: Memories and Silences Haunted by Fascism. Italian Colonialism MCMXXX-MCMLX. Bern 2010 : Peter Lang/Bern, ISBN 978-3-03911-802-1 359 S. € 70,30

Andall, Jacqueline; Duncan, Derek (Hrsg.): National Belongings. Hybridity in Italian Colonial and Postcolonial Cultures. Oxford 2010 : Peter Lang/Bern, ISBN 978-3-03911-965-3 239 S. € 44,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marcel vom Lehn, Historisches Institut, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Die koloniale Vergangenheit Italiens hat sich in den letzten Jahren zu einem Thema entwickelt, das sich nicht nur in der Forschung eines zunehmenden Interesses erfreut, sondern auch vermehrt in der italienischen Politik zu einer kritischen Auseinandersetzung mit diesem historischen Erbe beigetragen hat: Regierungsvertreter entschuldigten sich mittlerweile gegenüber den ehemaligen Kolonien und erkannten dort begangene italienische Verbrechen offiziell an. Dennoch hat sich bis heute weder in der italienischen Öffentlichkeit noch in der Fachhistorie ein Konsens über die grundsätzliche Bewertung der eigenen Kolonialvergangenheit herausgebildet. Die beiden hier besprochenen Bücher widmen sich daher einem nach wie vor umstrittenen Thema und betreten obendrein Neuland, geht es ihnen schließlich nicht nur um eine Geschichte des italienischen Kolonialismus, sondern auch und in erster Linie um die Folgen und den Umgang mit dieser Vergangenheit nach 1945.

Daniela Baratieri beschäftigt sich in ihrer Monographie mit dem Bild des Kolonialismus in der italienischen Öffentlichkeit zwischen 1930 und 1960. Im Zentrum steht dabei die Frage, welche Brüche und Kontinuitäten sich in der Art des Umgangs mit diesem Kolonialismus zwischen der faschistischen Diktatur und der Nachkriegsrepublik feststellen lassen. Hierfür hat Baratieri Kinofilme, Wochenschauen und die in Italien besonders beliebten Illustriertenmagazine auf ihr Thema hin untersucht. Lange Zeit herrschte in der Forschung die Ansicht vor, nach dem Ende des Faschismus, der Niederlage im Zweiten Weltkrieg und nicht zuletzt dem dadurch bedingten weitgehenden Verlust der Kolonien sei über diesen Teil der nationalen Vergangenheit der Mantel des Schweigens gebreitet worden. Dies kann Baratieri in ihrer Arbeit mit dem überzeugenden Fazit widerlegen, dass die Kolonialgeschichte Italiens nach 1945 nicht ignoriert, sondern in der breiten Öffentlichkeit häufig, wenngleich höchst selektiv und einseitig, dargestellt worden ist. In den populären Medien, aber auch in wissenschaftlichen Darstellungen oder amtlichen Publikationen wurde der Kolonialismus als eine Zivilisierungsmission geschildert, die den Einheimischen zugute gekommen sei und sich substantiell von der Ausbeutungspolitik anderer Kolonialmächte unterschieden habe. Die systematischen Verbrechen gegen die kolonialisierten Völker, zumal das brutale Vorgehen gegen die Widerstandsbewegung in Libyen oder der Einsatz von Giftgas in Äthiopien, wurden beschwiegen. Ebenso stellten die italienischen Narrative Afrikaner nicht als Akteure, sondern allenfalls als Objekte des Geschehens dar.

