P. Eich u.a. (Hrsg.): Der wiederkehrende Leviathan

Cover
Titel
Der wiederkehrende Leviathan. Staatlichkeit und Staatswerdung in Spätantike und Früher Neuzeit


Herausgeber
Eich, Peter; Schmidt-Hofner, Sebastian; Wieland, Christian
Reihe
Akademie-Konferenzen 4
Erschienen
Anzahl Seiten
428 S.
Preis
€ 46,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Raphael Brendel, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Im Jahr 2009 stellte Hartmut Leppin fest: „Die harte Politikanalyse ist nach der Konjunktur kulturalistischer Ansätze in der Spätantikeforschung wieder im Kommen.“1 Ebenso hat in den letzten Jahren der über den Vergleich von Griechenland und Rom hinausgehende komparatistische Ansatz an Bedeutung gewonnen.2 Beide Entwicklungen finden sich in dem zu besprechenden Band miteinander verbunden, dessen Beiträge im Rahmen einer Tagung in Heidelberg im Jahre 2008 entstanden sind.

In ihrer Einleitung (S. 11–40) begründen die drei Herausgeber die Sinnhaftigkeit der gewählten Vergleichsobjekte des Imperium Romanum der Spätantike und der europäischen Staatenwelt der Frühen Neuzeit (S. 11–25) und bieten eine Zusammenfassung der nachfolgenden Beiträge (S. 26–36). Als Gründe für den Vergleich nennen sie Gemeinsamkeiten in der staatlichen Entwicklung – Zentralisierung und Intensivierung des Regierungshandelns, herrscherzentrierte und diesen überhöhende Hofhaltung, Entstehung von Dienstaristokratien, Versuch zur Instrumentalisierung der Kirche – sowie den Vorbildcharakter der Spätantike für die Herrscher der Frühen Neuzeit. In den Beiträgen selbst finden sich direkte Vergleiche zwischen Spätantike und Früher Neuzeit allerdings nur angedeutet (beispielsweise S. 139), so dass die in der Einleitung skizzierte Argumentation den einzigen Faktor für die Beurteilung der Tragfähigkeit dieses Vergleiches bildet. Um die Problematik des Vergleiches nur kurz anzudeuten, mag der Hinweis auf die Frage der Epochengrenzen und der dahinterstehenden (Dis-)Kontinuitäten genügen3; eine überzeugende Begründung, warum es sich bei den Vergleichsobjekten „Spätantike“ und „Frühe Neuzeit“ nicht um zwei beliebig austauschbare Größen handelt, fehlt im Band.

Da keiner der Aufsätze für sich oder in Verbindung mit einem anderen einen direkten Vergleich zwischen Spätantike und Früher Neuzeit vornimmt, erschien eine Besprechung nach Epochen sinnvoll: Peter Eich analysiert „Antagonismen als dynamische Elemente in der spätrömischen Gesellschaft“ (S. 43–80). Er stellt die Formalisierungstendenzen und die strukturell bedingten Abweichungen der Verwaltung davon nebeneinander und erklärt diese Gegensätzlichkeit mit dem Widerstand der Eliten, lokalen Interessen und den begrenzten Möglichkeiten der spätantiken Verwaltung. Auch wenn ihm weitgehend zuzustimmen ist, so ist zu bemerken, dass Eich es dem Leser schwer macht, seinen Gedanken zu folgen: Sachverhalte, die sich kurz und in einfachen Worten darstellen ließen, werden übertrieben kompliziert formuliert.4 Werner Eck vergleicht das Ausmaß der Professionalität in der Verwaltung im Prinzipat und in der Spätantike (S. 97–115). Er legt dar, dass der in der Prinzipatszeit festgelegte cursus honorum sich in der Spätantike zu einer Vielzahl an Wegen zu entsprechenden Kompetenzen entwickelte. Eine verstärkte Professionalität ließe sich allerdings in der Spätantike nicht feststellen, was nur partiell dem Quellenproblem zugeschrieben werden könne. Die Grenzen seiner Ausführungen, die die Quellenlage und die Breite der spätantiken Verwaltung setzen, erkennt Eck selbst (S. 113f.).

Sebastian Schmidt-Hofner zeichnet die Entwicklung des kaiserzeitlichen Gerichtswesens im Hinblick auf die Frage nach Monopolisierungs- und Zentralisierungsabsichten nach (S. 139–180). Er verneint den angenommenen Rückgang lokaler Gerichtsbarkeit und belegt dies mit dem Fortbestand städtischer Gerichtsbarkeit in der Spätantike und der Stärkung dezentraler Organe wie dem defensor civitatis und der episcopalis audientia. Eine intentionalisierte Zentralisierung habe nur in Einzelfragen wie der Kapitalgerichtsbarkeit stattgefunden, während die prinzipielle Möglichkeit kaiserlichen Eingreifens eher auf einem moralischen Anspruch basiere. Entwicklungen des kaiserlichen Gerichtswesens seien die Folge entsprechender Nachfrage bei der Bevölkerung gewesen. Raffaella Biundo behandelt die finanzielle Lage und die Autonomie der Städte in der Spätantike (S. 205–225). Am Beispiel der phrygischen Stadt Orkistos legt sie dar, dass auch in der Spätantike weiterhin ein Fortbestand städtischer Finanzautonomie festzustellen sei, wohingegen belegte Konfiskationen als Einzelfälle aufgrund wirtschaftlicher Notwendigkeit zu sehen seien.5

Claudia Tiersch stellt die Frage nach den Konsequenzen des christlichen Monotheismus für den spätantiken Staat (S. 249–281). Als Motiv für die konstantinische Politik nennt sie neben der kultischen Reichseinheit weiterhin das Ziel einer Stärkung der Verwaltung. Dieses Ziel habe sich vor allem durch die wachsende administrative Rolle des Bischofs, nur teilweise aber durch den legitimatorischen Charakter der christlichen Theologie verwirklicht. Umgekehrt falle der Faktor des Selbstverständnisses der Kirche bei Konflikten mit dem Kaiser negativ ins Gewicht, und die theologischen Streitigkeiten des 5. Jahrhunderts hätten die Grenzen der kaiserlichen Politik aufgezeigt. Somit könne das Christentum insgesamt als Faktor von Staatlichkeit des spätantiken Reiches angesehen werden.6 John Weisweiler befasst sich mit dem Verhältnis von Staat und senatorischer Elite in der Korrespondenz des Symmachus (S. 343–373). Aufgrund der Notwendigkeit staatlicher Unterstützung bei der Verwaltung ihres entfernt voneinander in den Provinzen liegenden Landbesitzes und der damit verbundenen Abhängigkeit hätten die Senatoren von den administrativen Änderungen des 4. Jahrhunderts erheblich profitiert. Peter Sarris untersucht das Verhältnis von Aristokratie, Bauernschaft und Staat in der Spätantike (S. 375–392). Er sieht in den coloni adscripticii der großen Gehöfte eine Gruppe, die „chronically insecure“ (S. 390) war und deren gesetzlicher und sozialer Status mit dem von Sklaven vergleichbar gewesen sei. Allerdings ist einzuwenden, dass Sarris die Großgrundbesitzer als potentielle Opponenten gegen den Staat ansieht (S. 390), was von der neueren Forschung bestritten wird.7

Birgit Emich untersucht mit der „Formalisierung des Informellen“ die Formalisierung von personalen Beziehungen am Beispiel der päpstlichen Kurie und deren Institutionen des Kardinalnepoten und des Patronagesekretariats (S. 81–95). Sie zeigt, dass in der Verwaltung das Informelle nicht verdrängt, sondern formalisiert wurde, was allerdings unterbunden wurde, sobald die stabilisierende Wirkung dieses Prozesses nicht mehr notwendig war. Toby Osborne beschäftigt sich mit dem Konnex von Diplomatie und Staat der Renaissance (S. 117–135). Er demonstriert die enge Verbindung von Staatswerdung und Diplomatie, die aus der entsprechenden Entwicklung der Verwaltungsstrukturen und der Rolle der Botschafter als Demonstration von Souveränität resultiert. Am Beispiel Savoyen zeigt er die Verbindung von Hof und Diplomatie mit den sozialen Eliten auf. Die Rolle des frühneuzeitlichen Rechtssystems für die Staatlichkeit ist das Thema Christian Wielands (S. 181–204). Auf Basis eines Vergleiches zwischen Frankreich und Bayern im 16. Jahrhundert legt er die unterschiedlichen Erfolge bei der Verdrängung der Fehde durch die Justiz dar und kommt zu dem Schluss, dass trotz des hohen konfliktgenerierenden Potentials des Rechtes langfristig eine befriedende Wirkung erkennbar sei. Ute Lotz-Heumann analysiert die Rolle der Konfession im frühneuzeitlichen Irland (S. 229–247). Sie erkennt, dass diese kein verstärkendes Element der Staatsbildung, sondern ein Katalysator des Widerstands gewesen sei. Bei der Frage nach „Erfolg“ und „Misserfolg“ seien die Langwierigkeit des Prozesses sowie die Interaktion der verschiedenen sozialen Gruppen zu berücksichtigen.

