F. J. M. Alafont: Werbegeschichte als Kulturgeschichte

Cover
Titel
Werbegeschichte als Kulturgeschichte. Spanien 1940-1989


Autor(en)
Javier Montiel Alafont, Francisco
Erschienen
Anzahl Seiten
437 S.
Preis
€ 49,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexander Schug, Berlin

Die 2007 von Alafont im Fachbereich interkulturelle Wirtschaftskommunikation in Jena eingereichte Dissertation verspricht laut Verlag nicht weniger als eine Premiere: Eine solche Publikation sei weder in deutscher, noch in spanischer Sprache erschienen, erstmals würden Phänomene der Wirtschaftskommunikation in einem breiten kultur- und sozialhistorischen Kontext verankert und interpretiert. Bei so einer Ankündigung, selbst abzüglich des Wissens um den werblichen Gehalt solcher Texte, liegt die Messlatte sehr hoch.

Alafont legt mit der 440-seitigen Publikation, zahllosen Grafiken und fast 200 Abbildungen von Werbegrafiken tatsächlich ein beeindruckendes Werk vor, in dem er Grundsätzliches zur Werbung und ihren kulturellen Wirkmechanismen erarbeiten will. Alafont geht davon aus, dass Kulturen Produkte von Kommunikationsprozessen sind, Kommunikation folglich ein System von Weltanschauungen kreiert. Werbung spiegele die Gesellschaft nicht nur, eine verkürzte Sichtweise, die Alafont zu Recht kritisiert als Banalität, sondern zwischen beidem, Kultur und Werbung, bestehe eine tiefgreifende Relation zwischen Weltanschauung und kommunikativem Stil. Werbung sei damit vergleichbar mit anderen kommunikativen Systemen, Musik, Literatur oder Malerei – und genauso aussagekräftig. Somit könne fallbeispielhaft auch anhand der Werbung destilliert werden, was mit gängigeren Untersuchungen zu anderen Systemen bereits getan worden ist, nämlich einen spezifisch kulturellen Stil nachvollziehbar zu machen. Alafons Ziel ist letztlich, einen Beitrag zu einer kulturellen Stilforschung zu leisten, der interdisziplinär angegangen wird. Der Autor betont anfangs, wie sehr sein Untersuchungsgegenstand nur durch einen interdisziplinären Ansatz gefasst werden kann; so greift er zurück auf das Wissen von Geschichtswissenschaft, Medientheorie, Kunst und Soziologie, Linguistik, Semiotik, Psychologie. Den Begriff des „Stils“ versteht Alafons dabei mehr oder weniger als das „Gemeinsame“ einer Zeit und einer Kultur; der Stil einer Zeit konstituiere sich durch starke Symbole, die das kollektive Gedächtnis einer Gesellschaft prägen.

Nach der grundsätzlichen Klärung seiner Fragestellung gibt Alafons im zweiten Teil der Arbeit einen Überblick zur Werbeforschung in Spanien seit den 1960er-Jahren. Um Werbegeschichte als Kulturgeschichte schreiben zu können und den Begriff der kulturellen Stilforschung zu fassen, erklärt der Autor ausführlich seine theoretischen Grundlagen und sein Analysemodell, das – auf den Punkt gebracht – die Sinnkonstruktion der symbolischen Lebenswelt, wozu die Werbung gezählt wird, im Kontext von Identität, kollektivem Gedächtnis und kulturellem Stil als historisch gewachsen, verbal, non-verbal, paraverbal und extra-verbal vermittelt ansieht. Diese Definition wird aufwändig und unter zur Hilfenahme vieler Studien gerechtfertigt, um daraus das Forschungsdesign zu entwickeln, mit dem fallbeispielhaft die Werbung in Spanien von 1940 bis 1989 untersucht werden soll. Dieser empirische Teil stellt den Schwerpunkt der Arbeit dar. Sehr akribisch wertet der Autor tausende von Werbebeispielen aus. Dabei untergliedert er den Untersuchungszeitraum wiederum in vier Perioden, 1940-1949 (erste Nachkriegszeit), 1950-1959 (Jahre des Nachholens), 1960-1975 (Ausbildung der Konsumgesellschaft), 1976-1989 (Übergangszeit, Demokratisierung, Verbreitung einer postmodernen Kultur).

Die Vorgehensweise ist so, dass Alafont zu jeder Periode ein wirtschaftliches und gesellschaftliches Panorama zeichnet und die in dieser Periode erschienenen Anzeigen als Untermalung seiner Periodisierung verwendet – wenn auch die Generierung der starken Themen jeder Periode anhand der Häufigkeit von Nennungen in der Werbung eine deutliche statistische Basis hat. Themen wie Amerikanismus, Familie, Gewalt, Schönheit, Romantik oder Wohlstand ergeben sich dabei aufgrund von Auszählungen des Autors – wobei die Datenbasis sich auf eine Auswahl des Autors von rund 1500 Anzeigen aus der spanischen Publikation Cien años de pubicidad española bezieht, deren Auswahlkriterien nicht weiter erläutert werden. Thematische Gewichtungen werden vom Autor aufgrund von prozentualen Häufungen vorgenommen. Themen und Sujets werden zu rhetorischen Figuren verdichtet wie die „Problematisierung der Existenz“, einer Figur, die für die Nachkriegszeit typisch war und die der Autor auf das Unbehagen, Leid, Gewalt- und Kriegserfahrungen zurückbindet. Alafons rhetorische Figuren, denen er eine Stilprägung zuschreibt, sind mehr oder weniger instruktiv, manchmal sehr abstrakt, vielfach aber erwartbar nah an den Beschreibungen der bisherigen geschichtswissenschaftlichen Erkenntnisse. Die Figur der „Sehnsucht nach Modernität“, der Darstellung von Technik, Mobilität etc. in der Werbung seit den 1950er-Jahren, überrascht keinesfalls. So akribisch der Autor auch sein Material durchforstet und verdientermaßen wegkommen will von der kursorischen Betrachtung von Werbung als illustrierende historische Quelle, wirklich überzeugend ist sein Ansatz nicht. Befunde wie die, wann die Moderne, wann die Postmoderne in die spanische Kultur einbricht, haben aufgrund der statistischen Auswertungen den Vorteil, Periodisierungen vielleicht genauer vornehmen zu können, wenn man denn Werbung als Hilfsmittel zur Setzung gesellschaftlicher Zäsuren verstehen will, aber grundlegend neue Erkenntnisse scheint dieser Weg auch nicht zu bringen. Zunehmend beschleicht einen das Gefühl, dass die Verlagsankündigungen doch etwas vollmundig waren. Die mit allerlei kulturwissenschaftlichen Termini aufgeladene Studie ist tatsächlich in ihrer Machart eine der systematischsten zum Thema, das ist ihr sehr großes Verdienst, aber sie ist eben nicht die erste; schade ist, dass der Autor grundlegende Publikationen zur Werbegeschichte aus den USA und dem deutschsprachigen Raum aus den letzten Jahren auch gar nicht wahrgenommen hat, so beispielsweise die Habilitationsschrift von Gries, in der dieser ebenfalls Werbegeschichte als Kulturgeschichte anhand deutscher Fallbeispiele etabliert.1

Für das Verständnis erschwerend ist, dass die verwendeten spanischen Quellen leider nicht übersetzt wurden, was die Lesbarkeit der Studie an vielen Punkten einschränkt. Dennoch bleibt als Fazit, dass der multiperspektivische, statistisch abgesicherte Umgang mit Werbung als Quellenmaterial zur Geschichte auf jeden Fall über die impressionistischen Arbeiten hinausgeht, die es bis vor zehn Jahren fast ausschließlich zur Werbung gab.

Anmerkung:
1 Rainer Gries, Produkte als Medien. Kulturgeschichte der Produktkommunikation in der Bundesrepublik und der DDR, Leipzig 2003.

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