Chr. Gnilka u.a.: Blutzeuge. Tod und Grab des Petrus in Rom

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Titel
Blutzeuge. Tod und Grab des Petrus in Rom


Autor(en)
Gnilka, Christian; Heid, Stefan; Riesner, Rainer
Erschienen
Regensburg 2010: Schnell & Steiner
Anzahl Seiten
197 S.
Preis
€ 16,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Mario Ziegler, Institut für Alte Geschichte, Universität des Saarlandes Saarbrücken

Die zentrale Bedeutung, die die Frage nach dem eventuellen Tod und der Beisetzung des Apostels Petrus in Rom nach wie vor für die kirchengeschichtliche Forschung besitzt, manifestierte sich in der jüngeren Vergangenheit allein in deutscher Sprache in mehreren kontroversen Monographien.1 Der hier zu besprechende Band ging aus einer Tagung hervor, die vom 13. bis 17. Februar 2010 in Rom zum Thema „Petrus in Rom“ veranstaltet wurde. Mit dem klassischen Philologen Christian Gnilka (Münster), dem Theologen Rainer Riesner (Darmstadt) und dem Archäologen Stefan Heid (Rom) äußern sich drei der Teilnehmer dieser Tagung. Dabei stellen ihre Ausführungen gewissermaßen die Gegenthesen zu einem zuvor publizierten Werk Otto Zwierleins dar,2 der die Historizität des Petrusmartyriums in Rom verneint und eine sekundäre Entstehung der Petrus- und Paulustradition in der Metropole vertritt. Auf Zwierleins Werk nehmen die Autoren immer wieder Bezug, seine „eifernde Akribie, mit der die Petrustraditionen neuerdings wieder zerlegt und als totes Treibgut zurückgelassen werden“ (S. 7), weisen sie – teilweise mit deutlichen Worten – zurück. Zwierlein selbst reagierte mit einer langen Replik.3

Das Werk ist in zwei Teile gegliedert, deren erster (S. 13–108) sich der Frage nach dem Aufenthalt des Petrus in der Hauptstadt widmet, während der zweite (S. 111–196) die Frage nach den Gräbern des Petrus und des Paulus in den größeren Kontext christlicher Gräberverehrung stellt. Dieser zweite Teil ist ausschließlich von Stefan Heid verfasst, während der erste in drei weitgehend voneinander unabhängige Kapitel der drei Autoren zerfällt. In seinem Beitrag „Paulus, Petrus und Rom im Neuen Testament“ (S. 13–32) geht Riesner zunächst auf Paulus ein. Gegen Zwierleins These, der Verfasser der Apostelgeschichte habe über das Ende der Apostel bewusst geschwiegen, weil er um 90/100 n.Chr. keine Informationen mehr darüber besaß, sieht Riesner innertextliche Hinweise dafür, dass diesem Autor ein Martyrium des Paulus vor Augen stand (S. 13f.). Damit wendet er sich zugleich gegen eine Spätdatierung der Apostelgeschichte, für die er sogar einen Abfassungszeitpunkt unmittelbar nach der Neronischen Verfolgung, also noch vor dem Jahr 70, für denkbar hält (S. 14ff.). Ebenfalls eine frühe Datierung nimmt er für den Zweiten Timotheus-Brief an, den er auf Grund sprachlicher Übereinstimmungen gleichfalls Lukas zuschreibt (S. 17f.). Der zweite Teil seines Abschnittes (S. 25ff.) ist Petrus gewidmet. In der bekannten Stelle Apg 12,17 zu Petrus („ging er fort und zog an einen anderen Ort“) sieht er einen möglichen Hinweis auf die Romreise des Apostels; weitere Indizien für einen petrinischen Romaufenthalt oder zumindest eine Petrustradition in der Hauptstadt macht Riesner (S. 28–32) in der Grußformel des Ersten Petrusbriefes (5,13), der Ascensio Isaiae, der Petrusapokalypse sowie dem Streitgespräch des Presbyters Gaius mit dem Montanisten Proklos aus, das Eusebius (hist. eccl. 3,31,4) referiert.

