Cover
Titel
Abul Abaz. Zur Biographie eines Elefanten


Autor(en)
Hack, Achim Thomas
Reihe
Jenaer mediävistische Vorträge 1
Anzahl Seiten
101 S.
Preis
€ 19,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabine Obermaier, Deutsches Institut, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Liebhaber historischer Elefanten können sich freuen – endlich ein Buch über Abul Abaz, den Elefanten Karls des Großen, welches das Rüsseltier nicht nur als werbewirksamen Blickfang im Titel führt, sondern ihm ausschließlich gewidmet ist. In einem ersten Teil (S. 11–45) werden Daten und Fakten aus zeitgenössischen Quellen versuchsweise zu einer „Biographie“ des Elefanten zusammengeführt, im zweiten Teil (S. 47–87) finden sich „Einzelstudien“ zum Thema nebst einem kleinen Abbildungsteil.

Achim Thomas Hack, Professor für mittelalterliche Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, begründet mit diesem Band eine neue Reihe, die „Jenaer Vorträge aus dem Bereich der interdisziplinären Mittelalterforschung einem größeren Publikum zugänglich machen will“ (S. 7) mit dem Anspruch, „neue Themenfelder aufzuzeigen, innovative Ansätze vorzustellen und pointierte Thesen zu formulieren“ (S. 7). Dieses Ziel erfüllt das Büchlein in zweierlei Hinsicht: Zum einen hat Hack die unter Gelehrten nicht selbstverständliche Gabe, wissenschaftliche Inhalte in einer klaren und gänzlich unprätentiösen Sprache allgemein verständlich zu vermitteln, ohne dabei auf wissenschaftliche Standards zu verzichten. Zum anderen ist die Anwendung der historischen Methode ‚Biographie‘ auf ein Tier eine originelle und innovative Idee, die aber – dessen ist sich Hack bewusst – einer Rechtfertigung bedarf. Begründet wird das Interesse an Abul Abaz damit, dass Karls Elefant zu den ungewöhnlichen Fällen gehört, bei denen „die (sonst meist knappen) schriftlichen Quellen von einem individuellen Tier Notiz nehmen“ (S. 9), auch wenn er dabei „nicht selbst als Akteur, sondern nur als Objekt von Handlungen anderer“ (S. 12) auftritt, was für an schmale Materialbasis gewöhnte Mediävisten kein Problem ist: „In dieser Hinsicht (der historischen Erkennbarkeit) unterscheiden sich – so die These – Abul Abaz und Karl der Große zumindest nicht in grundsätzlicher Weise.“ (S. 42) An Tier wie Mensch interessiert nicht „das Individuelle ihrer Persönlichkeit“ (S. 43), es geht vielmehr um „singuläre [besser: repräsentative] Einblicke in die Geschichte der Zeit“ (S. 44). Das Buch ordnet sich damit ein in den von Wolfram Pyta für die Geschichtswissenschaften konstatierten „biographischen Boom“1, der die nicht erst seit Pierre Bourdieu in Misskredit geratene politische Biographie2 zu rehabilitieren sucht.

Wirklich Neues erfährt man über Abul Abaz nicht, dazu hätte es neuer Quellenfunde bedurft. Dafür werden die vorhandenen Quellen wenn auch nicht in ganz neuem, so doch in schärferem Licht gesehen. Sie werden dabei ganz im Sinne Wilhelm Diltheys ausgewertet, der die „Aufgabe des Biographen“ darin sah, „den Wirkungszusammenhang zu verstehen, in welchem ein Individuum von seinem Milieu bestimmt wird und auf dieses reagiert“.3 Der aus Dokumenten und Rückschlüssen (re-)konstruierte Lebensweg des Elefanten (von seiner „Herkunft“ und seiner mutmaßlichen ersten Reise von Indien nach Bagdad über seine zweite Reise von Bagdad nach Aachen und seinem „Leben im Frankenreich“ bis zu seinem Tod) ist für Historiker ein Gegenstand, in dem sich Politik-, Wirtschafts-, Wissenschafts-, Militär- und Medizingeschichte des frühen Mittelalters kreuzen: Bereits der frühe Lebensweg ist „nicht untypisch für den Austausch von Luxusgütern“ (S. 21), die Wahl der zweiten Reiseroute erweist sich als „wichtiger Indikator der damals vorherrschenden politischen Situation“ (S. 23), die Transportumstände verweisen auf karolingisch-italienische Beziehungen (S. 26). Als „diplomatisches Geschenk“ des Kalifen Harun al-Raschid hat Abul Abaz politische wie ökonomische „Zeichen-Funktion“ für Schenker wie Beschenkten (S. 29). Für Karl ist er ein „Mittel der Herrschaftspräsentation“ (S. 34) und möglicherweise sogar ein „Mittel der psychologischen Kriegsführung“ (S. 37). Der irische Gelehrte Dicuil revidiert nach persönlicher Anschauung des Tiers die damals weit verbreitete These der fehlenden Kniegelenke (S. 35). Der plötzliche Tod in Lippeham kann durch eine in anderen Quellen belegte Rinderseuche erklärt werden (S. 39f.).

Sehr sorgfältig ist – was die Philologin freut – der textsortensensible Umgang mit den (zumindest in den Anmerkungen im lateinischen Wortlaut zitierten) Quellen. Nicht immer aber überzeugt die Argumentation: Ist das argumentum e silentio, dass Abul Abaz nicht in Bagdad geboren sein kann, weil in der Geschichtsschreibung des Kalifats keine Elefantenkalb-Geburt erwähnt wird (S. 20), wirklich zwingend? Ist es nicht zirkulär, die Route für die erste Reise (die rein spekulativ bleibt) aus der üblichen Route für Luxusgüter abzuleiten, den Reiseweg dann aber als typisch für den Austausch von Luxusgütern zu bewerten (S. 21)? Warum gilt das Argument, mit dem Hack den Einsatz von Repräsentationsobjekten zu Kriegszwecken für den Orient ablehnt (S. 21), nicht gleichermaßen für das Frankenreich? Nicht immer gelingt es dem Autor deutlich zu machen, warum seine Rückschlüsse plausibler sind als die anderer Gelehrter, die er verwirft. Vieles bleibt Spekulation. Ausgeblendet bleibt leider auch der wahrscheinlich lohnende Vergleich mit Berichten über andere Elefanten-Geschenke im Mittelalter.

Das Thema „Biographie eines Elefanten“ lässt eine theoretische Auseinandersetzung mit der Biographie als Methode erwarten, was jedoch nur in Ansätzen geschieht. Hier fehlt es an einer einlässlichen Auseinandersetzung mit mittelalterlichen Konzepten zu Person und Individuum. Auch vermisst man eine tiefergehende Reflexion über Chancen und Grenzen einer Tier-Biographie. Mag sein, dass der Verzicht auf Biographie-Theorie der Rücksicht auf ein breites Publikum geschuldet ist; sie könnte aber auch Ausdruck der von Pyta konstatierten „Theorieferne“ historischer Biographien sein.4 Schade, dass hier die Chance, Theorie und Praxis der Biographie aus origineller Perspektive zusammenzuführen, nicht voll genutzt wurde.

Die „Einzelstudien“ im zweiten Teil sind kaum mehr als Skizzen und Ideenfragmente. Warum – so fragt man sich – hat man nicht versucht, sie in die Biographie zu integrieren? Die thematische Nähe hätte dies erlaubt. So hätte sich die (leider nur skizzenhafte, dafür zu den Elchen abschweifende) Nachzeichnung der alten Diskussion um die Frage, ob Elefanten Kniegelenke haben, gut an die Reaktion der Wissenschaft auf Karls Elefanten anschließen lassen. Neben den Zeugnissen der Historiographie hätte die bildliche Repräsentation (die man – gegebenenfalls unter Rückgriff auf weitere Bildzeugnisse – hätte intensiver diskutieren müssen) genauso ihren Platz haben können wie auch die spätere Rezeption der karolingischen Quellen. Auch die Diskussion um die Bedeutung des Namens fände im Biographie-Part Anschlussmöglichkeit, und die gute Frage, warum Harun al-Raschid einen indischen und nicht einen nord-afrikanischen Elefanten verschenkt (was auf die Geschichte des Artenrückgangs führt) gehört in das Umfeld „Herkunft“. Schließlich hätten sich auch die – zeitweise Abul Abaz zugeordneten – Knochenfunde des 18. Jahrhunderts als Abschluss der Biographie geeignet. Leider fehlt dem Band, der zwar durch ein Namen- und Quellenregister sowie ein Abbildungsverzeichnis abgerundet wird, ein Verzeichnis der in den Fußnoten breit rezipierten Forschungsliteratur. Man kann sich des Verdachts nicht erwehren, dass man es bei dieser Buchpublikation mit einem „Schnellschuss“ zu tun hat – schade, denn das Potential zu einer veritablen, wenn auch kleinen Biographie, die ihre eigenen Bedingungen reflektiert, wäre da gewesen.

Mein Fazit: Trotz ihrer Theoriedefizite dürfte die Studie geeignet sein, die wissenschaftliche Diskussion um die Biographie als historische Methode zu inspirieren. Vor allem aber kann ich sie mir als wunderbare Grundlage für eine Unterrichtseinheit vorstellen, die am Beispiel von Abul Abaz in mittelalterliche, insbesondere karolingische Geschichte, aber auch in das Auswerten historischer Quellen und den Umgang mit Rückschlüssen und Argumenten einführt.

Anmerkung:
1 Wolfram Pyta, Biographisches Arbeiten als Methode: Geschichtswissenschaft, in: Christian Klein (Hrsg.), Handbuch Biographie. Methoden, Traditionen, Theorien, Stuttgart 2009, S. 331–338, hier S. 331.
2 Hans-Christof Kraus, Geschichte als Lebensgeschichte, in: Ders. / Thomas Nicklas (Hrsg.), Geschichte der Politik. Alte und neue Wege, München 2007, S. 311–332, hier S. 311f., S. 321–323.
3 Wilhelm Dilthey, Gesammelte Schriften, Bd. 8: Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften, Stuttgart 1992, S. 246–251, hier S. 246.
4 Pyta, Biographisches Arbeiten, S. 332.

