D. Onnekink u.a. (Hrsg.): Ideology and Foreign Policy

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Titel
Ideology and Foreign Policy in Early Modern Europe (1650-1750).


Herausgeber
Onnekink, David; Rommelse, Gijs
Reihe
Politics and Culture in Europe, 1650-1750
Erschienen
Farnham 2011: Ashgate
Anzahl Seiten
334 S.
Preis
£ 70.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anuschka Tischer, Seminar für Neuere Geschichte, Philipps-Universität Marburg / Historisches Seminar, Goethe-Universität Frankfurt am Main

Der von den beiden niederländischen Historikern David Onnekink und Gijs Rommelse herausgegebene Sammelband vereinigt zwölf Beiträge internationaler Historikerinnen und Historiker, die gegen die klassische Sicht argumentieren, das Jahrhundert zwischen Westfälischem Frieden und Französischer Revolution sei eine Epoche unideologischer Außenpolitik gewesen. Der Begriff der Ideologie mag in diesem Kontext unpassend erscheinen, zumal viele Beiträge sich mit Auseinandersetzungen befassen, die man in einer pluralen Gesellschaft unter die normale Vielfalt außenpolitischer Richtungsdebatten subsumieren könnte. Die Herausgeber haben den Terminus der Ideologie aber bewusst gewählt, um sich gegen das Paradigma einer Geschichte der Internationalen Beziehungen zu wenden, demzufolge die Außenpolitik nach den Religionskriegen von der Mitte des 17. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts durch Realismus gekennzeichnet gewesen sei.

Wie die Herausgeber in ihrer Einleitung betonen, kann von einem Verschwinden der Religion bzw. Konfession als politischem Faktor bereits angesichts der „Glorious Revolution“ 1688/89 oder der Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 nicht gesprochen werden. Hinzu traten ökonomische Ideologien wie der Merkantilismus und überhaupt konkurrierende außenpolitische Modelle. Die wachsende politische Öffentlichkeit der Frühen Neuzeit bot erst den Rahmen für solche konkurrierenden Ideologien. So nehmen viele der Beiträge im Sinne des linguistic turn insbesondere die Kriegspropaganda in den Blick, die viel über außenpolitische Zielsetzungen und Kontroversen verrät. Insbesondere die vergleichende Analyse englischer und französischer Predigten über den gerechten Krieg im Neunjährigen Krieg (Pfälzischen Erbfolgekrieg) von Solange Rameix zeigt, wie die gleichen Medien vor demselben geistesgeschichtlichen Hintergrund ganz unterschiedliche politische Funktionen erfüllen konnten. Auch die traditionelle historische Argumentation erhielt im Rahmen neuer außenpolitischer Debatten Auftrieb. So wurde im Großbritannien der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die ältere Geschichte, wie Doohwan Ahn an der Verargumentierung des antiken Athen zeigt, ebenso bemüht wie die jüngere Geschichte der vorangegangenen Generationen, deren politische Reflexion Gary Evans untersucht.

Die These, dass mit dem Westfälischen Frieden nicht plötzlich eine säkulare, der abstrakten Räson von Staaten oder Nationen verpflichtete Politik begonnen habe, ist nicht völlig neu. Sie wird von historischer Seite schon seit längerem in Auseinandersetzung mit dem sogenannten „Westfälischen System“ vorgebracht1 – eine Lesart, die hier nicht aufgegriffen, deren Stoßrichtung aber bestätigt wird. Doch der vorliegende Band geht insofern weiter, als er sich einer ganzen Vielfalt von „Ideologien“ im Kontext der Außenpolitik widmet. Das Ziel ist es offensichtlich nicht, fertige Antworten zu geben, sondern bisherige Sichtweisen gegen den Strich zu bürsten und auf viele Faktoren hinzuweisen, die neue – andere – Antworten erfordern. Dies gelingt auch deshalb, weil als Beiträger etablierte Historiker, die aus einer breiten Sachkenntnis und großen Perspektive argumentieren, ebenso vertreten sind wie Nachwuchswissenschaftler, die sehr dicht und quellenah neue Forschungsergebnisse präsentieren. Dass die Herausgeber dabei Kontroversen nicht fürchten, sondern die Diskussion aktiv suchen, beweist das ungewöhnliche Vorgehen, ihrer Einleitung gleich eine Antwort von Robert von Friedeburg als kritische Ergänzung folgen zu lassen. Er fordert, die These des Bandes in einen weiteren Kontext zu stellen. „Ideologische“ Außenpolitik habe früher begonnen, die Einführung einer Zäsur um 1650 sei nicht gerechtfertigt. Auch komme die Dynastie als bleibender politischer Faktor des untersuchten Zeitraums zu kurz.

