G. Fouquet u.a.: Katastrophen im Spätmittelalter

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Titel
Katastrophen im Spätmittelalter.


Autor(en)
Fouquet, Gerhard; Zeilinger, Gabriel
Erschienen
Darmstadt / Mainz 2011: Philipp von Zabern Verlag
Anzahl Seiten
172 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Rohr, Historisches Institut, Universität Bern

Die Erforschung von Katastrophen, ob Seuchen, Hungersnöte oder Naturkatastrophen, hat im letzten Jahrzehnt gleichsam Konjunktur. Während sich die Forschung zunächst eher der Frühneuzeit zuwandte1, sind in den letzten Jahren auch vermehrt Studien zum (Spät-)Mittelalter2 sowie epochenübergreifende Analysen3 erschienen, häufig in Form von Sammelbänden.4 Auch Gerhard Fouquet hat in Aufsatzform zur Geschichtsbetrachtung zweier Katastrophen im Spätmittelalter beigetragen5, die sich auch im vorliegenden Band inhaltlich wiederfinden.

Schon im Vorwort betonen die beiden Autoren, dass es deren Absicht gewesen sei, „ein Buch für alle interessierten Leser und Leserinnen zu schreiben. Im Mittelpunkt stehen Erzählungen über einzelne Extremereignisse des Spätmittelalters.“ (S. 7) Diese zeitgenössischen Quellen sollen vor allem als Zeugnisse der damaligen Katastrophenwahrnehmung dienen. Damit wird schon deutlich, dass es in erster Linie um einen eher exemplarischen, kulturgeschichtlichen Ansätzen verpflichteten Zugang geht. Wie die Kapitelübersicht zeigt, fassen Fouquet und Zeilinger den Katastrophenbegriff eher weit: der Bogen reicht von Überschwemmungen und Seenot über Erdbeben und Hungersnöte bis hin zu Stadtbränden, Seuchen, Krieg und Inflation.

Das einleitende Kapitel setzt sich mit Katastrophen als „conditio humana“ (Arno Borst) auseinander. Zu diesem Zweck werden vergleichend der Bericht zum Tsunami in Japan 2011 (ARD Tagesschau extra vom 11. März 2011) und der zu einem schweren Sturm in Deutschland 1338 (Tilemann Elhen von Wolfhagen, Limburger Chronik) gegenübergestellt, um die Aktualität der Fragestellung zu betonen. Wie sehr Katastrophen und Krisen aller Art das Leben der Menschen im Spätmittelalter beeinflussten, wird anhand von Auszügen aus der Augsburger Chronik Burkard Zinks zu den Jahren 1417 bis 1467 aufgezeigt (S. 15f.). Methodische Überlegungen sucht man in diesem Kapitel allerdings vergeblich.

Das Thema Hochwasser wird am Beispiel der beiden schweren Birsigüberschwemmungen in Basel 1529 und 1530 abgehandelt (S. 20–34). Die Darstellung baut dabei vor allem auf den Chroniken von Hans Stoltz aus Gebweiler sowie des Basler Ratsherrn Konrad Schnitt auf. Während es bei den beiden Chronisten vor allem um die Darstellung des Schadensausmaßes geht, werden die beiden Überschwemmungen in den Aufzeichnungen eines Basler Kartäusers von etwa 1532 als Gottesurteil wider den neuen Glauben gedeutet (S. 25). Gleichsam als Lehre wurden in der sogenannten Wasserordnung vom 4. April 1531 die durch Zünfte und Gesellschaften zu übernehmenden Schutzmaßnahmen koordiniert. 1537 wurde eine bronzene Gedenktafel gestiftet, die sich bis heute am Pfeiler des mittleren Rathausportals befindet. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Aufstellung zur Häufigkeit von Hochwassern und Eisgängen in Basel zwischen 1454 und 1542 (S. 32–34), die ein Bild davon gibt, wie zahlreich kleinere und mittlere Schadensereignisse für die Menschen am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit waren.

Für die Ausführungen zu mittelalterlichen Sturmfluten und insbesondere zum Untergang der sagenhaften Stadt Rungholt 1362 greifen die Autoren immer wieder auf das berühmte Gedicht „Trutz, Blanke Hans“ von Detlev von Liliencron aus dem Jahr 1882 zurück und stellen dieses den spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Chroniken, allen voran der Chronik von Anton Heimreich (1666), gegenüber (S. 35–47). Gute Karten illustrieren, wie sich die Küstenlinie im nordfriesischen Wattenmeer zwischen dem 14. und dem 17. Jahrhundert veränderte, sodass schließlich nur mehr die kleinen Inseln Pellworm und Nordstrand übrig blieben. Leider bleibt das Kapitel eher deskriptiv; genauere Ausführungen zur Mythenbildung rund um diesen „Atlantis-Mythos“ (S. 35) der Nordsee wären hier sicher interessant gewesen.

Wirklich innovativ ist das Kapitel über Schiffsuntergänge im Spätmittelalter (S. 48–57), die „wohl häufigsten und schwersten Verkehrsunglücke des Mittelalters“ (S. 11). Die Autoren gehen dabei zum einen auf die Gefahren der Pilger ein, die mit dem Schiff das Heilige Land anstrebten, zum anderen aber auch auf die Havarie des venezianischen Stadtadeligen Pietro Querini 1431/32 im Nordmeer, unweit der heutigen Lofoten. Interessant sind zudem die – wenn auch kurzen – Ausführungen zu den Seehandelsgesellschaften, die im Falle eines Schiffsuntergangs eine Art Seeversicherung garantierten (S. 49).

Das Kapitel zu spätmittelalterlichen Erdbeben (S. 58–73) beginnt mit den Wahrnehmungen des Erdbebens auf Kreta im Jahr 1494 durch einen kleinadeligen anonymen Jerusalem-Pilger. Danach steht aber das schwere und sehr gut dokumentierte Erdbeben von Basel im Mittelpunkt der Erzählung. Wirklich neue Erkenntnisse sind daraus nicht zu erfahren, doch zeigt eine Schadenskarte sehr anschaulich das Ausmaß der Zerstörungen (S. 65).

In der Hungerforschung wurde in den letzten Jahren besonders die Zeit zwischen 1437 und 1440 genau untersucht.6 Darauf stützen sich auch die Ausführungen des Kapitels, das zu Recht mit „Nicht nur eine ungnädige Natur: Hunger“ betitelt ist (S. 74–83). Damit wird deutlich gemacht, dass Hungerkrisen nicht nur eine klimatische Seite aufwiesen, sondern auch gute oder schlechte Einkaufs- und Vorratspolitik eine maßgebliche Rolle dabei spielten. Analog zu der in der Forschung üblichen Unterscheidung zwischen „Hungerkrise“ und „Hungersnot“ wäre es in diesem Zusammenhang sinnvoll gewesen, auch die mehrfach verwendeten Begriffe „Versorgungskatastrophe“ und „Hungerkatastrophe“ näher zu definieren.

Beim Thema Stadtbrände (S. 84–102) stützen sich die beiden Autoren zunächst auf das Beispiel des Brandes von Frankenberg im Jahr 1476, das von Fouquet selbst schon aufgearbeitet wurde.7 Wie häufig diese Stadtbrände für Gefahr sorgten, zeigt die Brandchronik für Basel zwischen 1445 und 1549, die nicht weniger als 63 Brandereignisse verzeichnet, also im Durchschnitt alle 20 Monate einen nennenswerten Brand (S. 92f.). Aufschlussreich sind auch die ausführlichen Erörterungen zur Brandbekämpfung: Städtische Ordnungen geben davon ebenso Nachricht wie etwa der Reisebericht des Kastiliers Pero Tafur, der 1438 einen Stadtbrand in Straßburg miterlebte.

Epidemien, und dabei wiederum vor allem die Pest, hatten einen entscheidenden Einfluss auf die demographische Entwicklung im Spätmittelalter. Die Ausführungen zur Pestwelle zwischen 1347 und 1352, ihren Auswirkungen und Erklärungsversuchen haben über weite Strecken nur einführenden Charakter (S. 103–125). Konkreter wird die Situation in Norddeutschland ausgeführt, wobei chronikale Berichte ebenso Beachtung finden wie die archäologische Analyse zweier Massengräber für die Pesttoten in Lübeck. Kurz wird auch das Thema Judenpogrome im Zusammenhang mit der Pest gestreift.

Kriegskatastrophen werden an zwei Beispielen abgehandelt: dem süddeutschen Städtekrieg von 1449/50 und der Belagerung von Neuss 1474/75 (S. 126–138). Daran wird deutlich, dass sich die Kriegsführung von den großen, entscheidenden Schlachten hin zu Abnutzungskriegen verschoben hatte; Söldnerheere kämpften anstelle der einstigen Ritter- und Bauernheere. Die Bilanz der Belagerung von Neuss zeigt auch, dass immer mehr die Zivilisten zu den Kriegsopfern gehörten.

Das letzte kurze Kapitel setzt sich mit „Katastrophen des Geldes“ auseinander (S. 139–142). Kurz kommen dabei der Kärntner Chronist Jakob Unrest sowie der Augsburger Burkard Zink zur Schinderlingszeit im Jahr 1459 zu Wort. Wirtschaftsgeschichtliche Ausführungen zu den Hintergründen und den Auswirkungen des ständigen Münzverrufs vermisst man hingegen.

Wer sich vom Titel des Buches eine umfassende Studie zu Katastrophen und deren Bewältigung im Spätmittelalter erwartet hat, wird vielleicht etwas enttäuscht sein, da der Überblick dafür zu exemplarisch bleibt und kaum über den bisherigen Forschungsstand hinausgeht; auch methodisch-theoretische Überlegungen sind nur in Ansätzen vorhanden. Doch dies ist, wie schon eingangs erwähnt, auch gar nicht das erklärte Ziel der Autoren. Als Einstieg in die Thematik eignet sich der Band hingegen sehr gut: Der Stil ist flüssig, die Quellenbeispiele sind gut gewählt, die Bilder anschaulich und in guter Qualität, das Literaturverzeichnis übersichtlich. In jedem Fall zeigt sich, dass Katastrophen für die Lebenswelten der Menschen zu allen Zeiten eine maßgebliche Rolle spielten und daher mittlerweile zu Recht einen festen Platz in der Geschichtsforschung einnehmen.

Anmerkungen:
1 Vgl. als richtungsweisende Fallstudie Manfred Jakubowski-Tiessen, Sturmflut 1717. Die Bewältigung einer Naturkatastrophe in der Frühen Neuzeit (Ancien Régime. Aufklärung und Revolution 24), München 1992. Die weitere Forschung konzentrierte sich in der Folge auf Fallstudien, beispielsweise zum Erdbeben von Lissabon 1755, auf einzelne Katastrophenarten und ihre Bewältigung (zuletzt Cornel Zwierlein, Der gezähmte Prometheus. Feuer und Sicherheit zwischen Früher Neuzeit und Moderne, Göttingen 2011) oder auf zeitgenössische Wissensdiskurse (zuletzt etwa Matthias Georgi, Heuschrecken, Erdbeben und Kometen. Naturkatastrophen und Naturwissenschaft in der englischen Öffentlichkeit des 18. Jahrhunderts, München 2009).
2 Kay Peter Jankrift, Brände, Stürme, Hungersnöte. Katastrophen in der mittelalterlichen Lebenswelt, Ostfildern 2003; Christian Rohr, Extreme Naturereignisse im Ostalpenraum. Naturerfahrung im Spätmittelalter und am Beginn der Neuzeit (Umwelthistorische Forschungen 4), Köln 2007; Christian Jörg, Brände, Teure, Hunger, Großes Sterben. Hungersnöte und Versorgungskrisen in den Städten des Reiches während des 15. Jahrhunderts (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 55), Stuttgart 2008.
3 Vgl. zu Sturmfluten Dirk Meier, Land unter! Die Geschichte der Flutkatastrophen, Ostfildern o.J. [2005]; Bernd Rieken, „Nordsee ist Mordsee“. Sturmfluten und ihre Bedeutung für die Mentalitätsgeschichte der Friesen (Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte Ostfrieslands 83 = Nordfriisk Instituut 186), Münster 2005.
4 Die Zahl der Sammelbände zum Thema wächst jedes Jahr. Vgl. besonders Christian Pfister (Hrsg.), Am Tag danach. Zur Bewältigung von Naturkatastrophen in der Schweiz 1500-2000, Bern 2002; Dieter Groh / Michael Kempe / Franz Mauelshagen (Hrsg.), Naturkatastrophen. Beiträge zu ihrer Deutung, Wahrnehmung und Darstellung in Text und Bild von der Antike bis ins 20. Jahrhundert (Literatur und Anthropologie 13), Tübingen 2003; Monika Gisler / Katja Hürlimann / Agnes Nienhaus (Hrsg.), Naturkatastrophen / Catastrophes naturelles (Special Issue von Traverse. Zeitschrift für Geschichte / Revue d’Histoire 10, 3), Zürich 2003; Michael Kempe / Christian Rohr (Hrsg.), Coping with the Unexpected. Natural Disasters and Their Perception (Environment and History, Special Issue 9, 2), Strond 2003; Gerrit Jasper Schenk / Jens Ivo Engels (Hrsg.), Historical Disaster Research. Concepts, Methods and Case Studies / Historische Katastrophenforschung. Begriffe, Konzepte und Fallbeispiele (Historical Social Research, Special Issue 32, 3), Köln 2007; Gerrit Jasper Schenk (Hrsg.), Katastrophen. Vom Untergang Pompejis bis zum Klimawandel, Ostfildern 2009.
5 Gerhard Fouquet, Das Erdbeben von Basel – für eine Kulturgeschichte der Katastrophen, in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 103 (2003), S. 31–49; Gerhard Fouquet, Für eine Kulturgeschichte der Naturkatastrophen. Erdbeben in Basel 1356 und Großfeuer in Frankenberg 1476, in: Andreas Ranft / Stephan Selzer (Hrsg.), Städte aus Trümmern. Katastrophenbewältigung zwischen Antike und Moderne, Göttingen 2004, S. 101–131.
6 Jörg, Hunger, wie Anm. 2.
7 Vgl. oben, Anm. 5.