Titel
Tonpfeifen in Bayern (ca. 1600–1745).


Autor(en)
Mehler, Natascha
Reihe
Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 22
Erschienen
Anzahl Seiten
425 S.
Preis
€ 119,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Schmaedecke, Archäologie Baselland

Als der Rezensent vor etwa 30 Jahren einen Komplex von Tonpfeifen-Funden zu bearbeiten hatte und zunächst von dem Material begeistert war, da es ein breites Formenspektrum aufwies und zudem Stücke mit Jahreszahlen enthielt, kam sehr bald die Ernüchterung. Es gab im deutschen Sprachraum so gut wie keine Literatur zu dem Thema, die es ermöglicht hätte, die Funde zu bearbeiten. Die englischsprachige und die niederländische Literatur, in der das Thema „Tonpfeifen“ geläufiger war, half nicht weiter, da sich das Material, abgesehen von einigen niederländischen Stücken, stark von dem zu behandelnden Fundstücken unterschied. Inzwischen sieht die Situation anders aus. Deutschland ist – in Bezug auf die Tonpfeifen – keine terra inkognita mehr. Es gibt regional unterschiedlich weit fortgeschrittene Ansätze, in denen Herstellungsorte und deren Produktion erforscht werden. Auch hat die Tonpfeifenforschung inzwischen Akzeptanz als archäologische Teildisziplin erreicht.

Die 2007 an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel als Dissertation eingereichte Arbeit von Natascha Mehler ist in zwölf Kapitel und eine Zusammenfassung gegliedert; hierauf folgen Schriftquellen, eine nach Fundstellen gegliederte Fundliste, ein nach Pfeifentypen gegliederter Fundkatalog sowie ein Literaturverzeichnis.

Im ersten Kapitel stellt die Autorin das Thema, die Terminologie, das Fundmaterial sowie Fragen und Ziele der Arbeit vor. Wichtig ist ihr die Einbettung des Aussagepotentials von Tonpfeifenfunden in den kulturhistorischen Kontext. Sie betont dabei die Einheit schriftlicher und archäologischer Quellen. Erst die Zusammenschau aller Quellen („Historische Archäologie“) ermögliche es, Funden von Tonpfeifen eine Schlüsselrolle (was sicher etwas hochgegriffen ist) für die Erforschung von Menschen und Handwerkern zukommen zu lassen.

Bei der Untersuchung von 7.120 Tonpfeifenfragmenten beschränkt sich die Autorin auf Fersenpfeifen; Gesteck- oder Rundbodenpfeifen werden nicht behandelt. Der Betrachtungszeitraum von etwa 1600 bis 1745 ergibt sich durch das erste Auftreten von Tonpfeifen in Bayern bis zum Ende des kurfürstlichen Tabak- und Pfeifenmonopols. Eine wichtige Zäsur markiert die Einführung der Tabaksteuer 1669. Bis dahin konnten Tonpfeifen überall produziert werden und der Handel unterlag keinen Auflagen. Danach waren Produktion und Handel reglementiert.

Nach der Darlegung des wirtschaftsgeschichtlichen Hintergrundes anhand der Schriftquellen im zweiten Kapitel wird im dritten Kapitel die Verwendung von Fersenpfeifen behandelt. Neben der eigentlichen Verwendung als Rauchgerät konnten Tabakspfeifen oder auch nur der Kopf beziehungsweise der Stiel auch als Rauchklistiere, Schmelztiegel, Lockenwickler oder Schiessbudenröhrchen verwendet werden.

Es folgen die Beschreibung der Herstellung von Tonpfeifen im vierten Kapitel, was eigentlich hinlänglich bekannt, im Kontext der Arbeit jedoch sinnvoll ist, referiert zu werden, und im fünften Kapitel die Betrachtung der Tone, Waren und Glasuren. Das untersuchte Material konnte in fünf oxydierend gebrannte Warenarten unterteilt werden, die sich in der Scherbenhärte unterscheiden. Mit Hilfe haptischer und optischer Methoden sowie der Röntgenfluoreszenzanalyse (RFA) von 53 Fundstücken wurde versucht, die Provenienz der Funde festzustellen. Die Analyse ergab vier Tongruppen mit mehreren Untergruppen, die Fundkomplexen aus verschiedenen Orten entsprachen. Durch die Übereinstimmung dieser Tone mit jenen von andernorts gefundenen Pfeifen konnten diese Stücke bestimmten Herstellungsorten zugewiesen werden. Diese bereits durch die formenkundliche Einordnung wahrscheinliche Zuordnung konnte damit archäometrisch belegt werden. Einige Stücke konnten durch die RFA als Importstücke identifiziert werden, wobei ihre Herstellungsorte wegen fehlender Referenzdaten jedoch nicht zu bestimmt sind.

Das sechste Kapitel ist mit „Typografie der Fersenpfeifen“ überschrieben, wobei man zunächst über den Begriff „Typografie“, den man sonst aus dem Bereich der Gestaltung, insbesondere von Schriften, kennt, stolpert. Die Autorin verweist auf die Problematik des hier eher zu erwartenden Begriffs „Typologie“. Dieser impliziere eine lineare Entwicklung, was bei dem Untersuchungsmaterial jedoch nicht gegeben sei. Deshalb werde der von Ewald Sangmeister vorgeschlagene Begriff „Typografie“ verwendet, im Sinne einer Beschreibung ohne Implikation einer chronischen Entwicklung. Ob dies nun sinnvoll ist, und man nicht weiterhin mit dem eingeführten Begriff „Typologie“ leben kann, sei dahingestellt.