Kommentare

Von Hack, Achim10.04.2012

Achim Thomas Hack (Jena) erwidert auf die Rezension Sabine Obermaiers zum Buch A. Th. Hack: Abul Abaz:

Es ist in der Geschichtswissenschaft nicht üblich, auf Rezensionen zu antworten, mögen sie nun treffend sein oder nicht; an diese Regel habe auch ich mich bislang konsequent gehalten. In ihrer Besprechung meines Büchleins über Abul Abaz geht die Mainzer Literaturwissenschaftlerin und Altgermanistin Sabine Obermaier nun aber so weit, diesen Text als "Grundlage für eine Unterrichtseinheit" zu empfehlen, weil man daran unter anderem besonders viel über "den Umgang mit Rückschlüssen und Argumenten" lernen könne. Was sie dabei konkret im Auge hat, verrät sie im vierten Absatz ihrer Rezension, und um die dort vorgebrachten Argumente soll es daher im Folgenden hauptsächlich gehen.

Die Kritik von Frau Obermaier ist in Form von drei Fragen formuliert, die offensichtlich als rein rhetorische Fragen gedacht sind. Darauf Bezug nehmend möchte ich feststellen: Ad 1) Nach allen mir bekannten Quellen wurde im Einflussbereich der abbasidischen Kalifen keine Nachzucht von Elefanten (wie zum Beispiel in modernen Zoos) versucht. Der in Bagdad geborene Historiker und Geograph al-Mas?udi schreibt ausdrücklich, dass sich Elefanten nur in Indien und Schwarzafrika vermehrten (vgl. meine S. 20 Anm. 17). Zugleich wissen wir, dass derartige Tiere als Geschenke indischer Fürsten an den Kalifenhof kamen. Daher halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass auch Abul Abaz in Indien geboren und als Geschenk nach Bagdad gekommen ist. Ad 2) Die Herkunft des Tieres leite ich aus keiner Handelsroute ab, sondern aus dem natürlichen Vorkommen der grauen Dickhäuter in Indien. Daher stellt es auch keinen Zirkelschluss dar, wenn ich feststelle, dass Abul Abaz vermutlich die Route vieler anderer Luxusgüter – nämlich vom indischen Subkontinent nach Persien – genommen habe. Wie diese Route genau ausgesehen hat, lässt sich nicht mehr sagen; ich deute lediglich an, dass es sich dabei (so wie bei vielen anderen Gütern verbürgt) um den Weg zu Wasser gehandelt haben könnte (vgl. S. 21 Anm. 19). Ad 3) Die Verwendung von Elefanten im Reich der Abbasiden zu Kriegszwecken lehne ich nicht aus grundsätzlichen Erwägungen heraus ab, aber ich kenne schlicht und einfach keine Belege dafür. Bei den Sassaniden sind dagegen Kriegselefanten noch unter Kavadh I. (um 500) bezeugt, wie ich S. 29f. Anm. 33 mit Quellenangabe nachweise. Es stellt sich daher die Frage, wann diese militärische Tradition, die zumindest bis auf die Seleukidenzeit zurückgeht, im persischen Raum aufgegeben wurde; sie hatte ich allerdings nicht zu beantworten. – Diese Argumente kann man für plausibel erachten oder nicht (von "zwingend" ist bei mir nirgends die Rede); in sich schlüssig sind sie meines Erachtens durchaus.

Was die Disposition des Stoffes betrifft, zeigt die Rezensentin Alternativen auf, die ich auch erwogen, aber verworfen habe, vor allem um eine bessere Übersichtlichkeit des ersten Teiles (der wohl die meisten Leser interessieren dürfte) zu ermöglichen. Und auch hier gilt der Grundsatz, den Bertolt Brecht dem Macheath in den Mund legt: "Es geht auch anders, doch so geht es auch".1 (Der Exkurs zu den Elchen ist deshalb unentbehrlich, weil er allein die Wendung "de Germania insulisque eius" bei Dicuil zu erklären vermag: Elefanten werden auch von den antiken Autoren im Allgemeinen nicht in Germanien oder Skandinavien angesiedelt, Elche hingegen schon.)

Wieviel Theorie nötig und wieviel möglich ist, soll an dieser Stelle nicht erörtert werden; man würde vermutlich nicht leicht eine konsensfähige Formel finden. Als weiterer Beitrag zur Biographien-Flut war das Bändchen jedenfalls nicht gedacht, sondern vielmehr als ein ernsthaft-ironischer Kommentar dazu. Den Zuhörern des Vortrages – denn um einen solchen handelte es sich ursprünglich ja – war dies durchaus nicht entgangen.

Anmerkung:
1 Bertolt Brecht, Dreigroschenoper, 2. Akt, Zuhälterballade.