T. Gouda: Der Romanisierungsprozess auf der Iberischen Halbinsel

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Titel
Der Romanisierungsprozess auf der Iberischen Halbinsel aus der Perspektive der iberischen Kulturen.


Autor(en)
Gouda, Tanja
Reihe
Antiquitates 54
Erschienen
Anzahl Seiten
620 S.
Preis
€ 128,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Timo Klär, Institut für Alte Geschichte, Universität des Saarlandes Saarbrücken

Die Beschäftigung mit der Romanisierung hat in der Altertumswissenschaft seit Theodor Mommsen Tradition.1 In diese Forschungstradition reiht sich Tanja Gouda mit ihrer Dissertation „Der Romanisierungsprozess auf der Iberischen Halbinsel aus der Perspektive der iberischen Kulturen“ ein, die dieses Thema aus archäologischer Sicht behandelt. Bereits der Titel der Abhandlung macht das Ziel der Arbeit deutlich: Gouda möchte „die unterschiedlichen Formen der Romanisierungsprozesse auf der Iberischen Halbinsel anhand von repräsentativen Fallbeispielen aus der Perspektive der einheimischen Kulturen systematisch […] analysieren und […] interpretieren“ (S. 17). Die Autorin beabsichtigt damit, einerseits einen „Beitrag zum kulturellen und sozio-historischen Wandel der letzten zwei vorchristlichen Jahrhunderte des römischen Hispanien“ (S. 19) zu leisten und andererseits „neue Erkenntnisse zu den komplexen Entstehungs- und Akkulturationsprozessen einer Provinz im Zuge der Entwicklungsgeschichte des Römischen Reiches“ (S. 19) zu gewinnen. Eine Besonderheit des Buches besteht darin, dass die Sicht der einheimischen Iberer eingenommen wird. Die Autorin erhofft sich dadurch, „differenzierte Aussagen zum Romanisierungsprozess“ machen zu können (S. 20).

Bevor die Autorin zum Schwerpunkt der Abhandlung kommt, beschäftigt sie sich in einigen Vorüberlegungen mit den theoretischen und historischen Rahmenbedingungen des Themas. Auf etwas mehr als 200 Seiten werden die für die Untersuchung wichtigen Begriffe definiert und die Situation auf der Iberischen Halbinsel unter Phöniziern, Puniern und Griechen beleuchtet. Außerdem wird Auskunft über die Geschichte der Iberer bis zur Ankunft der Römer gegeben, bevor sich die Autorin mit der römischen Eroberung der Iberischen Halbinsel befasst. Dabei werden die historischen, administrativen, militärischen und wirtschaftlichen Parameter der Römer auf der Halbinsel dargelegt. Die Kapitel sieben bis neun bilden den Kern der Untersuchung: Gouda erörtert hier fünf Fallbeispiele aus dem Nordosten, acht aus der spanischen Levante und elf aus dem Süden. Am Ende dieser Kapitel wird jeweils die siedlungsgeschichtliche Entwicklung näher betrachtet. Die Ergebnisse der Untersuchung legt Gouda in einem Kapitel zur Territorialorganisation dar. Mit einer Zusammenfassung des Romanisierungsprozesses und einem Ausblick findet die Untersuchung ihren Abschluss. Die Arbeit wird durch 109 Bildtafeln ergänzt, die die untersuchten Regionen samt dem Fundmaterial sehr detailliert vor Augen führen.

Der räumliche Rahmen der Untersuchung ist klar vorgegeben. Die Arbeit konzentriert sich auf den Siedlungsraum der Iberer, also das Guadalquivirtal im Süden der Iberischen Halbinsel, die spanische Levanteküste und das Languedoc. Chronologisch konzentriert sich die Untersuchung auf die ersten beiden Jahrhunderte v.Chr., also die Zeit der römischen Eroberungsphase auf der Iberischen Halbinsel. Diese Zeitspanne wird allerdings in wenigen Fällen überschritten, indem das 3. Jahrhundert v.Chr. bzw. das 1. Jahrhundert n.Chr. mit einbezogen wird. Dies ist für eine Untersuchung des Romanisierungsprozesses auf der Iberischen Halbinsel notwendig und richtig, da so die verschiedenen Integrationsprozesse in ihrer Entwicklung dargestellt werden können.

Bereits das Inhaltsverzeichnis macht deutlich, dass Gouda einen möglichst umfassenden Überblick über die Territorialorganisation der Iberer auf der Iberischen Halbinsel in römischer Zeit und den Romanisierungsprozess geben will. Ihr Ziel ist es allerdings nicht, alle Fallbeispiele bis ins kleinste Detail zu analysieren: So werden einige Orte auf wenigen Seiten abgehandelt (so etwa Iliturgi, Obulco, Carmo, Carteia oder Ilici). Emporion wird dagegen mehr Platz eingeräumt, weil die Autorin diesen Siedlungsplatz aus einer eigenen Studie näher kennt.2 Die Publikation hat daher über weite Teile den Charakter eines Nachschlagewerks, mit dem man sich einen guten Überblick zur archäologischen Situation der einzelnen Siedlungsplätze verschaffen kann, der durch die Bildtafeln optimiert wird. Eine tiefer gehende Analyse des Romanisierungsprozesses ist durch einen solchen Ansatz allerdings kaum möglich, zumal die Autorin die literarischen Quellen fast gänzlich unberücksichtigt lässt.

Gouda ist indes der Meinung, dass eine offensichtliche Diskrepanz zwischen den literarischen Quellen und dem archäologischen Material besteht: In der Forschung herrsche eine „historische Überbewertung der antiken Textüberlieferung“, hingegen habe „die Umkehrung der Perspektive und eine Konzentrierung auf die archäologischen Quellen eine differenziertere Vorstellung über Veränderungen in republikanischer Zeit erbracht“ (S. 449). Die Überbewertung der antiken Quellen macht sie an dem Beispiel aus der Baetica deutlich, die „keinesfalls den zu seiner Zeit von Strabo beschriebenen hohen ‚Akkulturationsgrad‘ erreicht“ (S. 449) habe. Strabons Wertung sei eher Ausdruck römischer Propaganda gewesen. Der iberische Blickwinkel äußere sich „nur in materiellen archäologischen Realia“ (S. 450). Viele Befunde seien allerdings nur fragmentarisch vorhanden und damit ihre Aussagekraft eingeschränkt. Sicherlich sind die antiken Quellen dieser Zeit propagandistisch gefärbt und müssen kritisch gelesen und betrachtet werden. Doch die literarischen Quellen lassen durchaus Rückschlüsse auf die einheimische Situation zu und bestätigen archäologische Befunde, weshalb sie in einer Untersuchung zum Romanisierungsprozess auf der Iberischen Halbinsel nicht ausgespart werden dürfen. Es ist deshalb schwer verständlich, dass die Autorin kaum literarische Quellen berücksichtigt, während sie doch immer wieder und zu Recht zur Unterstützung der archäologischen Befunde auf die Numismatik und Epigraphik zurückgreift.

Bei der Analyse der Fallbeispiele kann Gouda für die Territorialorganisation in iberischer Zeit zeigen, dass die iberischen Siedlungen in der Mehrzahl eine Siedlungskontinuität bis in die Kaiserzeit aufweisen. Weiterhin ist eine Dezentralisierung zu beobachten, die sich vor allem in der Vermehrung und Zersiedlung ländlicher Plätze im Untersuchungszeitraum zeigt. Neben diesem Phänomen sind außerdem regionale Unterschiede im Siedlungswesen zu beobachten: Die Ansiedlungen des Nordostens haben vorwiegend dörflichen Charakter; im nördlichen Teil der spanischen Levante gibt es weniger Oppida als in der südlichen, die größten Oppida liegen in Südspanien und verstanden sich als städtische Gemeinden. Im Nordosten des iberischen Siedlungsgebietes sowie im griechisch geprägten nördlichen Teil der spanischen Levante ist darüber hinaus die Aufgabe von Höhensiedlungen und größeren Oppida belegt, außerdem lässt sich eine Verlegung bzw. Umsiedlung der Höhensiedlungen im Nordosten nachweisen. Eine weitere Besonderheit besteht in der Zunahme von Siedlungsfeldern und kleinen ländlichen unbefestigten Siedlungsplätzen. Der südliche Teil der spanischen Levante ist punisch geprägt und wird erst in der Kaiserzeit von der Territorialorganisation erfasst. Im Süden hingegen findet kaum eine Zersiedlung statt, was Gouda mit der Einbindung in die städtischen Gemeinden und der wirtschaftlichen Situation dieses Teils der Halbinsel erklärt.

Im Romanisierungsprozess lassen sich nach Gouda gegen Ende des 1. Jahrhunderts v.Chr. verschiedene Entwicklungen feststellen, die sich erstens in der Urbanistik äußern: War im 2. Jahrhundert v.Chr. nur eine geringe Anzahl römischer Funde im Umfeld iberischer, griechischer oder punischer Siedlungen vorhanden, so finden sich nun verstärkt römische Strukturen in einheimischen Kontexten. Die römischen Stadtstrukturen werden beispielsweise in der Anlage von Stadtmauern, der Wasserversorgung, den Fora, Tempeln und Theatern sichtbar. Diese werden oft von den einheimischen Eliten gestiftet. Eine Übernahme römischer Elemente zeigt sich außerdem etwa an neuen Formen der Haus- und Grabausstattung, an Baumaterialien sowie Votivdarstellungen. Zweitens veränderten sich die wirtschaftlichen Strukturen mit der Präsenz der Römer in Hispanien: Der Warenverkehr wurde das entscheidende Element des kulturellen Wandels. Veränderungen zeigen sich drittens auch im Münzwesen: In vorrömischer Zeit herrschen regionale Unterschiede. Im Nordosten sind die Legenden auf iberisch und griechisch verfasst, im Süden hingegen überwiegen die punische und libyo-phönizische Schrift. Seit augusteischer Zeit tritt ein Wandel ein, der sich in der Latinisierung und Übernahme kaiserlicher Ikonographie zeigt.

In Bezug auf den kulturellen und sozio-historischen Wandel kann Gouda aus archäologischer Sicht zeigen, dass „die Intensität und Rezeptionsdynamik, mit der kulturelle römische Elemente aufgenommen und verarbeitet wurden, […] Rückschlüsse auf die einzelnen Prozessabläufe“ (S. 450) dieses Wandels geben. Dieser hängt von den „Wirkungs- und Wahrnehmungsmöglichkeiten der ‚romanisierten‘ und indigenen Strukturen“ (S. 450) ab und kann sich in Widerstand, interkultureller Pluralität und Integration zeigen. Auch hier wäre eine eingehendere Analyse wünschenswert gewesen, die sich nicht einseitig auf die Archäologie stützt, sondern auch die antiken Autoren zu Wort kommen lässt. Kulturelle und gesellschaftliche Zusammenhänge lassen sich nur in der Zusammenschau von literarischen und archäologischen Quellen fassen. Die Wirkung der römischen Eroberung auf die Ureinwohner geht vielfach aus den literarischen Quellen hervor, die damit keinesfalls hinter den archäologischen zurückstehen dürfen.

Die Autorin kommt in ihrer Analyse des archäologischen Materials der Iberischen Halbinsel zu dem Schluss, „dass der Romanisierungsprozess in der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts v.Chr. an Dynamik gewann und immer deutlicher Wirkungen und Resultate zeigte“ (S. 463). Das von Gouda formulierte Ziel der Arbeit, nicht jedes Fallbeispiel umfassend zu analysieren, macht es allerdings schwierig, eine Dynamik des Romanisierungsprozesses zu entwerfen. Diesen Prozess durch die Territorialorganisation erklären zu wollen, ist zwar ein vielversprechender Ansatz, die so entstandene Fülle an bearbeitetem Material aus mehr als 20 Siedlungsplätzen führt aber zugleich zu einer zu knappen Darstellung der einzelnen Fallbeispiele. Grundsätzlich ist aber die Umkehrung des Blickwinkels im Romanisierungsprozess für die Betrachtung dieses Themas sehr fruchtbar, weshalb die Studie sicherlich bei Archäologen wie Althistorikern zur Diskussion anregen kann.

Anmerkungen:
1 Theodor Mommsen, Römische Geschichte, Bd. 5, 2. Aufl., Berlin 1885; für Spanien siehe u.a. José María Blazquez, La romanización, 2 Bde., Madrid 1986; Géza Alföldy, Römisches Städtewesen auf der neukastilischen Hochebene. Ein Testfall für die Romanisierung, Heidelberg 1993; Annette Nünnerich-Asmus, Heiligtümer und Romanisierung auf der Iberischen Halbinsel, Mainz 1999; Sabine Panzram, Stadtbild und Elite. Tarraco, Corduba und Augusta Emerita zwischen Republik und Spätantike, Stuttgart 2002.
2 Tanja Gouda, Emporion. Una nueva datación de la fundación de la ciudad romana, in: Boletín de la Asociación española de amigos de la arqueología 45 (2008/2009) (= Homenaje al Dr. Michael Blech), S. 149–164.

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