R. Mathisen u.a. (Hrsg.): Romans, Barbarians, and the Transformation

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Titel
Romans, Barbarians, and the Transformation of the Roman World. Cultural Interaction and the Creation of Identity in Late Antiquity


Herausgeber
Mathisen, Ralph W.; Shanzer, Danuta
Erschienen
Farnham 2011: Ashgate
Anzahl Seiten
XIX, 378 S.
Preis
£ 65,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulrich Lambrecht, Institut für Geschichte, Universität Koblenz-Landau

Das Verhältnis zwischen barbarischen – also nichtrömischen – Völkerschaften und den Römern in der Spätantike ist seit Jahrzehnten ein in diversen Richtungen intensiv untersuchtes Feld, an dem verschiedene Forschungstraditionen Anteil haben. Der Auffassung vom unversöhnlichen Gegeneinander barbarischer und römischer Welten in starren Fronten ist durch die Ansätze der Ethnogenese-Forschung der „Wiener Schule“ vieles von ihrer Inflexibilität genommen worden. Zugleich haben historisch-anthropologische Ansätze vom Wandel in der Spätantike das Denken in Dichotomien zugunsten von Übergangsphasen verflüssigt, in denen unterschiedliche Lebenswelten einander beeinflussten und durchdrangen: So konnte durch Vorstellungen von sukzessiver und wechselseitiger Transformation anstelle von einseitigen Einwirkungen die eher integrativ orientierte Auffassung einer allmählichen Entwicklung von gänzlich Neuem in den verschiedensten Lebensbereichen in den Vordergrund treten. Allerdings wird auch in einigen aktuellen Forschungsarbeiten Roms Untergang wieder primär auf die barbarischen Völker zurückgeführt.1

Der von Ralph Mathisen und Danuta Shanzer herausgegebene Sammelband geht auf eine Tagung der University of Illinois im Jahre 2005 zurück, deren Beiträge nun – leider erst – nach sechs Jahren publiziert wurden. Die Aufsätze sind dem Transformationsansatz verpflichtet und stellen die Wechselseitigkeit der Einflussnahme in den Vordergrund: Veränderungen der römischen Kultur und des barbarischen Selbstverständnisses werden gleichermaßen berücksichtigt, Untergangsszenarien wegen der ihnen inhärenten Bewertungen vermieden. Es geht also um die Identitätsbildung von Barbaren unter dem Einfluss der auch nach 476 noch dominierenden römischen Kultur und zugleich um die Veränderung der römischen Kultur unter dem Einfluss dieser Völker. Damit wendet sich das Buch gegen die Vorstellung einseitiger „Romanisierung“ von Barbaren und ersetzt sie durch das Konzept wechselseitiger Beeinflussung: Derartige Interaktion sorgte für „a composite barbaro-Roman culture that integrated elements of the cultures of all the peoples involved“ (S. 4).

Im Interesse innerer Kohärenz der 25 Beiträge zu einem sehr offen und weit gefassten, obendrein alle geographischen Räume in der Nachbarschaft des Römischen Reiches tangierenden Thema sind diese nach übergeordneten inhaltlichen Gesichtspunkten gruppiert: Die vier Teile untersuchen Identitätskonstruktionen von Barbaren durch unterschiedliche Urheber und Faktoren (zehn Beiträge), die wechselseitige Einwirkung von Römern und Barbaren in den Grenzräumen (neun Beiträge), die Identitätsausformung in der nachrömischen Welt (fünf Beiträge) und die in Rezeptionsaspekten zum Ausdruck kommende moderne Konstruktion barbarischer Identität (ein Beitrag). Damit werden vielfältige Aspekte angeschnitten, mit deren Hilfe sich die Einwirkungen von Barbaren und Römern aufeinander illustrieren lassen.

Der erste Unterabschnitt des ersten Teils behandelt mit literarischen Konstruktionen barbarischer Identität Vorstellungen aus römischer Perspektive. Man erwartet abgrenzende Zuschreibungen, doch bieten diese angesichts der Veränderungen, die die Spätantike mit sich brachte, darüber hinaus teilweise durchaus differenzierte Einsichten. Behandelt werden hier unter anderem spätantike Barbarenkataloge (Ralph W. Mathisen) zur Ab- und Ausgrenzung gegenüber den Römern, wobei auch der teilweise feststellbare Wandel dieser Auffassung unter christlichem Einfluss berücksichtigt wird. Nicht zu bemerken ist ein solcher Wandel allerdings bei Augustinus (Gillian Clark), dessen Urteil alten Stereotypen verhaftet bleibt. Ein Problem ist die Zuordnung der Sasaniden zu den Barbaren: Auch wenn die Römer von ihrer Überlegenheit überzeugt sein mochten, mussten sie den Persern doch einen vergleichbaren Rang zuerkennen (Scott McDonough), so dass deren „barbarische“ Qualität – eine andere als die der nördlichen Nachbarn Roms – die Römer Charakteristiken ihrer eigenen Identität erkennen ließ (Jan Willem Drijvers).

Im zweiten Abschnitt des ersten Teils geht es um Deutungen barbarischer Aktivitäten: Hierzu zählen politische Interpretationen im Zusammenhang mit Einfällen barbarischer Gruppen in das römische Griechenland, die im 3. Jahrhundert n.Chr. im hergebrachten römischen Verständnis dichotomische Vorstellungen bedienten, im späten 4. Jahrhundert aber die Faktizität der innerrömischen Kämpfe zwischen Westen und Osten um Einfluss und Macht kaum noch hinter ihren Klagen über die Aktivitäten der Goten Alarichs verbergen konnten (Amelia Robertson Brown); ebenso finden sich religiöse Deutungen, in deren Rahmen miaphysitische Protagonisten im Osten das Ende des weströmischen Kaisertums als Gottes Missfallen an den Ergebnissen des Konzils von Chalkedon interpretierten (Edward Watts).

Unter den regierungsamtlichen Vorgaben zur Wahrnehmung von Barbaren, dem Thema des dritten Abschnitts dieses Teils, wird zunächst die Auseinanderentwicklung zwischen Juden und Samaritern im Gefolge der religiösen Vereinheitlichungspolitik Diokletians anlässlich seiner antichristlichen Maßnahmen behandelt, die für die Juden eine Ausnahme vom kaiserlichen Opferbefehl vorsahen, nicht jedoch für die Samariter (Yuval Shahar). Ein weiteres Thema ist das Verhältnis der Christen zum römischen Staat anfangs des 4. Jahrhunderts: Diokletian grenzte in Übereinstimmung mit neuplatonischen Vorstellungen nur die Christen, verstanden als „challenge to Roman identity“ (S. 123), aus dem römischen orbis aus (Elizabeth DePalma Digeser). Eine von herkömmlichen Szenarien abweichende Betrachtung der alemannischen Barbaren vertritt – der militärisch unerfahrene – Symmachus (or. 2,10–12), indem er die von Valentinian I. den Germanen gewährte Gelegenheit zur Flucht als „strafende“ indulgentia und damit als eine Strategie interpretiert, die in Untertänigkeit einzumünden vermag; Symmachus sieht also die Barbaren auf diese Weise in das Reich integriert (Cristiana Sogno).

Im zweiten Teil geht es im ersten Abschnitt um den Wechsel von Völkerschaften auf die römische Seite der Grenze, die durchaus auf römische Initiative zurückgehen konnte, wie der Kolonat als Modell für die Ansiedlung von Barbaren auf römischem Boden, den Cam Grey am Beispiel eines Gesetzes aus dem Jahre 409 (Cod. Theod. 5,6,3) diskutiert. Desgleichen konnte es bei Barbaren im römischen Dienst zu Loyalitätskonkurrenzen kommen (Kimberley Kagan). Der zweite Abschnitt thematisiert die Bedeutung des sozialen und wirtschaftlichen Austauschs für die Romanisierung von Barbaren, und zwar am Beispiel der Sklaverei barbarischer Gefangener bei den Römern und von Römern bei den Barbaren (Noel Lenski) sowie an der Diskrepanz zwischen ideologiegeprägten Barbarenstereotypen und einer Realität, die es auch Barbaren ermöglichte, Römer zu werden (Hartmut Ziche). Im dritten Abschnitt werden Beispiele wechselseitiger Anpassung in Grenzregionen vorgestellt: die religiöse Entwicklung an der Grenze zwischen dem südlichen Ägypten und dem Reich von Kusch (Salim Faraji), die Begegnung der Einwohner von Petra mit Arabern (Jason Moralee), Identitätsfragen in der Scythia minor bis zu den Einfällen der Avaren und Slaven zu Beginn des 7. Jahrhunderts (Linda Ellis) sowie von Augustinus (epist. 46–47) diskutierte Fragen des Umgangs christlicher Römer mit nordafrikanischen Barbaren (Kevin Uhalde).

Der dritte Teil bietet Beispiele für Identitätsausformungen barbarischer Völkerschaften auf der Grundlage römischer Vorbilder. Einen Schwerpunkt bildet dabei Spanien: Andreas Schwarcz fasst Argumente für die Klassifikation der tertiae Romanae und der sortes Gothicae als Grundlagen für die Landversorgung der Westgoten zusammen; Luis A. García Moreno liefert anhand eines Ehevertrags von 615 ein Beispiel gotischen wie römischen Einflusses angesichts eines ethnisch gemischten Adels in Córdoba; Scott de Brestian spürt der Entwicklung des Selbstverständnisses der Vascones in der Spätantike nach, die den Niedergang der römischen Herrschaft zur Ausbildung ihrer Identität nutzten. Ferner geht es anhand archäologischer Zeugnisse um Fragen barbarisch-römischer Ethnogenese durch Ansiedlung in Gallien (Patrick Périn und Michel Kazanski) sowie um Versuche, die Qualität der angelsächsischen Einwanderung nach Britannien anhand genetischer Spuren zu ermessen (Michael E. Jones). Der letzte Teil behandelt mit den Ausgrabungen Auguste Moutiés auf einem spätrömisch-frühmerowingischen Gräberfeld nahe Houdan (Île de France) in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Beispiel für die Entwicklung moderner Barbarenwahrnehmungen (Bailey Young und Barbara Oehlschlaeger-Garvey).

Die mit meist wenig mehr als zehn Druckseiten überwiegend kurzen Aufsätze bieten zahlreiche unterschiedliche Zugänge zu Beziehungen zwischen Barbaren und Römern in der Spätantike und ihren Folgen, ohne dass der Barbarenbegriff, wie es oft geschieht, auf die nördlichen Nachbarn des Römischen Reiches an Rhein und Donau beschränkt wäre, sondern vielmehr auch die Perser und Araber im Osten und Völker in Afrika im Süden einschließt. Damit umfasst er in diesem Sammelband alles Nichtrömische, wird als solcher aber nicht eigens reflektiert, wie es beispielsweise angesichts der Qualifikation von Christen als Barbaren bzw. Römer angebracht gewesen wäre: Durch Diokletian werden Christen aus der zivilisierten römisch-griechischen Welt ausgegrenzt und damit „barbarisiert“, während später christliche Einflussnahme in Nubien und im Donaudelta als „römisch“ gilt. Eine zusammenfassende Darstellung des Barbarenbildes und seiner Mutationen hätte in einem auswertenden Schlussbeitrag erfolgen können, der aus einem anderen Blickwinkel als in der Einleitung die wechselseitige Beeinflussung des Bildes von Römern und Barbaren und ihre Folgen für Verschiebungen und Veränderungen des Barbarenbegriffs bis in seine moderne Rezeption hinein thematisiert. Dies hätte das Anliegen des Sammelbandes und seiner Beiträge im Interesse der Historisierung des Transformationsgedankens zusammenfassend und ergebnissichernd verdeutlichen können.

Trotz des eingangs erläuterten ganzheitlichen Zugangs zum Thema über den Transformationsgedanken und eine wohlüberlegte Zuordnung der Aufsätze zu übergeordneten Themen bleibt der Zusammenhang mancher Beiträge mit den Zielen dieses Bandes eher locker, wie es vielleicht nicht ausbleibt, wenn mit Ergebnissen von Spezialforschungen diverse allgemeine Aspekte abgedeckt werden sollen. Eine Zusammenschau der gegenseitigen Einflussnahmen zwischen den Römern und den Barbaren in konziser Form versucht zu haben, darin liegt unbestreitbar ein Vorteil dieses Buches; das verleiht ihm auch gegenüber der von der Europäischen Wissenschaftsstiftung geförderten Reihe „Transformation of the Roman World“ mit ihren zahlreichen Bänden ein eigenes Profil.

Anmerkung:
1 Vgl. Peter Heather, The Fall of the Roman Empire, London 2006; Bryan Ward-Perkins, The Fall of Rome and the End of Civilisation, Oxford 2006. Zu beiden Büchern die Rezension von Udo Hartmann in: H-Soz-u-Kult, 09.07.2007, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-3-022> (09.12.2011).

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