K. Stokłosa: Polen und die deutsche Ostpolitik 1945-1990

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Titel
Polen und die deutsche Ostpolitik 1945-1990.


Autor(en)
Stokłosa, Katarzyna
Erschienen
Göttingen 2011: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
606 S.
Preis
€ 59,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Robert Brier, Deutsches Historisches Institut Warschau

Neben den innerdeutschen Beziehungen und dem Verhältnis zur Sowjetunion war der Ausgleich mit der Volksrepublik Polen ein zentrales Ziel der sozialliberalen Ost- und Entspannungspolitik. Darüber hinaus ist das bundesdeutsch-polnische Verhältnis ein wichtiger Forschungsgegenstand, da der Wandel, den die Bonner Ostpolitik durch Annäherung anstoßen sollte, in Polen am weitesten ging. Es ist daher zu begrüßen, dass Katarzyna Stokłosa mit der Veröffentlichung ihrer 2010 in Potsdam angenommenen Habilitationsschrift eine umfassende und in den Kontext der internationalen Politik der Nachkriegsgeschichte eingebettete Studie zur deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte der Jahre 1945-1990 vorlegt.

Stokłosas Arbeit ist chronologisch gegliedert. Im Anschluss an ein einleitendes Kapitel stellt sie das sich in der Folge des Zweiten Weltkriegs sowie im Schatten des Kalten Kriegs mühsam entwickelnde Verhältnis zwischen Westdeutschland und der Volksrepublik dar. Danach skizziert sie die Vorgeschichte der Ostpolitik in einer Politik kleiner Schritte unter Außenminister Gerhard Schröder und geht auf zivilgesellschaftliche Initiative ein: Neben den bekannten Meilensteinen der deutsch-polnischen Aussöhnung wie der EKD-Denkschrift von 1965, dem Briefwechsel der deutschen und polnischen katholischen Bischöfe aus dem gleichen Jahr und dem Memorandum des Bensberger Kreises von 1968 arbeitet Stokłosa auch die Vorreiterrolle heraus, die Carlo Schmid in diesem Kontext eingenommen hat. Auch argumentiert sie, die deutsch-polnische Entspannungspolitik gehe nicht alleine auf eine westdeutsche Initiative zurück; vielmehr habe der polnische Parteichef Władysław Gomułka im Jahr 1969 den Anstoß gegeben.

Die folgenden vier Kapitel sind den westdeutsch-polnischen Beziehungen in den 1970er-Jahren gewidmet, von der Unterzeichnung des Warschauer Vertrags und den innerdeutschen Diskussionen um seine Ratifizierung zur Entwicklung der Beziehungen unter Helmut Schmidt und Edward Gierek im Kontext des KSZE-Prozesses; diese Kapitel bilden das Kernstück von Stokłosas Buch. Ihre Darstellung gründet auf einer beeindruckend breiten Quellenbasis: Außer Beständen deutscher und polnischer Staats- und Parteiarchive hat sie Akten des amerikanischen State Department, des britischen Foreign Office sowie einschlägige sowjetische Bestände berücksichtigt. Auf dieser Grundlage stellt sie unterschiedliche Perspektiven auf das Verhältnis der Volksrepublik Polen zur Bundesrepublik dar und rekonstruiert die komplexen Akteurskonstellationen, die den internationalen Kontext der deutsch-polnischen Beziehungen bildeten.

Auf diese Weise entsteht ein Bild der westdeutsch-polnischen Beziehungen, in denen polnische Befürchtungen nie ganz abgebaut werden konnten, die Deutschen würden versuchen, wieder eine Vormachtstellung in Europa aufzubauen, oder die Polenpolitik nur als Vehikel für ihr Streben nach Wiedervereinigung nutzen. Auch brachte der Warschauer Vertrag der polnischen Führung zwar die wichtige Anerkennung der Grenze, nicht aber den erhofften Durchbruch in den Beziehungen zu Bonn. Erst nach einem Treffen zwischen Helmut Schmidt und dem polnischen Parteichef Edward Gierek während der KSZE in Helsinki kam es zu einer Belebung des bilateralen Austauschs.

Die Polen mussten in ihrer Deutschlandpolitik einen Ausgleich zwischen den besonders wirtschaftlich bedeutsamen Beziehungen zu Bonn und dem Verhältnis zu einem ostdeutschen Bruderstaat finden, der ein besonderes Verhältnis mit Warschau reklamierte. Auch die Abstimmung mit Moskau war wichtig. Stokłosa zeigt hier, dass sich Polen in den 1970er-Jahren wirtschaftlich stark am Westen orientierte, sich politisch aber – anders als durch die Ostpolitik intendiert – eher stärker Moskau unterordnete als dies unter Gomułka der Fall gewesen war (S. 353-354).

Die westlichen Verbündeten sahen die Normalisierungsbemühungen zwischen Bonn und Warschau als Beitrag zu Entspannung und Friedenssicherung zwar überwiegend positiv, im Detail macht Stokłosa hier jedoch Unterschiede aus: Paris und Rom fürchteten eine zu große außenpolitische Eigenständigkeit der Westdeutschen; in Washington und London sorgte man sich, ob die Ostpolitik nicht letztlich die Sowjetunion stärken und die NATO schwächen könne. Stokłosas Darstellung dieser Periode ist auch deshalb interessant, weil sie zeigt, dass viele der deutsch-polnischen Probleme des frühen 21. Jahrhunderts – zum Beispiel in den Kulturbeziehungen oder in der Entschädigung polnischer Opfer deutscher Verbrechen – bereits in den 1970er-Jahren auftauchten.

