B. Bastl (Hrsg.): Zeitreisen: Syrien, Palmyra, Rom

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Titel
Zeitreisen: Syrien – Palmyra – Rom. Festschrift für Andreas Schmidt-Colinet zum 65. Geburtstag


Herausgeber
Bastl, Beatrix; Gassner, Verena; Muss, Ulrike
Erschienen
Anzahl Seiten
234 S.
Preis
€ 65,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Agnes Henning, Institut für Klassische Archäologie, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

In der deutschsprachigen Archäologie ist ein Name besonders mit der antiken Oasenstadt Palmyra und der römischen Provinz Syria verbunden: Andreas Schmidt-Colinet. Ihm, der als Referent am Deutschen Archäologischen Institut Damaskus nach Syrien kam und der später schließlich als Professor in Wien tätig war, ist eine von Wiener Kolleginnen herausgegebene Festschrift gewidmet. Einem Schriftenverzeichnis, welches das wissenschaftliche Schaffen des Jubilars eindrucksvoll belegt, folgen insgesamt 17 Beiträge. Diese sind nach den Namen der Autoren alphabetisch angeordnet, sollen hier jedoch zur besseren inhaltlichen Übersicht thematisch gebündelt werden.

Den größten Teil des Bandes nehmen konsequenterweise die insgesamt elf Beiträge zu Palmyra ein. Den Reigen der Artikel eröffnet Waleed al-Asa’ad, der derzeitige Direktor der Antiken und des Museums von Palmyra und Sohn des vormaligen Direktors und langjährigen Kooperationspartners Schmidt-Colinets, Khaled al-Asa’ad. Sein Beitrag „The Three Graces. New Discovery from Palmyra“ (S. 15–21) ist in Zusammenarbeit mit Christiane Delplace entstanden. Er behandelt darin das Motiv einer im Jahr 2009 gefundenen Terrakottaplakette mit der Wiedergabe der drei Grazien. Diese entspricht der seit hellenistischer Zeit gängigen Darstellungsweise: Die drei nackten Frauen stehen eng beieinander, wobei eine der Frauen dem Betrachter ihren Rücken zuwendet. Die Plakette stellt offenbar innerhalb der Ikonographie Palmyras den ersten Fund dieses Motivs dar.

Mit Jean-Charles Balty folgt der Beitrag eines langjährigen Syrien-Experten („Deux reliefs palmyréniens du Musée Saint Raymond, Musée des Antiques de Toulouse“, S. 23–28). Darin bespricht er eine sogenannte Loculusplatte, eine Grabverschlussplatte, mit der Darstellung einer verstorbenen Frau sowie das Relief eines lagernden Priesters. Beide Stücke dürften aus palmyrenischen Gräbern stammen und gelangten aus verschiedenen Privatsammlungen in das Museum von Toulouse. Diese stehen stellvertretend für die über die ganze Welt verstreuten und in zahlreichen Museen eindeutig zu identifizierenden palmyrenischen Grabreliefs, die zunehmend in Katalogen vorgelegt werden.1 Beide Reliefs datieren in die spätere Zeit der palmyrenischen Plastik, also in die zweite Hälfte des 2. bzw. an den Beginn des 3. Jahrhunderts n.Chr.

In diesem Kontext ist auch der Beitrag von Georg Plattner, einem langjährigen Mitarbeiter Schmidt-Colinets, zu sehen, der die „Palmyrenischen Reliefs im Kunsthistorischen Museum Wien“ (S. 159–184) vorstellt. In einem Katalog präsentiert er insgesamt 15 Objekte, die teilweise bereits seit über 100 Jahren zur Wiener Sammlung gehören. Hierbei handelt es sich wohl ebenfalls ausnahmslos um Grabskulpturen. Neben mehreren kleinformatigen Reliefs sind auch Bruchstücke von größeren Grabskulpturen vertreten. Ihr chronologischer Rahmen erstreckt sich von der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts n.Chr. bis in das 3. Jahrhundert n.Chr.

Klaus-Stefan Freyberger, der ehemalige Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts in Damaskus, widmet sich in seinem Beitrag „Der Himmelssitz des Bel in Palmyra“ (S. 51–65) der Ausgestaltung und Bedeutung des nördlichen Thalamos des Bel-Tempels in Palmyra. Vor allem die Bauform der Kuppel in Verbindung mit dem vorhandenen Reliefdekor erlaubt eine Interpretation als Himmelsgewölbe, womit das Adyton als Sitz des Gottes verstanden werden muss. Derartige Architekturformen im Kontext profaner Bauten wurden offenbar ähnlich verstanden und werteten diese Gebäude auf.

Michał Gawlikowski, ebenfalls ein ausgewiesener Palmyra-Forscher, beschäftigt sich in seinem Beitrag mit der bildlichen Darstellung des palmyrenischen Herrschers Odainat und seines Sohnes Herodianus („The royalty from Palmyra once again“, S. 67–72). Trotz ihrer historischen Berühmtheit konnten sie in der palmyrenischen Bildkunst bislang nicht gefasst werden. Auf zwei runden tesserae kann Gawlikowski nun ihre Darstellung nachweisen.

