R. Hahn u.a. (Hrsg.), „… und was hat es für Kämpfe gegeben.“

Titel
„… und was hat es für Kämpfe gegeben.“. Studien zur Geschichte der Germanistik an der Universität Jena


Herausgeber
Hahn, Reinhard; Pöthe, Angelika
Reihe
Jenaer germanistische Forschungen 29
Erschienen
Anzahl Seiten
320 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Eckardt, Departement Joernalistiek, Universiteit van Stellenbosch

Der vorliegende Band des Herausgeber-Duos Reinhard Hahn und Angelika Pöthe – beide Hochschullehrer am Institut für Germanistische Literaturwissenschaft in Jena – geht auf eine Ringvorlesung anlässlich des 450. Gründungsjubiläums der ‚Salana‘ im Jahr 2008 zurück. Das Ziel, die Erkundung des eigenen Fachs von den Anfängen bis in die 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts, wird mit zehn Aufsätzen angegangen, die überwiegend namhafte Gelehrte der ‚alma mater jenensis‘ in den Mittelpunkt stellen.

Es mag ein wenig überraschen, dass sich die Germanistik als Fachdisziplin trotz der 1807 an Goethe übertragenen Verantwortung für die Universität erst im Jahre 1876 mit der Einrichtung eines Ordinariats für deutsche Philologie institutionell etablieren konnte, bedenkt man jedoch Goethes Begeisterung für die Naturwissenschaften, findet man rasch die Ursache dafür. Die Grundlegung der Jenaer Germanistik steht im Mittelpunkt von Hans-Peter Nowitzkis Beitrag. Universitätsgermanistik im eigentlichen fachhistorischen Sinne beginnt erst mit dem Sprachwissenschaftler Eduard Sievers (1850-1932) und dessen Gründung eines Deutschen Seminars, auf welche der Aufsatz von Eckhard Meineke verweist. Weitere Beiträge widmen sich nachfolgenden Fachvertretern wie Kuno Fischer (1824-1907) (Angelika Pöthe), Albert Leitzmann (1867-1950) (Jens Haustein) und Hans Naumann (1886-1951) (Anita Bagus), wobei letzterer der Jenenser Germanistik einen stark volkskundlichen Einschlag verpasste.

In fünf von zehn Beiträgen dominiert die Aufarbeitung der Fachgeschichte im 20. Jahrhundert. Darauf weist auch das titelgebende Zitat von Joachim Müller (1906-1986) hin, der sich und sein Fach in den zwei Diktaturen eben dieses Jahrhunderts mit der steten Herausforderung menschlicher Bewährung und fachlicher Kompetenz konfrontiert sah. Die Periode der NS-Zeit behandelt Christine Römers Aufsatz, der sich mit dem Sprachwissenschaftler Walter Porzig (1895-1961) beschäftigt. Trotz stärkstem nationalsozialistischen Engagements (unter anderem Mitgliedschaft in der Auslands-NSDAP und einziger Stellvertreter des Jenaer Rektors Karl Astel, der SS-Mitglied war) gelang ihm nach der Kriegsgefangenschaft eine Fortsetzung seiner Hochschulkarriere durch eine 1951 erfolgte Berufung an die Universität Mainz.

Den Kontroversen der Jahre 1956/57 und 1962/63 um den Germanisten Joachim Müller geht Günter Schmidt nach. Müller erzürnte durch sein Beharren auf wissenschaftlichen Standards jenseits der marxistisch-leninistischen Ideologie einige linientreue Fachkollegen und musste sich daraufhin als „bürgerlich-reaktionär“ beschimpfen lassen.

Mit „Germanistik in Jena zwischen 1945 und 1989“ (Hahn/Pöthe) gelangt ein Text zum Wiederabdruck, der bereits 2007 im Studienband „Hochschule im Sozialismus“ erschienen ist.1 Personell wurde das Fach zuerst von den noch in den 1930er-Jahren berufenen Carl Wesle und Heinz Stolte geprägt, kurze Zwischenspiele gaben in deren Nachfolge beispielsweise die Westemigranten Gerhard Scholz oder Albert Malte Wagner. Die erfolgreiche Konsolidierung setzte erst mit der Berufung des Sprachwissenschaftlers Henrik Becker und des Neugermanisten Joachim Müller zum Wintersemester 1951/52 ein. Müller verbreiterte das Spektrum der Subdisziplinen des Instituts schließlich auf sechs Abteilungen. Neben der Literaturwissenschaft existierten Buch- und Verlagswesen, Filmwissenschaft, Sprechkunde, Theaterwissenschaften und die 1964 gegründete Abteilung Deutsche Gegenwartssprache, welche die Autoren allerdings unterschlagen.2 Mit Hans Kaufmann wurde dem „bürgerlichen“ Müller (Mitglied der Blockpartei NDPD) ein Marxist gegenübergestellt, der sowohl die Studenten als auch die Jenaer Germanistik als solche auf Parteilinie bringen sollte. Dennoch prägte vor allem Joachim Müller die Germanistik der ‚Salana‘, die man als eine gesellschaftsbezogen-parteiliche Literaturbetrachtung, verbunden mit philologischer Exaktheit und moderner Interpretationskunst, charakterisieren kann. Letztlich besetzten nach Müllers Emeritierung 1971 seine Schüler alle drei Lehrstühle für neuere deutsche Literatur in Jena (Ursula Wertheim, Hans Richter, Helmut Brandt). Durch die Auflösung der Fakultäten und Umwandlung in Sektionen im Rahmen der 3. Hochschulreform (1968) gelang vielfach die stärkere marxistisch-leninistische Grundlegung aller Disziplinen. Dies führte zwar zu den bekannten Erstarrungen und einer „stehenden Zeit“, in der Provinzialität Jena-Weimars gedieh seit Anfang der 1980er-Jahre aber eben auch eine grundsolide Klassik-Forschung, die genau von jenen marxistischen Literaturwissenschaftlern geleistet wurde, die ihr Handwerk bei „bürgerlichen“ Fachvertretern erlernt hatten.

