Y. Le Bohec: Das römische Heer in der Späten Kaiserzeit

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Titel
Das römische Heer in der Späten Kaiserzeit.


Autor(en)
Le Bohec, Yann
Erschienen
Stuttgart 2010: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
46, 309 S.
Preis
€ 42,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Raphael Brendel, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Mit der Militärgeschichte der Antike ist der Name Yann Le Bohec untrennbar verbunden. Dass sein nun auch in deutscher Übersetzung vorliegendes Werk zur Geschichte des spätantiken Heeres große Beachtung gefunden hat, ist daher wenig erstaunlich.1 Angesichts dieser Vorarbeiten kann die Inhaltsangabe zugunsten der Ausführungen zu den Problemen des Werkes knapper ausfallen: Nach der Einleitung (S. 7–17) behandelt Le Bohec die Heere Diokletians (S. 18–31), Konstantins (S. 32–44) sowie Constantius’ II. und Julians (S. 45–65). Daraufhin folgen Erörterungen zu Rekrutierung (S. 66–80), Truppeneinheiten (S. 81–94), Hierarchie (S. 95–117) und Bauwesen (S. 118–130). Zwei Kapitel über Taktik behandeln die Bedingungen des Kampfes (S. 131–151) und den Kampf selbst (S. 152–170); drei Kapitel über Strategie befassen sich mit dem Gesamtkonzept (S. 171–184) sowie mit dem Westen (S. 185–200) und dem Osten (S. 201–212). An ein Kapitel zum Verhältnis der Zivilisten zum Militär (S. 213–228) schließen sich, chronologisch fortfahrend, Abschnitte zum Heer bis zur Schlacht von Adrianopel (S. 229–242) und bis zur Mitte des 5. Jahrhunderts (S. 243–260) sowie abschließende Bemerkungen zum „Tod“ des Römischen Reiches (S. 261–267) an.

Die Bibliographie ist reichhaltig, übergeht allerdings eine Reihe von Titeln, deren Einarbeitung sich zweifellos positiv auf die Qualität ausgewirkt hätte.2 Von den als im Druck befindlich genannten Titeln Le Bohecs hätte ein mittlerweile erschienener Aufsatz nachgetragen werden können.3 Hinzu kommt, dass die Literatur teilweise ungleich auf die Bereiche des Textes verteilt ist.4 Bei den Quellen verwundert das Fehlen der Epitome de Caesaribus und der Kirchengeschichte des Theodoret, zumal letzterer als in der Kriegskunst bewandert bezeichnet wird (S. 162) und die weniger wichtigen Werke des Rufinus und Orosius Berücksichtigung finden. Der Text selbst bietet oft Anlass zu Unmut: Bei aller Kenntnis in der Militärgeschichte finden sich hier in den Aussagen zur Ereignisgeschichte erstaunliche Irrtümer und Fehleinschätzungen.5 Auch wäre es wünschenswert gewesen, wenn für im Text explizit erwähnte Thesen stets auch die Belege angeführt worden wären.6

Ein besonderes Ärgernis sind allerdings jene Aussagen, in denen Le Bohec durch keine Quellen gestützte und teilweise nicht den Tatsachen entsprechende Spekulationen als Fakten darstellt: So begründet er beispielsweise seine ablehnende Haltung gegenüber der Existenz jüdischer Einheiten mit dem Argument, dass die Juden Rom gehasst hätten (S. 77, vgl. auch S. 50 u. 155).7 Ebenfalls abzulehnen ist die Einschätzung, dass der stärkere Einfluss der Kaiserinnen und Eunuchen zu einer Abwendung vom Heerwesen seitens der Staatsgewalt geführt habe (S. 245).8 Mangelhaft belegt ist weiterhin die angeblich typische Unzuverlässigkeit sarazenischer Soldaten (S. 77); in der als Beleg angeführten Ammianstelle wird die Verweigerung von Geldzahlungen als Grund für die Revolte der Sarazenen genannt, was auch römische Soldaten oft genug zur Opposition getrieben hat. Sehr fragwürdig ist außerdem die Aussage, dass das für die Spätantike belegte Verprügeln von Unterkunft requirierenden Soldaten in der Kaiserzeit nie geschehen sei (S. 112f.). Wenn Ammianus Julian für seine Beförderung nach Kompetenz lobt, so ist dies im Kontext des Herrscherlobes zu sehen und bedeutet nicht zwangsläufig, dass sonst allgemeine Korruption herrschte (S. 115). Auch lässt sich aus der zunehmenden Bedeutung der Artillerie nicht folgern, dass die Soldaten größere Angst vor dem Nahkampf als zuvor gehabt hätten (S. 133). Zwei Wertungen Le Bohecs zur Politik Diokletians ist nach Klaus Altmayer ebenfalls nicht zuzustimmen9: Zum einen sei das Heer unter Diokletian – anders als Le Bohec meint (S. 29) – kaum vergrößert worden, es wurde nur die zuvor erfolgte Aufteilung der Legionen in vexillationes festgeschrieben; diese seien aber teilweise umbenannt worden. Neue Einheiten seien dagegen nur wenige geschaffen worden. Zum anderen gäbe es unter Diokletian durchaus ein Bauprogramm (S. 28), auch wenn dies nicht auf dessen Initiative zurückgehen muss.10

Die geringe Qualität der Übersetzung macht sich leider auch auf historischer Ebene bemerkbar: Offensichtlich fehlte es dem Übersetzerduo an Kenntnissen in der Schreibung antiker Namen; anders ist die große Zahl der diesbezüglichen Fehler, die oft eine Anlehnung an die französische Nomenklatur erkennen lassen, nicht zu erklären.11 Umgekehrt wurde bei in den Anmerkungen zitierten antiken Werken die französischen Abkürzungen nur teilweise den in der deutschen Forschung üblichen Formen angepasst.12 Auch die sehr enge Anlehnung der Übersetzung an das französische Original, die zu sonderbaren Ausdrücken führt13, ist oft störend. Eine Reihe von Druckfehlern rundet das wenig positive Bild ab.14

Angesichts all dessen kann den uneingeschränkt positiven Meinungen der meisten Rezensenten, die wie Geoffrey Greatrex Le Bohecs Buch sogar zu einem zukünftigen Standardwerk erheben wollen, nicht zugestimmt werden. Zwar besitzt die Arbeit dazu durchaus das Potential, doch bedürfte es sowohl einer gründlich korrigierten Neuauflage als auch einer neuen deutschen Übersetzung, die von der sprachlichen und der historischen Kompetenz des Übersetzers Zeugnis ablegt. In seiner derzeitigen Form bietet das Buch zweifellos wertvolle Vorarbeiten und Diskussionsgrundlagen, die aber nur von einem fachkundigen und stets kritischen Leser wirklich genutzt werden können; Studenten und Laien jedoch, welche die Hauptadressatengruppe bilden, drohen nicht selten in die Irre geführt zu werden.

Anmerkungen:
1 Im Original: Yann Le Bohec, L’armée romaine sous le Bas-Empire, Paris 2006. Rezensionen stammen u.a. von Raymond Brulet, in: Bonner Jahrbücher 206 (2006), S. 355–358; Roland Färber, in: Klio 90 (2008), S. 512–514; Geoffrey B. Greatrex, in: Antiquité Tardive 15 (2007), S. 376–382; Joëlle Napoli, in: Revue archéologique 48 (2009), S. 420–423; Gabriele Wesch-Klein, in: Gnomon 81 (2009), S. 659–661. Rezensionen der deutschen Fassung bieten Dariusz Brodka, in: Sehepunkte 11 (2011), Nr. 10 (<http://www.sehepunkte.de/2011/10/18396.html> [13.02.2012]); Michael Sommer, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 59 (2011), S. 370–371; Michael Weiskopf, in: Bryn Mawr Classical Review 2010.10.77 (<http://bmcr.brynmawr.edu/2010/2010-10-77.html> [20.02.2012]).
2 Neben den weitgehend ignorierten Forschungen von Alfred von Domaszewski, Emil Ritterling und Michael Mackensen seien aus der neueren Forschung ergänzt: Evangelos K. Chrysos, Der Vertrag von 363, in: Bonner Jahrbücher 193 (1993), S. 165–202; Walter E. Kaegi Jr., Challenges to late Roman and Byzantine military operations in Iraq, in: Klio 73 (1991), S. 586–594; Noel E. Lenski, Contemporary reactions to the battle of Adrianople, in: Transactions of the American Philological Association 127 (1997), S. 129–168; Charles E. V. Nixon, Coin circulation and military activity in the vicinity of Sirmium, A.D. 364–378, and the Siscia Mint, in: Jahrbuch für Numismatik und Geldgeschichte 33 (1983), S. 45–56; Ralf Scharf, Regii Emeseni Iudaei, in: Latomus 56 (1997), S. 343–359; David Woods, The christianization of the Roman army in the fourth century, Diss. Belfast 1991. Wohl nicht mehr einzuarbeiten waren: Francisco J. Guzmán Armario, Romanos y bárbaros en las fronteras del Imperio romano según el testimonio de Amiano Marcelino, Madrid 2006; Kimberly E. Kagan, The eye of command, Ann Arbor 2006; Karin Mosig-Walburg, Der Armenienkrieg des Maximinus Daia, in: Historia 55 (2006), S. 247–255; Michael P. Speidel, The origin of the late Roman army ranks, in: Tyche 20 (2005), S. 205–207.
3 Yann Le Bohec, „Limitanei“ et „comitatenses“, in: Latomus 66 (2007), S. 659–672.
4 Neben der häufigen und gelegentlich unpassenden Verwendung von reinen Quellenanmerkungen (z.B. S. 49, Anm. 9) ist folgendes Beispiel zu nennen: S. 23f. (S. 12f.) wird bei den Historikern zunächst eine Reihe von Autoren genannt, von denen aber nur Festus einer Literaturanmerkung für würdig befunden wird. Nach einer genaueren Dokumentation der Ammianus-Forschungen wird die Forschung zu Zosimos erheblich kürzer und die zu den weiter genannten Autoren fast gar nicht dokumentiert.
5 Folgende Irrtümer und Fehleinschätzungen fielen auf: Marc Aurel als Beginn für das dynastische Erbfolgeprinzip (S. 32f.); Maxentius als Christenverfolger (S. 36f.); die Konstantinssöhne als schwache bzw. fanatische Persönlichkeiten (S. 45, vgl. auch S. 216); Constantius II. als oberster der drei Augusti mit alleiniger Gesetzgebungskompetenz und Constans als Kaiser ohne festes Gebiet (S. 46); die Usurpation des Magnentius als heidnische Erhebung (S. 47), wogegen die Münzprägung spricht; recusatio imperii erst seit Zeit der Antonine (S. 58); der Offizier (!) Sallustius (sic!) soll Julians Nachfolge antreten (S. 64); Revolte der gallischen Armee wegen des Tods Julians (tatsächlich wegen Usurpationsverdacht) und Lucilianus (sic! S. 97: Lucinianus) als ihr General (S. 64); die Periode nach 400 als allgemein anerkannte Zeit der Abfassung der Historia Augusta (S. 66); unkritische Übernahme der Karriere des Maximinus Daia aus Laktanz (S. 105); unkritische Übernahme republikanischer Zahlenangaben (S. 177 u. 240); Augusti und Caesares als Unterkaiser (S. 185); Calocaerus als mögliche Fiktion (S. 216); Procopius als letzte heidnische Revolte (S. 217 und 230); Julians christliches Bekenntnis 361, um Constantius II., nicht aber um den Soldaten zu gefallen (S. 228). Vgl. auch das fehlerhafte Zitat auf S. 60, Anm. 156.
6 Es fehlen etwa: S. 36, Anm. 32 die Gegenstimmen gegen J. (sic!) Bruun; S. 40, Anm. 73 die modernen Widerlegungen des Sozomenos; S. 66 der Beleg für die positive Beurteilung der Barbarisierung; S. 99, Anm. 63–65 die Belege aus der Notitia Dignitatum; S. 82 der Beleg für die Zahlenangaben von Jones; S. 96 der Beleg für die behauptete Abschaffung der Prätorianerpräfektur; S. 157 der Beleg des Orosius für gotische Lanzen; S. 158 der Beleg für die Behauptung von hunnischer Sesshaftigkeit; S. 171 der Beleg für Seeck als Fortsetzer Mommsens.
7 Vgl. nur Helmut Castritius, Militärdienst und Wehrhaftigkeit der Juden in der Spätantike, in: Aschkenas 13 (2003), S. 3–12.
8 Es sei nur an den Hunnenfeldzug des Eutropius und Pulcherias Einfluss auf die Ostpolitik erinnert: Gerhard Albert, Stilicho und der Hunnenfeldzug des Eutropius, in: Chiron 9 (1979), S. 621–645; Kenneth G. Holum, Pulcheria’s crusade A.D. 421–422 and the ideology of imperial victory, in: Greek, Roman and Byzantine Studies 18 (1977), S. 153–172.
9 Für diese Hinweise ist der Rezensent Klaus Altmayer (München) zu Dank verpflichtet. Eine ausführliche Argumentation ist in der entstehenden Dissertation Altmayers zur Dynastie des Carus zu erwarten.
10 Ausführliche Dokumentation bei Wolfgang Kuhoff, Diokletian und die Epoche der Tetrarchie, Frankfurt am Main 2001, S. 644–715.
11 Einige Fehler seien genannt: Codex Justinianeus (S. 15), Codex Justitianus (S. 178), Abinneus (S. 15, 69, 77, 103, 113 u. 120), Nisibin (S. 27), Epigraphie (S. 28), Konstantins Mutter Helene (S. 33), Viminatium (S. 45), Eugen (S. 76), Zabdizenien (S. 87), Johann der Lyder (S. 109), Gildon (S. 210), Chrysargyros (S. 222), Kalter Fluss (S. 265). Émilienne Demougeot wird zum Forscher männlichen Geschlechtes gemacht (S. 243), als Synonym für den solidus wird Pfennig verwendet (S. 69) und die wörtliche Übersetzung der Passage zu „Rhätien“ (Rhétie, S. 17) zeigt, dass stur und unabhängig vom Sinngehalt alles wortwörtlich übersetzt wurde.
12 „Corr[espondance]“ statt „Ep[istulae]“ tritt häufig auf (S. 72, Anm. 36; S. 96, Anm. 10 u.ö.), was andere Zitierformen aber nicht ausschließt (S. 221, Anm. 65 und 67), ebenso finden sich die „Moines“ des Theodoret (S. 155, Anm. 19; S. 259, Anm. 140).
13 So wird etwa S. 73 vom „extremen Westen“ gesprochen.
14 S. 7: Das Späte Kaiserzeit; S. 11: Modellen (statt Modelle); S. 18, Anm. 1: E. (sic!) Kolb; S. 22: ideologsch, S. 23: Nobaden, S. 46, Anm. 8: Beckmann (statt Bleckmann); S. 68: Evergetismus; S. 71: schlechten (statt schlechte); S. 73: Barbare (statt Barbar); S. 74, Anm. 56: Drew-ear statt Drew-Bear; S. 83: 374 (statt 364); S. 153: römischen (statt römische); S. 156, Anm. 28: Stroekher (statt Stroheker); S. 185, Anm. 1: 1999 (statt 1989); S. 217: Alson (statt Alston); S. 264, Anm. 22: Witby (statt Whitby).

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