H. Beck u.a. (Hrsg.): Feiern und Erinnern

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Titel
Feiern und Erinnern. Geschichtsbilder im Spiegel antiker Feste


Herausgeber
Beck, Hans; Wiemer, Hans-Ulrich
Reihe
Studien zur Alten Geschichte 12
Erschienen
Berlin 2010: Verlag Antike
Anzahl Seiten
240 S.
Preis
€ 54,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Roxana Kath, Historisches Seminar, Universität Leipzig

Der von Hans Beck und Ulrich Wiemer herausgegebene Band „Feiern und Erinnern. Geschichtsbilder im Spiegel antiker Feste“ betrachtet Feste in der griechischen und römischen Antike „als Orte sozialen Handelns“ (S. 9) und zugleich als Orte historischen Erinnerns. Die in ihm versammelten Beiträge, die aus Vorträgen einer gleichnamigen Sektion des 46. Deutschen Historikertages in Konstanz 2006 hervorgegangen sind1, bieten im Anschluss an eine ausführliche theoretische Einleitung sechs Fallbeispiele aus der Zeit des 4. Jahrhunderts v.Chr. bis in die Spätantike.

Hans Beck zeigt in seinem Beitrag „Ephebie – Ritual – Geschichte. Polisfest und historische Erinnerung im klassischen Griechenland“ (S. 55–82), dass die Erinnerung an die (gemeinsame) Vergangenheit von Polis zu Polis durchaus unterschiedlich ausfallen konnte. Während sich die Plataier an den Eleutherien ihres Sieges über die Perser 479 v.Chr. an der Seite der Spartaner und Athener erinnerten, feierten die Thebaner, die bei Plataiai auf der Seite der Verlierer gestanden hatten, mit den Daphnephorien ihren Sieg über die Athener bei Koroneia 447 v.Chr. Beck erweist am Beispiel der Epheben außerdem, dass in einer Polis der Jugend die entscheidende Bedeutung für die Weitergabe der kollektiven Erinnerung zukam, weshalb sie bei den Polisfesten auch herausragende Aufgaben übernahmen.

Hans-Ulrich Wiemer beschreibt in „Neue Feste – neue Geschichtsbilder? Zur Erinnerungsfunktion städtischer Feste im Hellenismus“ (S. 83–108) am Beispiel der Polis Magnesia am Mäander die gescheiterte Einführung eines neuen Festes. Das um die Mitte des 2. Jahrhunderts v.Chr. zur Erinnerung an die Bauarbeiten am Artemistempel neu eingeführte Fest der Eisiteria wurde im Gegensatz zu den Leukophryena, die eine überregionale Bedeutung erreichten und Besucher aus 150 griechischen Staaten anzogen, von der Bevölkerung nicht angenommen (S. 93). Wiemer betont daher den Primat mythologischer Feste, obwohl die Griechen nicht zwischen Mythos und Geschichte unterschieden (S. 27f.). Feste, die allerdings auf (zeit)historische Ereignisse zurückgingen, standen schnell in der Gefahr zu veralten oder politisch nicht mehr opportun zu sein (S. 101).

Rene Pfeilschifter erläutert in seinem Beitrag „Die Römer auf der Flucht. Republikanische Feste und Sinnstiftung durch aitiologischen Mythos“ (S. 109–139), wie die Menschen bereits in der Antike versuchten, den verlorengegangenen Sinn alter Feste durch eine Rekonstruktion ihrer Ursprünge zu ergründen bzw. diesen mit aitiologischen Mythen neu zu stiften. Pfeilschifter fokussiert sich in seiner Analyse der Poplifugia (5. Juli) und der Nonae Caprotinae (7. Juli) nicht auf den aufgrund der Quellenlage kaum ergründbaren „realhistorischen“ Ursprung der Feste, sondern auf die Wirkkraft und den Kontext, die sie in der Zeit hatten, in der sie gefeiert wurden. Er betrachtet dabei die Poplifugia und die Nonae Caprotinae im Zusammenhang und bietet drei mögliche Interpretationen des aitiologischen Mythos an: erstens die Erinnerung an das wiederhergestellte Schlachtenglück der Römer nach der Niederlage gegen die Etrusker; zweitens ein Vertuschungsmanöver der Senatoren für die Ermordung des Romulus; drittens ein nächtlicher Sieg der Römer über die nach der Gallierkatastrophe eingefallenen Latiner. Die dritte Interpretation hat den Vorteil, dass sie tatsächlich die beiden aufeinander folgenden Feste plausibilisiert. Pfeilschifter hebt hervor, dass die Existenz der drei verschiedenen Erklärungsmodelle der Römer auch den Wandel verdeutlicht, dem Feste unterworfen waren. Dass sich mehrere Wurzeln eines Festes finden lassen oder zu überlagern scheinen, könnte übrigens auch daran liegen, dass die Römer bestimmte Daten – insbesondere Unglückstagtage – auf denselben Tag legten, um den Kalender nicht zu überfrachten.2

Ralf Behrwald zeigt in seinem Beitrag „Festkalender der frühen Kaiserzeit als Medien der Erinnerung“ (S. 141–166) anhand der Kalender der stadtrömischen collegia und der italischen Städte, dass es keinen einheitlichen Festkalender gegeben hat, sondern die Kommunen durchaus aus dem Fundus der Feiertage des Kaiserhauses auswählten und lokale Schwerpunkte setzten. So berichteten die Fasti Maffeiani im Gegensatz zu den Fasti Vallenses beispielsweise sehr viel über die Siege Caesars, aber nur wenig über die des Octavian/Augustus – wodurch die kriegerische Seite des Princeps ausgeblendet wurde (S. 150–153). Im Römischen Reich gab es also ein Nebeneinander teilweise konkurrierender Geschichtsbilder (S. 154).

Mathäus Heil rekonstruiert in „Die Jubilarfeiern der römischen Kaiser“ (S.167–202) den Ursprung dieser Feiern aus den römischen vota, den Gelübden an die Götter, die nach Ablauf der Amtszeit eines Magistrats eingelöst werden mussten. Das besondere Problem der Kaiserzeit bestand in der potentiell nicht endenden Amtszeit und somit in der Gefahr, den Göttern die versprochenen Gaben zu verwehren. Um eine Störung der pax deorum zu verhindern, wurden Gelübde jeweils schon nach zehn Jahren (oder auch fünf Jahren) eingelöst. Eine elementare Aufgabe des Kaisers war zudem der Sieg über die äußeren Feinde. Ziel der Jubilarfeiern war daher der Beweis der kontinuierlichen Sieghaftigkeit des Kaisers und der Beleg seiner Fähigkeit, Leistungen für das Imperium zu erbringen. Die Jubilarfeiern wurden folglich oft politisch instrumentalisiert, und häufig waren sie Geltungsbehauptungen entgegen der Faktenlage. Da die vota die Hoffnung auf weitere zehn erfolgreiche Jahre versprachen, wurden sie auch in Zeiten, in denen die politische Lage alles andere als erfolgreich war, ausgiebig gefeiert. Die Vergangenheit gestaltete sich dann in der Rückschau als permanente Erfolgsgeschichte.

Mischa Meier thematisiert „Die Abschaffung der venationes durch Anastasios im Jahr 499 und die ‚kosmische‘ Bedeutung des Hippodroms“ (S. 203–232). Die Forschung hat dieses Ereignis oft mit dem Verbot der Pantomimen-Aufführungen 501/02 n.Chr. verknüpft. Meier legt hingegen in Anlehnung an Alain Chauvot und David Bomgardner3 den Fokus auf den bisher kaum beachteten ökonomischen Kontext. Er argumentiert, dass die venationes aufgrund der mit den Tierhatzen verbundenen immensen Kosten zeitweilig nicht mehr gefeiert wurden. Als sich die ökonomische Lage im Reich wieder besserte, wurden die Feiern wieder durchgeführt. Gleichzeitig beschreibt er, wie die Bedeutung der Pferderennen zunahm und das Hippodrom als Spiegel des Kosmos und als Erinnerungsort, der an die Gründungsgeschichte Roms anknüpfte, die Herrschaft des Kaisers stabilisierte.

Die Beiträge des Bandes veranschaulichen, dass das, was nicht erzählt oder explizit ausgeklammert wird, für den Historiker häufig interessanter ist, als das, was die Feste selbst erzählen. Zugleich wird deutlich, dass der performative Charakter der Feste und die Emotionalität von immenser Bedeutung für den Zusammenhalt und das (Selbst-)Verständnis der antiken Gemeinschaften waren. Die Feste erscheinen dadurch als eine kollektive ‚schauspielerische‘ Wiederbelebung von Geschichte und sind darin dem römischen Triumphzug und der pompa funebris verwandt. Diese Beschäftigung mit den religiösen und politisch-historischen Festen der Antike wirft einen neuen Blick auf das Verhältnis von Vergangenheit, kollektivem Erinnern und Historiographie und bringt über die spannenden Einzeluntersuchungen hinaus vor allem einen Gewinn auf methodischer Ebene. Der Band regt sicher das Interesse an weiteren (monographischen) Untersuchungen zu Festen in den einzelnen Epochen an, wodurch er seinen eigenen Anspruch (S. 43) voll erfüllt.

Anmerkungen:
1 Vgl. Klaus Scherberichs Tagungsbericht HT 2006: Feiern und Erinnern. Geschichtsbilder im Spiegel antiker Feste. 19.09.2006-22.09.2006, Konstanz, in: H-Soz-u-Kult, , <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=1163> (06.01.2012).
2 Vgl. dazu Jörg Rüpke, Kalender und Öffentlichkeit. Die Geschichte der Repräsentation und religiösen Qualifikation von Zeit in Rom, Berlin 1995, S. 569; Roxana Kath, Die Negation der Niederlage, in: Behemoth. A Journal on Civilisation 3 (2010), 75–100 <http://www.oldenbourg-link.com/doi/pdf/10.1524/behe.2010.0005> (06.01.2012).
3 David Bomgardner, The Story of the Roman Amphitheatre. London 2002, S. 219; Alan Chauvot (Hrsg.), Procope de Gaza, Priscien de Césarée. Panégyriques de l’empereur Anastase Ier. Texte traduits et commentés, Bonn 1986, S. 168.

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