G. Stöger: Wiener und Salzburger Gebrauchtwarenhandel im 17. und 18. Jh.

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Titel
Sekundäre Märkte?. Zum Wiener und Salzburger Gebrauchtwarenhandel im 17. und 18. Jahrhundert


Autor(en)
Stöger, Georg
Erschienen
München 2011: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
298 S.
Preis
€ 39,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michaela Fenske, Institut für Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie, Georg-August-Universität Göttingen

Die sekundäre Nutzung von Materialien und Gegenständen sowie der Handel mit Gebrauchtwaren sind Bestandteil vieler Ökonomien. In den durch Massenkonsum geformten westlichen „Wegwerfgesellschaften“ der Spätmoderne ist dies als Möglichkeit nachhaltigen Wirtschaftens erst allmählich wieder ins öffentliche Bewusstsein geraten. In Ökonomien nicht- oder teilindustrialisierter Agrargesellschaften ist und war diese Form des Wirtschaftens dagegen selbstverständlich. Darauf hingewiesen und dies anhand konkreter Beispiele veranschaulicht zu haben, gehört zu den großen Verdiensten der nun vorliegenden Studie von Georg Stöger. Der österreichische Wirtschafts- und Sozialhistoriker hat in seiner 2011 erschienenen Dissertation den Gebrauchtwarenhandel als wesentlichen wirtschaftlichen Faktor innerhalb der vormodernen Recycling-Kultur Mitteleuropas untersucht. Er konzentriert sich dabei auf die Fallbeispiele der Städte Wien und Salzburg. Die Arbeit mit städtischen Fallbeispielen ist der Quellenüberlieferung geschuldet: Sekundäre Märkte funktionieren zum erheblichen Teil aufgrund informeller Praktiken inoffiziell tätiger Akteure, deren Wirken in den historischen Zeugnissen lückenhaft und wenn überhaupt, dann allenfalls für städtische Kontexte dokumentiert ist.

Nicht zuletzt diese Überlieferungssituation dürfte der Grund dafür sein, dass dieser Bereich vormoderner und moderner Ökonomien auch international bislang kaum erforscht worden ist. Bislang liegen auf diesem Feld nur wenige Pionierstudien vor. Stöger unternimmt nun die angesichts der disparaten Quellenlage mühselige und aus Sicht der Forschung äußerst dankenswerte Aufgabe, den Handel mit Gebrauchtem in seinen vielfältigen Dimensionen für den Zeitraum vom 17. bis ins frühe 19. Jahrhundert hinein zu untersuchen. Mit großer Sorgfalt rekonstruiert er aufgrund einer Vielzahl verschiedener Quellen die Produkte, die Marktorte und -formen sowie die Handelsbedingungen der städtischen Gebrauchtwarenmärkte. Stöger gelingt es, wesentliche Grundlagen für das Verständnis der Ökonomie vormoderner Gesellschaften zu erarbeiten. Zugleich gibt er Einblicke in den Alltag der vormodernen Agrargesellschaft Mitteleuropas und in das Leben vor allem ihrer weniger privilegierten Mitglieder.

Die Arbeit gliedert sich in zwölf inhaltliche Kapitel, die durch Einleitung, Zusammenfassung und Anhang gerahmt werden. Kapitel für Kapitel fächert Stöger Formen und Bedingungen des Gebrauchtwarenhandels auf. Zunächst geht es um eine Begriffsklärung (Kapitel 2); Stöger führt in die zeitgenössischen Bezeichnungen wie Trödel, Tandler oder Tandelmarkt und die gebräuchlichen Synonyme ein. Das folgende Kapitel handelt von der breiten Produktpalette der Gebrauchtwarenmärkte, die von Metallen über Bücher und Kupferstiche bis hin zu Wachs recht verschiedene Dinge beinhalteten. Am bedeutsamsten war der Handel mit Altkleidern, der die verschiedenen Garderoben der Zeit umfasste. Stöger weist Produkte in „allen Preis- und Qualitätsstufen“ (S. 28) nach. Dabei waren einige Händler auf bestimmte Produkte spezialisiert, andere hielten eine breite Vielfalt an Waren feil. Typisch für sekundäre Märkte war das Neben- und Ineinander von Gebraucht- und Neuwarenverkauf sowie von Verkauf, Reparieren und Neukonfigurieren bzw. -verwerten der Waren. Üblich war ferner die Kombination von Verkauf und Verleih, wobei letzterer weniger bemittelten Menschen Teilhabe an diversen sozialen Anlässen ermöglichte.

Woher die Händler ihre Waren jeweils bezogen, behandelt Stöger im vierten Kapitel. Der Erwerb reichte vom Aufkauf bei Hinterlassenschaften und Konkursen über Versteigerungen und Auktionen bis hin zum Ankauf gestohlener Waren. Ebenso vielfältig wie die Produkte und ihre Herkunft waren auch die Verkaufsformen und -orte (Kapitel 5), ambulanter Handel war ebenso gebräuchlich wie der Handel in Läden und Ständen, das Auslegen der Waren in Gassen oder der Verkauf in Wohnungen. Die für den Gebrauchtwarenhandel eigens vorgesehenen Marktplätze nahmen entweder stetig oder temporär Raum in der Stadt. Wie sie sich im Stadtraum verteilten bzw. wo sich welche Händler/innen und Kund/innen begegneten, das folgte jeweils der Logik der sozialen Topographie der Stadt.

Die Obrigkeit verfolgte dieses Markttreiben wie überhaupt jeglichen Handel mit großem Interesse (Kapitel 6). Sie war unter anderem wichtiger Ansprechpartner im Falle von Konflikten, die die Streitparteien nicht selbständig lösen konnten. Die in diesem Zusammenhang von Stöger auf Seiten der Händler beschriebenen Konflikte wie auch die Praktiken des Erhalts und der Weitergabe dieser Erwerbsmöglichkeit entsprechen weitgehend den auch für andere Kontexte städtischen Handels bekannten Gegebenheiten. Sie waren geprägt durch die Grundbedingung des Wirtschaftens unter großer Konkurrenz um die knappen Einkommensmöglichkeiten. Fortwährend wurde zwischen den wirtschaftlich Tätigen verhandelt, wer gebilligt, formal bestätigt und damit als legale Konkurrenz auf den Märkten zugelassen war und wer als unliebsame Konkurrenz ausgeschlossen und in den informellen Sektor abgedrängt wurde (Kapitel 7). Stöger vermag hier sehr gut zu zeigen, wie dieser informelle Sektor unter widrigen Bedingungen und stetem Verdacht der formal Privilegierten und der Obrigkeit funktionierte. Zugleich wird deutlich, wie die Handelstätigkeit von Unterschichtsangehörigen wie Soldaten, Witwen oder Dienstboten letztlich aus Gründen der „kalkulierte[n] Wohltätigkeit“ (S. 130) geduldet wurde. Vor diesem Hintergrund leuchtet ein, wenn Stöger Konflikte als Konstante des Handels bezeichnet (Kapitel 8).

Die geschäftlichen Transaktionen (Kapitel 9) nahmen die für die Zeit übliche Formenvielfalt an, umfassten monetäre Formen, Tausch oder Kredit. Sonderformen in diesem Segment waren kommissionelle Verkaufsabsprachen. Diebstahl und Hehlerei waren hier wie in anderen Handelsformen üblich, prägten jedoch aufgrund des großen informellen Sektors das Bild des Gebrauchtwarenhandels in besonderem Maße. Die freie Preisbildung eröffnete hier wie auf anderen Märkten einen breiten Raum für verschiedene Praktiken des Bargainings. Eine quantifizierende Erfassung der sekundären Märkte und ihrer Bedeutung (Kapitel 10) wird durch deren besondere Gegebenheiten erschwert. Ihr Anteil am allgemeinen Handel wird von Stöger als sehr bedeutsam, jedoch im Vergleich zu anderen Segmenten in ihren greifbaren formalen Ausprägungen als untergeordnet eingeschätzt. Er erweist sich zudem als besonders anfällig für Krisen und Konjunkturen.

Die Kapitel Händler/innen (11) und Kund/innen (12) führen zuvor Gesagtes zusammen und ergänzen es. Demnach waren es nicht nur, aber vor allem Angehörige der unteren Schichten, die im Handel mit gebrauchten Gütern tätig wurden. Auch für Juden, Angehörige der Sinti und Roma sowie Menschen mit Migrationshintergrund war der Gebrauchtwarenhandel häufig die einzige (halb-)legale Möglichkeit des saisonalen oder dauerhaften Erwerbs. Vielfach arbeitete man alleine oder in Form von Familienwirtschaft; auch die Beschäftigung von Helfer/innen ist nachweisbar. Für Frauen war der Gebrauchtwarenhandel eine essentielle Möglichkeit selbständiger ökonomischer Tätigkeit. Den für andere wirtschaftliche Sektoren vielfach beschriebenen Verdrängungsprozess von Frauen im Verlauf des 18. Jahrhunderts kann Stöger auch für sein Feld aufzeigen. Ausgeprägte Milieubeziehungen prägten den Handel, korporative Zusammenschlüsse und enge Kooperationen ermöglichten teilweise erst eine (erfolgreiche) Wirtschaftstätigkeit der einzelnen Händler/innen. Mitglieder unterer Schichten waren auch als Kund/innen im besonderen Maße auf den Gebrauchtwarenmarkt angewiesen. Doch auch besser Situierte statteten sich hier mit Konsumgütern aus. Insofern war letztlich die gesamte Bevölkerung mehr oder weniger in den ökonomischen Austausch der sekundär verwerteten Produkte einbezogen.

Im abschließenden Kapitel über Selbst- und Fremdwahrnehmung beschreibt Stöger die Versuche mancher Händler, sich nach unten hin abzugrenzen. Dies ist angesichts der insgesamt ambivalenten Haltung der Zeitgenossen gegenüber den auf sekundären Märkten Tätigen zu verstehen. Man neigte dazu, die teils ärmlichen, informellen und illegalen Seiten des Gebrauchtwarenhandels zu überzeichnen. Vergleichbar wurden in dieser Zeit auch über Jahrmärkte oder Gasthäuser Geschichten der dort angeblich anzutreffenden Unordnung und Unsittlichkeit erzählt. Doch bot der Gebrauchtwarenhandel offenbar ein besonders dankbares Sujet für Geschichten, in denen es eher um die Verhandlung gesellschaftlicher Werte und Normen ging denn um die Abbildung konkreter Gefahren.

Stöger gelingt eine fakten- und detailreiche Schilderung des komplexen Gebrauchtwarenhandels. Seine Studie zeigt: Sekundär im Sinne von nachgeordnet waren diese Märkte nicht. Vielmehr muss ihre Bedeutung für die Mehrheit der Bevölkerung in der europäischen Vormoderne als groß veranschlagt werden. Wer die Orte und Praktiken des Erwerbs und des Konsums mitteleuropäischer Unterschichtsangehöriger dieser Zeit verstehen möchte, findet in Stögers Studie wesentliche Anregungen. Die Arbeit ist immer wieder auch inspiriert durch kulturhistorische und geschlechtergeschichtliche Perspektiven und gehört insgesamt zu den besonders gelungen sozial- und wirtschaftshistorischen Studien der letzten Jahre.

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