Cover
Titel
Lodovico Pontano (ca. 1409–1439). Eine Juristenkarriere an Universität, Fürstenhof, Kurie und Konzil


Autor(en)
Woelki, Thomas
Reihe
Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 38
Erschienen
Anzahl Seiten
XI, 936 S.
Preis
€ 232,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kerstin Hitzbleck, Historisches Institut, Universität Bern

Soll man sich nicht glücklich schätzen, dass jener Lodovico Pontano, dem der Berliner Historiker Thomas Woelki seine Dissertation widmet, zu den Frühvollendeten gezählt werden muss? Bereits in seinem nur etwa dreißig Jahre währenden Leben hat der italienische Legist, Diplomat und Kleriker eine derartige Fülle an Lebensspuren und -zeugnissen hinterlassen, dass sein Biograf 521 reich mit Fußnoten garnierte Seiten auf seine Vita verwenden kann, denen weitere 262 Seiten mit einer Edition von zehn ausgewählten Traktaten und Reden Lodovico Pontanos folgen. Und doch hätte man am Ende gerne gewusst, wie dieses Leben weitergegangen wäre, wenn sein Held für einen zweiten Teil zur Verfügung gestanden hätte.

Und es ist ein geradezu europäisches, zwischen Italien, Aragón und Deutschland aufgespanntes Leben, das Woelki uns hier mit immenser Gelehrsamkeit, bewundernswerter Quellenkenntnis und erkennbarer Freude am lebenssatten Detail präsentiert: Lodovico Pontano, von der historischen Forschung wie viele renommierte Juristen des Spätmittelalters bislang sträflich vernachlässigt, hat die verschiedensten Länder, das akademische Feld der Lehre wie das diplomatische Parkett seiner Zeit betreten, bis die Pest den Konzilsteilnehmer im Jahre 1439 in der Kleinbasler Kartause dahinraffte. Zugleich präsentiert sich hier ein Leben, das die Aufstiegsmöglichkeiten über den Faktor Gelehrsamkeit im Spätmittelalter sichtbar macht, die typische Erwartungshaltung an eine spätmittelalterliche gelehrte Karriere zwischen Freundschaft, Patronage und Netzwerkbildung aber nicht ohne weiteres erfüllen will. In Woelki hat dieses Leben einen Chronisten gefunden, dessen Perspektive sich nie auf das rein Singuläre, die Freude am Anekdotischen beschränkt, sondern stets die Frage nach der mittelalterlichen Lebenswelt, dem Überpersönlich-typischen im Blick behält. Und dies gelingt ihm mit Bravour: Sein Werk, das an der Chronologie orientiert den einzelnen Lebensstationen ihres Helden folgt, verortet sich immer wieder auch im Kontext aktueller Forschungsthemen, etwa der Rolle der Gelehrten und Universitäten und der thematischen und politischen Entwicklung des Basler Konzils und des Konziliarismus. Zugleich, und dies ist ein Glanzpunkt dieser Arbeit, lässt der Autor sich tatsächlich auf die Schriften des Lodovico Pontano ein und schreckt auch vor den vermeintlich trockenen Auswüchsen spätmittelalterlicher juristischer Literatur nicht zurück. Mit nicht unerheblichem Erfolg gelingt es ihm, selbst aus diesen gern geschmähten Produkten scholastischer Wortklauberei und vermeintlichen juristischen Epigonentums Hinweise auf die Lebenswelt seines Protagonisten zu erschließen. Eine besondere Rolle spielen dabei die consilia, Gutachten, in denen der Rechtsgelehrte sich zu aktuellen juristischen Problemen seiner Auftraggeber äußert. Eine von Woelki erstmalig systematisch genutzte Quelle sind ferner die sogenannten singularia, kleine Notizen zu einzelnen Rechtsproblemen, die sich gleichsam als Hintertürchen für lebensweltliche und persönliche Reminiszenzen, bisweilen sogar ironische Bemerkungen erweisen.

Woelki beginnt seine Arbeit erfrischend unkonventionell mit einem entschieden narrativen Kapitel, eigentlich eher einem Prolog, der den Leser in die Welt der umbrischen Gelehrtenfamilie der Pontano entführt, bevor er sich dann erst im zweiten Kapitel den Prämissen, Methoden und Quellen seines Forschungsvorhabens zuwendet. Es folgen elf chronologisch orientierte Kapitel, die von einer Zusammenfassung abgeschlossen werden. Teil B der Arbeit bringt dann die bereits angesprochene, äußerst sorgfältige Edition, die von einem doppelten Apparat mit Textvarianten und Erläuterungen begleitet wird. Teil C versorgt den Leser mit einem ausführlich bibliografierten Verzeichnis der zahlreichen Werke Pontanos, einem Quellen- und Literaturverzeichnis sowie einem auch angesichts des schieren Umfangs des Oeuvres äußerst willkommenen Register der Personen, Orte sowie der zitierten Stellen.