Antje Flüchter befasst sich mit dem Fall des indischen Großmoguls Akbar als Beispiel für „Transreligiöse Integration als Faktor von Staatsbildung“ (S. 283–313). Sie stellt diese Politik als Lösungsansatz für die notwendig gewordene Entscheidung dar, andere Religionen entweder zu integrieren oder zu dominieren. Die Frage nach dem Verhältnis von persönlicher und politischer Motivation Akbars sei nicht klar zu beantworten. Jeroen Duindam betrachtet das Verhältnis von Herrschern und Eliten in Europa und Asien (S. 317–342). Er demonstriert die Vergleichbarkeit der Herrscher-Elite-Beziehungen, da sich die Herrscher mit ähnlichen Problemen konfrontiert sahen, insbesondere dem der Etablierung einer dem dynastischen System gegenüber loyalen Gruppe. Achim Landwehr untersucht die Bevölkerungszählungen im Venedig des 17. und 18. Jahrhunderts (S. 393–411). Auf dieser Basis zeichnet er die Entwicklung der „Bevölkerung“ von einer gegebenen Größe zu einem formbaren ökonomischen Faktor nach. Eine Rückständigkeit Venedigs sei nicht festzustellen.

Der Leser, der von diesem Band einen durchgehenden Vergleich der Staatlichkeit in der Spätantike und der Frühen Neuzeit erwartet, dürfte ihn enttäuscht beiseitelegen. Der Sammelband bietet aber eine Reihe von sehr lesenswerten Beiträgen mit einer lockeren Verbindung beider Epochen, die zukünftigen Studien manchen interessanten Impuls geben dürften. Kann also der epochenübergreifende Vergleich nur begrenzt als gelungen angesehen werden, so haben die Einzelstudien dennoch ihren Wert; vereinzelte formelle Kritikpunkte fallen dabei kaum ins Gewicht.8

