Cover
Titel
Museum X. Zur Neuvermessung eines mehrdimensionalen Raumes


Herausgeber
von Bose, Friedrich; Poehls, Kerstin; Schneider, Franka; Schulze, Annett
Reihe
Berliner Blätter 53
Erschienen
Berlin 2011: Panama
Anzahl Seiten
160 S.
Preis
€ 14,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nina Gorgus, Historisches Museum Frankfurt am Main

Ob wir in Tübingen, Berlin oder Paris ins Museum gehen: als Besucher_innen erwarten wir in architektonischer Hinsicht stets das Gleiche: nach dem Eingang ein Foyer, von dem wir aus leicht den Weg zu Dauer- oder Sonderausstellung finden, aber auch zur Garderobe oder zum Café. Der deutsch-englische Sammelband Museum x nimmt sich diese räumlichen Anordnungen des Museums vor. Museum x speist seine Beiträge aus dem interdisziplinären Labor „Theorie und Praxis von Museen und Ausstellungen“ aus dem Umkreis des Berliner Instituts für Europäische Ethnologie. „Wie viele Wege führen durch ein Museum? Und wohin?“ (S. 7). Die doch so einfach klingenden Fragen erweisen sich indessen als komplex – das Anhängsel x verweist ja auch schon auf viele mögliche Wege: „Von den Räumen eines Museums auszugehen, birgt unserer Ansicht nach das Potential, die Arbeit und Logiken der Repräsentation genauer in den Blick zu bekommen, kritisch zu befragen und zu irritieren.“ (S. 11) Auf dem Umschlag ist das Programm und damit auch Inhaltsverzeichnis abgebildet: Foyer, Garten, Depot, Saal, Shop, Labor, Café, Museumsmanagement und Gästebuch. Da gerade der vielstimmige Rundgang einen großen Reiz des Bandes ausmacht, werden alle Räume gestreift.

Alles beginnt im Garten: Annett Schulze untersucht den Freedom Park in Pretoria (Südafrika), in dem die vorkoloniale Zeit verschiedener Gemeinschaften in einer Landschaftsarchitektur musealisiert wird. Schulze beschreibt die Gartenanlage mit Foucault als „gebaute Utopie und heterotroper Ort“ (S. 25), dessen Bedeutungen von Tourguides vermittelt werden müssen, um das gemeinsame materielle wie immaterielle Kulturerbe auf nationaler Ebene überhaupt erst entstehen zu lassen.

Wir begeben uns dann ins Foyer, das bei Museum x in Paris liegt, genauer in der Cité nationale de l’histoire de l’immigration, 2007 im Palast der Kolonien eröffnet, der anlässlich der Kolonialausstellung 1931 erbaut worden war. Andrea Meza Torres macht uns mit Museumsmediatoren bekannt, die im Eingangsbereich die Besucher_innen empfangen. Die Analyse zeigt, wie hier „koloniale Machtbeziehungen fortgesetzt und dabei zugleich für eine neue ‚Ära’ transformiert werden“ (S. 35). Die Mediatoren, vorwiegend Männer mit familiären Wurzeln aus den ehemaligen französischen Kolonien, kommen gezielt in dem Zwischenraum Foyer zum Einsatz. Obwohl die drei vorgestellten Mediatoren eine akademische Ausbildung besitzen, werden ihre „Körper vor allem für Repräsentationszwecke benutzt“ (S. 32). „Die Figur des Mediators“, so Meza Torres, „stabilisiert das Narrativ der Nation als eine ‚koloniale Republik’ und sie reproduziert somit eine koloniale Gesellschaftsordnung“ (S. 30) – in einem Museum, das eigentlich gerade das anders machen wollte.

Die Museumstheoretikerin Sharon Macdonald nimmt uns mit in den Museumsshop. Während es sich in einem Shop um „materialism“ und „thing mobility“ dreht, stehen im Museum „meaning“ und „thing stability“ (S. 38f.) an erster Stelle. Der Museumsshop legt seine Beziehung zum Museum durch die Art der Darbietung und durch die angebotenen Gegenstände offen, vor allem aber dadurch, dass hier die Kaufwilligen, im Gegensatz zum Museum, die Dinge anfassen können und mit nach Hause nehmen können. So ist der Shop nach Macdonald nicht nur Zusatzangebot, sondern „fully part of the complex object-identity work that the museum performs“ (S. 46).

Hinter der Überschrift Museumsmanagement finden zwei Beiträge ihren Platz, die als vermeintliche Randthemen doch ins Zentrum museologischer Überlegungen rücken können. Jennie Morgan nimmt sich alltägliche Reinigungsarbeiten vor, um den Umgang des Personals mit den ihm anvertrauten Arbeiten in Bezug auf die gesamte Institution zu analysieren. Morgan zeigt, wie auch ein „normaler“ Arbeitsplatz hinter den Kulissen Bedeutungen (re-)produzieren kann und das sicherlich nicht nur im Kelvingrove Art Gallery and Museum in Glasgow. Lysette Laffin widmet sich den Personen, die im Museum an vorderster Front stehen und für das Überwachen von Räumen zuständig sind. Laffin lässt Museumsaufsichten der staatlichen Museen Berlins zu Wort kommen. In den Filminterviews, die dem Buch als DVD beigelegt sind, wird ein dichtes Netz von Beziehungen und Zwängen offengelegt.

Patricia Deuser nimmt sich der Treppe an – das architektonische Element ist im Ellis Eiland Immigration Museum in New York verortet. Deuser untersucht, wie der Treppenaufstieg, der zu bestimmten Zeiten in Ellis Eiland als Kategorie der Auslese für die Einreise in die USA zu funktionierte, vielfältig in den „performativen Raum“ des Museums übertragen wird. „Der Treppenaufstieg (bekommt) den Charakter eines Initiationsrituals“ (S. 64) um die „immigrant experience“ (S. 64) zu vermitteln, auch wenn die real zu besichtigende Treppe diese Funktion wohl nur sehr kurz erfüllte. Als „wesentliches Element des Nachspielens des ‚Bürgers werden’“ (S. 65) trägt die Treppe dennoch dazu bei, aus dem Museum einen nationalen Gedenkort werden zu lassen – denn um die anderen, die nicht einreisen durften, geht es hier nicht.

Der Museumssaal wird dreimal durchschritten: Victoria Bishop Kendzia begleitet zumeist junge Besucher_innen in den Holocaust-Turm des Jüdischen Museums Berlin und reflektiert detailliert ihre aus Beobachtungen und Interviews gewonnenen Erkenntnisse. Kerstin Poehls untersucht, wie Migration sich in Museen und Ausstellungen auf der griechischen Insel Lesbos materiell und visuell manifestiert. Nach Poehls sperrt sich Migration der „taxonomischen Ordnung“ im Museum, ist doch Migration für die Gegenwart als zu dringliches Problem in gegenwärtig laufenden Prozessen eingebunden: “Vom ‚Ablagern’ der Dinge, durch die sie erst zu musealen Objekten werden, kann im Kontext von Migration keine Rede sein – alltägliche Lebenswelten, medialer und politischer Alltag und museale Repräsentationsarbeit sind hier in augenfälliger Weise miteinander verschränkt“ (S. 79). Lisa Knüpfer überträgt das Konzept der contact zone von James Clifford auf das Ethnologische Museum Berlin und verfolgt die Handlungs- und Argumentationsstränge, die sich anlässlich der konfliktreichen Übergabe einer nigerianischen Maske zwischen Institution und „nigerianischer community“ zu Tage traten.

Im Museumscafé wird diskutiert. Hier sitzen die erfahrenen Berliner Museumskurator_innen Diana Dressel, Udo Gößwald, Joachim Kallinich, Leonore Scholze-Irrlitz und Elisabeth Tietmeyer in einer Runde zusammen, um aus praktischer Sicht zu von Museum x aufgestellten provozierenden Thesen wie: „Museum ist ein exklusiver Bildungsort“ oder „Inklusion ist Ilusion“(S. 98) zu reagieren. Hier mäandert die Diskussion zuweilen etwas vor sich hin – aber das passt auch zu dem Ort.

Alexandra Bounia nimmt sich anschließend stringent einem Medium an, das bislang vor allem in Bezug auf Besucherforschung berücksichtigt wurde und doch durch seine Wirkungsmacht in den Raum hineinragt. Das Gästebuch bewertet Bounia als Verlängerung des musealen Raums, als „part of the performance of the museum visit“ (S. 117), das ebenso Inklusion wie Exklusion der Besucher_innen miteinschließt.

Im Depot betrachtet Franka Schneider die volkskundliche Sammlung von Adolf Schlabitz. Sie begreift die Sammlung als „räumliche Praxis“ (S. 120), und „entgrenzt das Museumsdepot“ indem sie Geschichte, Praktiken und die „räumlichen Spuren“ (S. 127) verfolgt, die die Sammlung auch außerhalb des musealen Raumes erfahren hat – etwa in Zusammenhang mit folklorisierenden Festivitäten. Aus der öffentlichen Variante des Depots, dem Schaudepot heraus argumentiert Friedrich von Bose. Das geplante Humboldt-Forum in Berlin, das das Schaudepot als eine Inszenierungsform nutzen möchte, dient ihm als Grundlage. „Welche Geschichten sollen im und mit dem Schaudepot erzählt werden, und vor allem von wem?“ (S. 139) Kann ein Schaudepot wirklich museale Ordnungen hinterfragen? Da das kontrovers diskutierte Projekt noch lange nicht umgesetzt ist, bleibt auch die Frage offen, ob es gelingt, den anvisierten Perspektivenwechsel zu vollziehen, um „Kolonialgeschichte und Postkolonialismus fruchtbar zu machen“ (S. 131).

Das fiktive Museum endet schließlich im Laboratorium. Hier entwirft Anthony Shelton mit dem „Multiplex Babel“ sein ideales Museum. Das mythische Babel steht ihm Pate für ein Museum, das alle Bedürfnisse und Ansprüche der Besucher_innen erfüllt, wie auch all seine Schätze in jeglicher Form reflektiert zur Geltung bringen kann. In der Mitte hält die Matrix, ein „encyclopedic computer“ (S. 146), alles zusammen. Nach den vielen einzelnen feinen ethnografisch-museologischen Beobachtungen ist man ziemlich sicher, dass dieses Museum nicht die Lösung sein kann – zudem ja der Turmbau von Babel grandios scheiterte, wenn man an die biblischen Geschichte denkt.

Damit ist der Rundgang leider schon zu Ende. Obwohl es sich zumeist um Ausschnitte breit angelegter Forschungsarbeiten handelt, sind die Beiträge durchweg kompakt und kurzweilig; nichtsdestotrotz werden neuere Forschungsansätze reflektiert und in die Praxis übertragen. Gewissermaßen en passant wird auf diese Weise reichlich Kost dargeboten. Das konsequent durchgezogene Raumprogramm bündelt das internationale Kaleidoskop von Einblicken in Museums- und Ausstellungspraktiken, Forschungsprojekte, universitäre Abschlussarbeiten oder theoretische Reflexionen aufs Trefflichste. All das trägt zum großen Lesegenuss bei. Die Herausgeber_innen von Bose, Poehls, Schneider und Schulze bemerken im Vorwort, dass auch bei einem fiktiven Rundgang immer etwas fehlt. So können wir uns sicherlich auf weitere spannende Bände des Labors „Theorie und Praxis von Museen und Ausstellungen“ freuen.

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