Friedens ist für Doyle eine Selbstverständlichkeit. Allerdings kann er über recht allgemein bleibende Aussagen kaum hinauskommen, denn für die nur fallweise und immer wieder unvorhergesehen auftretenden Konflikte an den Schnittstellen von liberalen und nicht-liberalen Systemen in einer „zerklüfteten Welt“3 sind die mit großem Aufwand – auch unter Einsatz ausgefeilter statistischer Methoden – erreichten Aussagen über die Validität des liberalen Modells nur ein vergleichsweise grober Rahmen für politisches Handeln – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Prägnant hat es Mikkel Rasmussen in einer kaum zur Kenntnis genommenen Arbeit formuliert: „Democratic peace theory can explain what happens when the non-democratic state has joined the club, but it cannot describe the process of joining.“4

Anmerkungen:
1 John Rawls, The Law of Peoples, in: Critical Inquiry 20 (1993), No. 1, S. 36–68; ders., The Law of Peoples, Cambridge 1999.
2 Michael W. Doyle, Ways of War and Peace. Realism, Liberalism, and Socialism, New York 1997.
3 Dieter Senghaas, Ordnungspolitische Problemlagen einer zerklüfteten Welt, in: Jost Dülffer / Gottfried Niedhart (Hrsg.), Frieden durch Demokratie? Genese, Wirkung und Kritik eines Deutungsmusters, Essen 2011, S. 271–292.
4 Mikkel V. Rasmussen, The West, Civil Society and the Construction of Peace, Houndmills 2003, S. 23.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/