Ted Kaizer, der sich intensiv als Historiker mit Palmyra beschäftigt, zeigt mit seinem Artikel „From Zenobia to Alexander the Sleepless“ (S. 113–123), dass das religiöse Leben in Palmyra auch noch nach der Eroberung durch Aurelian im Jahr 272 n.Chr. fortbestand. Dabei wertet er Quellen zum jüdischen und christlichen Glauben, aber auch zur Kontinuität der Verehrung der antiken paganen Götter Palmyras aus.

Mehrere Mitarbeiter aus den Projekten Schmidt-Colinets in Palmyra haben sich ebenfalls an dem Band beteiligt. René Ployer fügt vier Metallfragmente aus der Grabung Schmidt-Colinets in der sogenannten hellenistischen Stadt zu einem „Schwertgehänge der mittleren Kaiserzeit aus Palmyra“ (S. 185–196) zusammen. Christiane Römer-Strehl zeigt anhand von zwei Lampenfragmenten, die ebenfalls aus den Grabungen in der ‚hellenistischen‘ Stadt stammen, wie das aus dem Westen importierte Motiv des Pan Eingang in die palmyrenische Lampenproduktion fand („Der Pan auf der Lampe“, S. 197–200). Aus der Zusammenarbeit Schmidt-Colinets mit Annemarie Stauffer für das Projekt zu den Textilien von Palmyra2 und einem aktuellen EU-Projekt resultiert das Thema des Beitrags „Kleidung in Palmyra: Neue Fragen an alte Funde“ (S. 209–213). Stauffer liefert darin wichtige Ergebnisse ihrer Untersuchungen zu den palmyrenischen Männer- und Frauentrachten in der Reliefkunst. Sie ist nicht nur in der Lage, annähernd fünfzig unterschiedliche Trachtelemente zu bestimmen, sondern kann auch zeigen, dass es Abweichungen zwischen den bildlichen Darstellungen und den originalen Textilfunden aus Palmyra gibt. Die Interpretation dieser Diskrepanz bedarf weiterer Überlegungen.

Die Erklärung einer antiken Grabbeigabe durch neuzeitliche lokale Handwerkstechnik scheint Kiyohide Saito gelungen zu sein: In seinem Beitrag „Sheep metacarpi accompanying the dead at an underground tomb in Palmyra, Syria“ (S. 201–208) beschreibt er anschaulich, wie er die Funde von jeweils zwei Vordermittelfußknochen von Schafen in Frauengräbern interpretieren konnte. Dabei half ihm die Entdeckung, dass diese extrem stabilen Knochen bis heute in Syrien bei der Nutzung von Webstühlen eingesetzt werden und selbst großer Belastung über Jahrzehnte standhalten. Somit könnten die in die Gräber beigegebenen Knochen als Symbol für die Webtätigkeit einer verstorbenen Frau verstanden werden.

Antonio Invernizzi widmet sich in seinem Beitrag einem forschungsgeschichtlichen Thema zu Palmyra. „La relazione di Palmira del conte Vidua, 1820“ (S. 103–111) referiert aus dem ausführlichen Bericht Carlo Viduas, der im Jahr 1820 in die Levante und nach Palmyra reiste. Während seines dreitägigen Aufenthalts in der Oasenstadt war er sichtlich von den erhaltenen Gebäuden beeindruckt. Dies illustriert anschaulich seine Eigenheit, die damals exakt 371 noch aufrecht stehenden Säulen zu zählen.

Mehrere Kollegen Schmidt-Colinets behandeln in ihren Beiträgen Themen, welche andere Regionen des syrischen Raumes betreffen. So untersuchen Markus Gschwind und Haytham Hasan den „Ausstattungsluxus spätantiker Wohnbauten in den Provinzen Syria prima et secunda“ (S. 73–102). Ausgangspunkt ist das Fragment einer marmornen Tischplatte, welche im Kontext eines großen repräsentativen Peristylgebäudes in der antiken Militärsiedlung Raphaneae im Westen Syriens gefunden wurde, wenn auch nur als Oberflächenfund. Das Bruchstück zeigt ein charakteristisches rabenschnabelförmiges Randprofil, das einst zu einem spätantiken runden Marmortisch gehörte. Derartige Tische waren im Mittelmeerraum der Spätantike weit verbreitet. Somit kann nach Meinung der Autoren der runde Tisch ebenso wie der häufig bildlich dargestellte halbkreisförmige Tisch im Stibadium zum Ausstattungsrepertoire spätantiker Profanbauten gezählt werden.

