W. Brebeck (Hrsg.): Ideologie und Terror der SS

Titel
Endzeitkämpfer. Terror und Ideologie der SS


Herausgeber
Brebeck, Wulff E.; Huismann, Frank, John-Stucke, Kirsten; Piron, Jörg
Erschienen
Anzahl Seiten
464 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bastian Hein, Institut für Zeitgeschichte, München

Die idyllisch gelegene, von einer fürstbischöflichen Schlossanlage aus dem frühen 17. Jahrhundert geprägte westfälische Landgemeinde Wewelsburg besitzt großes, ja einzigartiges Potenzial als Lernort über die Geschichte des Dritten Reiches. Kaum irgendwo sonst dürfte die Trias aus NS-Täterschaft, dem Leid der Opfer und dem ambivalenten Verhalten der deutschen Gesellschaft „unter dem Hakenkreuz“ so nahe beieinander gelegen haben wie in diesem beschaulichen westfälischen Dorf. Denn im Jahr 1934 pachtete Heinrich Himmler, der Reichsführer-SS, das Schloss als „Reichsführerschule“ bzw. Begegnungszentrum für die höhere Führerschaft seines „Ordens“. In den folgenden Jahren wuchs die schwarz uniformierte „Burgmannschaft“ stetig an, was für die Dorfbevölkerung einerseits kommerzielle Chancen und neue Erlebnisse, andererseits eine intensive Herausforderung ihres bis dahin stark katholisch geprägten Milieus und angesichts der immer umfangreicheren Baupläne der SS die drohende Vertreibung bedeutete. Zur Realisierung dieser Baupläne kamen ab 1939 schließlich KZ-Häftlinge in den Ort. Zwischen 1941 und 1943 bestand mit dem KZ Niederhagen das kleinste selbstständige Konzentrationslager des Drittes Reiches, von dessen insgesamt circa 3.900 Häftlingen nachweislich 1.285 ums Leben kamen.

Seit 1982 bot das nach 1945 erneut in der Burg untergebrachte Heimatmuseum eine erste Dauerausstellung zu diesem Teil der Geschichte der Wewelsburg an, die maßgeblich vom Geschichtsdidaktiker und Landeshistoriker der nicht weit entfernten Universität Paderborn, Karl Hüser, erarbeitet worden war.1 Als diese im „sachlich-dokumentierende[n] Gestus“ (S. 20) gehaltene, vor allem auf „Flachware“ setzende Präsentation als zunehmend unzeitgemäß empfunden wurde und unter schwindendem Publikumsinteresse litt, machte sich im Jahr 2000 eine Projektgruppe daran, eine Neukonzeption zu erarbeiten. Nachdem 2009 ein wissenschaftlicher Begleitband2 erschienen und 2010 die neue Ausstellung mit dem Titel „Ideologie und Terror der SS“3 eröffnet worden ist, bildet der vorliegende Ausstellungskatalog gewissermaßen den Schlussstein der Arbeit an der neuen „Erinnerungs- und Gedenkstätte Wewelsburg“.

Die Herausgeber Wulff E. Brebeck (der langjährige, 2011 an einer schweren Krankheit verstorbene Museumsdirektor), Kirsten John-Stucke (seine Stellvertreterin und Nachfolgerin), Frank Huismann und Jörg Piron (zwei Mitglieder der Projektgruppe) haben für den Katalog rund 700 der circa 1.000 Exponate der Ausstellung ausgewählt, die jeweils als Abbildungen mit ihren nur leicht gekürzten Begleittexten präsentiert werden. Das Problem, die teilweise von neonazistischen Kreisen glorifizierten bzw. von Esoterikern mystifizierten Realia aus dem Umfeld des „Schwarzen Ordens“ bzw. der Wewelsburg zu „brechen“, stellte sich hier ganz neu. In der Ausstellung ist das in teilweise großartiger Art und Weise geglückt, etwa indem ein Ölgemälde Oswald Pohls, des Chefs des SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes, nur von der Seite betrachtet werden kann und somit seiner monumentalen Wirkung per se beraubt wird. Im zweidimensionalen Format des Katalogs dagegen war dieser Effekt nicht zu erzielen. Man musste sich damit begnügen, Pohls Bild relativ kleinformatig abzudrucken und durch einen Kommentar einzuordnen (S. 155).