Die veröffentlichten Vorträge der Ringvorlesung ergänzen detailliert die grundlegende Studie zur Jenaer Germanistik von Dietrich Germann aus dem Jahr 1954, auf die fast alle Beiträger zurückgreifen.3 Für weitergehende Forschungen äußerst hilfreich ist auch die Tatsache, dass trotz Fußnotenverweisen jedem Beitrag ein Literaturverzeichnis hinzugefügt und am Ende eine Gesamtbibliographie nebst Personenregister erstellt wurde. Leider wurde übersehen, die Autoren kurz vorzustellen.

Ärgerlich ist allerdings, dass sich bei der Wiederveröffentlichung der Gemeinschaftsarbeit von Hahn/Pöthe nicht die Mühe gemacht wurde, das Literaturverzeichnis zu aktualisieren. Somit erscheinen darin noch immer Magisterarbeiten, die außerhalb Jenas unauffindbar bleiben, obwohl manche inzwischen als Buchbeträge oder ähnlich erschienen sind.4 Warum die Existenz einer durch Joachim Müller begründeten „Jenaer Schule“ der Germanistik verneint wird, erfährt bei Hahn/Pöthe erstaunlicherweise keine Begründung. Dagegen kann ins Feld geführt werden, dass Müller von 1951-1968 mehr als 50 Promotionen betreute und dadurch seine wissenschaftlichen Standards zum Maßstab dafür machte, was in Jena als neuere deutsche Literaturwissenschaft zu gelten hatte.

Auffällig ist auch, dass alle Autoren mehr oder weniger die lokalen Veröffentlichungen der Jenaer Germanisten ignorieren.5 In der gesellschafts- und sprachwissenschaftlichen Reihe der „Wissenschaftlichen Zeitschrift“ (WZ) der Universität Jena veröffentlichte nur der marxistische Philosoph Georg Mende (auch er promovierter Germanist) häufiger als Joachim Müller (50:44).6 Bisher scheint es keine Untersuchung darüber zu geben, ob sich die Zurücksetzung des „bürgerlich-reaktionären“ Müller nicht auch daran ablesen lässt, dass seine Veröffentlichungen schleichend aus den germanistischen Zentralorganen in die nur regional ausstrahlende „WZ“ abgedrängt wurden, was seinen Wirkungskreis minimierte, die SED-Wissenschaftsfunktionäre aber vom Vorwurf des Publikationsverbotes entlastet hätte. Somit bleibt für die vorliegenden „Studien zur Geschichte der Germanistik an der Universität Jena“ zu konstatieren, dass jene gerade in Bezug auf das 20. Jahrhundert noch so mancher Ergänzung bedürfen.

Anmerkungen:
1 Uwe Hoßfeld / Tobia Kaiser / Heinz Mestrup (Hrsg.), Hochschule im Sozialismus. Studien zur Geschichte der Friedrich-Schiller-Universität Jena (1945-1990), 2 Bde, Köln 2007.
2 Joachim Müller, Germanistisches Institut (Jahresbericht der Friedrich-Schiller-Universität Jena 1964/65), in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität Jena (GS-Reihe), 15 (1966) 4/5, S. 314-317, hier S. 314.
3 Dietrich Germann, Geschichte der Germanistik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena auf archivalischer Grundlage dargestellt, Jena 1954 (Diss.).
4 Z.B. Jan Jeskow, Die Entnazifizierung des Lehrkörpers an der Universität Jena von 1945 bis 1948; in: Hoßfeld u.a. (Hrsg.), Hochschule im Sozialismus, S. 71-95.
5 Vgl. Michael Eckardt, Beiträge zur Goethe-Forschung in der „Wissenschaftlichen Zeitschrift“ der Friedrich-Schiller-Universität Jena (1952-1986), in: Deutschunterricht im südlichen Afrika 6(2011)1, S. 18-25 <http://www.sagv.org.za/edusa/eDUSA_6-11-1/Eckardt_2011.pdf> (23.11.2011).
6 Vgl. Michael Eckardt, Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität Jena (GS-Reihe) 1951-1990. Gesamtbibliographie, Jena, 2006, S. 245-246.