Mit der zweiten Abhandlung des ersten Teiles von Christian Gnilka („Philologisches zur römischen Petrustradition“, S. 33–80) werden die neutestamentarischen Zeugnisse verlassen. In dieser Untersuchung widmet sich Gnilka den Indizien für Tod und Bestattung des Petrus in Rom in den Schriften der Kirchenväter. Ein wichtiges Indiz sieht er dabei (S. 34) in Cypr. unit. eccl. 4, wo trotz der Auseinandersetzungen mit Bischof Stephanus von Rom im Ketzertaufstreit die apostolische Sukzession des römischen Stuhles nie grundsätzlich bezweifelt wird – dies bleibt allerdings als argumentum ex silentio eine etwas problematische Schlussfolgerung. Es schließt sich eine lange Betrachtung der Stelle Tert. scorp. 15,1–4 an (S. 35ff.), in der Gnilka den Hinweis auf allgemein einsehbare behördliche Aufzeichnungen über Hinrichtungen erkennt und die Folgerung zieht (S. 42): „Wer also sagte, Tertullian habe tatsächlich die Akten der Prozesse gegen Petrus und gegen Paulus eingesehen, behauptet nichts Unmögliches. Aber ich komme den Skeptikern ein Stück entgegen und sage nur: Tertullian war sich sicher, daß es diese Akten gab.“ Weitere Hinweise werden in Joh. 21,18–19 („…bist du aber alt geworden, wirst du deine Arme ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und führen, wohin du nicht willst.“) sowie in der Grußformel des Ersten Petrusbriefes (1 Petr 5,13) gesehen. Bei letzterer folgt Gnilka der traditionellen Interpretation der Ortsangabe „Babylon“ als Deckname für Rom und widerspricht damit Zwierleins Deutung, der in ihr die Diaspora allgemein erkennt. Damit steht Gnilka allerdings vor der Notwendigkeit, den offenkundigen Widerspruch zwischen den sehr negativen Aussagen über „Babylon“ und der loyalen Haltung gegenüber dem römischen Staat in 1 Petr. 2,13–17 erklären zu müssen. Der Verweis auf die ebenfalls zwiespältige Darstellung in Tertullians Apologeticum sowie die allgemeine Aussage, die „Dinge liegen auf verschiedenen Ebenen. Man kann durchaus das heidnische Leben als Sündenpfühl betrachten und trotzdem staatsbürgerliche Loyalität fordern und praktizieren“ (S. 59), können hierbei nicht vollständig befriedigen.

Eine weitere zentrale Quelle ist traditionell der Erste Clemensbrief. Nach einer längeren Erörterung (S. 59ff.) der Stelle 1 Clem 5,2 („aus Neid und Mißgunst wurden die größten und gerechtesten Säulen verfolgt und kämpften bis zum Tode“), in der Gnilka – anders als Zwierlein – einen Verweis auf das Martyrium des Petrus und Paulus als Teil und Vollendung des Kampfes sieht, zieht er zu diesem Martyrium das Fazit (S. 70f.): „Auf Rom als Ort ihres Martyriums führt der Text nicht zwingend. Aber es gibt darin auch nichts, was solcher Annahme widerspräche. […] Die Annahme, daß die beiden Apostel nicht nur der Zeit, sondern auch dem Orte nach dem Absender nahe stehen, hat […] eine gewisse natürliche Plausibilität.“ Die Plausibilität hat er auch bei seiner Analyse der Aussage des Dionysius von Korinth über Petrus und Paulus (Eus. hist. eccl. 2,25,8) auf seiner Seite (S. 74): „Dionysius sagt, der Clemensbrief werde ‚nach altem Brauch‘ (ex archaiou ethous) vor der Gemeinde Korinths verlesen. Der Brief war also ein in Korinth seit vielen Jahren bekanntes und gewiss vielbesprochenes Aktenstück. Ist es dann wahrscheinlich, daß plötzlich ein einzelner, eben Bischof Dionysius, auftreten und aus dem Text Schlüsse über das Wirken des Apostel in Rom ziehen kann, die vor ihm niemand gezogen hat? Und weiter: ist es wahrscheinlich, daß er die Anerkennung seiner (falschen) Schlüsse im Tone der Selbstverständlichkeit bei seinen römischen Adressaten voraussetzen darf?“ Der Abschnitt schließt mit einer harten Kritik an Zwierleins Arbeit (S. 78: „Es mangelt dem Buch ein wirklicher Traditionsbegriff.“) und Methode (S. 79: „Doch müssen wir erkennen, daß unserer Wissenschaft, ich meine: der Philologie, Grenzen gesetzt sind. Wir dürfen uns nicht vorstellen, daß, weil wir selbst mit Texten arbeiten, auch große Tatsachen nur über das Medium der Texte hin sich erhalten und verbreiten, daß alle Permanenz der Ideen sich nur im Abschreiben des einen vom anderen realisieren kann.“).

