J. Nowak: Ein Kardinal im Zeitalter der Renaissance

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Titel
Ein Kardinal im Zeitalter der Renaissance. Die Karriere des Giovanni di Castiglione (ca. 1413–1460)


Autor(en)
Nowak, Jessika
Reihe
Spätmittelalter, Humanismus, Reformation 59
Erschienen
Tübingen 2011: Mohr Siebeck
Anzahl Seiten
XVII, 520 S.
Preis
€ 99,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kerstin Hitzbleck, Historisches Institut, Universität Bern

„Ein Mann von edler Abkunft, doch unedlen Sitten, in der eigenen Selbstüberschätzung unübertroffen als Architekt und Geometer, als Musiker, gar als Koch.“ Es war Enea Silvio Piccolomini, der die Keule humanistischer Zernichtungslust solcherart auf den ihm wohlbekannten Zeitgenossen, den Kardinal und Diplomaten Giovanni di Castiglione, herniedersausen ließ (Zitat S. 5f.). Und es war nicht zuletzt dieses ganz besondere Verdikt vernichtenden Angedenkens, welches die Wahrnehmung Castigliones für lange Zeit prägen sollte. Nun hat sich Jessika Nowak in ihrer Frankfurter Dissertation von 2009 seiner angenommen, um ihm mit einer Studie über seinen erst spät gestoppten Aufstieg in der Kirche aus dem Orkus allgemeiner Missachtung herauszuhelfen. Doch geht es Nowak, dies lässt der Obertitel der Arbeit durchblicken, nicht nur um Castiglione als Person und dessen Biografie: Die Karrierestrategien eines Kirchenfürsten der Renaissance möchte sie an seinem Beispiel aufzeigen, die sich nach Machiavelli, dem Leittheoretiker ihres Opus, substantiell von den Aufstiegsstrategien weltlicher Fürsten unterschieden: Wo der Laienfürst die ihm quasi angeborene politische Stellung gegen Konkurrenten verteidigen und halten muss, steht für den Kirchenfürsten das Problem, überhaupt erst auf die gewünschte Position zu kommen. Ist diese dann erreicht, sei seine Stellung recht sicher, schütze ihn doch die Aura des Amtes vor den Zudringlichkeiten der Konkurrenz (S. 8). Und hinter allem die Frage: Wie wird man Papst in der Renaissance?

Für dieses Erkenntnisinteresse ist Castiglione tatsächlich ein ideales Untersuchungsobjekt. Seine Herkunft aus leicht heruntergekommenem oberitalienischem Adel prädestinierte ihn nicht unbedingt für allerhöchste Kirchenämter, so dass man tatsächlich von einem selbst erarbeiteten Aufstieg, persönlichen Qualifikationen und Karrierestrategien sprechen kann, statt schnöde die Zugkraft eines großen Namens in Rechnung zu stellen. Ganz aus dem luftleeren Raum kommt freilich auch unser Kardinal nicht: Sein berühmterer Verwandter, Kardinal Branda di Castiglione, hat sich zu Lebzeiten nach Kräften für die Förderung seines Neffen eingesetzt und ihm den Weg zu einer kirchlichen Karriere eröffnet. Dass dieser Neffe am Ende durch gar zu selbstgewisse Intriganz die greifbar nahe Tiara verspielte, spricht nicht gegen das Gespür des großen Kardinals.

Nowak beschränkt ihre Darstellung auf den ‚beruflichen‘ Weg Castigliones zum Kardinalat, der ihn aus der Normandie, wo er die Förderung von Branda genoss, über den mailändischen diplomatischen Dienst an die römische Kurie führte. Ihre Informationen schöpft sie vor allem aus den reichlich überlieferten, diplomatischen Berichten und Briefen aus der Tätigkeit Castigliones für den Herzog Francesco Sforza von Mailand sowie an Personen des diplomatischen Stabs, etwa den mit ihm verwandten herzoglichen Sekretär Cicco Simonetta. Dass ein Teil dieser Briefe – noch dazu in verschiedenen, äußerst aufwändigen Systemen – chiffriert vorliegt, vermag die Achtung vor ihrer Leistung nur zu steigern.

Jessika Nowak zeigt uns, wie es um 1450 wirklich gewesen ist. Sie geht der Karriere ihres Helden in zehn Kapiteln von den „Anfängen“ über den „Griff nach dem roten Hut“ bis zu „Niedergang und Ende“ nach, die chronologisch den einzelnen Karriereschritten Castigliones folgen und jeweils durch ihre stupende Quellenkenntnis beeindrucken. So kann der interessierte Leser jede Aussage der Autorin anhand der in den Fußnoten ausführlichst zitierten, gedruckten wie ungedruckten Quellen leicht nachprüfen, die zum Teil noch weitere Informationen und einen lebendigen und unmittelbaren Eindruck der damaligen Korrespondenzsituationen vermitteln. Damit ist die Arbeit auch für weitere Forschungen zur diplomatischen Kommunikation des Spätmittelalters ein Gewinn. Zur sympathischen Anmutung trägt bei, dass jedes Unterkapitel durch ein sprechendes Quellenzitat eingeleitet wird.

Der Weg des Giovanni di Castiglione wird minutiös nachvollzogen und spart auch seine Bemühungen um einträgliche Kirchenpfründen nicht aus, ein zentraler Aspekt im Leben nicht nur eines jeden Renaissancekardinals. Besonderes Augenmerk, und dies gilt es herauszustellen, legt Nowak auf seine Beziehungspflege zu den Personen der zweiten Reihe, die den Aufstieg des Kardinals erst möglich gemacht haben. Dazu zählen etwa der bereits erwähnte Cicco Simonetta und weitere Protagonisten des diplomatischen Dienstes, die auch selbst von den Beziehungen Castigliones zu profitieren hofften. Interessant hingegen ist, dass der Diplomat sich nicht um den Aufbau einer eigenen familia bemüht zu haben scheint: In den päpstlichen Registern taucht er nur selten als Förderer für Pfründenbegehren ihm verbundener Personen auf. Dass Castiglione in dem Moment scheitern musste, in dem er als Anwärter für die Tiara den Kontakt zu diesen Männern vernachlässigte, zeigt exemplarisch die Bedeutung, die der Vernetzung nach unten insbesondere dort zukam, wo nicht die hohe Geburt bereits effiziente Allianzen auf Augenhöhe mit sich brachte.

Eine ebenso große Rolle spielten jedoch virtù und fortuna, Glück und die Fähigkeit, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein und das Richtige zu tun, wobei im Falle von Giovanni di Castiglione laut Nowak offenbar ein besonders einnehmendes Wesen und Geschick im Umgang mit Menschen gewichtigen Anteil an seinem Aufstieg gehabt haben. Freilich sind Glück und Außenwirkung des Kirchenfürsten Momente, die mangels unmittelbarer Zeugnisse nur indirekt erschließbar sind. Doch wird man hier immerhin vermerken dürfen, dass Castiglione dem Bildungsaufsteiger Enea Silvio wegen seines raumfüllenden Egos auf die Nerven gegangen ist, weniger wegen womöglich kompromittierender Lateinkenntnisse, dem Paradeziel humanistischer Kritik.

Es stellt sich jedoch die Frage, inwiefern die von Nowak gewählte Art der Darstellung wirklich dazu angetan ist, Karrierestrategien abzubilden. Zwar bleibt sie ihrem Helden über Jahrzehnte engstens auf den Fersen, vollzieht seine Schritte bis ins Kleinste nach, doch bleibt die Unsicherheit, ob aus den Taten einer Person tatsächlich auf ihre Intentionen geschlossen werden kann, ob das beobachtbare Verhalten mithin Strategie ist, oder doch eher Reaktion und Tagesgeschäft. Es drängt sich der Gedanke auf, dass die erkannten Strategien nicht zuletzt der Forderung Machiavellis geschuldet sind, der angehende Kirchenfürst habe „listig wie ein Fuchs“ (S. 8) zu sein. Unter dieser Erkenntnisprämisse sind die Handlungen Castigliones geradezu zwangsläufig strategisch, listig, taktisch und der Kardinal ein Machiavellist avant la lettre. Doch bleibt er so als historische Persönlichkeit der blinde Fleck im Zentrum dieser Studie. Möglicherweise hätte eine weniger narrative und chronologische Darstellungsweise zugunsten eines stärker systematisierenden Zugriffs weitergeführt und zudem dem bloß Akzidentellen Raum gelassen. Wiederkehrende Handlungsmuster sind in der Fülle der Informationen eher spür- als erkennbar und werden auch in der Zusammenfassung kaum zu Strategien verdichtet und systematisiert. Das Überpersönliche und Typische gerät so leicht aus dem Blick. Inwiefern ist Castiglione repräsentativ? Auch: Ist Intriganz wirklich ein Spezifikum der Renaissance? Nicht zuletzt: Hatte Machiavelli Recht? Kann der Kirchenfürst eine geistliche Herrschaft wirklich ohne virtu und fortuna behaupten, und geht es beim Kardinalat in diesem Sinne tatsächlich um Herrschaft?

Die Autorin weiß um diese Probleme, wenn sie bemerkt, dass sie „trotz der recht dichten Quellenlage […] häufig auf eine implizite Beweisführung und den Vernunftschluss angewiesen“ (S. 19) gewesen sei. Dies findet seine Entsprechung in der Darstellungsweise: Die Erzählhaltung ist nur zu oft der Konjunktiv, die Begriffsbildung erfolgt vornehmlich in Gänsefüßchen. Man hätte der Autorin mehr Mut und mehr Vertrauen in die eigene These gewünscht.

Nowak hat einen quellensatten Solitär geschaffen, den man in seiner kompromisslosen Orientierung ad fontes schätzen muss, dem gleichwohl eine stärkere Verortung und Anbindung innerhalb der vielfältigen Forschungen zur Kurien-, Netzwerk- und Diplomatieforschung nicht zum Nachteil gereicht hätte. Trotzdem ist dem Buch eine zahlreiche Leserschaft zu wünschen, stellt es doch ungeachtet seiner Schwächen eine beeindruckende Leistung dar.

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