Cover
Titel
Im Schatten der DEFA. Private Filmproduzenten in der DDR


Autor(en)
Forster, Ralf; Petzold, Volker
Reihe
Close up 21
Erschienen
Konstanz 2010: UVK Verlag
Anzahl Seiten
424 S.
Preis
€ 30,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kai Herklotz, German Department, Carleton College, Northfield, Minnesota

Die Existenz privater Filmproduzenten in der DDR, außerhalb der vermeintlich ideologisch kontrollierbaren Deutschen Film AG (DEFA) mag vielleicht überraschen, und bereits der Titel dieses Buches deutet an, dass diese Filmproduzenten gemessen an ihrem Produktionsumfang nicht mehr als ein Schattendasein führten. Darum erwähnen Forster und Petzold eingangs auch die Dominanz der DEFA und teilweise des Deutschen Fernsehfunks (DFF), sowohl in der akademischen Forschung als auch in der öffentlichen Wahrnehmung. Sie legen mit ihrer Studie einen ersten, notwendigerweise unvollständigen, und zu weiterer Forschung anregenden Überblick über die Arbeit privater Filmemacher in der DDR vor.

Forsters und Petzolds Darstellung der privaten Filmemacher und ihrer Arbeit ist somit nicht nur ein willkommenes Gegengewicht zur Wahrnehmung und Bedeutung der DEFA-Studios, sondern vielleicht noch viel mehr eine Untersuchung der Möglichkeiten und Grenzen privater wirtschaftlicher Tätigkeit in einem aus ideologischen und ökonomischen Gründen zentralisierten und überwachten Bereich der DDR. So betonen die Autoren mehrfach den grundlegenden Widerspruch privater Filmherstellung in der DDR: Gerade Großbetriebe wie die DEFA sollten die Norm sozialistischer (Bild-)Produktion sein, waren aber wegen Kollektivierung, zentraler Planung und Kontrolle zu Langsamkeit, Ineffizienz und Innovationshemmungen verdammt und mussten darum immer wieder auf, nach sozialistischem Selbstverständnis eigentlich überflüssige, private, oft im Familienkreis geführte Klein- und Kleinstbetriebe und deren Flexibilität und Kosteneffizienz zurückgreifen. „So drängten sich andere Produzenten, die es im Sozialismus nach damaliger DDR-Lesart eigentlich gar nicht geben durfte, an einen Markt, der offiziell gar nicht vorhanden war.“ (S. 45) Da dieser systemimmanente Widerspruch auch in 40 Jahren DDR ungelöst blieb, hatten private Filmemacher bis zum Ende der DDR ein nur in Ausnahmefällen prekäres, normalerweise aber privilegiertes Leben mit teils überdurchschnittlichem Einkommen, internationalen Kontakten und, wohl als wichtigstes Merkmal, einer beruflichen und damit verbunden auch oft ideologischen Unabhängigkeit.

Die privaten, außerhalb der DEFA existierenden ostdeutschen Filmstudios hatten die technische Kapazität und personelle Größe, relativ kurze Werbe-, Wirtschafts- und Industriefilme herzustellen. Daneben produzierten sie aber auch zahlreiche kurze Stadtinformationsfilme, Lehr- und Unterrichtsfilme, Naturdokumentationen sowie Puppentrick- und Animationsfilme besonders für Kinder, die zum Beispiel vom DFF in der Serie „Unser Sandmännchen“ verwendet wurden. Der überwiegende Teil der privaten Filmproduktion aber war anfangs der Inlands- und später nur noch der Exportwerbung gewidmet, nachdem die Werbung im Inland aus ideologischen und wirtschaftlichen Gründen ab Ende der 1960er-Jahre immer weiter eingeschränkt wurde. Gerade die Werbung, und hier besonders die Auslandswerbung, bot den privaten Filmemachern einen, wie Forster und Petzold wiederholt unterstreichen, relativ ideologiefreien Raum, in dem sich die Wünsche der industriellen Auftraggeber nach überzeugender Produktinformation und die Arbeitsethik und hohe Professionalität der Filmemacher gut ergänzten. Während staatliche Filmproduktionen oft den ideologischen Kontext wirtschaftlicher Innovation hervorhoben, gingen die Vorstellungen der an Auslandswerbung und Messepräsenz interessierten Industriebetriebe mehr in Richtung konkreter Produktpräsentation. Dennoch war die direkte Zusammenarbeit mit Kunden nur ein Teil der Existenz der Filmemacher; immer wieder mussten sie sich auch mit der Registrierungspflicht als private Filmproduzenten beschäftigen und sich mit der Überwachung und Kontrolle durch die Vereinigung Volkseigener Betriebe (VVB) Film und später Hauptverwaltung (HV) Film des Ministeriums für Kultur der DDR auseinandersetzen. Zudem waren sie der Steuerbehörde gegenüber finanziell rechenschaftspflichtig und den wiederkehrenden Zentralisierungsbestrebungen unter dem Dach der DEFA seitens des Staates ausgesetzt.

In diesem von Widersprüchen durchsetzten Raum – staatliche Kontrolle einerseits und wirtschaftliche Unabhängigkeit und direkter Arbeitskontakt mit einigen der größten ostdeutschen Industrie- und Kommunikationsbetriebe andererseits – behaupteten sich rund 50 private (Kleinst-)Filmstudios oder Einzelpersonen, die Filme produzierten. In diesem Umfeld gehen die Autoren für den gesamten Zeitraum der DDR von nachgewiesenen 1.800 und von geschätzten 2.300 privat produzierten Titeln aus, von denen allerdings leider nur 500 bis 600 als physisch erhaltene Filme gelten dürfen. Die in fast jedem Fall unübersichtliche und oft ungeklärte Überlieferung erklären Forster und Petzold mit einer Reihe von Gründen: Es gab für diese Filme keine Abgabepflicht; sie waren teilweise nur für den internen Gebrauch institutioneller Auftraggeber bestimmt; es handelte sich teilweise lediglich um einzelne Sequenzen für größere DEFA- und DFF-Produktionen; die manchmal ungeklärte Rechtslage privater Filmproduktion oder deren Einhaltung besonders in den Anfangs- und Endjahren der DDR erschwerte die Archivierung und Überlieferung. Aus diesen Gründen stützen sich Forster und Petzold hautsächlich auf das verstreut auffindbare filmische Archivmaterial und die Unterlagen der HV Film, aber auch sehr stark auf Interviews mit den Akteuren der privaten ostdeutschen Filmszene und deren Hinterbliebenen.

Folgt man den Autoren, so stellten Zeichentrick-, Flachfigurentrick- und Sachtrick-Animation einen besonderen Schwerpunkt der privaten Filmproduktion in der DDR dar. Das erklärt sich zum Großteil aus dem beruflichem Werdegang der Protagonisten und ihren Wurzeln im grafischen Gewerbe und anderen künstlerischen Bereichen. Exemplarisch zeigen Forster und Petzold dies an zahlreichen Beispielen und es gelingt ihnen damit auch eine Art erste überblicksartige Typisierung des privaten Filmwesens in der DDR. Immer wieder werden dabei interessante Querverbindungen zur Weimarer Republik, zur Zeit des Nationalsozialismus (NS), zur internationalen Industrie- und Werbefilmgeschichte sowie zur Nachwendezeit gezogen. Für die Anfangszeit der DDR stehen zum Beispiel die kurzen animierten Kinowerbefilme des Berliner Koboldfilm-Kollektivs von Ernst Uchrin, der bereits während der 1930er- und 1940er-Jahre bei der Ufa (Universum Film AG) Erfahrungen sammelte, sich stilistisch an die frühen Disneyfilme anlehnte und sich dann sehr an westdeutschen Werbefilmsehgewohnheiten orientierte, bis er seine eigene Arbeit mit dem Aufkommen des Fernsehens beendete, dessen neuer Formensprache er sich nicht anpassen konnte oder wollte. Weitere Beispiele sind die im Vergleich zu Uchrin flexibleren Alfred Siegert und Igo Martin-Andersen, die bereits während der NS-Zeit handwerkliche Kleinstbetriebe der volksverbundenen NS-Ideologie entsprechend filmisch dokumentierten, dann die ostdeutsche Schwerindustrie und ihre Großbetriebe während der 1950er- und 1960er-Jahre auf eine positive, den neuen ideologischen Anforderungen gerechten Weise filmten, bevor sie in den 1970er- und 1980er-Jahren ihre Herangehensweise erneut änderten, um die nun einsetzende Automatisierung und Technisierung der Produktion den Wünschen ihrer Auftraggeber gerecht zu dokumentieren.

