Cover
Titel
The South Sea Bubble. An Economic History of Its Origins and Consequences


Autor(en)
Paul, Helen J.
Reihe
Routledge Explorations in Economic History
Erschienen
New York 2011: Routledge
Anzahl Seiten
155 S.
Preis
€ 121,85
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jürgen G. Nagel, Neuere Europäische und Außereuropäische Geschichte, FernUniversität in Hagen

Nicht erst die IT-Branche oder halsbrecherische Immobilien-Derivate sorgten für Spekulationsblasen; auch die Vormoderne kannte ihre Wirtschaftskrisen aufgrund ebenso spekulativen wie riskanten Verhaltens auf den Finanz- und Aktienmärkten. Neben dem berühmten, bereits zu Romanehren gelangten Tulpenwahn in den Niederlanden 1637 dürfte die sogenannte „South Sea Bubble“ in Großbritannien, die ihren finalen Knalleffekt 1720 erlebte, die berühmteste Krise dieser Art gewesen sein. Die South Sea Company, die 1711 gleichermaßen als private Handelsgesellschaft und Instrument der staatlichen Schuldenverwaltung gegründet worden war, widmete sich mit dem Südseehandel zunächst einem Geschäft, das es noch gar nicht gab. Als der Handel mit Südamerika und der Südsee nicht ins Rollen kommen wollte, übernahm die Company die Staatsschulden der britischen Krone und erhielt im Gegenzug die Erlaubnis, vermehrt Aktien auszugeben. Der Erfolg dieses Aktiengeschäfts beflügelte zahlreiche Nachahmer, so dass der Kapitalmarkt schnell überhitzte. Als vor der ersten Dividendenauszahlung des Urhebers, der South Sea Company, im Jahr 1720 die bittere Erkenntnis die Runde machte, dass der Wert der Aktien nur zu Bruchteilen gedeckt und mit keiner realen Ausschüttung zu rechnen war, rauschte der Kurs an der Londoner Börse in die Tiefe; auf einen Schlag verloren die Anteilsscheine rund 90 Prozent ihres Wertes.

Dass durch diesen Crash zahlreiche Privatvermögen verlorengingen, war zweifelsohne eine wesentliche Folge, welche den Kern dieser Blase ausmachte. Sie war aber nicht die einzige. Ähnlich wichtig waren die langfristigen psychischen Nachwirkungen. Die „South Sea Bubble“ wurde zum Inbegriff aller Irrationalität, mit der man den so abstrakten, so wenig greifbaren Finanzmarkt in Verbindung bringen konnte. Sie stand – und steht bis heute – für eine Gesellschaft, die völlig irrational handelte, und für die spekulative Investition als eine Form des ökonomischen Wahnsinns. So diente sie dem einflussreichen Dichter und Essayisten Charles Mackay 1841 als ein wesentliches Beispiel, um die „madness of the crowds“ zu belegen.1 Aber auch für die dezidierte Gegenposition gab die Blase Anregungen. So wurde sie zu einem Paradebeispiel für die sogenannten Selbstreinigungskräfte des Marktes – oder auch für die Behauptung, dass von einer Krise eigentlich gar nicht die Rede sein konnte, eine These, die Peter Garber in jüngerer Zeit vertritt.2 Die wissenschaftliche Erforschung der Blase bewegte sich bislang zwischen zwei Polen: dem Postulat, dass Menschen grundsätzlich rational entscheiden, und der Beobachtung, dass durchaus auch ganze Gesellschaften irrational handeln können.

Indem sie beide Annahmen – überzeugend und völlig zu Recht – als simplifizierend betrachtet, bereichert die Wirtschaftshistorikerin Helen J. Paul von der Universität Southampton mit ihrer jüngsten Monographie die Forschungslage erheblich. Dafür braucht sie kaum mehr als 150 Seiten. Eine wohlfeile Kritik könnte nun darauf hinweisen, dass der schmale Umfang des Buchs für ein solch komplexes Thema kaum angemessen ist. Sicherlich ließen sich Punkte aufzählen, an denen die Autorin mehr in die Tiefe hätte gehen können. Paul hat dennoch zwar ein schmales, aber ausgesprochen inhaltsreiches Buch vorgelegt. Verteilt auf acht Kapitel wird ein differenzierteres Bild der Krise entworfen, als dies frühere Autoren bislang versucht haben. Zunächst werden in drei Kapiteln mit der Entwicklung von Börse, Aktien und Finanzmarkt im vormodernen England die wirtschaftshistorischen Zusammenhänge dargelegt. Auch die Rolle von Politik und Krieg kommt dabei nicht zu kurz. An diese Grundlagen schließt sich ein Abriss des unmittelbaren Geschehens rund um die Spekulationsblase an, dem wiederum der wohl entscheidende Abschnitt, die differenzierte Darstellung der verschiedenen Beweggründe für Investitionen in die South Sea Company folgt. Darauf aufbauend werden in drei Kapiteln Wahrnehmung, soziale Folgen und tatsächliche ökonomische Effekte untersucht. Dabei bietet Paul nicht nur einen Überblick auf dem neuesten Stand der Forschung, sondern entwickelt auch dezidiert einen eigenen Standpunkt.

Pauls Buch kommt ein dreifaches Verdienst zu: Zum einen interpretiert sie die „South Sea Bubble“ als ökonomisches Phänomen und bewegt sich damit weg von der mitleidigen Betrachtung der armen „Verrückten“ hin zu einer rationalen historischen Erklärung. Zum anderen geht sie dabei aber nicht in die Falle einer kliometrischen Engführung, sondern verlässt die Ebene simplifizierender Weisheiten der Preisklasse „Geld kann nicht verschwinden“ zugunsten einer breiteren Einbettung und damit eines gesellschaftshistorischen Verständnisses der Krise. Schließlich wird sie der gesamten Geschichte der South Sea Company gerecht, die sie nicht auf das Jahr des Platzens der Blase beschränkt. Vor allem in der Selbstverständlichkeit, mit der die Autorin diese drei Aspekte zusammenführt, besteht die Leistung des Buchs.

„Economics is a social science rather than a hard science. It cannot be linked to history unless its social nature is recognised. Likewise, it is nonsense to write economic history without economics“ (S. 117). Diesem Leitsatz folgend, gleichermaßen als Schlussfolgerung und Credo in den letzten beiden Sätzen des Buches formuliert, geht die Autorin ihr Thema zunächst mit dem kühlen Verstand einer Wirtschaftshistorikerin an. Bei der Durchsicht des verfügbaren Datenmaterials macht sie deutlich, dass die „South Sea Bubble“ nicht pathologisch als Verrücktheit betrachtet werden muss, sondern durchaus mittels ökonomischer Theorien erklärbar ist. Sie unterstützt damit das Verständnis von „rational bubbles“, also von Krisen, die systemimmanent zu begreifen sind. In solchen Blasen besteht, so Paul, nur ein kleiner Teil der Beteiligten aus Spielernaturen, der zudem in der Krise schnell wieder vom Markt gespült wird. Im Marktkontext kann eine „rational bubble“ auch als ökonomisch sinnvoll gelten.

Eine exklusive Betrachtung quantitativer Indikatoren führt zweifelsohne zu dem Schluss, dass es wenige Hinweise auf eine nationale, gar globale Wirtschaftskrise in der Folge der Blase gibt. Dieser Erkenntnis schließt sich Paul zunächst an. Sie bleibt aber nicht bei dieser Aussage stehen: Auf sich allein gestellt, lügen Zahlen vielleicht nicht, aber sie täuschen. Das „Wegrechnen“ drastischer ökonomischer Ausschläge würde die nachhaltige Bedeutung der Blase auch nicht erklären. Vielmehr macht die Autorin das, was gründliche Historiker immer tun sollten, aber mancher ökonomistische Interpret vormoderner Finanzkrisen gelegentlich vergisst: Sie zieht weitere Quellen hinzu. Gleichrangig neben den „klassischen“ Quellen der Wirtschaftsgeschichte steht die einschlägige Publizistik, vornehmlich des 18. Jahrhunderts. Damit tritt die Rezeption der Krise neben die abstrakte Marktarithmetik; die Krise wird als gesellschaftliches Phänomen verständlich, ohne den ökonomischen Kontext verlassen zu müssen. Beinahe im Vorübergehen wird erstmals auch ernsthaft auf den antisemitischen Aspekt hingewiesen, der bei den nachträglichen Schuldzuweisungen eine nicht unerhebliche Rolle spielte.

Indem sie die Geschichte der South Sea Company aus der engen Umklammerung der Blase löst, läutet sie zudem so etwas wie eine „Ehrenrettung“ des Unternehmens ein. Gewöhnlich wird die Company ausschließlich im Zusammenhang der Krise betrachtet, da es Investitionen in ihre realen oder mehr noch vermeintlichen Geschäfte waren, welche die Blase provoziert hatten. Allerdings existierte die Company noch bis 1854. Sie war nicht nur vorübergehend für die königlichen Staatsfinanzen von Bedeutung, sondern betrieb langfristig auch reale Geschäfte. Während ein umfassendes Südamerikageschäft nur eine Hoffnung blieb, konnte eine Beteiligung am Sklavenhandel dank eines bis 1750 gültigen asiento schließlich doch noch umgesetzt werden. Im 19. Jahrhundert kam der Walfang hinzu. Auch die enge Verbindung zur Staatsfinanzierung erschien durchaus nicht als irrational. Die Nähe zum Staat konnte ebenso Sicherheit vermitteln wie die Kooperation mit der Royal Navy und der Royal African Society. Paul legt überzeugend dar, dass es durchaus rationale Gründe gab, von einem kalkulierbaren Risiko auszugehen und in die South Sea Company zu investieren. Alles in allem wirken die Geschäfte der Company in ihrer Betrachtung weitaus rationaler als alle späteren Kampfschriften vermuten lassen – ohne den Hype von 1720 und die zwangsläufige Katastrophe vergessen machen zu wollen.

Trotz eines souveränen Umgangs mit ökonomischen Theorien und statistischem Material spricht Helen J. Paul mit ihrem Band nicht nur Spezialisten an. In seiner Kürze und Prägnanz ist er äußerst empfehlenswert – nicht nur als Überblick, sondern auch als konzise Interpretation eines historischen Ereignisses, das Bedeutung über den eigentlichen „Knalleffekt“ hinaus hatte.3 Da der Verlagspreis leider völlig überzogen ist, sei der schmale Band insbesondere den Bibliotheken ans Herz gelegt, damit ein differenzierter Umgang mit dem brisanten Thema „Spekulationsblase“ auch flächendeckend möglich wird.

Anmerkungen:
1 Charles Mackay, Memoirs of Extraordinary Popular Delusions and the Madness of Crowds, London 1841.
2 Peter M. Garber, Famous First Bubbles, in: Journal of Economic Perspectives 4/2 (1990), S. 35-54.
3 Paul schließt hier an jüngere Neubewertungen der Krise an, etwa bei Julian Hoppit, The Myths of the South Sea Bubble, in: Transactions of the Royal Historical Society 12 (2002), S. 141-165.

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