Die Beiträge konzentrieren sich stark auf die englische bzw. britische Außenpolitik. Dadurch werden insbesondere die Pole, zwischen denen sich diese Politik bewegte, aus zahlreichen thematischen Perspektiven beleuchtet: In der Außenpolitik selbst war es die Frage, ob und wie Großbritannien Europapolitik betreiben oder ob es sich nicht vielmehr in die Isolation begeben bzw. der Kolonial- und Hochseepolitik widmen solle. Doch auch die Innenpolitik war von äußeren Vorgängen beeinflusst: Die vom kontinentalen Absolutismus betonte Autorität der Krone konnte als Modell oder Feindbild dienen; Parlamentarismus bzw. Republikanismus wurden unter anderem im Umfeld der Revolutionen in Amerika und schließlich in Frankreich diskutiert, die allerdings bereits über die in den Blick genommene Epoche hinaus weisen. Ein losgelöstes nationales Interesse, dies macht besonders der Beitrag von Stéphane Jettot über die Epoche Karls II. deutlich, existierte nicht. Es war das Ergebnis politischer Prozesse zwischen Krone und Parlament und damit letztlich auch individueller Interessen bis hin zum einzelnen Gesandten.

Der Band enthält einige interessante Beiträge über für diese Epoche oft eher stiefmütterlich behandelte Akteure in den internationalen Beziehungen: Benedict Wagner-Rundell kann für Polen-Litauen politische Konflikte um die Ausrichtung zwischen Krone und Republik aufzeigen, die den englischen Auseinandersetzungen durchaus ähneln. Ana Crespo Solana analysiert Spaniens Schwanken zwischen imperialem und nationalem Denken, das schließlich unter den Vorzeichen des Dynastiewechsels stand. Die Niederlande und Frankreich sind als zentrale Bezugspunkte englischer bzw. britischer Außenpolitik immer wieder präsent, und David Onnekink dekonstruiert den Mythos der friedlichen Niederlande, indem er darlegt, wie diese von den Akteuren in Frankreich und England durchaus als Gefahr und Bedrohung angesehen wurden. Insgesamt aber bleibt die europäische Perspektive für einen Band, der laut Titel den Blick auf das frühneuzeitliche Europa beansprucht, deutlich zu schwach ausgeprägt. Die Balance und Freiheit Europas werden von Andrew C. Thompson bzw. Wout Troost jeweils aus der englisch-britischen Perspektive thematisiert. Das Heilige Römische Reich oder der Kaiser kommen wie andere zentrale europäische Akteure höchstens am Rande vor. Methodisch hätte der Band aber auch durch eine stärkere Einbeziehung der neuen Diplomatiegeschichte an Schärfe gewonnen, die gerade in Bezug auf die Niederlande gezeigt hat, wie stark deren Politik selbst und die Politik ihnen gegenüber in dieser Epoche von Wahrnehmungsmustern geprägt waren.2 Die Thematisierung der Frage, inwieweit außenpolitische Ideologien auch das Ergebnis subjektiver Wahrnehmungen bis hin zur Angst waren, hätte nahe gelegen.

Indem damit darauf hingewiesen sei, was in diesem Band nicht zu erwarten ist, soll allerdings sein Wert nicht geschmälert werden. Das Buch ist in seiner thematischen Ausrichtung richtungweisend für die Geschichte der Internationalen Beziehungen zwischen 1650 und 1750 und enthält im Einzelnen zahlreiche neue Forschungsergebnisse. Es ist im Ganzen eine anregende Lektüre für jeden, der nicht an einem fertigen Modell der Internationalen Beziehungen interessiert ist, sondern vielmehr an den zahlreichen, nicht immer konsistenten Entwicklungen der Epoche nach dem Westfälischen Frieden und vor den Polnischen Teilungen und der Französischen Revolution. Der Band belegt dabei einmal mehr, dass die Geschichte der Internationalen Beziehungen in der Frühen Neuzeit weniger eine Geschichte von Zäsuren und statisch gedachten Perioden denn eine Geschichte von Transformationsepochen ist – eine Interpretation, welche die Kritik am „Westfälischen System“ bestätigt und für die Folgeepoche bereits vor rund 20 Jahren von Paul W. Schroeder überzeugend eingefordert wurde.3

Anmerkungen:
1 Siehe zuletzt Heinz Duchhardt, Das „Westfälische System“: Realität und Mythos, in: Hillard von Thiessen / Christian Windler (Hrsg.), Akteure der Außenbeziehungen. Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel, Köln 2010, S. 393-401.
2 Helmut Gabel / Volker Jarren, Kaufleute und Fürsten. Außenpolitik und politisch-kulturelle Perzeption im Spiegel niederländisch-deutscher Beziehungen 1648–1748. Mit einer Einleitung von Heinz Duchhardt und Horst Lademacher, Berlin 1998.
3 Paul W. Schroeder, The Transformation of European Politics 1763–1848, Oxford 1994.

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