Die ersten Kapitel sind der Ausbildung sowie dem Wirken Pontanos als Jurist in Florenz, als auditor causarum am päpstlichen Hof, an der Kurienuniversität in Rom und in Siena gewidmet, wo Pontano innerhalb weniger Jahre nicht nur höchste akademische Weihen erringen und sich für eine außerakademische Karriere empfehlen konnte. Mit viel Freude am Detail schildert Woelki neben dem beruflichen Tagesgeschäft eines Juristen auch sonst seltener berücksichtigte Aspekte, wie etwa die Bleibeverhandlungen – bisweilen eher Erpressungsversuche – eines gefragten Universitätslehrers im 15. Jahrhundert. Und hier zeigt sich ein großes Verdienst seines Werkes: Pontano erscheint nicht als großer, doch lebensferner Geist, womöglich als Idealist im Kampf um Recht, Gerechtigkeit und Demokratie in der Kirche, sondern als Mensch, der mit allen Mitteln die beste Lösung für sich sucht, hinsichtlich der Finanzen, des akademischen Ansehens, der Vorteile für seine Familie wie seine familia. Persönliche Integrität oder wahrheitsverliebte Selbstlosigkeit, dies wird auch im Folgenden immer wieder deutlich, standen jedoch ohne jeden Zweifel nicht im Fokus seines Interesses. Immer wieder sollte Pontano es sich mit seinen Auftraggebern, darunter selbst dem Papst persönlich, verderben, da er den kurzfristigen Vorteil der längerfristigen Bindung vorzog. Und immer wieder haben die Mächtigen, überzeugt von der intellektuellen Brillanz des Juristen, die Augen vor Wankelmut und Opportunismus verschlossen und sich weiterhin um ihn bemüht – und gezahlt. Aufstieg und Karriere waren offenbar nicht nur eine Frage von Freundschaft und Patronage, von gesellschaftlichem Wohlverhalten und geschmeidiger Anpassung, sondern basierten im Mittelalter wie zu allen Zeiten auch auf konkurrierenden Interessen, persönlicher Skrupellosigkeit und fachlichem Können. Vermutlich hatte Pontano Glück, dass selbst ein Enea Silvio Piccolomini, unangefochtener Meister des literarischen Dolchstoßes, sich nur positiv über ihn äußern mochte.

Der größere Teil der Arbeit beschäftigt sich dann mit den letzten drei Lebensjahren Pontanos, nachdem er als Gesandter König Alfons V. von Aragón am Konzil von Basel weilte und zuletzt selbst als Konzilsgesandter wirkte. Der neue Aktionsraum des Akademikers als Diplomat auf der Bühne des Konzils erschloss auch dem Œuvre neue Wirkungsräume und neue Herausforderungen, ja neue Medien: Wir sehen Pontano nun als Redner. Woelki nutzt diese Reden dabei nicht nur als Informations- und Ideologiespender etwa zur Haltung Pontanos zum Konziliarismus, sondern versteht und analysiert sie – hier deutlich beeinflusst von seinem akademischen Lehrer Johannes Helmrath – als oratorische Rede-Akte mit ihrer eigenen Persuasivität und Performativität, eigenen Regeln und Notwendigkeiten: Der Professor wird Orator, an die Stelle der Vorlesung tritt die Ansprache vor einem diplomatischen Publikum. Nicht uninteressant, dass Pontano genau an diesem Schritt – wie übrigens auch sein gelehrter Kollege und Rivale in Basel, Panormitanus, – zunächst scheitern sollte: Zu lang, zu langweilig, zu verkopft schien dem Publikum die Rede des Gesandten, der freilich bald seine Redeweise und Argumentation den Erfordernissen und Gewohnheiten des diplomatischen Parketts anzupassen wusste und sich um mehr Plastizität bemühte. So kann Woelki an den Reden Pontanos die Interdependenz zwischen Redner und Publikum auch anhand der überlieferten Reden selbst nachweisen: Der zu Beginn in gewohnter juristischer Manier argumentierende Professor passt sein Zitatreservoir der Rezeptionserwartung und -gewohnheit seines mehrheitlich theologisch gebildeten Publikums an und verzichtet auf die berüchtigten Allegationsketten des Rechtsgelehrten. Die oft beschworene Wandlung des Konzils von einem juristischen zu einem zunehmend theologischen Forum wird hier am Text nach- und beweisbar.

Es sind diese kontextualisierenden Aspekte, die das Werk von Woelki über das Genre der bloß fakten- und quellensatten Biografik hinausheben. Mit erkennbarer Sympathie folgt Woelki den Schritten seines Helden und macht ihn als Menschen auch in seinem Widerspruch plastisch. Gegen die gern bemühten, gar zu harmonistischen Modelle von Freundschaft und Seilschaft im Mittelalter wird hier bei aller Beschränkung der Quellenlage, die etwa persönliche Briefe vermissen lässt, ein historisches Individuum erkennbar, das in seinem Streben nach persönlichem Vorteil wie in seiner spürbaren intellektuellen Arroganz so fremd nicht scheinen will.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch