R. Chapman (Hrsg.): Culture Wars

Cover
Titel
Culture Wars. An Encyclopedia of Issues, Voices, and Viewpoints


Herausgeber
Chapman, Roger
Erschienen
Armonk 2010: M.E. Sharpe
Anzahl Seiten
768 S.
Preis
€ 192,12
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Felix Krämer, Exzellenzcluster Religion and Politics, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

CULTURE WARS prangt in großen Lettern auf den Buchdeckeln der zweibändigen Enzyklopädie, die es zu besprechen gilt. Bereits die Fassade des von Roger Chapman edierten Nachschlagewerkes regt zum Nachdenken über den Platz eines solchen Mediums in der Zeitgeschichte an. Der 3D-Stil der goldenen Überschrift auf schwarzem Grund erinnert mehr an ein Computerspiel aus dem Arsenal der Weltraum-Games der 1990er-Jahre als an ein wissenschaftliches Werkzeug. Die Grafik verweist insofern auf den Inhalt, als dass in der jüngsten US-Historie seit den 1990er-Jahren von „Kulturkämpfen“ die Rede ist. Dieser Umstand dient dem Herausgeber, der Geschichte an der „Palm Beach Atlantic University“ in Florida lehrt, als Ausgangspunkt, den Topos mittels einer Enzyklopädie eingehender zu durchleuchten. Dass kulturelle Auseinandersetzungen ab den 1990er-Jahren nicht etwa über Computerspiele im Weltraum, sondern vielmehr in Parlamenten, „auf der Straße“ und über die Fernsehöffentlichkeit ausgefochten wurden, darauf verweisen die zeitgeschichtlichen Bilder, die auf dem Cover unter der Überschrift abgedruckt sind – unter anderem vom Rechtskonservativen Politiker Newt Gingrich, von einem mit Tape verklebte Mund eines Demonstranten, dem Logo einer „Fox News Live“-Sendung.

Zwischen den Buchdeckeln finden sich knapp 400 Beiträge, verfasst von 200 Autor/inn/en. Mit den „culture wars“ nimmt das – inklusive aller Register – 800 Seiten starke Nachschlagewerk einen von verschiedenen Seiten äußerst aufgeladenen Begriff zum Ausgangspunkt und leistet in dessen historisch-politischer Einordnung gute Dienste. Der Preis liegt allerdings in einem Bereich, angesichts dessen man sich selbst in betuchteren Bibliotheken eine Anschaffung gut überlegen dürfte. Obwohl angesichts des Kostenpunktes Sehnsüchte nach allerlei frei über das Netz zugänglicher Enzyklopädien reifen könnten, zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass Vergleichbares online bislang eben nicht zu finden ist, obwohl dies bei entsprechender Organisation keineswegs undenkbar erscheint.1 Hat man die beiden Bände erst mal auf dem Schreibtisch liegen, so wird man im ersten von „Abortion“ bis „Lynching“ geführt, im zweiten von „Cathrin MacKinnon“ bis „Howard Zinn“, man verfügt zudem über ein alphabetisches Inhaltsverzeichnis und ein thematisches Suchregister, das beispielsweise in Sparten wie „Activists and Advocates“, „Organizations and Institutions“ oder „Social and Moral Issues“ unterteilt ist. Nach jedem Artikel gibt es nebst der üblichen Querverweise auf andere Beiträge drei bis zehn Literaturangaben. Zum ein oder anderen Thema sind Karikaturen oder Fotografien in schwarzweiß abgedruckt. Im hinteren Teil des zweiten Bandes befindet sich ein komplettes Literaturverzeichnis sowie ein ausführlicher Sach- und Personenindex.

