Kaster, Robert A. (Hrsg.): Macrobii Ambrosii Theodosii Saturnalia. . Oxford 2011 : Oxford University Press, ISBN 978-0-19-957119-2 LVI, 540 S. £ 50,00

: Studies on the text of Macrobius’ _Saturnalia_. . Oxford 2010 : Oxford University Press, ISBN 978-0-19-975136-5 X, 128 S. £ 40,00

Kaster, Robert A. (Hrsg.): Macrobius, Saturnalia. Bd. 1: Books 1-2. Cambridge, Mass. 2011 : Harvard University Press, ISBN 978-0-674-99649-6 LXXIII, 387 S. € 19,50

Kaster, Robert A. (Hrsg.): Macrobius, Saturnalia. Bd. 2: Books 3-5. Cambridge, Mass. 2011 : Harvard University Press, ISBN 978-0-674-99671-7 X, 475 S. € 19,50

Kaster, Robert A. (Hrsg.): Macrobius, Saturnalia. Bd. 3: Books 6-7. Cambridge, Mass. 2011 : Harvard University Press, ISBN 978-0-674-99672-4 X, 454 S. € 19,50

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Habermehl, Theologische Fakultät, Humboldt-Universität zu Berlin

Zeitgenossen kannten Macrobius am ehesten als ranghöchsten zivilen Beamten des weströmischen Reiches.1 Erst spätere Generationen verbanden seinen Namen vor allem mit seinen literarischen Schöpfungen: mit seiner neuplatonischen Exegese von Ciceros „Somnium Scipionis“ (dank ihrer bewunderte ihn das Mittelalter als großen Philosophen) und mehr noch mit den „Saturnalia“, die zu den zentralen Werken der spätantiken Literatur zählen und lange Zeit ähnliche Popularität wie Augustins „Confessiones“ oder Boethius’ „De consolatione Philosophiae“ genossen.

Während der titelgebenden Saturnalien (dem wohl wichtigsten römischen Fest überhaupt) des Jahres 383 (?) lässt Macrobius nach dem Vorbild Ciceros eine große Runde römischer Intellektueller über alle erdenklichen Fragen ihrer Kultur, Literatur und Sprache diskutieren. Dies geschieht kaum von ungefähr. Das in den 430er-Jahren abgefasste Werk ist durchdrungen von der Mission, in Zeiten dramatischer historischer Umbrüche2 das Wissen alter Tage in enzyklopädischer Breite an die Nachgeborenen weiterzureichen. Dieses ‚antiquarische‘ Anliegen (so der nicht ganz glückliche moderne terminus technicus) rückt es in eine Reihe mit Varros „Antiquitates“, Athenaios’ „Gelehrtengesprächen“, Gellius’ „Noctes Atticae“ und vor allem mit der schwermütigen „Hochzeit Merkurs mit der Philologie“ des Zeitgenossen Martianus Capella.3

Die Überlieferung meinte es mit dem voluminösen Werk nicht eben gut. Rund zwei Fünftel des Textes sind verloren, das Erhaltene ist (nicht zuletzt dank der dicht gesäten griechischen Zitate) an vielen Stellen verderbt überliefert und allenfalls durch Konjektur zu heilen. Und ungeachtet einiger verdienstlicher Herausgeber (allen voran Ludwig van Jan) stand auch die Editionsgeschichte des Textes in der Neuzeit nicht immer unter einem guten Stern.4 Die maßgebliche Ausgabe der letzten fünfzig Jahre, die James Willis bei Teubner besorgte5, stieß von Anfang an auf teilweise heftige Kritik. Wie vieles bei Willis wirklich im Argen liegt, macht freilich erst Kasters radikale retractatio der Materie deutlich.

Der Name des Herausgebers weckt allerdings auch hohe Erwartungen. Kasters exquisiter Ruf verdankt sich dem kulturhistorischen Referenzwerk „Guardians of Language“; gefestigt haben ihn eine nicht eben kleine Serie erstklassiger Monographien und Editionen, zu denen sich nun als opus magnum die „Saturnalia“ gesellen.6 Eine frische Kollation der Textzeugen (deren Liste um einige bislang ungenutzte Kandidaten wuchs), eine scharfsinnige Überprüfung der Abhängigkeitsverhältnisse (die sich in einem deutlich revidierten Stemma niederschlägt) und nicht zuletzt eine Vielzahl weiser Entscheidungen bei der Textkonstitution (Kasters Oxford Classical Text weicht an etwa 300 Stellen von der Teubneriana ab und korrigiert dabei etliche Versehen und Missgriffe von Willis) führen in ihrer Summe zu dem besten Text der „Saturnalia“, der seit spätantiken Tagen zu lesen war. Dass zwei höchst willkommene Beigaben Kasters die neue Edition begleiten, trägt nicht wenig zu unserem Vergnügen an ihr bei.

Die drei Kapitel der „Studies on the Text of Macrobius’ Saturnalia“ sind gewiss keine Lektüre für Jedermann. Doch schwerlich dürfte man besseres Anschauungsmaterial für die Fragen finden, die sich bei der kritischen Auswertung von Handschriften ergeben, als in ihnen: Denn Kaster gelingt das Kunststück, der spröden Materie Leben einzuhauchen. Dozenten, die das Thema ‚Edition und Textkritik‘ unterrichten, sind nicht schlecht beraten, die einschlägigen Spielregeln und deren Nutzwendung in Kapitel eins zur handschriftlichen Überlieferung der „Saturnalia“ zu exemplifizieren: Wie lässt sich beispielsweise ausschließen, dass Handschriften voneinander abhängen? Was belegt umgekehrt die Familienzusammengehörigkeit von Handschriften? Wie klärt man Abhängigkeitsverhältnisse innerhalb von Familien? Philologische Feinarbeit leistet das zweite Kapitel, das rund ein Viertel jener Problemstellen detailliert behandelt, an denen Kasters Oxforder Text von Willis abweicht.

Textkritisches Neuland betritt Kapitel drei, „The author as Copyist“. Wie wenige andere Literaten der Antike zitiert Macrobius unentwegt ältere Quellen – wobei ihm höchstwahrscheinlich Fehler unterlaufen sind. Kaster ist der erste Herausgeber der „Saturnalia“, der sich an einer Typologie dieser Fehler versucht und eine Art Regelwerk für editorische Entscheidungen entwickelt, dessen Gewinn für die Textkritik nicht hoch genug zu veranschlagen ist. Ein unmittelbar einsichtiges Beispiel liefern die zahlreichen Zitate aus Vergil. Metrisch unmögliche Lesarten, die der gesamten antiken Vergilüberlieferung fremd sind, dürfte Macrobius weder in seinen Quellen gefunden noch selbst zu verantworten haben. Hier liegen mit Sicherheit frühe Kopistenfehler vor, die ihren Weg in den Archetypus der „Saturnalia“ fanden (vgl. S. 65f.). Umgekehrt dürften Varianten, die sich sowohl in antiken Vergilhandschriften als auch im Archetypus der „Saturnalia“ finden, sehr wohl auf Macrobius selbst zurückgehen (vgl. etwa S. 74).

Die Früchte dieser extensiven Vorarbeiten präsentiert Kasters kritische Edition in den Oxford Classical Texts. Neben einer Kurzgeschichte des Textes, die von der Abfassungszeit der „Saturnalia“ zu den ältesten erhaltenen karolingischen Textzeugen (um 800–820) und zu den essentiellen Editionen der Neuzeit reicht, bietet das Vorwort vor allem ein Resümee der Informationen aus den „Studies“. Hilfreich erweist sich der lange Katalog ausgewerteter Handschriften, der für alle Textzeugen etliche singuläre Lesarten verzeichnet („singular uncorrected and uncorrectable errors“). Ausführlich behandelt Kaster auch die umfangreichen griechischen Passagen seines Textes, die nur einzelne Zweige der Überlieferung leidlich vollständig (dafür vielfach dramatisch entstellt) übermitteln. Als Segen für künftige Editoren dürfte sich die systematische Liste typischer Verschreibungen in den griechischen Zitaten erweisen (S. xxxi–xlv). Der Text selbst und der zweigeteilte Apparat mit Testimonia und Lesarten sind ästhetisch ansprechend gesetzt.7 Reiche Indices beschließen den Band.

Mit den meisten Lesern darf zweifelsohne die dreibändige Ausgabe der „Saturnalia“ in der „Loeb Classical Library“ rechnen, die den (sparsam annotierten) Text der Oxforder Edition um eine englische Übersetzung und zahlreiche erklärende Anmerkungen erweitert. Die Einführung (in Bd. 1) geht umfassend auf die wenigen sicheren Daten zur Vita des Autors ein (dass Macrobius wahrscheinlich Christ war und für ein christliches Publikum schrieb, macht Kaster S. xxi–xxiv plausibel); Kaster erörtert ferner das dramatische Datum und das Anliegen der „Saturnalia“. Eine Art Katalog stellt das (weitgehend historische) Personal des Dialogs vor. Es folgen Informationen zur Struktur des Werks, die sich an Platons „Symposion“ anlehnt, und zu dessen (mutmaßlich) dreiteiliger Gliederung, parallel zu den drei Tagen des titelgebenden Festes. Einen guten Überblick vermittelt die detailfrohe Tabelle zum Inhalt, die neben den jeweiligen Gesprächsthemen die Hauptsprecher und Macrobius’ Quellen aufführt (S. xlviii–liii).

