M. Horstmanshoff (Hrsg.): Hippocrates and Medical Education

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Titel
Hippocrates and Medical Education. Selected Papers read at the XIIth International Hippocrates Colloquium, Universiteit Leiden, 24-26 August 2005


Herausgeber
Horstmanshoff, Manfred
Reihe
Studies in Ancient Medicine 35
Erschienen
Anzahl Seiten
XXVIII, 564 S.
Preis
€ 140,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anne Liewert, Institut für Klassische Altertumskunde, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Innerhalb der Hippokrates-Forschung nehmen die internationalen Kolloquien, die seit 1972 im Abstand von drei bis vier Jahren stattfinden, mittlerweile eine bedeutende Stellung ein. Sie beleuchten stets jeweils einen spezifischen Teilbereich der griechischen Medizin und ermöglichen in der anschließenden Publikation einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand. Der nun vorliegende Tagungsband des zwölften internationalen Hippokrates-Kolloquiums, das 2005 im Schloss Oud Poelgeest nahe Leiden stattfand, umfasst 23 Forschungsbeiträge, die sich mit verschiedenen Aspekten der antiken medizinischen Bildung beschäftigen. Etwa die Hälfte der Artikel konzentriert sich auf Schriften des Corpus Hippocraticum, die übrigen beziehen sich auf die spätere Entwicklung der Thematik, etwa bei Galen und anderen Autoren. Eine Reihe von Vorträgen der Tagung fand keinen Eingang in den Band.

Vorangestellt ist ein Vorwort des Herausgebers, das den Leser über Rahmen und Verlauf der Tagung informiert. Horstmanshoff stellt besonders die Bedeutung der Universität Leiden für die Hippokrates-Forschung heraus und fasst die Tagungsergebnisse zusammen. Den Einstieg in die eigentliche Thematik findet dann Jacques Jouanna, der, ausgehend von einer mittelalterlichen Freskendarstellung des antiken, medizinischen Menschenbilds, das Viererschema bei Hippokrates und Galen bis hin zur spätbyzantinischen Medizin ergründet, wobei er zwei bislang weitgehend vernachlässigte Belege berücksichtigt, die eine weitere Verbindung schaffen.

Die restlichen Beiträge sind in vier Gruppen unterteilt, die jeweils einem Aspekt der medizinischen Erziehung zufallen. Die erste Gruppe ist als „Doctors and Laymen“ betitelt und umfasst fünf Aufsätze: Ineke Sluiter untersucht die (fehlende) Verknüpfung von Medizin und Grammatik in Galens Werk und setzt diese in Beziehung zum Selbstbild und zur Reputation des großen Arztes. Lesley Dean-Jones betrachtet als Adressat des hippokratischen Traktats „De medico“ einen jungen Lehrer der Medizin, nachdem bislang stets angenommen wurde, er richte sich an medizinische Schüler. Mit Hilfe dieses Verständnisses vermag sie hinsichtlich zahlreicher ungelöster textkritischer Fragen neue Antworten zu finden. Mit der Rhetorik in der medizinischen Literatur der klassischen Periode befasst sich anschließend Pankaj K. Agarwalla und konzentriert sich dabei besonders auf die Anwendungsfelder dieser Kunst und ihrer Kritik. Pérez Cañizares analysiert die Schrift „De affectionibus“ und deren reflektierende und deontologische Sicht bezüglich der Ausbildung von medizinischen Laien. Abschließend untersucht Adriaan Rademaker den Gebrauch der Sprache als Argumentationsmedium und -quelle in der Verteidigungsschrift „De arte“ vor dem Hintergrund der sophistischen Debatten der Zeit.

Den zweiten Abschnitt „Teachers and Pupils“ eröffnet Robert Alessi mit einem Beitrag zur Autorenschaft der Epidemienbücher 2,4 und 6; er identifiziert den Verfasser schließlich als eine Person, die einer zu Forschungszwecken reisenden Gruppe von Kollegen und Schülern voranstand. Roberto Lo Presti beschäftigt sich in sehr umfassendem und ergiebigem Maße mit dem literarischen Diskurs medizinischer Fehler im Corpus Hippocraticum. Dem Einfluss des Rufs eines griechischen Arztes auf seine Schüler wendet sich Natacha Massar zu. Sie wertet den Namen des Lehrers als bedeutende Referenz innerhalb des Anerkennungsprozesses durch Patienten und Kollegen. Ann Ellis Hanson nimmt die Bildung von Ärzten in hellenistischer bis spätrömischer Zeit durch medizinische Literatur in Augenschein. Den Abschluss findet diese Gruppe von Beiträgen durch denjenigen von Gabriele Marasco, die sich ebenfalls der Bildung von Ärzten, jedoch mit dem Fokus auf nicht-medizinische Wissenschaftsgebiete im Römischen Reich, zuwendet.

