L. Klein: Die »Vietnam-Generation« der Kriegsberichterstatter

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Titel
Die »Vietnam-Generation« der Kriegsberichterstatter. Ein amerikanischer Mythos zwischen Vietnam und Irak


Autor(en)
Klein, Lars
Reihe
Göttinger Studien zur Generationsforschung 7
Erschienen
Göttingen 2011: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
464 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gerhard Paul, Institut für Geschichte und ihre Didaktik, Bildungswissenschaftliche Hochschule - Universität Flensburg

Der Augenzeuge ist en vogue. Gerade befasste sich eine interdisziplinäre Tagung an der Universität Konstanz mit der Figur des Augenzeugen im epochenübergreifenden Vergleich.1 2006 erschien der Sammelband „Augenzeugen“ von Ute Daniel zur Geschichte der Kriegsberichterstattung vom 18. Jahrhundert bis zum Irakkrieg der Gegenwart.2 Ein Jahr später folgte der von Barbara Korte und Horst Tonn herausgegebene Band über „Kriegskorrespondenten“ als Deutungsinstanzen in der Mediengesellschaft.3 Wie die internationale Geschichtswissenschaft konzentriert sich auch die Geschichtswissenschaft in Deutschland allerdings vor allem auf den Augenzeugen in militärischen Auseinandersetzungen, auf den Kriegsberichterstatter. Dies macht insofern Sinn, als er bis heute Produzent von Mythen über das Kriegsgeschehen wie über den eigenen Berufsstand ist, die zum Teil ungefiltert in die wissenschaftliche Literatur Eingang gefunden haben.

Empirische Untersuchungen dieser Gruppe sind nach wie vor Mangelware. Über diejenigen Männer, die in offiziellem Auftrag 1914 mit Fotoapparat und Filmkamera in den Krieg zogen, wissen wir so gut wie nichts. Ähnlich sieht der Befund zu den Bild- und Filmberichtern von Goebbels’ Propagandakompanien aus. Und zu den Frauen, die spätestens seit dem Spanisch-Amerikanischen Krieg 1898 um Kuba als Kriegsreporterinnen ihre männlichen Kollegen begleiteten, ist es nicht besser bestellt. In der Regel fokussiert die historiografische wie die mediengeschichtliche Forschung noch immer auf die großen und schillernden Namen wie Robert Capa oder Gerda Taro. Gruppenbiografische Untersuchungen stellen so ein Desiderat dar. Es besteht also durchaus Forschungsbedarf zu denjenigen, die durch Berichte und Bilder das Bild des Krieges in den Köpfen der Rezipienten an der „Heimatfront“ geprägt haben.

Umso erfreulicher ist zu vermerken, dass sich der Göttinger Historiker Lars Klein nun erstmals einer konkreten Augenzeugen-Kohorte zuwendet: der „Vietnam-Generation“ der Kriegsberichterstatter. Hervorgegangen ist sein Buch aus einem von der Deutschen Stiftung Friedensforschung geförderten und von Ute Daniel geleiteten Projekt zur „Geschichte der Kriegsberichterstattung“ an der Technischen Universität Braunschweig, das erstmals den Untersuchungsakzent auf die „akteurszentrierte Perspektive“ legte.4

Ziel der Studie ist es, die oft kolportierte Idee einer wirkmächtigen US-amerikanischen Presse während und nach dem Vietnamkrieg sowie insgesamt den Mythos um die Vietnamkriegsberichterstattung zu hinterfragen. Während die Forschung schon seit Längerem nachgewiesen hat, dass das Medium Fernsehen keineswegs so kritisch über den Krieg in Vietnam berichtete, wie oft und gerne unterstellt wird, habe sich eine besondere Wertschätzung der Printreporter wegen deren vermeintlich kritischer Haltung bis in die Gegenwart erhalten. Klein versteht seine Studie zugleich als Untersuchung zur Rolle der Medien als „vierte Gewalt“ während des Vietnamkrieges und danach. Zur „Vietnam-Generation“ der Kriegsberichterstatter zählt der Verfasser bekannte Namen wie Peter Arnett und David Halberstam, aber auch den deutschen Fotografen Horst Faas. Dieser war zur Zeit des Vietnamkriegs Chef des Saigoner Büros von Associated Press (AP).

Thematische Schwerpunkte der Studie sind die Analyse der Berichterstattung aus Vietnam und das Selbstverständnis der Reporter, wie es sich in Selbstzeugnissen und Interviews widerspiegelt, die Untersuchung der Rahmenbedingungen der Kriegsberichterstattung von Zensurmaßnahmen bis hin zu den Übertragungswegen, aber auch die konkreten Arbeitsbedingungen der in Saigon akkreditierten Reporter. Zudem wird schließlich die Frage diskutiert, welche Lehren von Politik und Militär aus der Kriegsberichterstattung über Vietnam gezogen wurden.

Die Ergebnisse, zu denen Klein gelangt, sind ernüchternd. Danach haben primär traditionelle Männlichkeitsvorstellungen, Abgrenzungen von ihren Vorgängern, die Wahrnehmung Vietnams als „last frontier“ und ein ausgeprägtes Elitebewusstsein die Vorstellungswelt der US-amerikanischen Kriegsberichterstatter geprägt. Trotz Zweifel und Skepsis gegenüber der amerikanischen Vietnampolitik seien sie „überzeugte Kalte Krieger“ (S. 349) gewesen und geblieben. Wie so viele Reporter auch in anderen Kriegen hätten sie zudem von der Situation und der Geschichte des Landes, aus dem sie berichteten, keine Ahnung gehabt. Der Krieg in Vietnam sei von ihnen – anders, als sie später behauptet haben – in keiner Weise infrage gestellt worden. Aus den vielfältigen Prägungen des Kalten Krieges hätten sie nicht ausbrechen können.

Der Mythos einer spezifischen „Vietnam-Generation“ der Kriegskorrespondenten sei von ihren Kritikern wie von den Protagonisten selbst nachträglich erfunden worden. Erst im Kontext des „Watergate“-Skandals und der Veröffentlichung der „Pentagon Papiere“ habe sich die „Vietnam-Generation“ der Kriegsreporter selbst als diejenige „erfunden“, die den US-amerikanischen Krieg in Vietnam untergraben habe. Auf diese Weise habe man sich die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu Eigen gemacht und sich selbst in positivem Licht erscheinen lassen. Aus in der Masse unkritischen Reportern seien nach Ende des Krieges auf einmal Journalisten geworden, die sich verpflichtet gefühlt hätten, eher parteiisch denn objektiv zu sein, und die nun einem investigativen Journalismus huldigten, wie er in jenen Jahren en vogue war.

Diese mit den Realitäten des Krieges nicht zu vereinbarende Selbst- wie Fremdeinschätzung war politisch folgenreich, da sie das Verhalten von Politik und Militär in Fragen der Zulassung von Journalisten in den folgenden militärischen Auseinandersetzungen bestimmt habe. In Grenada und Panama sowie im Zweiten Golfkrieg von 1991 habe sich eine rigide Medienpolitik durchgesetzt, die letztlich im Ausschluss der Reporter vom eigentlichen Kriegsgeschehen gipfelte. Die nun massiv einsetzende Disziplinierung von Journalisten sei dadurch erleichtert worden, dass viele Journalisten „selbst an den konservativen Mythos der Schuld der Medien an der Niederlage in Vietnam glaubten und sich der Medienpolitik unterwarfen“ (S. 345).

Klein gelangt zu dem – letztlich keineswegs neuen und wirklich überraschenden – Ergebnis, dass der Einfluss der Medien hinsichtlich des Vietnamkrieges immer wieder überschätzt werde. Des Weiteren könne keine Rede davon sein, dass, wie von Historikern, Medienwissenschaftern und Politikern stereotyp behauptet wird, „die Medien“ durch ihre kritische Haltung den Vietnamkrieg beendet hätten. Der Autor weist überzeugend und an interessanten Quellen nach, dass die Idee einer kritischen Medienberichterstattung selbst Teil des Mythos der Vietnamkriegsberichterstattung war. Warum der Weg zu dieser wichtigen Erkenntnis allerdings umständlich über den Generationenbegriff genommen werden muss, erschließt sich dem Rezensenten nicht wirklich.

Anmerkungen:
1 Siehe den Tagungshinweis, in: H-Soz-u-Kult, 16.10.2011,
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=17575> (19.11.2011).
2 Ute Daniel (Hrsg.), Augenzeugen. Kriegsberichterstattung vom 18. zum 21. Jahrhundert, Göttingen 2006; vgl. die Rezension von Philipp Fraund, in: H-Soz-u-Kult, 08.08.2006, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-3-094> (19.11.2011).
3 Barbara Korte / Horst Tonn (Hrsg.), Kriegskorrespondenten. Deutungsinstanzen in der Mediengesellschaft, Wiesbaden 2007.
4 Siehe den Bericht von Lars Klein und Andreas Steinsieck, Geschichte der Kriegsberichterstattung im 20. Jahrhundert. Strukturen und Zusammenhänge aus der akteurszentrierten Perspektive, 2006, URL: <http://www.bundesstiftung-friedensforschung.de/pdf-docs/berichtdaniel.pdf> (19.11.2011).

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