Cover
Titel
The Vandals.


Autor(en)
Merrills, Andy; Miles, Richard
Reihe
The Peoples of Europe
Erschienen
Oxford 2010: Wiley-Blackwell
Anzahl Seiten
XIV, 351 S.
Preis
£ 75,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Roland Steinacher, Institut für Mittelalterforschung, Österreichische Akademie der Wissenschaften

Nach der Reichskrise des 3. Jahrhunderts traten im Römerreich zwei neue Eliten neben die etablierte Senatsaristokratie: Die christliche Kirche und einflussreiche Militärs, viele von ihnen barbarischer Herkunft. Diese Prozesse verliefen alles andere als konfliktfrei. Der vandalische Fall ist dabei in mancher Hinsicht eine Besonderheit. Die römischen Eliten der nordafrikanische Provinzen bekannten sich zwar in ihrer Mehrheit zum Christentum, waren jedoch vor 429 – der Ankunft der Vandalen in Afrika – weit weniger mit den neuen Militärmachthabern konfrontiert gewesen, als die Aristokraten anderer Reichsteile. Gleichzeitig kennen wir aus Afrika eine große Bandbreite christlicher Diskurse in allen gesellschaftlichen Schichten.1

Die arianische Kirche spielte eine besondere Rolle für die barbarischen Soldaten. Föderaten unterstanden explizit nicht den strengen Religionsgesetzen, die das Regime des Theodosius formuliert hatte. Barbarische römische Truppenkontingente konnten also auch nach 381 ganz legal innerhalb der Reichsgrenzen ‚Arianer‘ bleiben.2 Spekulationen darüber, wann die Vandalen das Christentum angenommen haben, erübrigen sich, wenn man die Vandalen wie die Goten als Militärverband von der römischen Peripherie begreift. Nach der endgültigen Eroberung Karthagos und des afrikanischen Zentralraumes 439 durch Geiserich musste sich die neue militärische Elite rasch und kompromisslos in Position bringen. Die Führungsebene barbarischer Militärverbände organisierte sich häufig – etwa in Spanien – unter Beteiligung homöischer Geistlicher. Die harschen Urteile unserer Quellen zeugen von massiven Konflikten bei diesen Vorgängen. Gerade in Afrika wurde von kirchlicher (etwa bei Victor von Vita) wie senatsaristokratischer Seite ein besonders dichotomisches Barbarenbild gezeichnet. Lange bedingte diese Quellenlage ähnlich scharfe Urteile auch in der modernen Forschung. Erst in den letzten Jahren änderte sich dies. Das Buch von Andrew H. Merrills und Richard Miles ist hier ein wichtiger, ja bahnbrechender Beitrag.

Auf 250 Seiten mit 9 Kapiteln und 50 Seiten Anmerkungsapparat sowie einem Quellen- und Literaturverzeichnis samt Index wird die Geschichte der Vandalen abgehandelt. Kapitel 1 („The Vandals in History“) gibt einen Überblick über Geschichtsbilder und Rezeption. Flüssig zeichnet Merrills den Bogen zwischen humanistischen Geschichtsbildern, die die Vandalen entweder zu zerstörerischen Barbaren oder heldenhaften Germanen machten, die dem dekadenten Römerreich den Todesstoß versetzen konnten. Aus solchen Diskursen stammt letztlich der Vandalismusbegriff des späten 18. Jahrhunderts.3 Die Geschichte der Vandalen beginnt im 3. Jahrhundert als barbarischer Kriegerverband an den Grenzen der pannonischen Provinzen. Wie die Goten suchten diese Militärs einen ‚Platz an der Sonne‘. Aufgrund der problematischen Quellenlage sind die ersten drei Jahrzehnte des 5. Jahrhunderts im Westen des römischen Reiches nur sehr schwierig in ein schlüssiges Narrativ zu bringen („2. From the Danube to Africa“).4 Das vandalische Jahrhundert in Nordafrika handelt Merrills nicht chronologisch, sondern thematisch gegliedert ab: Die Kapitel „3. Ruling the Vandal Kingdom“, „5. The Vandal Kingdom and the Wider World“, „6. The Economy of Vandal Africa“, „7. Religion and the Vandal Kingdom“ und „8. Cultural Life Under the Vandals“ diskutieren gut lesbar und gleichzeitig differenziert die Rolle des vandalischen Afrika im Mittelmeerraum, die Kriege und Beziehungen mit dem Osten, die Konflikte innerhalb der vandalischen Führungsschicht sowie das lebendige religiöse und kulturelle Leben in den afrikanischen Provinzen. Besonders gelungen ist die klare und materialreiche Besprechung katholischer Literatur. Die komplizierte Diskussion um die Versorgung der vandalischen Militärs durch das System der sortes kommt allerdings zu kurz.5