Im dritten Abschnitt „Teaching of Surgery and Obstetrics“ wird das Gesamtthema der medizinischen Bildung auf einzelne Fachbereiche eingeschränkt: Er beginnt mit dem Beitrag von Elizabeth Craik, die zum einen die Legende von Chiron als dem medizinischen Lehrer des Asklepios und zum anderen verschiedene Typen chirurgischer Schriften untersucht. John Scarborough ergründet ebenfalls die chirurgische Unterrichtung und konzentriert sich dabei auf die im Alexandria des 7. Jahrhunderts entstandenen Schriften. Durch den Beitrag von Christian Laes wird zu dem Gebiet der Frauenheilkunde und Geburtshilfe übergeleitet. Er bezieht stark divergierende Darstellungen zur Hebamme im Römischen Reich in seine Analyse ein und stellt eine beachtliche Übersicht zu relevanten Inschriften zusammen. In einer recht knappen Untersuchung beschreibt Laurence M. V. Totelin die gynäkologischen Rezepte des Corpus Hippocraticum als kompilatorische Kurzfassungen eingehender Anweisungen, die sich an einen offenen Rezipientenkreis richteten. Den Abschluss findet die Themeneinheit durch Daniela Faustis analytische Betrachtung des dreiteiligen Werkes „De semine“ / „De natura pueri“ / „De morbis IV“. Präzise und umsichtig unterscheidet sie mehrere Interpretationsebenen und ermöglicht so ein neues Verständnis der wissenschaftlichen Methodik des Textes.

Den vierten Abschnitt „Galen and the Hippocratic tradition“ leitet Ralph M. Rosen mit einem Aufsatz über die polemischen Tendenzen in Galens Rhetorik ein, von denen ausgehend er eine Parallele zur griechisch-römischen Satire zieht. Caroline Petit beleuchtet daraufhin anhand der pseudo-galenischen „Introductio sive medicus“ die Bedeutung der Person des Hippokrates für die medizinische Unterrichtung in römischer Zeit, und Juan Antonio López Férez erörtert die Grundsätze und Bräuche des Lehrens und Lernens gemäß der Darstellungen Galens. Den Lehrbriefen, die als Einleitung zum pharmakologischen Werk des Marcellus Empiricus dienen, wendet sich Louise Cilliers zu und zeigt an ihnen die Heterogenität des ärztlichen Berufsbildes im späten 4. Jahrhundert auf. Peter E. Pormann untersucht die medizinische Ausbildung im spätantiken Alexandria und ihre Auswirkungen auf die Entstehung der mittelalterlichen Enzyklopädien. Zwei spätmittelalterliche Handbücher setzt Karine van’t Land zueinander in Beziehung und untersucht an ihnen den damaligen Wert von theoretischer Bildung einerseits und Empirie andererseits für die chirurgische Praxis. Jesús Angel y Espinós befasst sich mit den zahlreichen Einflüssen im Werk des spanischen Medizinautors Andrès Piquer y Arrufat aus dem 18. Jahrhundert und hebt dabei besonders dessen philologische Beschäftigung mit den „Epidemien“ hervor. Im letzten, sehr fundierten Beitrag des Tagungsbandes untersucht schließlich Roberto Lo Presti die hippokratischen Bezüge bei Herman Boerhaave und seine Argumentationsstruktur. Dieser Artikel wurde dem Band hinzugefügt, obgleich er während des Kolloquiums nicht vorgetragen wurde.

Die Vielzahl der Aufsätze besticht durch die Reichhaltigkeit an Informationen, die ein äußerst breites Spektrum der behandelten Thematik abbildet. Etwas erzwungen erscheint jedoch die Einteilung in die einzelnen Gruppen, innerhalb derer die Beiträge ein sehr heterogenes Bild formen; sie ließen sich ohne weiteres auch anderen Gruppen zuordnen. Somit erscheint der beeindruckend umfassende Sammelband zugleich als uneinheitlich und eher unstrukturiert.

Äußerst hilfreich für den Zugang des Lesers ist jedoch, dass jedem Artikel eine kurze Zusammenfassung vorangestellt ist und der Inhalt des Bandes durch ein Stellen- und ein Stichwortregister erschlossen wird. Die Ausweitung des ursprünglichen Forschungsschwerpunktes der Kolloquienreihe vom Corpus Hippocraticum hin zu seiner weiten Rezeptionsgeschichte ist dabei sehr begrüßenswert. So verschafft dieses Buch insgesamt mit Sicherheit die „Inspiration für weitere Forschung“ (S. XIV), die Horstmanshoff sich zu Beginn erhoffte, und bietet interessierten Lesern dem Titel entsprechend einen exzellenten Zugang zur medizinischen Bildung in der Antike.

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