Anmerkungen:
1 In seiner Rezension von Robert Malcolm Erringtons „Roman Imperial Policy from Julian to Theodosius“, Chapel Hill 2006, in: Klio 91 (2009), S. 239f., hier S. 239.
2 Neben den S. 11f. genannten Forschungen sei noch auf das Projekt „Interkultureller Strukturvergleich zwischen europäischer und chinesischer Antike“ der Ludwig-Maximilians-Universität München verwiesen (Projektbeschreibung: <http://www.ag.geschichte.uni-muenchen.de/forschung/forsch_projekte/china/index.html> [19.01.2012]).
3 Eine immer noch lesenswerte Diskussion bietet Wilhelm Ensslin, Der Kaiser in der Spätantike, in: Historische Zeitschrift 177 (1954), S. 449–468, hier S. 449f.
4 Als Beispiel mag folgende Ausführung (S. 59) dienen: „Zum einen ist hier das beachtliche Beharrungspotential der sozialen Organisation zu nennen, in der speziell Eliten von einem konsequenten Umsetzen bürokratisierender Umstrukturierungen der Administration variable Kapitalverluste befürchteten und befürchten mußten, da eines der wichtigsten Funktionsprinzipien einer Bürokratie Unpersönlichkeit der Abläufe und Entscheidungen ist; schon protobürokratische Formalisierungen zeitigen Entpersonalisierungstendenzen. […] Die aus dem Festhalten an den eigenen Vorteilen resultierende Obstruktion der Elite ist aber eben nicht oder besser nicht nur mit Widerstand gegen den kaiserlichen Konkurrenten um Ressourcen zu deuten. Der Widerstand bzw. die Verweigerungshaltung richtete sich zu wesentlichen Teilen gegen eine reale oder befürchtete quasi-eigengesetzliche Verselbständigung der Administration, eine spiralige Kulminierung der Entpersonalisierung, die die Herrscher ebenso zu befürchten hatten.“
5 Ähnlich jetzt auch Giorgio Bonamente, Einziehung und Nutzung von Tempelgut durch Staat und Stadt in der Spätantike, in: Johannes Hahn (Hrsg.), Spätantiker Staat und religiöser Konflikt, Berlin 2011, S. 55–92.
6 Nur der Vollständigkeit halber sei noch auf den von Tiersch nicht berücksichtigten Forschungsüberblick von Martin Wallraff, Tendenzen zum Monotheismus als Kennzeichen der religiösen Kultur der Spätantike, in: Verkündigung und Forschung 52 (2007), S. 65–79 hingewiesen.
7 Vgl. dazu James G. Keenan, Egypt, in: Averil Cameron u.a. (Hrsg.), The Cambridge Ancient History, Bd. 14, Cambridge 2000, S. 612–637, bes. S. 631–633.
8 Folgende in den Literaturverzeichnissen nicht aufgelöste Titel seien hier noch ergänzt: S. 20, Anm. 35 meint: Rowland B. E. Smith, The imperial court of the Late Roman Empire, in: Anthony Spawforth (Hrsg.), Court and court society in Ancient monarchies, Cambridge 2007, S. 157–232; S. 26, Anm. 52 meint: John F. Matthews, Western aristocracies and Roman imperial court, Oxford 1973; S. 144, Anm. 21 meint: Roger Bagnall, Egypt in Late Antiquity, Princeton 1993; S. 147, Anm. 28 meint: Michael H. Crawford, Roman statutes, London 1996; S. 149, Anm. 30 meint: Paul Cartledge / Anthony Spawforth, Hellenistic and Roman Sparta, London 1989 und Julien Fournier, Sparte et la justice romaine sous le Haut-Empire, in: Revue des Études Grecques 118 (2005), S. 117–137; S. 154, Anm. 56 und S. 158, Anm. 75 meint: Roland Ganghoffer, L’évolution des institutions municipals en Occident et en Orient au Bas-Empire, Paris 1963; S. 162, Anm. 86–87 und 89 meint: Elisabeth Herrmann-Otto, Ecclesia est in re publica, Frankfurt am Main 1980; S. 166, Anm. 99 meint: Wolfgang Kuhoff, Diokletian und die Epoche der Tetrarchie, Frankfurt am Main 2001; S. 217, Anm. 52 meint: Roland Delmaire, Largesses sacrées et res private, Paris 1989; S. 262, Anm. 59, S. 263, Anm. 62–63 und 65 und S. 275, Anm. 122 meint: Martin Heinzelmann, Bischof und Herrschaft vom spätantiken Gallien bis zu den karolingischen Hausmeiern, in: Friedrich Prinz (Hrsg.), Herrschaft und Kirche, Stuttgart 1988, S. 23–82; S. 273, Anm. 114 meint: Robert A. Markus, The end of Ancient Christianity, Cambridge 1990; S. 276, Anm. 123 meint: Hans-Georg Beck, Das byzantinische Jahrtausend, München 1994; S. 356, Anm. 63 meint: Antti Arjava, Women and law in Late Antiquity, Oxford 1996; S. 359, Anm. 69 meint: John F. Matthews, Symmachus and his enemies, in: François Paschoud (Hrsg.), Colloque genevois sur Symmaque, Paris 1986, S. 163–175. Die bibliographische Angabe auf S. 38 ist folgendermaßen zu korrigieren: Mischa Meier, Das späte römische Kaiserreich ein ‚Zwangsstaat‘? Anmerkungen zu einer Forschungskontroverse, in: Dariusz Brodka / Joanna Janik / Sławomir Sprawski (Hrsg.), Freedom and its limits in the Ancient World (= Electrum 9), Kraków 2003, S. 193–213.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension