J. W. Huntebrinker: Söldner als soziale Gruppe

Cover
Titel
"Fromme Knechte" und "Garteteufel". Söldner als soziale Gruppe im 16. und 17. Jahrhundert


Autor(en)
Huntebrinker, Jan Willem
Reihe
Konflikte und Kultur – Historische Perspektiven 22
Erschienen
Konstanz 2010: UVK Verlag
Anzahl Seiten
451 S.
Preis
€ 54,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dieter Oliver Bongartz, Institut für Geschichtswissenschaft, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Die moderne Geschichtswissenschaft versteht Militärgeschichte zunehmend als nutzbringende Bereicherung besonders der Sozialgeschichte und hat sich von der früheren Beschränkung auf eine reine Taktik- und Strategiekunde längst gelöst. Doch besteht noch immer dringender Bedarf an neuen Arbeiten in weiten Teilen dieses um die soziale Komponente bereicherten Forschungszweiges. So ist denn auch eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Militärwesen der Frühen Neuzeit und dem Söldner- und Landsknechtswesen im Speziellen aufgrund der allgemein bislang eher geübten Zurückhaltung gegenüber derartigen Untersuchungsgegenständen durchaus zu begrüßen.

Jan Willem Huntebrinker möchte mit seiner Arbeit einen Beitrag zur Erforschung der Söldner als sozialer Gruppe im 16. und 17. Jahrhundert leisten und sie in die Gesellschaft ihrer Zeit einordnen. Einleitend formuliert der Autor das Anliegen seiner Studie, die Söldner als Konstituenten einer in sich geschlossenen und erfassbaren Gruppe in Beziehung zur Gesamtgesellschaft zu setzen. Die hierzu gewählte Herangehensweise erscheint Ziel führend. Der bereits von Michael Sikora auf das Untersuchungsfeld Söldner angewandten Trennung zwischen Außen- und Innensichten folgend1, versucht Huntebrinker, die für die Gruppe der Söldner geltenden inneren Ordnungsprinzipien darzulegen und ihr Verhältnis zu übergeordneten Gesellschaftsnormen zu beleuchten – sowohl in ihren positiven Auslegungen wie auch in durch mediale Inszenierungen unterstellten oder durch Militärakten bezeugten negativen Verfehlungen.

Problematisch mag der Umfang des gewählten Untersuchungszeitraums erscheinen, der eine Phase tiefgreifender Veränderungen im militärischen und sozialen Sektor einschließt. Damit wird eine kongruente Bewertung der Verhältnisse wenigstens erschwert, es hätte sich aber auch eine Chance zur vergleichenden Analyse geboten. Zudem wirft der Ansatz Huntebrinkers die Frage auf, ob es grundsätzlich zulässig ist, alle Söldner zu einer sozialen Gruppe zusammenzufassen. Wurden sie von ihren Zeitgenossen als Angehörige einer solchen verstanden oder unterlagen sie möglicherweise einer viel differenzierteren Sichtweise, abhängig von ihrem Stand, ihrer konkreten Position innerhalb des Militärs oder ihrer Herkunft? Inwieweit könnten sich solche Unterschiede, wenn nicht auf die Außensicht, so doch auf die Innensicht ausgewirkt haben?

Zunächst widmet sich der Autor auf der Grundlage von Flugblättern der Darstellung von Söldnern durch Dritte und somit der Außenperspektive. Allein, der strikten Beschränkung der Quellen zur Außensichtbestimmung auf eben jene Mittel der medialen Inszenierung mit natürlich instrumentalisierender Intention stehen leider keine anderen deskriptiven Quellen zur Seite, die die durch die Analyse der Drucke ermittelten Bilder der Söldner stützen oder diesen womöglich doch widersprechen könnten. Leider können Flugblätter als primäre Quelle auch über ihre Entstehungsepoche hinaus und in der Retrospektive dem Rezipienten stets nur die von ihren Verfassern intendierten Blickwinkel überliefern und nur sehr bedingt, im zeitgenössischen Zusammenhang betrachtet, Auskunft über ihre reale Rezeption, ihre Wirkung und vor allem über den allgemeinen gesellschaftlichen Konsens in ihrer Bewertung oder gar ihre meinungsbildende Qualität aussagen. Natürlich spiegeln sie Denkweisen und Attitüden wider, gewähren aber nur einen eingeschränkten, immer von der Motivation des Verfassers beeinflussten Blick und bergen daher die latente Gefahr in sich, selbst bei kritischer Auseinandersetzung erneut ihre originäre sehr einseitige Sicht zu evozieren.

Ungeachtet der kritischen Frage nach der Allgemeingültigkeit der getroffenen Aussagen ist allein der Umfang der vorgelegten Auswertung jener Quellengattung einhergehend mit der Erschließung ihrer unbezweifelten Aussagekraft für die Beurteilung der Söldner als sozialer Gruppe überaus beachtenswert. Denn die Flugschriften dürfen in ihrer Dichtheit als Indikatoren eines bestimmten gesellschaftlichen Stereotypendenkens verstanden werden, ohne dessen vorausgesetzte Existenz sie keine wie auch immer intendierte Wirksamkeit hätten entfalten können. Für ein abschließendes Urteil über das Bild der Söldner als Individuen und als Gruppe wäre eine Untersuchung der Wirkung der medialen Inszenierung auf die zeitgenössische Gesellschaft notwendig, die jedoch selbst unter Heranziehung zusätzlicher Quellen kaum zu leisten möglich sein dürfte.

Als Überleitung zwischen den beiden Hauptteilen seiner Studie fügt der Autor einen Exkurs zur Bedeutung des Passports ein. Am Beispiel dieser Ausweispapiere vollzieht Huntebrinker den Schritt zwischen einer Außensicht auf die und einer Innensicht seitens der Söldner. Ob dabei jedoch dem Passport tatsächlich als Kontrollmittel der Obrigkeiten oder als Zeugnis über geleistete Dienste und bewiesenen Gehorsam bereits im 16. Jahrhundert ein hoher Stellenwert beigemessen werden darf, lässt der Autor offen. Und auf die realen zeitlichen Grenzen ihrer Wirksamkeit weist Huntebrinker dann auch selbst hin.

Der zweite Hauptteil der Arbeit setzt sich mit der Innenperspektive der Söldner auseinander. Auch hier wirkt die überwiegende Beschränkung des Autors auf eine Quellengattung problematisch. Der Versuch, das eigentümliche oder bestimmende Element des Selbstverständnisses der Söldner als Konstituenten einer sozialen Gruppe aus Militärgerichtsakten abzuleiten, erscheint heikel. Denn es handelt sich hier beständig um die Aufarbeitung von Ausnahmesituationen, die zwar dazu angetan sein mögen, sich wiederholende Sachverhalte im Umfeld der Söldner zu skizzieren, jedoch nur wenig vom Individuum in seiner Selbstbetrachtung offenbaren, um daraus ein korrektes Bild der Gruppe in ihrer Gesamtheit abzuleiten. Legen Vorgänge in der Zuständigkeit der Militärgerichtsbarkeit wie Desertion, Meuterei oder Insubordination auch beredtes Zeugnis für gewisse charakteristische Muster innerhalb der militärischen Gemeinschaft ab, so bleibt offen, ob sich die so gewonnenen Befunde generalisieren lassen.

Die vorliegende Arbeit unterstreicht die Annahme eines ambivalenten Bildes von Söldnern in der Anschauung ihrer Zeitgenossen, ebenso wie sie ein differenziertes Verständnis von der Selbstdarstellung der Gruppe bietet, eben jenes vom „Frommen Knecht“ einerseits und dem „Garteteufel“ andererseits. Es bleibt zu konstatieren, dass Huntebrinker mit seiner Arbeit die Messlatte sehr hoch legt und es ihm trotz etwaiger Kritikpunkte gelingt, einen lohnenden Beitrag zur Untersuchung des frühneuzeitlichen Militärwesens zu erbringen. Das auszeichnende Element stellt dabei sicherlich die bisher in dieser Form noch nicht geleistete Auswertung gerade solcher Quellen wie der Flugblätter und der Militärgerichtsakten dar, die über diese Studie hinaus dazu geeignet sind, als Hilfe oder Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen zu fungieren.

Anmerkung:
1 Michael Sikora, Söldner – historische Annäherung an einen Kriegertypus, in: Geschichte und Gesellschaft 29 (2003), S. 210-238.

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