Andererseits besteht die Gefahr, dass dieser Katalog zum Sammlerstück rechter Kreise wird, in keinster Weise. Dazu sprechen die prägnanten Begleittexte eine allzu klare Sprache, etwa wenn es zu den beiden vermeintlich geheimnisvollsten Räumen der Wewelsburg, der „Gruft“ und dem „Obergruppenführersaal“, lakonisch heißt: „Dabei ist der Nordturm bis 1945 eine Dauerbaustelle. Ein weltanschauliches Zentrum der SS ist die Wewelsburg nie gewesen.“ (S. 284) Auch wirkt die thematische Mischung der Ausstellung, die im vorliegenden Band dank der Befreiung von den räumlichen Zwängen noch klarer gegliedert dargeboten werden kann, per se aufklärend. Präsentiert werden nach zwei knappen einleitenden Aufsätzen zum historischen Ort bzw. zur Ausstellungskonzeption Informationen zur allgemeinen Geschichte der SS (Kapitel 3, 4 und 6), zu Burg und Dorf im Dritten Reich (Kapitel 2, 5 und 7), zum KZ Niederhagen und seinen Opfern (Kapitel 8 und 9) sowie zur „Nachgeschichte“ nach 1945 (Kapitel 10, 11 und 12). Selbst Kenner der Materie finden hier Neues, wie etwa ein Verlaufsorganigramm zur hochkomplexen Organisationsgeschichte der SS, das in dieser Qualität bislang noch in keiner deutschsprachigen Publikation zu finden war (S. 95). Die Mischung aus Abbildungen und knappen Begleittexten dürfte aber auch den Rezeptionsgewohnheiten jüngerer Leser entgegenkommen.

Allerdings stellt sich gerade mit Blick auf diese, von den Machern des Bandes bewusst adressierte Zielgruppe4, die Frage, inwiefern das Medium eines mit Hilfe staatlicher Subventionen gedruckten Ausstellungskatalogs überhaupt noch zeitgemäß ist. Hätte man nicht unter Umständen mit einer Online-Version5 mehr erreichen können? Zur Beantwortung dieser Frage lohnt ein abschließender Blick auf den vergleichbaren Begleitband der Dokumentation Obersalzberg.6 Dieser hat sich allein 2011 2.702-mal verkaufen lassen. Insgesamt sind bislang über 73.000 Exemplare abgesetzt worden. Es gibt also noch ein ausreichend großes Lesepublikum für solche Bücher. Es ist zu hoffen, dass der gut gemachte Band über die „Endzeitkämpfer“ von diesem angenommen wird.

Anmerkungen:
1 Karl Hüser, Wewelsburg 1933 bis 1945. Kult- und Terrorstätte der SS. Eine Dokumentation (Schriftenreihe des Kreismuseums Wewelsburg, Bd. 1), 2. Auflage Paderborn 1987.
2 Jan Erik Schulte (Hrsg.), Die SS, Himmler und die Wewelsburg, Paderborn u.a. 2009; vgl. Thomas Köhler: Rezension zu: Schulte, Jan Erik (Hrsg.): Die SS, Himmler und die Wewelsburg. Paderborn u.a. 2009, in: H-Soz-u-Kult, 03.02.2010, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2010-1-083> (03.05.2012).
3 Vgl. Karsten Wilke: Ausstellungs-Rezension zu: Wewelsburg 1933-1945 - Ideologie und Terror der SS Büren-Wewelsburg, in: H-Soz-u-Kult, 04.09.2010, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=138&type=rezausstellungenngen> (03.05.2012).
4 In der Meldung, die das Kreismuseum zum Erscheinen des Katalogs publiziert hat, heißt es unter anderem, man hoffe, dass dieser auch als „Lehrbuch für Schulen“ genutzt werde; vgl. <http://www.wewelsburg.de/de/aktuelles/meldungen/Ausstellungskatalog-03-2012.php> (03.05.2012).
5 Vgl. z. B. das „Lebendige virtuelle Museum Online“, das das Deutsche Historische Museum gemeinsam mit dem Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland unter <http://www.dhm.de/lemo/> betreibt (03.05.2012).
6 Volker Dahm u.a. (Hrsg.), Die tödliche Utopie. Bilder, Texte, Dokumente, Daten zum Dritten Reich, 6. Auflage München u.a. 2011.

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