Worum geht es inhaltlich? Die sogenannten „culture wars“, die in den Vereinigten Staaten der 1990er-Jahre ihren Namen bekamen, dienen als historischer Fluchtpunkt der zusammengetragenen Artikel. In seiner Einführung leitet Chapman den Begriff zunächst aus dem Konflikt her, der in den 1870er-Jahren zwischen Otto von Bismarck und der Katholischen Kirche um eine liberale bzw. säkulare Ausrichtung des Deutschen Reiches kreiste und unter dem Begriff „Kulturkampf“ firmierte. Der Topos war Ende der 1980er-Jahre in den USA aufgegriffen worden, weil einige Leute die politischen und kulturellen Unterschiede innerhalb ihrer Gesellschaft ähnlich divers fanden wie die in „Bismarcks Deutschland“, wie Chapman formuliert (S. xxvii). Diese Unterschiede wurden vor allem in binäre Muster gefasst und im Verlauf der 1990er-Jahre als unvereinbare Gegensätze von Seiten der Kulturkämpfer immer wieder aufgerufen. In Chapmans Darstellung waren dies hauptsächlich konservative Akteure, woran man von verschiedener Seite Zweifel anmelden könnte. Chapman kritisiert jedenfalls ein polarisierendes Gesellschaftsmodell. Er zählt etliche Gegensatzpaare auf: „red states versus blue states, the left versus the right, theists versus secularists, fundamentalists and evangelicals versus religious progressives…“ etc. und weist darauf hin, dass in dieser Sichtweise eine grobe Vereinfachung stecke (S. xxvii). Nachdem Chapman entlang eines knappen Querschnitts durch die US-Geschichte des 20. Jahrhunderts gezeigt hat, welche Bezugspunkte als genealogische Ursprünge der US-Kulturkämpfe in Frage kämen – von FDRs New Deal über die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen im Verfassungsgerichtsurteil „Roe vs. Wade“, den Vietnamkrieg bis hin zur Wahl Bill Clintons – kommt er auf das Buch des Soziologen James Davison Hunter „Culture Wars. The Struggle to Define America“ zu sprechen, das dem Begriff 1991 zu seinem Durchbruch verhalf.2 Hunter hatte darin die Polarisierung der politischen Welt kritisiert und die These aufgestellt, dass die Mehrheit der US-Bürger/innen sich in ihren Ansichten irgendwo zwischen den beiden Großfronten befand, welche politische Eliten immer wieder zu einem „war of moral visions“ stilisierten. Fünf Felder waren die Kampfplätze, die Hunter zu Beginn der 1990er-Jahre für die künftige Auseinandersetzung ausmachte: Familie, Erziehung, Medien, Gesetzgebung und Politik (S. xxix).

Neben der sozialwissenschaftlichen Proklamation der „culture wars“ hatte der Republikaner Patrick Buchanan den Begriff im August 1992 politisch zugespitzt. Der im Rennen um die Präsidentschaftskandidatur gescheiterte Politiker, den Chapman als konservativen Katholiken markiert, hatte in einer flammende Rede seine Partei zur geschlossenen Unterstützung seines ehemaligen Kontrahenten George Bush aufgerufen und vor der drohenden Herrschaft von „Clinton & Clinton“, wie er sich ausdrückte, gewarnt. Nach seiner Lobeshymne auf Ronald Reagan, den angeblichen Sieger des Kalten Krieges, erklärte Buchanan: „There is a religious war going on in our country for the soul of America. It is a cultural war, as critical to the kind of nation we will one day be as was the Cold War itself.“ (S. xxix) Zu jenem Zeitpunkt war Buchanan selbst seit drei Jahrzehnten in der US-Politik Teil des Kampfes, hatte bereits mit Richard Nixon versucht, aus einer angeblichen „Silent Majority“ eine dauerhafte Mehrheit an Wählerschaft für das rechte Lager zu generieren. Im selben Zuge, in dem Buchanan die Kulturkämpfe 1992 ausgerufen hatte, fachte er sie auch gleich mit an. Chapman betrachtet die entsprechenden Passagen am Ende der Parteitagsrede genauer. Den Hintergrund der Allegorie, die Buchanan in die Großstädte der USA projizierte, stellten Riots in Los Angeles dar, die im April 1992 nach einem Freispruch dreier Polizisten, die einen Afro-Amerikaner misshandelt hatten, ausgebrochen waren. Die Protagonisten in Buchanans Heldenerzählung waren zwei Nationalgardisten, die er als „19-year-old boys“ bezeichnete. Im Zuge der Kämpfe um Los Angeles waren die beiden „eine dunkle Straße hinaufgegangen“ und hatten am Ende „einen Mob davon abgehalten ein Seniorenheim anzugreifen“. Nach einem Bibelzitat schloss der Republikaner: „And as they took back the streets of LA, block by block, so we must take back our cities, and take back our culture, and take back our country.“