Zu kritisieren ist, dass die Autorin in ihrer sehr narrativen, kaum analytischen Darstellung die weiterführenden Erkenntnismöglichkeiten ungenutzt lässt, die das breit gesichtete Quellenmaterial hätten bieten können. Den in der Einleitung formulierten Anspruch, insbesondere Wahrnehmungen der bundesdeutschen Ost- und Polenpolitik zu analysieren (S. 25-34), löst sie nur in Ansätzen ein. Zum Beispiel macht Stokłosa in der Kritik Warschaus an den Kulturbeziehungen „stark nationalistische Töne“ sowie „das notorische Gefühl polnischer Inferiorität“ aus (S. 531). Ihre Darstellung internationaler Politik verbleibt letztlich aber auf der Ebene einer konventionellen Diplomatiegeschichte, die sich auf interne Einschätzungen von Ministerien und anderen politischen Akteuren stützt. Auch die in der Einleitung angeschnittenen Ansätze einer erneuerten Diplomatiegeschichte, die das kommunikative Handeln zweier Akteure wie Gierek und Schmidt von einer Mikroperspektive aus erfasst (S. 30), werden in der Arbeit kaum angewandt, und der Frage, wie emotionsgeladene Bilder diplomatische Prozesse beeinflussen können – man denke an Konrad Adenauer im Mantel des Deutschen Ordens oder Willy Brandts Kniefall – wird nur in der Einleitung nachgegangen (S. 30-31).

Die von Stokłosa als selbstverständlich bezeichnete „Interdependenz von Außenpolitik- und Gesellschaftsgeschichte“ wird ebenfalls nur ansatzweise systematisch analysiert (S. 25). Zwar stellt sie die innenpolitische Entwicklung in Polen mehrfach dar, setzt diese dann aber kaum zum außenpolitischen Handeln in Beziehung. Aus Sicht der internationalen Zeitgeschichte ist dies besonders bedauerlich, da die westdeutsch-polnischen Beziehungen Aufschluss über eine zentrale Frage zeithistorischer Forschung versprechen: das Verhältnis von demokratischem Wandel und entspannungspolitischer Annäherung.

In den Ausführungen zur Konferenz von Helsinki und ihren Folgen positioniert sie sich zwar gegen die von Oliver Bange und Gottfried Niedhart aufgestellte These, der demokratische Wandel in Ostmittel- und Osteuropa sei von den Architekten der Ostpolitik intendiert und 1975 vorhersehbar gewesen (S. 380-381)1; leider führt sie diese These aber trotz ihres reichhaltigen, multinationalen Quellenmaterials nicht weiter aus. Später stellt sie die Entstehung einer organisierten Opposition in Polen in den Jahren 1976-1977 dar und deutet an, dass die Opposition auch deshalb von der Parteiführung toleriert wurde, weil Polen auf westliche Kredite und daher ein positives Selbstbild in der Bundesrepublik angewiesen war. Parallel zu diesen Ereignisse waren mit Edward Babiuch ein hochrangiger polnischer Parteifunktionär nach Bonn sowie Willy Brandt nach Warschau gereist; hier wäre es interessant gewesen zu erfahren, ob die inneren Ereignisse in Polen Einfluss auf diese bilateralen Gespräche hatten.

Das letzte Kapitel vor der Zusammenfassung gibt einen Überblick über die 1980er-Jahre. Hier sieht Stokłosa eine ambivalente Haltung der Bundesrepublik gegenüber den Ereignissen um die Entstehung und Unterdrückung der Solidarność in Polen. Einer offiziellen, unter Helmut Kohl fortgesetzten Ostpolitik, die auch weiterhin ausschließlich auf Kontakte zu den Regierenden setzte, stand demnach die humanitäre Hilfe der westdeutschen Gesellschaft für Polen gegenüber. Ihrer Auffassung nach bestand kein Zusammenhang zwischen der Gespräche am „runden Tisch“ und „diplomatischen Anstrengungen der Westallianz oder gar [der] bundesrepublikanische[n] Außenpolitik“ (S. 490). Hier wäre eine Begründung dieser These wünschenswert gewesen.

Insgesamt gesehen kommt Katarzyna Stokłosa das Verdienst zu, eine der wichtigsten Phasen der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte auf einer breiten Quellenbasis und in multinationalem Zugriff dargestellt zu haben. Wer sich mit diesem Aspekt internationaler Geschichte auseinandersetzen möchte, wird in Zukunft an ihrer Darstellung nicht vorbeikommen. Gerade aufgrund des reichhaltigen Quellenmaterials wäre der Arbeit von Stokłosa jedoch ein deutlich analytischerer Zugriff zu wünschen gewesen.

Anmerkung:
1 Oliver Bange / Gottfried Niedhart, Introduction, in: dies (Hrsg.), Helsinki 1975 and the Transformation of Europe, New York 2008, S. 1-21. Siehe auch: Wolfgang Schmidt: Rezension zu: Bange, Oliver; Niedhart, Gottfried (Hrsg.): Helsinki 1975 and the Transformation of Europe. New York 2008, in: H-Soz-u-Kult, 08.09.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-3-177> (08.09.2009).

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