A. Rothe: Popular Trauma Culture

Titel
Popular Trauma Culture. Selling the Pain of Others in the Mass Media


Autor(en)
Rothe, Anne
Erschienen
Anzahl Seiten
224 S.
Preis
€ 20,97
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Taubitz, Historisches Seminar, Nordamerikanische Geschichte, Universität Erfurt

Anne Rothe, Professorin für German am College of Liberal Arts and Sciences der Wayne State University in Detroit, spürt in ihrem Buch „Popular Trauma Culture: Selling the Pain of Others“ der Faszination nach, die von der massenmedialen Verbreitung individueller Leidens- und Opfergeschichten ausgeht. Ihr Untersuchungsgegenstand sind die USA der etwa letzten drei Jahrzehnte. In ihrer Analyse verknüpft sie auf originelle Weise drei „Genres“ von Leidensgeschichten, deren Verbindungen sich teilweise erst auf dem zweiten Blick erschließen. Es handelt sich hierbei erstens um die Lebensgeschichten von Holocaust-Überlebenden, zweitens der Präsentation „dysfunktionaler“ Menschen und ihrer traumatisierenden Erlebnisse in Talkshows, beispielsweise in der „Oprah Winfrey Show“ oder „Jerry Springer Show“, und drittens um gefälschte sowie ungefälschte „Misery Memoirs“, worunter (auto-)biografische Literatur verstanden wird, die das erfolgreiche Überstehen von Missbrauch und Trauma thematisiert. Rothe argumentiert, dass diese drei Kategorien durch allgegenwärtige Traumakonzepte verbunden werden und dadurch zu einem zentralen Bestandteil massenmedialer Repräsentationen werden konnten. Hierbei ist sie in der Lage, verschiedene Aspekte, die in den letzten Jahren verstärkt in die Aufmerksamkeit der historischen Kulturwissenschaften gelangten, in Verbindung zueinander zu setzen. Beispielsweise beschreibt sie, wie zunehmend die Opfer von Gewalt zu einem Gegenstand medialer Verhandlungen wurden und analysiert die Bedeutungsverschiebungen, die der Umbenennung von Opfern (victims) zu Überlebenden (survivors) folgten. Des Weiteren problematisiert sie sehr überzeugend die bedeutende Zunahme psychologischer und psychotherapeutischer Dienstleistungen sowie die Entstehung einer Selbst-Hilfe-Industrie seit den frühen 1980er-Jahren, die zu einer Pathologisierung und damit Entpolitisierung der betroffenen Individuen und ihrer politischen Forderungen führte.

Analog zu ihren Untersuchungsgegenständen ist Rothes Buch in drei Kapitel untergliedert. Unter der Überschrift „Popular Trauma Culture: Generating the Paradigm in Holocaust Discourse“ verhandelt Rothe im ersten Teil ihres Buches die Entstehung eines allgegenwärtigen Holocaust-Narrativs in den USA. Hier steht das Buch in der Tradition von Peter Novicks häufig rezipierten Studie „The Holocaust in American Life“.1 Anders als Novick stellt Rothe jedoch die Erzählungen von Holocaust-Überlebenden in das Zentrum ihrer Untersuchung, wobei sie sich auf die Paradigmen konzentriert, nach denen diese Erzählungen konstruiert werden. Warum der Holocaust eine wichtige Bedeutung im amerikanischen kollektiven Gedächtnis hat, erklärt sie durch die paradigmatische Plotstruktur des Ereignisses, die sich in den Erzählungen der Überlebenden herauskristallisiert hat. Ein Kampf zwischen Gut und Böse und eine Geschichte von Leiden und Erlösung charakterisiert diese Erzählung. Die Opfer von extremer Gewalt werden in diesen Erzählungen zu Überlebenden wodurch ihr Opfersein überwunden wird. Rothe verbindet hier Annette Wieviorkas „Era of the Witness“2 mit dem amerikanischen Nationalmythos des „self made man“, der alle Schwierigkeiten übersteht und aus Rückschlägen und Entbehrungen siegreich und stärker als zuvor hervorgeht.

Diesen Plot erkennt Rothe auch in der US-amerikanischen Unterhaltungsindustrie, die sie im zweiten Kapitel des Buches „Televison: Watching the Pain of Others on Daytime Talkshows“ beschreibt. Ihre Untersuchung von Fernsehtalkshows zeigt, dass auch hier Geschichten von Gewalt und Leiden ihre Auflösung in Genesung und Erlösung finden und dass auch hier, parallel zum Holocaust, eine Transformation von Opfern in Überlebende stattfindet. Rothe bindet diese Erzählungen zurück an psychotherapeutische Diskurse und Bewegungen der 1980er-Jahre, beispielsweise das „recovery movement“, und legt schlüssig dar, wie eine zunehmende Pathologisierung der Betroffenen zu einer Entpolitisierung ihrer sozialen Probleme und politischen Forderungen führen. Anhand einer Vielzahl von Beispielen verdeutlicht Rothe, wie therapeutische Diagnosen Individuen als genuin krank konstituieren und sie damit entpolitisieren und marginalisieren. Ihr besonderes Augenmerk richtet Rothe in ihrer Analyse sowohl auf „pop-psychologische“ Talkshowkonzepte, wie „Phil Donahue“ und „Oprah Winfrey“, als auch auf Trash-Talkshows wie die „Jerry Springer Show“.

Im dritten und letzen Teil ihres Buches „Popular Literature: Reading the Pain of Others in Misery Memoirs“ untermauert Rothe diese These, in dem sie sogenannte „Misery Memoirs“ untersucht, die sowohl vom Holocaust und anderen Genoziden, als auch von historisch unspezifischen Gewalterfahrungen handeln. Hierunter fallen fabrizierte Memoiren genauso wie „authentische“, das bedeutet in diesem Fall nicht-fiktive, autobiografische Geschichten. Gemeinsam haben diese Texte, dass in ihnen dramatische und extreme Schicksale beschrieben und dass sie in den letzten Jahren einen bedeutenden Popularitätsschub erhalten haben. Rothe argumentiert, dass der Triumph autobiografischer Erzählungen stark mit der wachsenden Bedeutung von Traumakonzepten zusammenhängt und diese Werke im Zusammenhang mit dem aufgeblähten psychotherapeutischen Markt gesehen werden müssen. Exemplarisch steht hier das 2003 veröffentlichte „A Million Little Pieces“ von James Frey.3 Die Geschichte von Sucht und Genesung eines kriminellen Drogensüchtigen, unter dessen rauer Schale ein Herz aus Gold schlägt, wurde von 17 Verlagen abgelehnt, bis sie von dessen Autor Frey nicht weiter als fiktiver Roman, sondern als autobiografischer Text angepriesen wurde. Nachdem das Buch von Oprah Winfrey in ihrer TV-Show vorgestellt wurde, entwickelte es sich zu einem Bestseller und bis 2006 wurden über 3,8 Millionen Ausgaben verkauft. Im gleichen Jahr wurde entlarvt, dass es sich bei dem Text nicht um eine Autobiografie, sondern um eine erfundene Geschichte handelt, was einen internationalen Medienskandal verursachte. Nicht als einzelne Tat eines verzweifelten Schriftstellers, der keine andere Möglichkeit sah, sein Buch zu veröffentlichen, als es autobiografisch zu vermarkten, sieht Anne Rothe diesen Vorfall, sondern als Ausdruck eines größeren kulturellen Trends in den USA der letzten zwei Jahrzehnte, der bislang in seiner sozialen Bedeutung von der Wissenschaft, insbesondere der Literaturwissenschaft, nicht berücksichtigt wurde.

Auch wenn die Autorin es nicht so deutlich formuliert, wird bei der Lektüre des unterhaltsamen und recht kurzweiligen Buches deutlich, dass Oprah Winfrey Dreh- und Angelpunkt der Analyse ist und als Multiplikatorin für die beschriebenen Phänomene gelten kann. Bei Oprah trifft die „pop-psychologische“ Selbst-Hilfe-Industrie auf Holocaust-Überlebende und ihre Leidensgeschichten. „Misery memoirs“, die sich später als fabriziert oder auch nicht herausstellen, werden vorgestellt und beworben und Holocaust-Kitsch, wie dem Roman und Film „The Boy in the Striped Pyjamas“, wird eine große Bühne gegeben. Zusätzlich personifiziert Oprah Winfrey selbst den Traumakitsch, indem sie ihre eigene Leidensgeschichte von Missbrauch, Armut und sexueller Gewalt publik macht und vermarktet.

Rothe macht die Auswirkungen der „popular trauma culture“ deutlich. Sie schreibt: „[…] by omitting the socio-economic contexts of oppression, victimization, and violence by representing these quintessentially political subjects as individual tragedies, trauma kitsch covertly reinforces the power structures that have created the represented injustices“ (S. 45). Rothes Befund über ihren Untersuchungsgegenstand, so zutreffend er auch sein mag, fällt jedoch etwas redundant aus. Als Problem der massenmedialen Inszenierung von verschiedenen Opfernarrativen führt sie wiederholt den sozio-ökonomischen Status quo an, der legitimiert und bestärkt wird und gleichzeitig zur Entpolitisierung führt (vgl beispielsweise S. 4, 14, 27, 29, 45, 52, 53, 60, 66, 88). Hier wären meines Erachtens weitere Erklärungen nötig, die beschreiben, wie Gesundheitsdiskurse, Zuschreibung individueller Dysfunktionen und psychologische Betrachtungen sozialer Phänomene zur Entpolitisierung beitragen, und vor allem eine genauere Beschreibung derjenigen Akteure, die von der Entpolitisierung der Opfer von Gewalt profitieren wäre wünschenswert gewesen. Nur vereinzelt tauchen in ihrer Analyse die sogenannten „culture wars“ auf (S. 29, 105), in denen in den frühen 1990er-Jahren Neo-Konservative gegen eine „Nation der Opfer“ und „Kultur des Jammerns“ angingen, da sie befürchteten, die zunehmende Inanspruchnahme eines Opferstatus ganzer Bevölkerungsgruppen würde die patriarchale und heteronormative Herrschaftsordnung in Frage stellen. Hier wäre es interessant gewesen, mehr über diese Positionen zu erfahren, da sie möglicherweise die einseitige Zuschreibung entmündigter pathologisierter Opfer aufgebrochen hätte. So wird an anderer Stelle argumentiert, dass die Selbstbeschreibung als genuin krank sehr wohl politische Forderungen zur Folge haben kann. Eric T. Dean Jr. beispielsweise argumentiert in seiner Bewertung des Vietnamkriegs unter besonderer Berücksichtigung der öffentlichen (Selbst-)Präsentation traumatisierter US-Veteranen: “One might view the entire Vietnam veteran movement as a sort of multi-year, multi-million dollar class-action lawsuit against the United States government”.4 Hier werden viktimisierte Veteranen durchaus als politisch handelnde Akteure beschrieben und auch Jenny Edkins Historisierung von Trauma als soziale Praxis mit Wurzeln im 19. Jahrhundert hätte Rothes Analyse fruchtbar erweitern können.5

Aber auch wenn stellenweise eine tiefere Auseinandersetzung mit den Implikationen ihrer zahlreichen Ideen und originellen Betrachtungsweisen wünschenswert gewesen wäre, hat Anne Rothe alles in allem ein sehr anregendes Buch geschrieben, das sowohl im Bereich der Holocaust-Studien als auch in der nordamerikanische Kulturgeschichte auf Interesse stoßen sollte.

Anmerkungen:
1 Peter Novick, The Holocaust in American Life, New York 1999.
2 Annette Wieviorka, The Era of the Witness, Ithaca 2006.
3 James Frey, A Million Little Pieces, New York 2003.
4 Eric T. Dean Jr., The Myth of the Troubled and Scorned Vietnam Veteran, in: Journal of American Studies, Vol. 26, No. 1 (April 1992), S. 59-74, hier: S. 72.
5 Jenny Edkins, Trauma and the Memory of Politics, Cambridge 2003.

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