Die Übersetzung ist – needless to say – von hoher philologischer Qualität und liest sich angenehm flüssig.8 Es war eine weise Entscheidung, Macrobius’ pompösen und mitunter sterilen ‚Kanzleistil‘ nicht eins zu eins zu reproduzieren, sondern den Text in einer schlankeren, ‚entschlackten‘ Version zu präsentieren, die auch vor umgangssprachlichen Zutaten nicht zurückschreckt (vgl. Bd. 1, S. lvii). Einen ersten Eindruck mag der Auftakt der praefatio vermitteln (Bd. 1, S. 3): „Nature has formed many different attachments for us in this life, Eustathius my child, but she has forged no bond of affection stronger than the one that binds us to our offspring: so intent has she wished us to be on their upbringing and instruction that parents can neither find a greater source of pleasure, if all goes according to plan, nor experience greater grief, should things turn out otherwise.“9

In dem Princetoner Latinisten hat Macrobius einen kongenialen Herausgeber gefunden. Kasters saturnalisches Triptychon ist nicht nur sein philologisches Meisterstück – man darf es mit Fug und Recht zu den latinistischen Meilensteinen der Gegenwart zählen.

Anmerkungen:
1 Macrobius Ambrosius Theodosius (um 390 geboren) bekleidete im Jahr 430 n.Chr. das Amt des Prätorianerpräfekten für Italien (Cod. Theod. 12,6,33); im selben Jahr stirbt Augustinus in der von den Vandalen belagerten Stadt Hippo Regius.
2 Das weströmische Reich hatte in dieser Epoche substantielle Verluste erlitten: große Teile Hispaniens waren an die Sueben gefallen, Südgallien an die Goten, Nordafrika an die Vandalen.
3 Vergleichbares versucht zwei Jahrhunderte später Isidor von Sevilla in seinen Etymologiae.
4 Macrobii Ambrosii Theodosii opera quae supersunt, emendavit, & adnotationes adiecit L. Janus, 2 Bde., Quedlinburg 1848–1852. Vgl. Kaster, Studies, S. 3: „Modern critical work on the text of Macrobius’ Saturnalia has advanced […] by taking at least one step back for every two steps forward.“
5 Ambrosii Theodosii Macrobii Saturnalia apparatu critico instruxit Iacobus Willis (Bibliotheca Scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana), Leipzig 1963 u.ö.
6 Robert A. Kaster, Guardians of Language. The Grammarian and Society in Late Antiquity, Berkeley 1988; ders., The Tradition of the Text of the Aeneid in the ninth Century, New York 1990; ders., Studies on the Text of Suetonius De Grammaticis et Rhetoribus, Atlanta 1992; ders. (Hrsg.), C. Suetonius Tranquillus, De grammaticis et rhetoribus, Oxford 1995; ders., Emotion, Restraint, and Community in Ancient Rome, Oxford 2005; ders. (Hrsg.), M. Tullius Cicero, Speech on Behalf of Publius Sestius. Translated with Introduction and Commentary, Oxford 2006 (vgl. die Besprechung des Rezensenten in: Das Altertum 55, 2011, S. 71).
7 Zu den strikten Auswahlkriterien bei den Lesarten vgl. S. xxviii (rein orthographische Varianten entfallen völlig).
8 Im Vergleich mit einer alternativen deutschen Übersetzung des Textes – Ambrosius Theodosius Macrobius, Tischgespräche am Saturnalienfest. Einleitung, Übersetzung und Anmerkungen von Otto und Eva Schönberger, Würzburg 2008 – schneidet sie eindeutig besser ab.
9 Sat. praefatio § 1: „multas variasque res in hac vita nobis, Eustathi fili, natura conciliavit; sed nulla nos magis quam eorum qui e nobis essent procreati caritate devinxit, eamque nostram in his educandis atque erudiendis curam esse voluit, ut parentes, neque si id quod cuperent ex sententia cederet, tantum ulla alia ex re voluptatis, neque si contra eveniret, tantum maeroris capere possint.“

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