Das Herzstück des Buches ist das Kapitel „Identity and Ethnicity in the Vandal Kingdom“. Hier finden sich die innovativsten und schärfsten Gedanken, die die Forschung in neue Richtungen leiten können und gleichzeitig die internationalen Debatten der letzten Jahre prägnant auf den Punkt bringen. Wer sich am Modewort der ‚Identität‘ in den Geisteswissenschaften stößt, mag getrost weiterlesen. Methodischen Moden sind Merrills und Miles abhold. Drei agierende Gruppen benennt der zur Zeit in Leicester lehrende Merrills in den afrikanischen Provinzen während des ‚vandalischen Jahrhunderts‘ (natürlich neben den kirchlichen und maurischen): zum einen die hasdingische Königsfamilie mit ihrem außergewöhnlichen Erfolg, immerhin waren Geiserichs Enkel auch solche Valentinians III. aus dem theodosianischen Kaiserhaus; zum anderen die privilegierten ‚Vandalen‘ in einer gewissen Konkurrenz zur Königsfamilie; und schließlich die römische Aristokratie, der Jonathan Conant seine in Harvard verfasste Dissertation, die nun bald im Druck erscheinen wird, gewidmet hat.6

Das archäologische Material wird in dem vom Archäologen Richard Miles (derzeit Sydney) mitverfassten Buch nicht nur besprochen, sondern ist selbstverständliche Quelle der Analyse. Dies ist deshalb besonders wertvoll, weil bisher die archäologische und historische Arbeit zu den Vandalen in Afrika oft getrennt voneinander betrieben wurde. Die vorliegende Monographie bietet nun einen guten Überblick zur materiellen Kultur, den städtischen Strukturen und den byzantinischen Baumaßnahmen nach dem Ende der Vandalenzeit („9. Justinian and the End of the Vandal Kingdom“). In der deutschsprachigen Forschung herrscht ein Konflikt um die Interpretation der so genannten Vandalengräber.7 Hier bietet Merrills einen klugen Ausweg: Um die Mitte des 5. Jahrhunderts wurde ein Mann mit dem germanischen Namen Arifridos im Seitenschiff einer Kirche in Thuburbo Maius, dem heutigen Henchir Kasbat, bestattet. Arifridos war ein reicher und mächtiger Afrikaner, denn im Chor der Kirche bestattet zu werden, war ein großes Privileg weniger römischer Christen. Auch die Erinnerung an eine Person durch ein kostspieliges Grabmosaik blieb einer Elite vorbehalten. Seine Kleidung, die Fibel und die Schuhschnallen waren der schicke Kleidungsstil der spätrömischen Aristokraten mit Anspielungen auf militärische Kleidung. Diese Stücke hatte Arifridos nun nicht nur in seinem Grab, weil er ein Vandale war. Im Mittelmeerraum trug man eben military look, wenn man etwas auf sich hielt. Auf den Punkt gebracht: „Arifridos was a Vandal who dressed very much like a late Roman dandy“ (S. 83). Unter Nutzung der Arbeiten Philipp von Rummels zur spätantiken Kleidung als Distinktionsmerkmal einer militärischen Elite8 ist es Merrills und Miles in diesem Fall gelungen, komplexe Forschungsprobleme gedanklich wie sprachlich brillant und gut strukturiert darzustellen. Dies mag der britischen Schreibtradition geschuldet sein und manchmal ein wenig auf Kosten der Rezeption von Forschungsliteratur (zumal in nichtenglischen Sprachen) wie der Präzision im Anmerkungsapparat gehen.

Was bedeutete es, Vandale zu sein? Wenn Arifridos ein Suebe oder Gote war und – wie Prokop es in seinem Vandalenkrieg (3,5,21–22) andeutet – eine vandalische Identität erst im Laufe der Zeit angenommen hatte, könnte er unter anderen Vandalen seine suebische oder gotische Herkunft betont haben. Unter Römern wäre er aber einfach Vandale und militärischer Funktionsträger gewesen. Gegenüber Frauen, Sklaven und den unteren Schichten der Gesellschaft war er Vandale oder Gote/Suebe, aber vor allem ein männlicher Aristokrat (S. 86). In einen ethnisch definierten Verband wurde man nicht einfach hineingeboren, sondern ein solcher kann als „system of social signs and behaviours which developed over time and became recognized as something quintessentially ‚Vandalic‘“ begriffen werden (S. 87f.).

Die in der gleichen Kirche bestattete Dame nahm ebenfalls den typischen Schmuck der spätrömischen Aristokratie mit ins Grab. Wir wissen ihren Namen nicht, aber es sei erlaubt, einige Fragen zu stellen, um die Probleme anzudeuten, die wir bei der Deutung der Quellen haben: Was wäre, wenn die beiden verheiratet waren? Wenn Arifridos ein Vandale und mit dieser Frau schon in Spanien verheiratet gewesen wäre, was sagte dies dann über ihre Identität oder Selbstdefinition aus? Was ändert sich, wenn sie ein Mädchen aus Thuburbo gewesen wäre und den schneidigen jungen Offizier geheiratet hätte, der nach 439 in die Stadt kam? Was ändert sich, wenn Arifridos doch kein Vandale war und ihm sein Vater nur aus einer Laune heraus oder aus Opportunismus einen Modenamen gab, um den neuen Herren zu gefallen oder weil es einfach schick war, und wenn die Dame eine Eingewanderte war? Was wäre, wenn keiner von beiden sich jemals als Vandalin oder Vandale sah und die Gräber einfach aus Gründen, die wir nicht kennen, die beigabenführende Ausnahme darstellten? Wir wissen all dies nicht und die scheinbaren Sicherheiten der älteren Forschung sind uns ob vieler Vergleiche und schärferen Nachdenkens abhandengekommen. Wir können nur eine spätrömische Welt darstellen, in der die Vandalen eine wichtige Rolle spielten.9

Anmerkungen:
1 Leslie Dossey, Peasant and Empire in Christian North Africa, Berkeley 2010.
2 Hanns Christof Brennecke, Lateinischer oder germanischer ‚Arianismus‘? Zur Frage einer Definition am Beispiel der religiösen Konflikte im nordafrikanischen Vandalenreich, in: Hildegund Müller u.a. (Hrsg.), Collatio Augustini cum Pascentio. Einleitung, Text. Übersetzung, Wien 2008, S. 125–144.
3 Roland Steinacher, Art. „Vandalen-Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte“, in: Der Neue Pauly, Bd. 15/3, Stuttgart 2004, Sp. 942–946; Stefan Donecker / Roland Steinacher, Der König der Schweden, Goten und Vandalen. Identität und Geschichtsbilder des 16.–18. Jahrhunderts, in: Walter Pohl / Helmut Reimitz (Hrsg.), Vergangenheit und Vergegenwärtigung, Wien 2009, S. 169–203.
4 Den bisher schlüssigsten Versuch bietet Walter A. Goffart, Barbarian Tides. The Migration Age and the Later Roman Empire, Philadelphia 2006, S. 73–118.
5 Dazu jüngst Walter A. Goffart, The Technique of Barbarian Settlement in the Fifth Century. A Personal, Streamlined Account with Ten Additional Comments, in: Journal of Late Antiquity 3/1 (2010), S. 65–98; und das Kapitel „Die sortes Vandalorum/ kleroi Bandiloon und die Organisation der Provinzen unter vandalischer Herrschaft“, in: Roland Steinacher, Die Vandalen. Aufstieg und Fall römischer Barbaren (im Druck, erscheint 2013).
6 Jonathan Conant, Staying Roman. Conquest and Identity in Africa and the Mediterranean, 439–700, Cambridge (erscheint im März 2012).
7 Zusammenfassung und kritische Diskussion bei Volker Bierbrauer, Art. „Wandalen § 2. Archäologisch“, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, 2. Aufl., Bd. 33, Berlin 2006, S. 209–217.
8 Philipp von Rummel, Habitus barbarus, Berlin 2007.
9 Roland Steinacher, Gruppen und Identitäten. Gedanken zur Bezeichnung ‚vandalisch‘, in: Guido M. Berndt / Roland Steinacher (Hrsg.), Das Reich der Vandalen und seine (Vor-)Geschichten, Wien 2008, S. 243–260.

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