J. Findeisen: Vinland – Die Entdeckungsfahrten der Wikinger

Titel
Vinland – Die Entdeckungsfahrten der Wikinger von Island nach Grönland und Amerika. Erik der Rote, Bjarni Herjulfsson, Leif Eriksson und Thorfinn Karlsefni


Autor(en)
Findeisen, Jörg-Peter
Erschienen
Kiel 2011: Verlag Ludwig
Anzahl Seiten
224 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anita Sauckel, Institut für Nordische Philologie, Ludwig-Maximilians-Universität München

Pünktlich zur Frankfurter Buchmesse im Herbst 2011 mit ihrem Ehrengast Island erschienen zahlreiche Neuveröffentlichungen zum mittelalterlichen literarischen und historischen Erbe des Inselstaats im Nordatlantik. Viele von ihnen richten sich an den interessierten Laien, so auch der vorliegende Titel. In neun Kapiteln versucht der Neuzeithistoriker Jörg-Peter Findeisen die Entdeckung und Besiedlung Grönlands durch die Isländer und die sich daran anschließenden Entdeckungsfahrten an die nordamerikanische Küste (altnordisch: Vínland) sowie das Ende der wikingischen Besiedlung auf Grönland im Spätmittelalter zu skizzieren. Darüber hinaus wird auf die Forschungsexpeditionen des 15. bis 17. Jahrhunderts eingegangen, die sich zum Ziel gesetzt hatten, sowohl den wikingischen Siedlern auf Grönland nachzuspüren und deren Nachkommen ausfindig zu machen, als auch die Küste Nordamerikas zu erkunden. Findeisen unternimmt in diesem Zusammenhang den Versuch einer Synthese aus Archäologie, Historie und Literaturwissenschaft.

Die ersten drei Kapitel widmen sich den Voraussetzungen für die wikingische Expansion im Nordatlantik und stellen gleichzeitig die der Forschung zur Verfügung stehenden Quellen über diese Zeit vor, die sich aus archäologischen Funden und Befunden, lateinischen Schriftquellen und den Vínlandsagas, der Eiríks saga rauða und der Grœnlendinga saga, zusammensetzen. Letztere sind der Textgattung der sogenannten Isländersagas zuzuordnen, bei denen es sich um in altnordischer Sprache verfasste, literarische Prosatexte handelt, die über die Zeit von 870 n.Chr. (Besiedlung Islands) bis circa 1030 n.Chr. über das Geschehen auf Island berichten und hauptsächlich die Schicksale der führenden isländischen Familien im Freistaat verfolgen. Das Textkorpus der Isländersagas umfasst ungefähr drei Dutzend Werke, von denen ein Großteil im 13. Jahrhundert entstanden ist, und in der Vergangenheit lange Zeit als eine Sammlung historischer Quellen zur isländischen Geschichte des Mittelalters betrachtet wurde. Noch im 19. und frühen 20. Jahrhundert wurde die Theorie vertreten, die Isländersagas seien mündlich tradierte, wahrheitsgemäße Berichte aus der isländischen Freistaatzeit der Jahre 930–1030 n.Chr., die anschließend starr, in unveränderter Form über die Jahrhunderte hinweg bis zum Zeitpunkt ihrer Verschriftlichung tradiert worden, und somit als vollwertige, historische Quellen zu betrachten seien. Obwohl heutzutage ausgeschlossen werden kann, dass es sich bei den Isländersagas um historische Quellen handelt, sind sie trotzdem keine rein fiktive, literarische Gattung des Hoch– und Spätmittelalters. Immerhin haben viele der Sagahelden tatsächlich gelebt, und auch bekannte historische Ereignisse, wie etwa die Christianisierung Islands, finden Erwähnung. Zudem wird vonseiten der Forschung die Existenz mündlich tradierter Vorstufen der späteren, schriftlichen Isländersagas, nicht bezweifelt.