Der dritte Abschnitt des ersten Teiles aus der Feder Stefan Heids („Märtyrergrab im Römerbrief des Ignatius“, S. 81–108) setzt sich mit dem Märtyrergrab im Römerbrief des Ignatius von Antiochia auseinander. Die Echtheit dieses Briefes wird gegen Zwierlein, der ihn in die Zeit 170–190 datiert, aufrechterhalten (S. 81 mit Anm. 3). Die Bezüge auf die Apostelgräber erkennt Heid in der Formulierung Ign. Rom. 2,1–4,3, besonders 4,2–3: „Besser, ihr lockt die Bestien, damit sie mir ein Grab werden und nichts übriglassen von den Gliedern meines Leibes, damit ich als Entschlafener niemandem zur Last werde. Dann werde ich wahrhaftig ein Jünger Jesu Christi sein, wenn die Welt nicht einmal mehr meinen Leib sehen wird. Fleht Christus für mich an, damit ich durch diese Werkzeuge als Gottesopfer erfunden werde. Nicht wie Petrus und Paulus befehle ich euch. Jene: Apostel, ich: ein Verurteilter; jene: Freie, ich aber bis jetzt Sklave.“ Das Zerreißen durch die Löwen wird in einen bewussten Gegensatz zum Grab gestellt und ein Bezug zu den Apostelgräbern vermutet (S. 88f.): „Die Römer versuchten Ignatius den Löwentod auszureden, indem sie ihm ausrichten ließen, dass er in einem solchen Falle kein Grab haben werde, auf dem sein Name stehe, und er ohne Grab kein Totengedächtnis zu erwarten habe. Sie werden ihm wahrscheinlich auch gesagt haben, dass er ihnen durch sein Insistieren auf dem Löwentod die Aussicht auf ein weiteres Märtyrergrab neben jenen des Petrus und Paulus nehme. Man wird hinzugefügt haben, dass er sich von der Sorge der Römer für die Toten, die auch ihm ein Totengedächtnis garantiere, am Beispiel der Apostelgräber überzeugen könne. Das alles steht so ausdrücklich nicht geschrieben, aber man kann es aus der Reaktion des Ignatius erschließen.“ Diese Argumentation erscheint mir nicht ganz zwingend. Wenn man schon einen Gegensatz zwischen Grab und Tod ad bestias erkennen möchte, muss man darin sicher keinen Verweis auf die Apostelgräber sehen. Die Erwähnung von Petrus und Paulus erfolgt im Kontext des Befehlens, nicht im Zusammenhang mit dem Grab. Wenn Heid (S. 107) vermutet, die römische Gemeinde habe Ignatius vom Löwentod mit dem Hinweis abbringen wollen, auch die Apostel hätten es nicht verschmäht, dass ihr Andenken an den Gräbern bewahrt werde, so scheint mir dies etwas überinterpretiert. Zuzustimmen ist Heid jedoch, wenn er hervorhebt (S. 108), Ignatius werde in der Korrespondenz mit der römischen Gemeinde Petrus und Paulus nicht als beliebige Beispiele genannt, sondern bewusst stadtrömische Märtyrer gewählt haben.