Daneben zählen Forster und Petzold Hans-Günther Kaden und Joachim Bublitz zu den erfolgreichsten privaten Filmproduzenten, weil sie zusammen ungefähr ein Drittel aller privat produzierten Filme hergestellt haben. Ihr Erfolg gründete zum Teil paradoxerweise auf einer konsequenten Orientierung an internationalen, aus den USA stammenden Entwicklungen der Fernsehwerbung. Private Filmemacher produzierten aber auch multimediale Messepräsentationen auf mehreren Leinwänden und kunstgeschichtliche Dokumentarfilme oder verstanden sich selbst als semi-professionelle Ethnologen und produzierten neben ihrer Reiseliteratur auch Filmvorträge. Seit den 1980er-Jahren eröffnete das Medium Video neue filmische Möglichkeiten und Herausforderungen. Und wieder waren es die privaten Filmproduzenten, die mit ihrer Flexibilität auf die neue technische Entwicklung am schnellsten und effektivsten reagierten, sich die neue Technologie mit gewohntem Erfindungsreichtum auf teilweise halblegalen Wegen beschafften und somit der DEFA erneut voraus waren. Trotz dieser Bandbreite waren die privaten Filmproduzenten technisch hochprofessionell und in ihrer Arbeit mit Kunden flexibel und anpassungsfähig; sie mussten dies sein, um bestehen zu können. Viele konnten durch lang gepflegte Kontakte und ihre regionalen Netzwerke immer wieder neue Aufträge finden. Die privaten Filmproduzenten gelten den Autoren nicht als politische Dissidenten, die sie ja meist auch nicht waren. Vielmehr wird betont, dass sie sich mehrheitlich den ideologischen Wünschen ihrer und Auftraggeber anpassten. Da ihre Arbeit aber vorrangig als unpolitisch angesehen wurde, schaffte sie ihnen dennoch gewisse Freiräume.

Viele Veröffentlichungen zu Film leiden an mangelndem Bildmaterial. Autoren und Verlag begegnen diesem Problem mit knapp 100 schwarz-weiß Fotos, meist Aufnahmen von Sets, Entwurfszeichnungen und Szenenfotos. Eine sehr nützliche Liste mit Kurzbeschreibungen der privaten Studios, ein Literatur- und Archivalienverzeichnis, ein hilfreiches Verzeichnis der in der DDR weitverbreiteten Abkürzungen sowie Filmtitel- und Personenregister schließen den Band ab.

Forster und Petzold beschreiben die Geschichte der privaten Filmproduzenten in der DDR nicht nur interessant und detailreich, sondern richtigerweise aus der Doppelperspektive ihrer wirtschaftlichen Selbstständigkeit und dem internationalen filmgeschichtlichen Kontext, erklären Studiogrößen, technische Ausstattung und personelle Konstellationen sowie Verbindungen zu den etablierten Studios der DEFA und des DFF. Gerade die Verschränkung wirtschaftlicher, technologischer und politischer Geschichte macht ihre Studie zu einer sehr willkommenen Ergänzung der Filmgeschichte der DDR.

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