Da es anscheinend unschwer zu erkennen ist, welches Amerika sich in Buchanans Vorstellung hier Städte, Kultur und Land „zurückerobern“ sollte, hält sich Herausgeber Chapman zum Abschluss seiner Einleitung gar nicht weiter mit einer Interpretation der zitierten Redefragmente auf. Jedoch hätte man sich gerade an dieser Stelle eine analytische Weiterführung gewünscht. Denn – und das scheint der einzige Schwachpunkt des Nachschlagewerkes zu sein – gerade eine Enzyklopädie zu den „culture wars“ im Kontext der US-Gesellschaft der 1990er-Jahre müsste stärker mit dem Konzept der Intersektionalität arbeiten.3 Machtachsen, wie race, class, gender, aber auch sexuality, ability, age tauchen zwar in den jeweiligen Artikeln auf, sind aber selten in ihrer immanenten Verzahnung dargestellt. Religion und religiöse Einflüsse auf soziokulturelle Strukturen sind dagegen in den entsprechenden Artikeln sehr genau konturiert. Anstatt eines Schwerpunktes auf die Verwobenheit von Identitäten im Blick auf gesellschaftliche Ordnung, platziert Chapman am Ende seiner Einleitung ein Argument für die Wahrnehmung politischer Differenzen auf der großen Geschichtsschiene. Im Anschluss an den Vorwurf an Hunter, dass dessen Diagnose der Bildung von Kulturkampffronten zwischen bibeltreuer Tradition und säkularer Moderne in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Grunde ahistorisch sei, führt Chapman schließlich eine Galerie solcher Differenzen an. Bereits George Washingtons Kabinett sei ein Vorläufer, die Zeit der 1830er-Jahre markiert Chapman als Kulturkampf zwischen „Jacksonians“ und evangelikalen Revivalisten, den Abolitionismus sowie andere Auseinandersetzungen führt der Herausgeber als Beleg für das häufige und vielfältige Auftreten von „Kulturkämpfen“ in der US-Geschichte an (S. xxxi).

Solch durchdringend historische Tiefenbohrungen unternehmen nicht alle, aber einige der Artikel des Nachschlagewerkes. Je nach Thema zumeist angemessen umfassen die einzelnen Texte zwischen einer halben und fünf Seiten (zwischen 3.000 bis etwa 30.000 Zeichen). Einträge finden sich zu so unterschiedlichen Themen wie „The Nation“, dem ältesten Wochenmagazin der USA, auf einer halben Seite (S. 381), der „Bush Family“, der ein Vier-Seiten-Artikel gewidmet ist (S. 60ff) oder zweieinhalb Seiten zu „White Supremacists“ (S. 614-616), deren Wirken implizit in Buchanans Vorstellung, das Land zurück zu erkämpfen, Nachhall gefunden haben dürfte. Dabei verharren, wie auch an diesen kursorisch herausgegriffenen Beispielen deutlich wird, die verschiedenen Beiträge nicht in dem fraglichen Jahrzehnt der 1990er-Jahre, sondern historisieren konsequent. Mit den CULTURE WARS hat Chapman einen Ansatz gewählt, um Geschichte konsequent aus der Gegenwart zu verstehen. Das ist gut und inspirierend. Arbeitet man mit den beiden Bänden, scheint der Begriff, der in der goldenen Überschrift absurd entrückt wirkt, plötzlich seine Tentakel in jeden Winkel der soziokulturellen Ordnung zu recken. Aus fachlicher Sicht kann das Druckwerk gute Dienste erweisen. Die Enzyklopädie eröffnet Interessierten wie Geschichtsschreibenden einen kulturwissenschaftlich validen Zugang zur Zeitgeschichte der USA.

Anmerkungen:
1 Vgl. <http://en.wikipedia.org/wiki/List_of_online_encyclopedias> (26.03.2012); und kritisch zu der Entwicklung von Wikipedia im Hinblick auf die Geschichtswissenschaft: Maren Lorenz, WIKIPEDIA. Zum Verhältnis von Struktur und Wirkungsmacht eines heimlichen Leitmediums, in: WerkstattGeschichte, 43/2006, S. 84-95; und zur Diskussion im breiteren Zusammenhang: Tagungsbericht .hist2011 – Geschichte im digitalen Wandel. 14.09.2011-15.09.2011, Berlin, in: H-Soz-u-Kult, 13.10.2011, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=3854> (26.03.2012).
2 James D. Hunter, Culture Wars. The Struggle to Define America, New York 1991.
3 Eine Ausnahme wäre beispielsweise der kurze Beitrag zu bell hooks, der natürlich die/ihre Beschäftigung mit der Verschränkung von Machtachsen nachzeichnet (S. 261). Dass überhaupt so viele Theoretiker/innen als Teil des kulturellen Textes auftreten, ist positiv hervorzuheben. Der Begriff Intersektionalität wurde von der Juristin Kimberlé Crenshaw 1989 für den beschriebenen Zusammenhang geprägt und steht gewissermaßen inhaltlich wie formal am Beginn der Dekade der „culture wars“. Vgl. zu den Problemen einer historiografischen Operationalisierung des Begriffes: Olaf Stieglitz: Rezension zu: Winker, Gabriele; Degele, Nina: Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten. Bielefeld 2009, in: H-Soz-u-Kult, 30.10.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-4-097> (26.03.2012).

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