In den anschließenden Kapiteln begibt sich Findeisen auf die Spuren der Eríks saga rauða und der Grœnlendinga saga: Als historisch gesichert gilt, dass Erik der Rote (Eiríkr rauði) aufgrund mehrfachen Totschlags zuerst aus Norwegen verbannt wird, sich anschließend auf Island niederlässt und letztlich wegen erneuter Vergehen das Land für einen Zeitraum von drei Jahren verlassen muss. Während dieser Zeit (circa 982–985 n.Chr.) versucht er, das Land zu finden, das der Eiríks saga rauða zufolge einst ein gewisser Gunnbjörn Úlfsson entdeckt hatte.1 Nach Ablauf der dreijährigen Bannfrist kehrt Erik der Rote in seine Heimat zurück und wirbt dort Siedler für das neu erschlossene Gebiet an. Um möglichst viele Isländer von einer Auswanderung überzeugen zu können, nennt er das neue Land „grünes Land“ (Grœnland).2 An der grönländischen Westküste errichtet er seinen künftigen Wohnsitz Brattahlíð am Eiríksfjörðr, der gleichzeitig Thingstätte und somit politisches Zentrum des wikingisch besiedelten Teils der Insel wird. In unmittelbarer Nähe lokalisieren Archäologen zudem die erste Kirche des Landes, die sogenannte „Thjodhildskirche“, die den beiden Sagas zufolge von Eriks Ehefrau Thjodhild (Þjóðhildr) begründet wurde. Von diesem Ort aus werden auch die Erkundungsfahrten nach Vinland unternommen, das den Sagas zufolge von Eriks Sohn Leif entdeckt und von Archäologen an der neufundländischen Küste lokalisiert wird.

Der Versuch einer Synthese aus Archäologie, Historie und Literaturwissenschaft gelingt im Großen und Ganzen: Der Leser erhält in chronologischer Abfolge klar und verständlich gegliederte Einblicke sowohl in die archäologischen Untersuchungen auf Grönland und an der neufundländischen Küste sowie in die Lebensgewohnheiten der wikingischen Siedler. Besonders interessant ist die Untersuchung der Ereignisse des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit einschließlich der europäischen Forschungsexpeditionen nach Grönland und Nordamerika – kommen diese in den Analysen der Archäologen und in der altnordistischen Forschung doch gelegentlich zu kurz. Die Forschungsdiskussion um die Lokalisierung skandinavischer Überreste im neufundländischen L’Anse aux Meadows sowie die Probleme der Toponymik in Bezug auf die Ortsnamenbezeichnung „Vínland“ im Altnordischen werden thematisiert, jedoch nicht vertieft dargestellt, um ein Laienpublikum nicht unnötig zu strapazieren.

Verwirrend ist dagegen die uneinheitliche Orthografie von Orts– und Personennamen, auch wenn Findeisen darauf bereits im Vorwort aufmerksam macht (S. 17). So wird beispielsweise Erik der Rote mal „Eirik“, „Erik“ oder „Erich“ geschrieben. Bedauerlich ist außerdem, dass die anschaulichen Rekonstruktionsbeschreibungen vom Wohnsitz Eriks des Roten, Brattahlíð (S. 72-80), nicht durch entsprechende Bebilderung unterstrichen werden. Zwar ist das Werk sowohl mit einer modernen als auch einigen historischen Karten ausgestattet, doch sind sie entweder sehr klein geraten oder nur in unscharfen Graustufen abgedruckt und somit wenig wirkungsvoll.

Insgesamt stellt „Vinland“ ein für den interessierten Laien informatives Überblickswerk dar, das sowohl Archäologie als auch Historie und Literaturwissenschaft berücksichtigt. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis am Ende sowie ein chronologischer Überblick über die Wikingerzeit und die Geschichte der Besiedlung Grönlands und der Amerika–Expeditionen von 778 bis zum Jahr 1978 sowie ein Orts– und Personenregister runden die Monografie ab. Als Einstieg in die historische Grönlandforschung ist Findeisens „Vinland“ auch für Studenten durchaus geeignet.

Anmerkungen:
1 Vgl. Eiríks saga rauða, in: Eyrbyggja saga. Grœnlendinga sögur, hrsg. v. Einar Ólafur Sveinsson / Mathías Þorðarson, Reykjavík 1935, S. 193-237, hier: S. 199.
2 Vgl. ebd., S. 201.