K. Ghazanfari: Perceptions of Zoroastrian Realities in the Shahnameh

Cover
Titel
Perceptions of Zoroastrian Realities in the Shahnameh. Zoroaster, Beliefs, Rituals


Autor(en)
Ghazanfari, Kolsoum
Erschienen
Anzahl Seiten
271 S.
Preis
€ 42,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nader Purnaqcheband, Orientalisches Institut, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Der wissenschaftliche Diskurs hat sich auf das Jahr 1010 als Datum der Fertigstellung des Shāhnāmah („Königsbuch“) – des wohl wirkungsmächtigsten Epos der islamischen Welt – geeinigt. Deshalb gibt es in den letzten Jahren weltweit eine wahre Flut von Konferenzen, Workshops und anderen Veranstaltungen (mit entsprechenden Veröffentlichungen), die sich mit diesem umfangreichen Text auseinandersetzen.

Es handelt sich dabei um die verdichtete Geschichte der Herrscher Irans von den dunklen Anfängen unter Gayomarth bis zum gewaltsamen Tod Yazdgird III. im Jahre 651 in Folge der arabischen Eroberungen. Der Text ist in einen „mythischen“, einen „heroisch-epischen“ und einen „historischen“ Teil gegliedert. Nur beim letzten Teil, der mit Alexander (wenn auch wie bei Pseudo-Kalisthenes mit fabelhaft ausgeschmückter Biographie versehen) als iranischem Großkönig einsetzt und sich über Arsakiden (nur ganz kurz angerissen) und Sasaniden erstreckt, können die Herrscher historisch identifiziert werden.

In der iranistischen Forschung ist das Shāhnāmah die wohl wichtigste Quelle. Sie prägt bis heute die nationale Identität vieler Iraner mit, da dieser Text, der etwa Ende des 10. Jahrhunderts in frühneupersischer Sprache in Reimform gegossen wurde, im Großen und Ganzen heute noch semantisch rezipierbar ist. Zudem hat sich die Shāhnāmah-Forschung seit der Mitte des 19. Jahrhunderts im Vergleich zu anderen Themen extensiv entwickelt: viele Fragen sind behandelt, und es wird zunehmend schwieriger, sich „unbelastet“ diesem Gegenstand zu nähern. Angesichts der Tatsache, dass der autochthone iranische Shāhnāmah-Diskurs identitätsstiftend ein beachtenswertes Quantum an literarischer Produktion beiträgt, kommt es mitunter vor, dass das Rad neu erfunden wird, gerade weil der Zugang zu persischer Sekundärliteratur von Europa aus oft kontingent ist. Kann man angesichts dieses Forschungsstandes noch Essentielles in Bezug auf das Shāhnāmah zutage fördern?

Dass das möglich ist, zeigt die vorliegende Arbeit von Kolsoum Ghazanfari, jüngst an der Georg-August-Universität Göttingen als Dissertation angenommen. Sie beschäftigt sich mit der Frage, ob und inwieweit Person und Lehre Zarathustras, wie sie innerhalb des Shāhnāmah – das „erst“ im 5. islamischen Jahrhundert verdichtet wurde – in Erscheinung treten, die Darstellung Zarathustras und seiner Religion in den ursprünglicheren mittelpersischen Texten und dem Avesta modifizieren und aus welchen Gründen diese Modifikation vorgenommen worden ist. Desgleichen geht sie der Frage nach, inwiefern die vom Kompilator des Shāhnāmah dargelegten Glaubenssätze und Rituale des Zoroastrismus einem muslimischen Publikum geschuldet und deshalb „islamisiert“ worden sind. Weiter stellt sich in dieser Hinsicht automatisch die Quellenfrage. In diesem Bereich ist bereits viel gearbeitet worden, gerade in der iranischen Forschung, was aus hiesigem Blickwinkel oft übersehen wird.1

Ghazanfari bearbeitet diese Fragestellungen strikt philologisch. Mancherorts bekommt der Text so den Charakter eines Nachschlagewerks und liest sich nicht flüssig. Hier ist viel Grundlagenforschung geleistet worden, aufbauend auf einer umfassenden Kenntnis des Shāhnāmah-Textes. Grundlage ihrer Arbeit bildet die kritische Edition von Djalal Khaleghi-Motlagh auf der Basis der ältesten erhaltenen Florentiner Handschrift (1217), welche alle vorherigen Editionen (auch die Moskauer Ausgabe) in den Schatten stellt und die große Anzahl von Varianten in sechzehn Paralleltexten innerhalb des Apparates vor Augen führt. Ghazanfari zieht bei ihrer Arbeit auch diese Paralleltexte hinzu, so dass eine möglichst umfassende Sorgfalt gewährleistet ist.

Im ersten Kapitel beschäftigt sich Ghazanfari mit Firdausī (Ferdowsī), dem überlieferten Dichter des Shāhnāmah. Die Schicht der Grundbesitzer (dihqan) in der Provinz Khurasan in Nordostiran, zu der auch Firdausī gehört haben soll, erhob sich nach den arabischen Eroberungen zum Träger (und Bewahrer) des kulturellen Gedächtnisses des vorislamischen Irans. Die ersten Shāhnāmah-externen Berichte zur Person Firdausīs tauchen aber etwa eineinhalb Jahrhunderte nach der mutmaßlichen Fertigstellung des Textes auf, so dass sie nicht bar legendenhafter Ausschmückungen und damit als biographische Quelle zu Firdausī mit äußerster Vorsicht zu behandeln sind.