Insofern weist Baratieri mit Recht darauf hin, dass das Jahr 1945 für den öffentlichen Umgang mit dem Kolonialismus keine maßgebliche Zäsur darstellte, sondern vielmehr Kontinuitäten überwogen. Dabei wurde das Wissen um italienische Verbrechen in den Kolonien keineswegs geheim gehalten, sondern setzte sich im öffentlichen Diskurs schlichtweg nicht durch. Pionierstudien, so von Roberto Battaglia über die grausame Kriegsführung in Äthiopien1, blieben isoliert und entfalteten keine nennenswerte öffentliche Wirksamkeit. Dieses Beschweigen lag zumal darin begründet, dass sich die für den Diskurs entscheidenden Strukturen mit dem Ende des Faschismus kaum veränderten: Um das Land in das westliche Staatensystem zu integrieren und dem Einfluss der aus der Resistenza hervorgegangenen linken Zeitungen zu begegnen, setzten sich mit Hilfe der Alliierten und der regierenden Christdemokraten nach kurzer Unterbrechung wieder die schon im Faschismus dominierenden Publikationen der Altverleger durch. Auch eine Säuberung des italienischen Journalismus fand praktisch nicht statt und selbst die vom faschistischen Regime eingesetzten Zensoren blieben weitgehend im Amt, wenngleich sie nun nicht mehr nach faschistischen Maßstäben urteilten. Der Kolonialismus wurde aus dem Kontext der faschistischen Vergangenheit gelöst und konnte somit weiterhin als ein positiver Bestandteil der Nationalgeschichte gedeutet werden. Die Kontinuitäten in der öffentlichen Interpretation des Kolonialismus zeigten sich darüber hinaus ebenso im oppositionellen Lager: Wurde Kritik geäußert, ging es um die negativen Folgen des Kolonialismus für Italien, aber niemals um die afrikanischen Opfer des Systems. Sogar die Kommunistische Partei verurteilte allenfalls kapitalistische Profiteure, forderte jedoch nach Kriegsende wie die übrigen politischen Parteien von den Alliierten die Rückgabe der einst unterdrückten Länder.

Ein wirklicher Umbruch hin zu einer kritischen Deutung des italienischen Kolonialismus ließ sich erst in den 1960er-Jahren ausmachen. Diese Veränderung des Diskurses sieht Baratieri allerdings nicht einer öffentlichen Reflexion der eigenen Vergangenheit geschuldet, sondern als Folge der allgemeinen Dekolonisierung Afrikas. In geschichtswissenschaftlichen Forschungen2 sowie in Filmen wurden italienische Verbrechen nun thematisiert und Afrikaner auch als Subjekte der Geschichte gezeigt. Allerdings kam es nicht zu einem vollständigen Wandel der öffentlichen Meinung. Neben der Haltung, den Kolonialismus als einen grausamen Anachronismus zu interpretieren, blieb in Teilen der Öffentlichkeit die Ansicht bestehen, der Kolonialismus sei weiterhin als ruhmreicher Aspekt der nationalen Geschichte zu deuten.

Daniela Baratieris Arbeit leistet einen wichtigen Beitrag zur Erforschung des Umgangs mit dem Thema Kolonialismus in Italien sowie der Frage nach Brüchen und Kontinuitäten in der italienischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Kritisch angemerkt werden muss jedoch, dass Baratieri eine Einordnung ihrer Monographie in die Forschungsliteratur zur Erinnerungskultur nach 1945 weitgehend unterlässt. So nimmt sie an keiner Stelle Bezug auf das grundlegende Buch Filippo Focardis.3 In einem Rekurs auf Focardi hätte sie aufzeigen können, dass ihre Monographie im Wesentlichen die Forschungsergebnisse zum Umgang mit der faschistischen Vergangenheit nach dem Zweiten Weltkrieg bestätigt: Da in der Öffentlichkeit Italien selbst als ein Opfer deutscher Besatzungsherrschaft betrachtet wurde, blieben die Opfer italienischer Verbrechen aus dem Diskurs ausgegrenzt. Auch der von Baratieri angesprochene Mythos der „italiani brava gente“, also einer spezifisch humanen Grundhaltung der Italiener, war nicht nur im Kontext der Kolonialgeschichte, sondern generell im Umgang mit der faschistischen Vergangenheit ein über die politischen Lager hinweg verbreiteter Topos, nach dem Italiener keine Kriegsverbrechen begangen hätten.

Einen anderen methodischen Zugriff auf das Thema des italienischen Kolonialismus, nämlich den Ansatz der Hybridität, wählt der aus einer interdisziplinären Konferenz in London 2005 hervorgegangene Sammelband zu „National Belongings“, herausgegeben durch die Italianisten Jacqueline Andall und Derek Duncan. Hybridität stellt die Vorstellung von nationaler Authentizität in Frage und wirft den Blick auf Wechselwirkungen und Ambivalenzen, die nationale Abgrenzungen unterlaufen. Dies gilt einerseits für die Kolonialvergangenheit Italiens, in der auf der einen Seite die italienische Politik aus rassistischen Gründen und einem Unterlegenheitsgefühl gegenüber den anderen europäischen Großmächten eine vergleichsweise intensive Segregation von Italienern und Kolonialvölkern betrieb. Andererseits jedoch führte ein Mangel an weiblichen italienischen Siedlern sowie der Bedarf an Arbeitskräften und militärischen Hilfstruppen faktisch zu zahlreichen Kontakten zwischen italienischen Kolonisten und Einheimischen. Ebenso gilt diese Ambivalenz für das gegenwärtige Italien als Einwanderungsland, in dem sich segregierte Wohngebiete von Migranten entwickeln und die Regierung die Zuwanderungspolitik zunehmend restriktiver gestaltet, in dem aber auch ethnisch gemischte Initiativen diese Entwicklungen wieder unterlaufen.

Mit der Kolonialgeschichte Italiens selbst beschäftigen sich die Aufsätze der Historikerin Roberta Pergher, des Italianisten Charles Burdett und des Ostasienwissenschaftlers Maurizio Marinelli. Pergher und Burdett werfen den Blick auf die widersprüchliche faschistische Politik gegenüber Libyen, die zwischen Nations- und Imperiumsbildung schwankte. Pergher thematisiert dabei die Ansiedlung von Italienern an der libyschen Küste. Offizielles Ziel war es, diese Küste durch eine dauerhafte italienische Besiedlung in den italienischen Staat zu integrieren und die Einheimischen weitgehend in die Wüstengebiete zu vertreiben. Tatsächlich aber, so zeigt Pergher, wollten die Siedler vor allem von der Arbeitskraft der libyschen Bevölkerung profitieren. Insofern sei es nicht zu einer Segregation beider Bevölkerungen, sondern der Schaffung eines Kolonialgebietes gekommen, in dem Italiener und Libyer weder separiert noch gleichgestellt gewesen seien. Burdett beschäftigt sich in diesem Kontext mit dem Besuch Mussolinis in dem nordafrikanischen Land 1937, bei dem die offizielle Propaganda versuchte, ein Bündnis von Faschismus und Islam zu beschwören. Das Regime wollte dadurch die Anerkennung seiner Herrschaft durch die Libyer und womöglich noch andere islamische Bevölkerungen, die unter britischer und französischer Kolonialherrschaft standen, fördern. Dieser Versuch, so macht Burdett deutlich, blieb jedoch erfolglos, da das brutale Vorgehen der italienischen Armee in den vorangegangenen Jahren allzu präsent war. Vielmehr habe die Propaganda ungewollt zu einer Rückwirkung auf Italien geführt, da die faschistische Ideologie durch den Vergleich mit dem Islam stärker religiös gedeutet und Mussolini als prophetischer Führer angesehen wurde. Marinellis Aufsatz hat die italienische Konzession in der chinesischen Hafenstadt Tianjin zum Gegenstand. Das Phänomen der Hybridität bezieht sich hier weniger auf die Wechselwirkungen zwischen der italienischen und der chinesischen Bevölkerung als vielmehr auf die Mischung europäischer Stile beim Bau dieser idealisierten Miniaturausgabe Italiens in China. Allerdings wirkt der Artikel Marinellis durch sehr ausführliche Beschreibungen theoretischer Grundlagen überfrachtet, bei denen fraglich bleibt, ob sie für den Erkenntnisgewinn des Beitrages erforderlich sind.

Eine weitere Gruppe von Artikeln beschäftigt sich mit den Folgen der Kolonialvergangenheit nach 1945. In seinem sehr interessanten Aufsatz zeigt der Historiker Alessandro Triulzi am Beispiel Äthiopiens und Eritreas, dass sich nicht – wie man erwarten könnte – in beiden Ex-Kolonien eine kritische Erinnerung an die italienische Herrschaft entwickelte, sondern diese Vergangenheit aufgrund der Feindschaft zwischen beiden Staaten ganz verschieden instrumentalisiert wurde: Insbesondere im Zuge des äthiopisch-eritreischen Krieges 1998-2000 wurden Eritreer in äthiopischen Medien als faschistische Kollaborateure und Imitatoren der italienischen Kolonialherrschaft gedeutet; in Eritrea hingegen interpretierte man diese italienische Kolonialherrschaft als Weg in die Moderne, an der Eritreer durch ihre hohe Beteiligung an den italienischen Kolonialtruppen partizipiert hätten. Diese Verklärung des Kolonialismus in Eritrea wird von der unabhängigen Forscherin Domenica Ghidei Biidu und der Philosophin Sabrina Marchetti bestätigt, die sich in ihrem Beitrag auf Interviews mit repräsentativ ausgewählten eritreischen Frauen stützen, die nach Ende der Kolonialherrschaft an italienischen Schulen in Asmara erzogen wurden und später nach Italien auswanderten. Allerdings wird durch die Auswertung der Interviews deutlich, dass die Migrantinnen italienische Narrative nicht einfach übernahmen, sondern sich in spezifischer Weise aneigneten: Lieder italienischer Partisanen gegen die deutsche Besatzung während des Zweiten Weltkriegs wurden etwa als verdeckter Protest gegen die äthiopische Herrschaft genutzt. Allerdings bleibt der von Ghidei Biidu und Marchetti in den Mittelpunkt gerückte Gender-Aspekt etwas blass. Vergleichende Interviews mit männlichen Migranten hätten vielleicht deutlicher machen können, was das spezifisch Weibliche in den Erfahrungen der eritreischen Migrantinnen ausmachte. Ebenfalls unklar erscheint der Erkenntniswert des Beitrages des Italianisten Vetri Nathan, der auf die empirische Untersuchung eines spezifischen Themas weitgehend verzichtet und dessen sehr allgemein gehaltene Erörterung der aktuellen Lage der italienischen Einwanderergesellschaft, der Kolonialvergangenheit Italiens und des Hybriditätskonzept Homi Bhabhas aber recht unverbunden nebeneinander stehen.

Eine dritte Gruppe von Beiträgen beschäftigt sich vor allem mit der Gegenwart der Migration in Italien. Jacqueline Andall untersucht etwa die Debatten in den Foren des Migrantennetzwerkes G2 und zeigt auf, inwieweit sich diese Migranten als Italiener empfinden und mit welchen Formen der Ausgrenzung sie in ihrem Alltag konfrontiert werden. Der Bezug zur Kolonialgeschichte bleibt sehr vage, da ein Großteil der untersuchten Migranten nicht aus ehemaligen italienischen Kolonien stammt. Derek Duncan untersucht den Starruhm des albanischstämmigen Tänzers Kledi Kadiu. Dabei interpretiert er Kadiu als Projektionsfläche der italienischen Öffentlichkeit, durch die Multikulturalismus ertragen und Kolonialismus erinnert werden könne. Mit aktueller Migrantenliteratur beschäftigen sich schließlich in ihren Beiträgen die Italianistinnen Jennifer Burns und Rhiannon Noel Welch. Welch konzentriert sich auf ein Buch einer somalischen Autorin über Exklusionserfahrungen in Italien und die Verklärung einer multiethnischen somalischen Gesellschaft, in welcher der Hautfarbe keine Bedeutung beigemessen worden sei. Burns erläutert, wie afrikanische Autoren, die nicht früheren italienischen Kolonien entstammen, sich der italienischen Sprache als Ausdruck jenseits ihrer Mutter- und der Kolonialsprache bedienen. Dabei eignen sie sich das Italienische in spezifischer Weise an und stellen damit die Authentizität des offiziellen Sprachgebrauchs in Frage.

Die hier kurz erläuterten Beiträge unterscheiden sich – wie bei Sammelbänden üblich – in ihrer Qualität und beschäftigen sich mit zeitlich und thematisch sehr unterschiedlichen Aspekten der italienischen Vergangenheit und Gegenwart. Die Einführung der Herausgeber dient leider nicht unbedingt dazu, diese weitreichende Palette von Darstellungen für den Leser besser einzuordnen. Nur manche der in diesem Band abgedruckten Artikel werden in der Einleitung angesprochen, auch die Einteilung der Aufsätze in verschiedene Themenbereiche wird nicht näher erläutert. Ferner ist die These der Herausgeber, die Kolonialvergangenheit sei in Italien völlig vergessen worden, zu undifferenziert – insbesondere, wenn man die Ergebnisse der Studie Baratieris berücksichtigt. Dennoch bietet der Begriff der Hybridität einen fruchtbaren Ansatz für die Auseinandersetzung mit dem italienischen Kolonialismus und den Umgang mit dieser Vergangenheit nach 1945, da hierdurch Angehörige der kolonisierten Völker und ihre Nachkommen auch als Akteure der Geschichte wahrgenommen, Wechselwirkungen sichtbar gemacht und Vorstellungen nationaler Authentizität aufgebrochen werden können. Weitere Forschungen aus dieser Perspektive wären demzufolge wünschenswert.

Anmerkungen:
1 Roberto Battaglia, La prima guerra d’Africa, Torino 1958.
2 Beispielsweise Angelo Del Boca, La guerra d’Abissinia 1935-1941, Milano 1965.
3 Filippo Focardi, La guerra della memoria. La Resistenza nel dibattito politico italiano dal 1945 a oggi, Roma 2005.

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