Titel
A Nation of Outsiders. How the White Middle Class Fell in Love with Rebellion in Postwar America


Autor(en)
Hale, Grace Elizabeth
Erschienen
Anzahl Seiten
400 S.
Preis
€ 23,17
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nina Mackert, Erfurt

Ob es um die „jungen Wilden“ in der bundesrepublikanischen CDU der 1990er-Jahre oder die aktuelle US-amerikanische, ultrakonservative Tea-Party-Strömung geht – es zeigt sich, dass das Image der Rebellion ein wirkungsvolles politisches Mittel nicht nur gegenkultureller gesellschaftlicher Bewegungen ist. In ihrem Buch „A Nation of Outsiders“ untersucht die Historikerin Grace Elizabeth Hale dieses Phänomen für die USA in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Hale geht der Frage nach, warum und auf welche Weise sich so viele weiße, bürgerliche US-Amerikaner/innen in diesem Zeitraum affirmativ auf die Position gesellschaftlicher Rebellen bezogen und sich als Outsider inszenierten. Dabei zeigt sie die Rolle der „Outsider-Romanze“ (S. 7) in der (Re-)Konstitution der US-amerikanischen Gesellschaftsordnung auf.

Hale hat ihre Ausführungen in zwei Teile gegliedert: In einem ersten Teil untersucht sie die diskursive Konstruktion des Outsider-Narrativs am Beispiel von Holden Caulfield in „Catcher in the Rye“, Rock’n’Roll-Musik und dem Folk-Revival sowie den Beatniks, aber auch anhand konservativer Rebellenfiguren wie dem Journalisten und Autor William F. Buckley. Im zweiten Teil stehen über das Outsider-Narrativ operierende Politiken im Vordergrund: Hale diskutiert hier die Studierendenorganisation „Students for a Democratic Society“ und die Entstehung der New Left, die Interaktionen weißer Linker mit der Black-Power-Bewegung sowie Politiken christlicher Fundamentalisten in den 1970er- bis 1990er-Jahren.

Im Prinzip sind es vier Aspekte von Outsider-Narrativ und Politiken, die Hale in ihrer Studie zeigt: Erstens die Funktion des Outsiders für die Verbindung von Individualismus und Gemeinschaft, zweitens neue Formen von Authentizität, drittens die universelle Einsatzbarkeit der Outsider-Romanze und schließlich viertens deren Grenzen.

Nun waren Outsider-Narrative in den Nachkriegs-USA nicht ganz neu; neu war aber, so argumentiert Hale, dass sie in einem historischen Moment auftauchten, in dem sie eine besondere Funktion einnehmen konnten. „Catcher in the Rye“ und dessen Rezeption etwa ist für Hale ein paradigmatisches Beispiel für die kulturelle Verarbeitung des Konzepts jugendlicher Entfremdung von der Gesellschaft. Die enge Verbindung, die Leser/innen zu Holden Caulfield und vor allem untereinander gerade durch den Bezug auf seine und ihre eigene Entfremdung aufbauen konnten, ermöglichte es, so Hale, einen zentralen gesellschaftlichen Widerspruch imaginär aufzulösen: den Widerspruch von Individuum und Gesellschaft. Zu einem Zeitpunkt, an dem ein männlich und bürgerlich kodierter Individualismus in Konflikt mit Vorstellungen von Community zu treten schien, funktionierte die Figur des Outsiders einerseits als „model of hyper-individuality“ (S. 40), andererseits als symbolische Community: Über sie ließ es sich von der dominanten Kultur abgrenzen und an deren (imaginierten) Rändern Vernetzung und Gemeinschaft pflegen. Später kommt Hale auf diese Konstruktion von Outsider-Gemeinschaften zurück. So zeigt sie zum Beispiel anhand des Evangelikalen Jerry Falwell, wie Narrationen von Wiedergeburt ultrakonservative christliche Outsidergeschichten begründeten, über die eine oppositionelle Community von Wiedergeborenen geschaffen werden konnte.

Die Outsider-Romanze erlaubte es nach Hale zweitens, neue Vorstellungen von Authentizität zu etablieren. So analysiert sie etwa die Romantisierung von Folk als scheinbar unkommerzielle Form von Rock’n’Roll und verdeutlicht, wie Folk den Bezug zu einem vormodernen Raum versprach, indem gefühlsbetonte Expressivität und nicht Massenkultur und Kommerz im Vordergrund standen. In diesem Kontext ließen sich laut Hale „alte“ Vorstellungen von Echtheit nicht mehr aufrecht erhalten, da die Protagonist/inn/en der Folk-Bewegung, wie etwa Bob Dylan und Joan Baez, offenkundig nicht in Anspruch nehmen konnten, in eben jenem als vormodern, ländlich und isoliert imaginierten Raum aufgewachsen zu sein. Authentizität sei daher als „emotionale Wahrhaftigkeit“ (S. 129) neu konzipiert worden. Während frühere paradigmatische Rebellen etwa die Kämpfer der Konföderierten im Bürgerkrieg gewesen seien, waren die Outsider der Nachkriegszeit nach Hale vermeintlich entfremdete Individuen, die ihre Rebellion in moralisch-psychologischen Kategorien ausdrückten. Hale zeigt in ihrer Studie zwei bedeutende Konsequenzen dieser Formation: Zum einen erschuf die Outsider-Romanze einen diskursiven Raum, in dem über Gesellschaft verhandelt werden konnte, ohne explizit von Politik zu sprechen. Zum zweiten erneuerte etwa das Folk-Revival machtvermeidende Vorstellungen von gesellschaftlicher Mobilität: Indem sich Mittelklasse-Jugendliche als ländlich und mittellos, gleichzeitig aber als kulturell-moralische Elite inszenierten, wurde sozialer Status als „kulturelle Wahl“ (S. 106) und nicht gesellschaftliche Barriere begriffen. Unter anderem hier veranschaulicht Hale, dass die Outsider-Romanze machterhaltend für die weiße Mittelklasse wirkte, weil sie einen ihrer Gründungsmythen stärkte: die vollständige, individuelle Kontrolle über Leben und gesellschaftliche Position. Gleichwohl zeigt sie gerade am Beispiel von Folk auch, dass Authentizitätsvorstellungen sich für emanzipatorische Politiken und als Unterstützung der Bürgerrechtsbewegung nutzen ließen.

Die universelle Einsatzbarkeit des Outsider-Narrativs ist ein dritter Aspekt, den Hale in ihrer Studie immer wieder verfolgt. Hale veranschaulicht anhand der Studierendengruppierungen SDS und SNCC, dass die Outsider-Romanze zum einen außerordentlich produktiv für den Aufbau der New Left war. Sie zeigt die „politische Promiskuität“ (S. 152) der Outsider-Romanze zum anderen daran, dass sie sich aber auch in den Politiken konservativ-religiöser Kräfte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts fand. So bezeichnet sie etwa Buckley als möglicherweise „wichtigsten Rebellen“ (S. 132) der Nachkriegszeit. Hale analysiert dessen 1966 anlaufende Talkshow „Firing Line“ und findet in seiner „jugendlichen Aufsässigkeit“ (S. 138) die Triebkraft eines neuen Konservativismus. Auch die Jesus People, junge Evangelikale, hätten Jesus als „ultimativen Rebellen“ inszeniert und sich auf antiautoritäre Ideen beziehen können. Auf diese Weise, argumentiert Hale, konnten die Jesus People konservative theologische Ideen buchstäblich in gegenkulturellem Gewand ausdrücken. Dass sich die New Christian Right dabei Praktiken aneignete, die im Civil Rights Movement und der New Left eine wichtige Rolle gespielt hatten, verdeutlicht Hale anhand der Anti-Abtreibungsbewegung der 1980er- und frühen 1990er-Jahre. Nicht nur „Community Organizing“, sondern auch die Praxis des gewaltfreien Widerstands wurde von Abtreibungsgegner/inne/n in bester Kingscher Rhetorik angepriesen und durchgeführt. Die Inszenierung des „hilflosen […] ungeborenen Kindes“ (Falwell zit. nach S. 275) als besonders rechtlos erlaubte es konservativen Christen, sich als gesellschaftlich marginalisierte Bürgerrechtskämpfer zu inszenieren.

Neben der enormen kulturellen Produktivität der weißen Outsider-Romantik zeigt Hale aber, viertens, auch deren Grenzen, bzw. die Rolle, die das Narrativ in der Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Hierarchien spielte. Dies verdeutlicht sie beispielsweise in ihrer Untersuchung des Verhältnisses von weißer Linken zur Black-Power-Bewegung. So sehr die weiße, bürgerliche Affirmation von African Americans als authentische Outsider die Entwicklung der Bürgerrechtsbewegung unterstützt habe, so sehr sei sie in Black Power-Zeiten zu einer Belastung geworden. Auf der Grundlage der Vorstellung von Authentizität als „innerer“ Qualität, beanspruchten bürgerliche Weiße, den Outsider-Status von African Americans auf gleicher Ebene zu teilen. Unter anderem an diesem Beispiel zeigt Hale auch, dass die rebellierenden Subjekte, von denen ihr Buch handelt, nicht nur im gegebenen, gesellschaftlichen Rahmen verblieben, sondern auch Hierarchien von Geschlecht und „race“ fortbestehen ließen: „The very fact that some people could experience outsider status as a cultural and psychological choice reaffirmed the class, gender, and racial differences […].“ (S. 206) Über die Outsider-Romanze konnten sich, so Hale, privilegierte Subjekte als gesellschaftlich randständig inszenieren und dabei soziale „Ungleichheiten unter dem Deckmantel von Identifikation und Liebe“ (S. 10) aufrechterhalten.

Insgesamt fokussiert Hale männliche Rebellen und zeigt dabei immer wieder, wie das Outsider-Narrativ männlich aufgeladen war. Dies überzeugt grundsätzlich, es wäre jedoch wünschenswert gewesen, wenn Hale ausführlicher auf weibliche Versuche der Aneignung von Outsider-Erzählungen eingegangen wäre. Lediglich am Beispiel der Beatniks macht sie deutlich, dass sich diese für Frauen als emotional und finanziell „extrem kostspielig“ (S. 47) herausgestellt hätten. Dies ist ein bedeutsamer Einwand; leider schreibt Hale damit sehr enge Grenzen für weiblichen Handlungsspielraum fest. Indem sie sich stark auf herausragende Figuren wie Di Prima, Joan Vollmer und Elise Cowen konzentriert, suggeriert sie, dass es für weibliche Outsider im New York der späten 1940er- und 1950er-Jahre nur die Optionen Drogenabhängigkeit und/oder Suizid gegeben hat.

Eine große Stärke von Hales Buch ist jedoch die Art und Weise, in der sie die universelle Einsetzbarkeit der Outsider-Romanze zeigt. Dadurch kann sie zum einen verdeutlichen, wie Rebellion als emotionale Praxis entworfen, aber in politischen Kämpfen Bedeutung erlangen konnte. Zum anderen legt sie überzeugend dar, auf welche Weise das Outsider-Narrativ dazu beitrug, die soziale und politische Landschaft der USA gleichzeitig zu reproduzieren und zu verschieben. „A Nation of Outsiders“ funktioniert deshalb so gut, weil das Buch Widersprüche und diskursive Brüche nicht vermeidet, sondern in einer gut lesbaren Kulturgeschichte der USA produktiv aufgreift.

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