J. Eichenberg: Kämpfen für Frieden und Fürsorge

Titel
Kämpfen für Frieden und Fürsorge. Polnische Veteranen des Ersten Weltkriegs und ihre internationalen Kontakte, 1918-1939


Autor(en)
Eichenberg, Julia
Reihe
Kämpfen für Frieden und Fürsorge Studien zur Internationalen Geschichte, Bd. 27
Erschienen
München 2011: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
259 S.
Preis
€ 39,80
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Natali Stegmann, Institut für Geschichte, Universität Regensburg Email:

Julia Eichenberg befasst sich in ihrer Tübinger Dissertationsschrift mit den polnischen Veteranen des Ersten Weltkriegs und mit deren internationalen Kontakten. Schon eine oberflächliche Kenntnis der polnischen Geschichte provoziert an dieser Stelle die Frage: Wer waren die polnischen Veteranen? Wer zudem genauer wissen möchte, was deren internationale Kontakte so bedeutsam macht, der befindet sich genau im Zentrum der untersuchten Problematik.

Polen war beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs seit fast 120 Jahren geteilt. Im deutschen, österreichischen und im russischen Teilungsgebiet wurden daher polnische Soldaten nach der Maßgabe der allgemeinen Wehrpflicht für die Armeen der Teilungsmächte rekrutiert. Nur einige polnische Regimenter kämpften aufseiten der Alliierten sowie in der Habsburgerarmee. In nicht wenigen Schlachten kämpften Polen gegeneinander. Zugleich mündeten der Krieg zwischen den Teilungsmächten und das Auseinderbrechen der Großreiche in die polnische Unabhängigkeit. Nach der Festlegung der polnischen Westgrenzen auf der Versailler Konferenz kämpften polnische Truppen jedoch noch zwei Jahre um die Ostgrenzen des neuen Staates und konnten letztlich dem wieder gegründeten Staat weit mehr Gebiete einverleiben als zwischenzeitlich gedacht. Der Erste Weltkrieg und der anschließende Grenzkrieg waren vom Zusammenbruch der alten Ordnung, von Chaos, Verwüstungen, Hunger, Epidemien, Pogromen und hoher Sterblichkeit begleitet. Obgleich der Krieg zwischen den Teilungsmächten als Voraussetzung der Wiedererlangung polnischer Eigenstaatlichkeit galt, verband sich aus polnischer Sicht mit dem Ersten Weltkrieg vor allem das Bild eines Bruderkrieges. Nur diejenigen Polen, die schon im Ersten Weltkrieg in polnischen Regimentern gekämpft hatten und diejenigen, die an den Grenzkriegen teilnahmen, galten daher während der Zweiten Republik uneingeschränkt als Kämpfer für das Vaterland.

Die überwiegende Mehrheit der polnischen Soldaten hatte aber bis zuletzt in den Armeen der Teilungsmächte gekämpft und wurde nun unter dem verunglimpfenden Begriff zaborcy mit diesen assoziiert. Zu Veteranen wurden diese Männer – wie Eichenberg überzeugend argumentiert – erst durch die Teilhabe an entsprechenden Organisationen und durch die Gesetzgebung. An diesem Punkt nun bekommen die internationalen Kontakte der Ex-Kombattanten im polnischen Fall eine noch größere Bedeutung als im Falle jener Nationen, deren Soldaten für das gleiche Land in den Krieg gezogen waren, als welches dieses auch nach 1918 auf der Landkarte verzeichnet war. Die Koinzidenz von beginnender Sozialstaatlichkeit und den immensen Opfern des Krieges führte in den europäischen Nationalstaaten zur nahezu gleichzeitigen Ausarbeitung von entsprechenden Gesetzgebungen, von der neben Invaliden auch Kriegswitwen und -waisen erfasst wurden. Die Veteranenverbände, die bald in vielen Ländern zur mitgliederstärksten sozialen Bewegung anwuchsen, erkannten schon früh das immense Potenzial einer länderübergreifenden Vereinigung. So gründeten 1920 zunächst Veteranen der Alliierten die FIDAC (Féderation Interalliée des Anciens Combattants). In diesem Kreis wurde die Idee kreiert, auch Veteranen der einstmals verfeindeten Lager miteinander zu vereinen. Auf diese Weise entstand 1925 die CIAMAC (Conférence Internationale des Associations de Mutilés et Anciens Combattants / Internationale Arbeitsgemeinschaft der Verbände der Kriegsopfer und Kriegsteilnehmer) aufgrund des Engagements insbesondere französischer und deutscher Aktivisten. Während das Gedenken an den gemeinsamen Kampf im Zentrum der FIDAC stand, kümmerte sich die CIAMAC besonders um die sozialen Belange der ehemaligen Soldaten. Daneben wurde die internationale Friedensarbeit zum wichtigsten Anliegen der einst verfeindeten Soldaten. Die CIAMAC arbeitete auf beiden Feldern auch eng mit dem Völkerbund zusammen. Zwar kam es immer wieder zur Zusammenarbeit von FIDAC und CIAMAC, jedoch blieben beide Organisationen autonom nebeneinander bestehen.

Eichenberg kann nun nachweisen, dass polnische Veteranenverbände seit deren Gründung an den genannten internationalen Organisationen partizipierten. Grundlegend war hierbei eine starke Orientierung an den westlichen Nachbarländern. Auch wenn die Veteranenbewegung aufgrund der geschilderten Hemmnisse in Polen einen geringeren Mobilisierungsgrad hatte als im westlichen Ausland, wuchs nun im Kontext internationaler Strategien deren Bedeutung. Der Verweis auf die auswärtigen Sozialpolitiken half zu Hause bei der politischen Überzeugungsarbeit. Dies nutzte insbesondere auch den zaborcy, die sich trotz des in der Verfassung verankerten Gleichheitsgrundsatzes nur schwer Zugang zu Sozialleistungen des neu gegründeten polnischen Staates verschaffen konnten. Die Arbeit erzählt damit die Geschichte der polnischen Veteranen in einer konsequent transnationalen Perspektive, und dieser Ansatz wird hier mit voller Berechtigung verfolgt. Der Forschungsstand zu den polnischen Veteranen des Ersten Weltkriegs war bislang keineswegs befriedigend und er war von der in der europäischen Forschung lange dominierenden Idee getragen, die Veteranen hätten in der Zwischenkriegszeit vor allem zur politischen Radikalisierung beigetragen. Über die Teilhabe polnischer Ex-Kombattanten an internationalen Organisationen war daher nichts bekannt. Auf der Grundlage international zusammen getragenen Materials gelingt es der Autorin nun das vorherrschende Bild sowohl für die nationalen als auch für die internationalen Organisationen zu revidieren beziehungsweise zu ergänzen. Damit kann sie den Umstand wettmachen, dass die Akten der polnischen Veteranenverbände in den nationalen Archiven nur zum Teil erhalten sind; für die nationale Ebene zieht sie außerdem Parlamentsdebatten heran.

Die Studie gliedert sich entsprechend der Konzeption in drei Kapitel. Das erste „Vom Soldaten zum Veteran, vom Nationalen zum Internationalen“ befasst sich in der skizzierten transnationalen Perspektive mit dem komplizierten Übergang vom Krieg zur Nachkriegsordnung. Das zweite Kapitel „Der Kampf der Veteranen um Versorgung“ geht den Impulsen aus dem Ausland, den Parlamentsdebatten und der Nationalisierung bzw. der Internationalisierung der Versorgungsdebatte nach. „Podejrzani Pacifiści – Verdächtige Pazifisten?“ ist schließlich das Thema des dritten Kapitels. In der stark militarisierten polnischen Gesellschaft standen die ehemaligen Soldaten mit ihren pazifistischen Parolen weitgehend allein. Wie in anderen Ländern auch machten sie nachdrücklich ihr moralisches Kapital geltend, indem sie auf ihre unmittelbare Anschauung der Kriegsgräuel verwiesen. Insbesondere die (berechtigte) Angst vor der deutschen Militarisierung führte in Polen zu einer Vorstellung vom „wehrhaften Pazifismus“, der den Waffendienst im Sinne der Verteidigung grundsätzlich befürwortete. Bemerkenswert ist, dass mit dem Piłsudski-Putsch von 1926 im Innern zwar das symbolische Kapital der zaborcy weiter sank, da die Verehrung für den Marschall mit einer Überhöhung der von ihm angeführten polnischen Verbände einherging. Das internationale Engagement der polnischen Veteranenverbände wurde davon jedoch nicht beeinträchtigt, eher im Gegenteil. Wie Eichenberg differenziert nachzeichnet traten hier zwar andere Akteure in den Vordergrund, von einer Abschottung konnte jedoch keine Rede sein. Im Gegenteil: Das Sanacja-Regime kannte die Potenziale der internationalen Veteranenbewegung und unterstützte die polnischen Teilhabenden nicht nur ideell. Diese Tatsache sollte man nicht mit einer demokratischen Tendenz verwechseln. Vielmehr ist sie ein Indikator für die auch international veränderte Szene. Selbst die Nationalsozialisten wussten anfänglich die internationalen Veteranenorganisationen als Bühne zu nutzen. Im Sinne der Appeasement-Politik konnten sie sich damit durchaus Gehör verschaffen, unter anderem bei den hier vorgestellten Friedensaktivisten. Auch in dieser Hinsicht ergänzt Eichenberg unser Bild von der internationalen Szene der Zwischenkriegszeit. Sowohl für die Geschichte der Zweiten Polnischen Republik als auch für die der internationalen Veteranenbewegung bietet die Studie somit wesentliche neue Einblicke und empfiehlt sich daher auch einer breiteren Leserschaft.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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