Für das bayrische Fundmaterial erwies sich das bislang übliche niederländische Klassifizierungssystem anhand von Kopfformen als unbrauchbar, so dass die Autorin ein eigenes System entwickelt, bei dem es möglich sein soll, Stielfragmente zu erfassen, die keine Aussagen zur Form des zugehörigen Kopfes zulassen. So stellt die Autorin für die modelgeformten Fersenpfeifen ein System mit drei Klassen vor, wobei eine Klasse sechs Untergruppen besitzt. Das Ziel, alle Stielfragmente einordnen zu können, wird aber nicht erreicht, wenn die Stücke beispielsweise aus einem unverzierten Abschnitt stammen. Dies ist keine spezielle Schwäche dieses Systems. Diese Problematik ist durch das Fundmaterial bedingt und wird auch bei anderen Systemen auftreten.

Im siebten Kapitel werden die seitlich an den Köpfen angebrachten Modelmarken behandelt. Dabei handelt es sich um Marken der Pächter des Tabak- und Pfeifenvertriebs oder der kurfürstlichen Tabakaufsichtsbehörden, die belegen, dass die Pfeifen rechtmäßig unter der kurfürstlichen Tabakaufsicht hergestellt wurden.

Bei 96 Fundstücken sind Fersenmarken vorhanden, die im achten Kapitel betrachtet werden. Von den 52 verschiedenen Marken stammen lediglich zwei sicher aus dem Untersuchungsgebiet. Während zwei weitere Fersenmarken vielleicht auch aus Bayern kommen, sind die restlichen Pfeifen mit Fersenmarken Import.

Im neunten Kapitel unternimmt Natascha Mehler fünf Schritte, um eine Chronologie des Materials zu erhalten: Zunächst stellt sie die Funde aus stratigrafischen Zusammenhängen in relative Chronologiereihen, wobei sie hier auf lediglich drei Fundkomplexe zurückgreifen kann. Ergiebiger sind die anschließenden Datierungen auf Grund stilistischer Merkmale, die anhand von datierten Vergleichsfunden und Bilddarstellungen erfolgen. Zwei geschlossene Fundkomplexe, zwei münzdatierte Fundkomplexe sowie markendatierte Fersenpfeifen stützen das Datierungsgerüst. Schließlich wird anhand von datierbaren Model- und Fersenmarken, stratigrafischen und stilistischen Anhaltspunkten sowie der Deponierungszeiträume geschlossener Fundkomplexe eine absolut chronologische Abfolge der Fersenpfeifen für den behandelten Zeitraum vorgelegt. Abschließend stellt die Autorin fest, dass die durchgeführten fünf Schritte zwar methodisch sinnvoll und richtig waren, letztendlich aber die stilistischen Einordnungen einschließlich der Bestimmung der Marken anhand der Schriftquellen die Aufstellung der absoluten Chronologie ermöglichte.

Das zehnte Kapitel behandelt die Fundorte und deren „Rauchkultur“ sowie die dort gefundenen Pfeifen und das elfte die Herstellungsorte und Tonpfeifenmacher.

Wirtschaftspolitischen Fragen, konkret nach der Umsetzung und der Kontrolle des Tabaksmonopols, wird im zwölften Kapitel nachgegangen, dabei eröffnet die Autorin mit der „Archäologie des Schmuggels“ ein neues Feld archäologischer Forschung.

Im Katalog sind die behandelten Pfeifen nach Klassen und Typen geordnet. Die Pfeifen werden nach den üblichen Regeln abgebildet, aus Gründen des Layouts jedoch im Maßstab 3:4, was den direkten Vergleich mit Funden in anderen Publikationen erschwert. Einzelne Stücke sind im Text im Maßstab 1:2 dargestellt, was einen direkten Vergleich etwas leichter macht. Allerdings bietet die Autorin auf Nachfrage eine CD der Zeichnungen im Maßstab 1:1 an.

Natascha Mehler hat mit ihrer Arbeit die deutsche Tonpfeifenforschung einen großen Schritt nach vorne gebracht. Sie ist einerseits ein weiterer wichtiger Markstein in der Emanzipation der Tonpfeifenforschung im Rahmen der Archäologie und erschließt andererseits den Bestand an Fersenpfeifen (Rundbodenpfeifen und Gesteckpfeifen werden nicht behandelt, was man sich von der Autorin noch wünschen würde) in Bayern von etwa 1600 bis 1745. Der wenn auch nicht ganz so neue Ansatz, wie dies in der Arbeit mehrfach vorgegeben wird, die Neuzeitarchäologie als „historische Archäologie“ zu betreiben, bei der alle Quellengattungen, wenn nicht gleichgewichtend, so doch in der Gewichtung der jeweiligen Fragestellung angepasst, jedenfalls prinzipiell gleichberechtigt zum Zuge kommen, hat hier gute Erfolge erbracht. Es ist der Autorin für diese Arbeit zu danken, ebenso aber auch den Herausgebern der Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters, die sie als Beiheft dieser Reihe aufgenommen haben.

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