Ghazanfari stellt dann auch mit der nötigen Skepsis fest, dass es keine verlässliche Biographie zu dieser Figur gibt. 2 Ebenso lasse sich über Firdausīs Quellen nur spekulieren. Das im Shāhnāmah angegebene Nāmah-yi bāstān stehe in jedem Fall in Beziehung zum verloren gegangenen mittelpersischen Herrscherbuch („Xwadāy-nāmag“). Insgesamt geht Ghazanfarī vorsichtig zu Werke und legt damit dar, dass trotz des Forschungsvolumens die wichtigsten Fragen (noch) nicht geklärt sind: „Which source(s) the poet used in versifying them is still an unanswered question, although various authors have discussed the issue extensively“ (S. 33). Nichtsdestotrotz geht Ghazanfari davon aus, dass Firdausī sein Material aus der sasanidisch-zoroastrischen Tradition bezogen und für seine Zwecke umgearbeitet hat.

Das zweite Kapitel ist der Person Zarathustras gewidmet. Auch hier zeigt die Autorin ihre Bedachtsamkeit, indem sie den „Daqīqī-Einschub“ bezüglich des Auftritts von Zarathustra als nicht gänzlich geklärt gelten lassen will. Durch dessen Bezeichnung als „Prophet“ reihe der Muslim Firdausī Zarathustra zwischen die jüdischen Propheten, Jesus und Muhammad ein und integriere ihn so in den Diskurs der Prophetie. Möglicherweise sei dies bereits unter zoroastrischen Theologen in den ersten Jahrhunderten des Islam erfolgt, um eine Kompatibilität zu den „Leuten des Buches“ (also: Juden und Christen) herzustellen und somit die Zoroastrier in ein passendes Format innerhalb der islamischen Suprematie einzubetten. Laut der Autorin sollen insgesamt solche Vorgehensweisen den dargestellten Glauben für die zeitgenössischen Muslime akzeptabler und vertrauter machen. Dazu gehören auch Analogisierungen zwischen Zarathustra und Abraham bzw. Jamshēd und Salomo. In gleicher Weise behaupte das Shāhnāmah eine bereits unter Zarathustra und seinem Sohn Jāmāsp erfolgte schriftliche Sammlung des Avesta, um auch an diesem Punkt die Parallelität zu den abrahamitischen Buchreligionen zu postulieren.

Das dritte Kapitel behandelt die zoroastrische Glaubenslehre. Firdausī stülpe den strengen islamischen Monotheismus der Darstellung Ohrmazds über, ja er gehe so weit, koranische Paraphrasen (zoroastrischen) Königen und Helden in den Mund zu legen: „As a result, the readers of the epic could conclude that the Zoroastrian God was not different from their God“ (S. 78). Konsequenterweise ist Ahrīman im Shāhnāmah nicht der Erschaffer und Herrscher des Reichs des Bösen, sondern ein – gut islamisch – auf ein erträgliches Maß zurechtgestutzter Teufel, der Ohrmazd in keinster Weise das Wasser reichen kann, wodurch der zoroastrische Dualismus ad absurdum geführt wird. Trotz des ewigen Kampfes zwischen Gut und Böse, der seine Spiegelung in den endlosen Kriegen zwischen Ērān (Iran) und Anērān findet, haben sowohl Gut als auch Böse ihren Ursprung in Gott.

Das vierte Kapitel bearbeitet zoroastrische Rituale und Praktiken, wie sie im Shāhnāmah ihren Niederschlag gefunden haben. Firdausī scheint den Vorwurf, Zoroastrier seien Feueranbeter, widerlegen zu wollen, um den Abstand zu islamischen Vorstellungen möglichst gering zu halten. Die Auseinandersetzung mit zoroastrischen Riten und Praktiken, welche Anstoß erregen könnten, werde von Firdausī bewusst vermieden. Dabei beobachtet Ghazanfari ganz richtig, dass das Shāhnāmah gerade in Bezug auf Details zoroastrischer Riten oft ungenau ist, was einerseits mit Unkenntnis, anderseits mit Desinteresse des potentiell muslimischen Adressatenkreises zusammenhängen mag.

Während Ghazanfari sich bei der Darstellung der historischen zoroastrischen Lehre durchgehend auf die noch erhaltene mittelpersische Literatur und den (erhaltenen Teil des) Avesta stützt, expliziert sie nicht an allen Stellen die Quellen, welche den spezifisch „islamischen Standpunkt“ darlegen sollen. Mancherorts spricht sie etwas pauschal von „according to Islam“ (oder ähnlichem). Neben dem Koran kommen einerseits sunnitische Hadith-Sammlungen, an anderen Stellen jedoch schiitische kanonische Texte wie Usūl-i kāfī oder Bihār al-anwār vor, die allesamt ein wenig unspezifisch unter einem islamischen Dach vereint werden.

Ghazanfaris ausführliche Studie zeigt, dass das Shāhnāmah nach einem Jahrtausend immer noch ein lohnendes Forschungsfeld bietet. Das Buch – das auch als Nachschlagewerk verwendet werden kann – sei als detaillierte Grundlagenforschung Iranisten, Althistorikern, Mediävisten sowie Religionswissenschaftlern dringend anempfohlen.

Anmerkungen:
1 So etwa Daryūsh Akbarzādah, Shāhnāmah wa zabān-i pahlawī. Muqāyisah-yi dāstānī wa zabānī-yi shāhnāmah bā manābi‘-i bāzmāndah az zabān-i pahlawī, Teheran 1379/2000.
2 Dagegen wollte A. Shapur Shahbazi sogar den genauen Geburtstag Firdausīs berechnet haben, vgl. A. Shapur Shahbazi, Ferdowsī, A Critical Biography, Cambridge, Costa Mesa 1991, 2010.

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