Der zweite ausschließlich von Heid verfasste Teil stellt die gewonnenen Ergebnisse in den größeren Kontext christlicher Märtyrerverehrung („Jubel am Grab“, S. 111–196). Im Gegensatz zur Mehrheitsmeinung der Forschung, die diese Anfänge frühestens im 2. Jahrhundert in Kleinasien mit dem Martyrium des Polykarp von Smyrna vermutet, setzt Heid sie früher an und sieht als denkbaren Ausgangspunkt der Praxis Rom an: „Eine solche Praxis muss auch andernorts bekannt und auffallend gewesen sein. So etwas entwickelt sich nicht in wenigen Wochen. Es dürfte vielmehr bereits in anderen Regionen auffallende Beispiele solcher Kultzentren gegeben haben, die die jüdische Gemeinde Smyrnas das Schlimmste befürchten ließen, so dass sie durch die Verbrennung der Gebeine Polykarps den Anfängen wehren wollten. Man könnte hier durchaus an die Apostelgräber in Rom denken, deren Ruhm bis nach Kleinasien gedrungen war […] So war zu befürchten, dass nach dessen [Polykarps] Hinrichtung in Smyrna ein Grabkult wie in Rom und anderen Städten (Ephesus: Johannes, Hierapolis: Philippus) entstünde.“ (S. 114) Im Folgenden werden die jüdischen Wurzeln der Gräberverehrung (S. 120ff.) und der Kult um das leere Jesus-Grab in Jerusalem (S. 127ff.) als Parallelen herangezogen und die Entwicklung des christlichen Märtyrerkultes über die Konstantinische Wende hinaus nachvollzogen.

Die Diskrepanz in der methodischen Herangehensweise zwischen Otto Zwierlein und den drei Autoren des angezeigten Werkes wird in aller Deutlichkeit in einer Aussage Heids zu den Quellen deutlich (S. 147): Für Zwierlein „gibt es ausschließlich Papier und das, was darauf steht. Wirklichkeit ist allein, was geschrieben steht, aber selbst das ist eher unwahr. Alle Texte des Neuen Testaments und der folgenden zwei Jahrhunderte sind zunächst einmal literarische Artefakte, in denen einer vom andern abschreibt, ohne je die Wirklichkeit zu berühren.“ Dagegen wird die Tradition gestellt, die nicht in konkreten Quellen greifbar, aber dennoch wirkmächtig sei.

Es war sicher nicht die Absicht der drei Autoren, vollständig sine ira et studio zu schreiben, und so fallen die Argumente bisweilen stärker ad personam aus, als es im wissenschaftlichen Diskurs üblich ist. Gerade die Spannung, die aus der unterschiedlichen Vorgehensweise der „streitenden Parteien“ resultiert, macht aber – neben der ungebrochenen Aktualität und Bedeutung des Themas – eine vertiefte Beschäftigung mit den Argumenten dieser Forschungskontroverse äußerst reizvoll.

Anmerkungen:
1 Neben der im Folgenden dargestellten Forschungskontroverse erschien 2010 das Werk: Josef Schmidt, Petrus und sein Grab in Rom. Gemeindegründung, Martyrium und Petrusnachfolge in der Offenbarung des Johannes und im Hirt des Hermas, Hildesheim. In ihm setzt der Autor allerdings Aufenthalt und Martyrium des Paulus in der Hauptstadt voraus.
2 Otto Zwierlein, Petrus in Rom. Die literarischen Zeugnisse. Mit einer kritischen Edition der Martyrien des Petrus und Paulus auf neuer handschriftlicher Grundlage, Berlin 2009 (2. Aufl. 2010). Vgl. meine Rezension in: H-Soz-u-Kult, 14.12.2009 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-4-222> (03.02.2012).
3 Otto Zwierlein, Kritisches zur Römischen Petrustradition und zur Datierung des Ersten Clemensbriefes, in: Göttinger Forum für Altertumswissenschaft 13 (2010), S. 87–157.

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