F. Brahm: Wissenschaft und Dekolonisation

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Titel
Wissenschaft und Dekolonisation. Paradigmenwechsel und institutioneller Wandel in der akademischen Beschäftigung mit Afrika in Deutschland und Frankreich, 1930–1970


Autor(en)
Brahm, Felix
Reihe
Pallas Athene. Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 33
Erschienen
Stuttgart 2010: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
337 S.
Preis
€ 49,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Boris Barth, Fachbereich Geschichte und Soziologie, Universität Konstanz

Internationale Vergleiche, die die europäische akademische Beschäftigung mit Afrika zum Gegenstand haben, sind selten. Deshalb füllt die Dissertation von Felix Brahm, die bei Andreas Eckert in Berlin entstanden ist, eine Lücke. Brahm ist sich vollständig darüber bewusst, dass der Vergleich zwischen Deutschland und Frankreich erhebliche Probleme mit sich bringt, weil das französische Kolonialreich in der Zwischenkriegszeit, in der die Studie ansetzt, seinen territorialen Höhepunkt erreichte, während das deutsche nicht mehr existierte. Deshalb entwickelte sich die akademische Beschäftigung mit der Dekolonisation, die im Titel des Buches auftaucht, auch in recht unterschiedlicher Weise. Dieses Ungleichgewicht zwischen Deutschland und Frankreich führt dazu, dass Brahm mehrmals gezwungen ist, die verschiedenen Entwicklungen einfach nebeneinander zu stellen und eine Geschichte der Unterschiede zu verfassen, was der Studie gelegentlich einen additiven Charakter gibt. Diese Schwäche ist aber nicht dem Autor, sondern dem Thema, bzw. den zeitgenössischen politischen Rahmenbedingungen anzulasten.

Der Schwerpunkt der Studie liegt sowohl auf den wissenschaftlichen Institutionen, die sich in Deutschland und Frankreich mit Afrika beschäftigten, als auch auf dem jeweiligen institutionellen Wandel. Mit einiger Akribie werden die Entwicklungen nachgezeichnet, die sich in unterschiedlichen Wissenschaftsfeldern ergaben. Sowohl in Hamburg, als auch in Bordeaux ging die Einrichtung von wissenschaftlichen Instituten, die sich mit Übersee beschäftigten, auf bürgerliche Eliten der Stadt zurück, die am Überseehandel interessiert waren. Beide Hafenstädte waren aber zugleich mit permanenten Bestrebungen der jeweiligen Hauptstädte konfrontiert, zentralistisch auf die Lehr- und Forschungsinhalte Einfluss zu nehmen, bzw. weitreichende Kontrolle auszuüben. Untersucht wird ferner die Entstehung der Geographie in Leipzig und in Bordeaux mit Blick auf Afrika, sowie die Entstehung einer an Afrika orientierten Geschichtsschreibung in Paris, Hamburg und Leipzig. Hinzu kommt die Entwicklung der Afrikanistik in Paris, Hamburg, Berlin und Köln, die sich seit den 1930er Jahren zwischen den Polen der Sprach-, Kultur- und Rassewissenschaft bewegte.

Überraschenderweise kann Brahm feststellen, dass der Verlust der deutschen Kolonien nach 1918 keine wirkliche Zäsur in der deutschen wissenschaftlichen Beschäftigung mit Afrika bedeutete. Im Gegenteil – ab der Mitte der 1920er Jahre war die akademische Forschung zu Afrika etabliert, und in den folgenden Jahren konnten sich die jungen Disziplinen gegen andere wissenschaftliche Felder erfolgreich abgrenzen. Sowohl in Berlin als auch in Paris, stieß die Institutionalisierung der Ethnologie hingegen auf erhebliche Schwierigkeiten, und anders als in Paris beschäftigten sich deutsche Ethnologen viel stärker mit den vermeintlichen Problemen der „Rassen“ in Afrika. Für die 1950er und 1960er Jahre stellt Brahm erhebliche Unterschiede zwischen Frankreich und den beiden deutschen Staaten fest, die allerdings aufgrund der sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen nicht grundsätzlich überraschen.

Die beginnende Dekolonisation verlieh der französischen Forschung einen erheblichen Schub, zudem knüpfte sie fast bruchlos an die Vorkriegszeit an. In der DDR gelang es hingegen nicht, die Ethnologie als ernsthafte Disziplin zu etablieren. Die Afrikanistik wurde demgegenüber aus politischen Gründen gefördert, litt allerdings darunter, dass sich zahlreiche namhafte Wissenschaftler in den Westen absetzten. Auch in der Bundesrepublik ist ein deutliches politisch motiviertes Interesse am Ausbau der Afrikanistik zu beobachten. Allerdings litt hier die Ethnologie darunter, dass die Entnazifizierungen lediglich nach formalen Kriterien durchgeführt worden waren und dass somit die vorherige enge inhaltliche Verknüpfung mit rassenideologischen Vorstellungen nicht wirklich durchtrennt worden waren. Die Folgen von 1968 markieren sowohl in Frankreich, als auch in der Bundesrepublik einen scharfen Bruch, weil erst in Folge der Studentenrebellion der Kolonialismus von jungen Afrikanisten massiv in Frage gestellt wurde, während die ältere Generation an überkommenen politischen Positionen festhielt bzw. den Kolonialismus weiterhin bestenfalls neutral, meist aber positiv deutete.

Das Buch ist stringent geschrieben und klar strukturiert. Der Autor beherrscht den Stoff in souveräner Weise und vermag eigene, deutliche Akzente zu setzen. Dennoch bleiben zwei Fragen bzw. offene Probleme. Erstens konzentriert sich Brahm sehr stark auf die institutionelle Seite, d.h. Institutsgründungen, Stellenbesetzungen, Kompetenzgerangel und – besonders im Falle der Ethnologie und der Entstehung der area studies – Abgrenzungen der neu entstehenden Fächer gegenüber den etablierten Wissenschaften. Die inhaltlichen Aspekte sind zwar vorhanden und werden diskutiert, treten demgegenüber aber manchmal etwas zu stark zurück. Deshalb liefert das Buch primär eine Geschichte der Institutionen und weniger der intellektuellen Entwicklungen. Zweitens kann gefragt werden, ob der Epochenbruch von 1968 wirklich so drastisch war, wie Brahm annimmt, denn Kritik am Kolonialismus hat es zuvor außerhalb des sehr engen Kreises der Afrikanisten in Deutschland auch schon bei deutschsprachigen Historikern, wie etwa bei Rudolf v. Albertini und anderen gegeben. Die Gründe dafür, warum kritische Positionen erst recht spät artikuliert wurden, werden nur angedeutet, nicht konsequent durchdacht: Enge Verstrickungen deutscher Wissenschaftler mit dem Apartheid Regime in Südafrika spielten sicherlich eine Rolle, wahrscheinlich kamen auch grundsätzliche Sympathien für das Salazar- Regime in Portugal hinzu. Auch der Zusammenhang zwischen Entwicklungshilfe, Wirtschaftskontakten, politischer Einflussnahme und Afrikanistik wird nur angedeutet.