Ein im Hauran, im Süden Syriens, gefundener antiker Kopf aus dem lokalen, schwarzen Basaltgestein beschäftigt Dominik Maschek („Die Gegenwart des Princeps am Ende der Welt“, S. 125–139). Das im Heiligtum von Dhakîr bereits in den 1950er-Jahren aufgefundene Männerporträt weist charakteristische Züge auf, welche Kaiser Trajan zugeordnet werden können. Anhand des Trajanporträts auf Münzen und deren Umlauf in Syrien kann Maschek den Kopf überzeugend in das 2. Jahrhundert n.Chr. datieren, und nicht in das 3. Jahrhundert n.Chr., wie es bislang in der Forschung geschah. Damit fällt neues Licht auf die Herrscherrepräsentation in der römischen Provinz Syria.

In den Norden Syriens, allerdings in die Neuzeit, nimmt uns Anton Bammer mit, der drei „Synagogen im türkisch-nordsyrischen Raum“ (S. 29–35) vorstellt. Diese liegen in der Umgebung von Aleppo, stammen vom Ende des 19. Jahrhunderts und sind heute teilweise verfallen. Charakteristisch sind ihr rechteckiger Bauentwurf und ihr zentraler Hof, welcher sich vom syrisch-arabischen Wohnhaus ableiten lässt. Eine Eigenheit stellt jeweils das Midraschgebäude dar – die Schule –, das üblicherweise keine Rolle in der Architektur der Synagogen spielt. Der Grund für diese Besonderheiten in der Synagogengestaltung liegt in der räumlichen Nähe Aleppos zu Urfa, welches als Geburtsort Abrahams große Bedeutung für die Juden besitzt.

Drei Beiträge führen uns außerhalb Syriens und spiegeln damit das weit gefächerte wissenschaftliche Interesse des Jubilars wider, das nicht allein auf den Osten beschränkt ist. Seine beiden Weggefährten Friedhelm Prayon und Stephan Steingräber knüpfen mit „Grab und Altar. Römische Felsdenkmäler in etruskischer Tradition“ (S. 219–234) an zurückliegende gemeinsame Studien an. Die beiden Autoren stellen eine Reihe von Felsmonumenten aus der Umgebung von Bomarzo vor, die sich durch ihre Gestaltung als Altäre auszeichnen, jedoch ebenso als Grabstätten genutzt wurden. Auch wenn diese aus dem anstehenden Fels geschlagenen und mit Treppenstufen versehenen Monumente in die republikanische Zeit datieren, gehen sie wohl auf eine seit archaischer Zeit in Südetrurien verbreitete Sitte zurück.

Mit dem Beitrag „Decebals Freitod als inszeniertes Spektakel?“ (S. 141–157) von Fritz Mitthof wird nun auch der römische Westen berücksichtigt. Der kleine Ort Graufesenque im Süden Frankreichs war in der römischen Kaiserzeit ein bedeutender Produktionsort von Terra-Sigillata-Geschirr. Der durch Signaturen bekannte Modeldekorateur L. Cosius thematisierte in seinen Reliefs Episoden aus den Feldzügen Trajans. An der Figur des Dakerkönigs Decebal kann der Autor darstellen, dass es sich bei den Reliefs jedoch nicht um die Wiedergabe historischer Ereignisse handelt, sondern offenbar nachgestellte Szenen aus den posthumen Feierlichkeiten zu Ehren Trajans im Jahr 118 n.Chr. abgebildet sind.

In welcher Form die Antike die Architektur des Wiener Jugendstils beeinflusste, zeigt der Beitrag von Beatrix Bastl („Wiener Jugendstilvestibüle. Ein antikes Motiv und seine Folgen“, S. 37–49). Der Architekt Neumann Tropp hatte vermutlich Musterbücher mit antikisierenden Motiven für die Ausgestaltung seiner Häuser genutzt. Das Thema der Verwendung von standardisierten Vorlagen für Dekorelemente hat auch den Jubilar bereits in seinen Studien zu Palmyra beschäftigt.3

Der Wert der Festschrift für Andreas Schmidt-Colinet liegt sicher in den Artikeln namhafter Autorinnen und Autoren zu Palmyra und dem antiken Syrien. Ihre Einzelstudien stellen wichtige Beiträge zur Denkmälerkenntnis und zum Verständnis der syrischen Oasenstadt und der Provinz Syria dar. Die übrigen Aufsätze mögen zwar nicht in dieses Konzept passen, im Sinne einer Festschrift belegen sie jedoch den wissenschaftlichen Betätigungsradius und die kollegialen Verbindungen des Jubilars.

Anmerkungen:
1 Vgl. Jacqueline Dentzer-Feydy / Javier Teixidor, Les Antiquités de Palmyre au Musée du Louvre, Paris 1993; Gunhild Ploug, Catalogue of the Palmyrene Sculptures, Ny Carlsberg Glyptotek, København 1995.
2 Andreas Schmidt-Colinet / Annemarie Stauffer / Khaled al-Assad, Die Textilien aus Palmyra, Mainz 2000.
3 Vgl. Khaled al-As‛ad / Andreas Schmidt-Colinet, Kulturbegegnung im Grenzbereich, in: Andreas Schmidt-Colinet (Hrsg.), Palmyra. Kulturbegegnung im Grenzbereich, 3. Aufl., Mainz 2005, S. 36–63.

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