Cover
Titel
Juke box Britain. Americanisation and youth culture, 1945–60


Autor(en)
Horn, Adrian
Reihe
Studies in Popular Culture
Erschienen
Anzahl Seiten
217 S.
Preis
£ 16.99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christoph Hilgert, Historisches Institut, Fachjournalistik Geschichte, Justus-Liebig-Universität Gießen

„Before Elvis, there was nothing“ – dieser John Lennon zugeschriebene Ausspruch symbolisiert wie kaum ein anderer die euphorische Hinwendung vieler Briten zur US-amerikanischen Populärkultur in den 1950er-Jahren. Die Voraussetzungen dafür waren gut: keine ernsthafte Sprachbarriere, enge wirtschaftliche, politische, militärische und kulturelle Verflechtungen und die seit Kriegszeiten andauernde Präsenz junger GIs als Multiplikatoren der US-amerikanischen Massen- und Populärkultur. Strittig sind nicht die generelle Bedeutung der USA für die Entwicklung der britischen und (west-)europäischen Populärkultur im 20. Jahrhundert, sondern allenfalls das Ausmaß und der Charakter im Detail sowie die normative Bewertung dieses Einflusses. Der bereits zeitgenössisch artikulierte Eindruck, die britische Gesellschaft sei nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs schlicht „amerikanisiert“ worden, geht jedenfalls fehl, wie das 2009 erstmals publizierte Buch „Juke box Britain” des britischen Kulturhistorikers Adrian Horn nachdrücklich aufzeigt.

Horn, Honorary Research Associate des Historischen Instituts der Universität Lancaster, beschreibt detailliert und unaufgeregt den komplexen Prozess einer Amalgamierung britischer und US-amerikanischer Kulturpraktiken. Die Geschichte der „juke box“ – sowohl als technische Apparatur als auch als Kulturmöbel – und der „Teenager“ dienen hierbei als Belege und Symbole des umfassenden sozialen und kulturellen Transformationsprozesses der britischen Gesellschaft zwischen 1945 und 1960.

Der erste Abschnitt des Buchs beschäftigt sich mit den Bedingungen der „British acceptance and resistance to American popular culture“ in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Trotz der lautstarken und in ihrer Stoßrichtung einmütigen Kritik weiter Teile der britischen Kulturelite an US-amerikanischen Einflüssen kann der Autor in der britischen Gesellschaft der 1940er- und 1950er-Jahre insgesamt „a massive popular acceptance“ für US-amerikanische Populärmusik ausmachen (S. 3). Tatsächlich verweist die Vehemenz der intellektuellen Zurückweisung US-amerikanischer Kultureinflüsse für Horn vor allem auf einen grundsätzlichen Konflikt zwischen den Anhängern einer betont elitären Hochkultur („high-brow“) und einer massenkompatiblen Populärkultur („low-brow“). Darüber hinaus räumt Horn mit der Vorstellung einer prinzipiell einheitlichen, sich vorwiegend an US-amerikanischen Vorbildern orientierenden Teenagerkultur in der Nachkriegszeit auf. So zeigt er das Fortwirken britischer Traditionen sowie erhebliche regionale und soziale Unterschiede und Abwandlungen jugendlicher Kleidungsstile und Freizeitaktivitäten innerhalb Großbritanniens.

Die sorgfältig abwägenden und gut lesbar geschriebenen Analysen gründen auf einer breiten Quellenbasis. Neben Artikeln und Werbeanzeigen in der Tagespresse und in Fachmagazinen wurden auch Broschüren, Handelszeitungen, zeitgenössische Studien und Umfragen, statistische Erhebungen, Zeitzeugeninterviews, historische Fotografien sowie literarische Texte ausgewertet. Dabei verweigert sich Horn erfrischend ehrlich dem Anspruch, die theoretische Debatte zur historischen Genese von Populärkulturen innovieren zu wollen (S. 6). Er selbst bezieht sich vor allem auf Klassiker der britischen Populärkulturforschung, wie die kulturtheoretischen Arbeiten von Raymond Williams und des legendären Centre for Contemporary Cultural Studies (CCCS) in Birmingham. Darüber hinaus wird auf Anleihen aus Antonio Gramscis Konzept der kulturellen Hegemonie und Pierre Bourdieus Ausführungen zu den feinen Unterschieden, zu Habitus und Geschmack verwiesen. Durch die Einbeziehung aktuellerer transnationaler oder globalgeschichtlicher Ansätze hätten manche Beobachtungen freilich noch präziser erfasst und beschrieben werden können.

Wie Horn im Folgenden aufzeigt, verbreiteten sich die „münzbetriebenen Phonographen“ nach dem Zweiten Weltkrieg rasch: Gab es im Jahre 1945 in Großbritannien weniger als 100 Geräte, waren es 1959 bereits etwa 15.000. Detailreich und unter Rückgriff auf zahlreiche Bilder wird verdeutlicht, dass der US-amerikanische Einfluss auf Technik und Design – auch dank restriktiver Einfuhrbestimmungen – bis in die zweite Hälfte der 1950er-Jahre hinein allenfalls marginal war. Die „juke box“ ermöglichte den massenhaften Zugriff auf leichte Tanzmusik – nicht zuletzt weil so die restriktive Musikpolitik der British Broadcasting Corporation (BBC) ausgehebelt werden konnte. Mithin kam der Musikbox eine eminent wichtige Bedeutung bei der Ausbreitung von Jazz und Rock ’n’ Roll zu. Hier wird der Zusammenhang mit der im zweiten Abschnitt des Buches näher betrachteten Entwicklung einer eigenständigen britischen Teenagerkultur besonders deutlich. In Übereinstimmung mit den einschlägigen Arbeiten von John Springhall, David Fowler und Bill Osgerby – aber auch mit dem bedauerlicherweise nicht rezipierten Jon Savage – betont Horn, dass sich in Großbritannien eigenständige und abgrenzbare Jugendkulturen bereits entwickelten, bevor der Rock ’n’ Roll seinen Siegeszug um die Welt antrat.1 Populärkulturelle Impulse aus den Vereinigen Staaten wurden also nicht einfach übernommen, sondern eigensinnig adaptiert. Gleichwohl kam es nach 1945 zu einer Dynamisierung, die eng mit der Aneignung moderner Tanzmusik verbunden war.

Horns quellengesättigte Ausführungen zu jugendlichen Kleidungsstilen und ihrem Freizeitverhalten in den 1950er-Jahren belegen, dass „with the exception of American rock ’n’ roll music young people were not overly influenced by American popular culture“ (S. 1). Überdies weist Horn auf „strong regional variations“ (S. 4) der britischen Teenagerkultur hin. Obwohl neuartige subkulturelle Trends über kurz oder lang ganz Großbritannien erfassten und einzelne stilistische Versatzstücke – nach Verlust ihrer ursprünglich rebellischen Bedeutung – quer durch alle sozialen Milieus wanderten, unterschieden sich die Teddy Boys und Teddy Girls, die betont dandyhaft durch Tottenham, Elephant and Castle oder Fulham stolzierten, mitunter erheblich von ihren noch stärker von der „working class culture“ geprägten Gegenstücken in Manchester, Leeds oder Glasgow. Horn grenzt sich hier von den eher homogenen Skizzen der britischen Jugend eines Dick Hebdige und des CCCS ab, welche von den Verhältnissen in Südostengland oder London im Wesentlichen auf das Erscheinungsbild der britischen Teenager insgesamt schlossen.2 Besonders aufschlussreich sind hier das reich bebilderte Kapitel über das Auftreten und Verhalten der weiblichen Teenager und die Schilderungen zu den Epizentren der damaligen Teenagerkultur: Milch- und Espressobars als Orte, an denen üblicherweise eine Musikbox zu finden war und an denen die „unorganisierte“ Jugend fernab familiärer Kontrolle Musik genießen, sich produzieren und flirten konnte.

Der Wandel der britischen Jugend- und Musikkultur sowie die beides verknüpfende „juke box“ stehen also im Mittelpunkt des Buchs. Dennoch erinnert Horn wiederholt an die Bedeutung von Film, Presse und Radio als gleichermaßen mächtige Vermittlungsinstanzen jugendkultureller Stile und Praktiken. So merkt er an, dass „[b]efore World War II youth cultures like the Teds would have remained local“; durch die Zunahme der medialen Berichterstattung und des öffentlichen Interesses sei die Verbreitung jugendlicher Subkulturen auch in andere Regionen aber erleichtert worden (S. 131). In der Tat: Die kulturellen Effekte der fortschreitenden Massenmedialisierung sind entscheidend für die Ausbildung und Ausbreitung distinkter Jugendkulturen. Hinzu kommt, dass die Transformation jugendlichen Alltagslebens nach dem Zweiten Weltkrieg, die Kritik an einer „Amerikanisierung“ und die sich bisweilen zur „moral panic“ steigernde Hysterie gegenüber den Teddy Boys sich nicht allein auf Großbritannien beschränkte. Horn geht diesen Zusammenhängen aber nicht systematisch auf den Grund und belässt es bei vagen Andeutungen.

Insgesamt bietet „Juke box Britain“ gleichwohl wertvolle Beiträge zur (Vor-)Geschichte der Teenagerkultur der 1950er- und 1960er-Jahre sowie zum eigensinnigen Umgang mit den populärkulturellen Einflüssen der Vereinigten Staaten auf europäische Gesellschaften in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Vielleicht hat es Rolling-Stones-Gitarrist Keith Richards treffender als der eingangs zitierte „Beatle“ formuliert: „Before Elvis, everything was in black and white. Then came Elvis. Zoom, glorious Technicolor.“

Anmerkungen:
1 John Springhall, Coming of Age. Adolescence in Britain, 1860–1960, Dublin 1986; David Fowler, The first teenagers. The lifestyle of young wage-earners in interwar Britain, London 1995; Bill Osgerby, Youth in Britain since 1945, Oxford 1998; Jon Savage, Teenage. Die Erfindung der Jugend (1875–1945), Frankfurt am Main 2008; vgl. Nina Mackert: Rezension zu: Savage, Jon: Teenage. Die Erfindung der Jugend (1875-1945). Frankfurt am Main 2008, in: H-Soz-u-Kult, 23.12.2008, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2008-4-258> (18.06.2012).
2 Vgl. Dick Hebdige, Subcultures. The Meaning of Style, London 1979.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension