M. Schmidmayr: Politische Opposition in Bahrain

Titel
Politische Opposition in Bahrain. Stabilität und Wandel in einem autoritären Regime


Autor(en)
Schmidmayr, Michael
Reihe
Weltregionen im Wandel 11
Erschienen
Baden-Baden 2011: Nomos Verlag
Anzahl Seiten
332 S.
Preis
€ 54,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Demmelhuber, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Erlangen-Nürnberg

Die Monarchien in der arabischen Welt und insbesondere die Golfmonarchien erwiesen sich seit Beginn des ‚arabischen Frühlings‘ als sehr dauerhaft und schienen förmlich immun gegen breitenwirksamen Protest zu sein. In erster Linie waren es die Republiken der Region, die aufgrund von Massenprotesten Prozesse des Systemwandels (Ägypten und Tunesien) und des Systemwechsels (Libyen) durchliefen. Bahrain war dabei die einzige Monarchie, die ebenso von gesellschaftsübergreifenden Protesten betroffen war und letztlich nur unter Zuhilfenahme von Unterstützung Saudi-Arabiens und des Golf-Kooperationsrats (GKR) die Proteste niederschlagen konnte. Natürlich liefert der Verweis auf konfessionelle Bruchlinien (schiitische Bevölkerungsmehrheit vs. regierende sunnitische Minderheit) eine wichtige Antwort auf die Frage nach den Ursachen der bahrainischen Protestbewegung, dennoch greift dieses Argument vor dem Hintergrund eines sehr spezifisch ausgeprägten Institutionengefüges und politischen Akteursspektrum zu kurz. Michael Schmidmayr setzt genau an diesem Punkt an und liefert – obgleich noch vor dem ‚Jahr der Revolte‘ verfasst – einen wichtigen Beitrag für ein besseres Verständnis der Rolle von Opposition in einem autoritären System und damit auch eine wesentliche Grundlage für ein Verstehen der Ursachen, der Dynamiken und des Verlaufs der Proteste von 2011 in Bahrain.

Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um die gekürzte Version der Dissertationsschrift, die der Autor 2009 an der Universität Tübingen einreichte. Die Studie von Schmidmayr, die auf umfassenden Erhebungen durch den Autor vor Ort basiert und sich durch einen sehr vertrauten Umgang mit dem Arabischen auszeichnet, gliedert sich in acht Kapitel. Dem empirischen Teil sind drei Kapitel vorangestellt, die einerseits einen knappen theoretischen Rahmen (Kap.1-2) und andererseits den inhaltlichen Begründungsrahmen für den Untersuchungsgegenstand von Opposition und Protest in Bahrain schaffen (Kap.3). Nach einer Einführung in den staatlichen und ordnungspolitischen Kontext im vierten Kapitel folgt die detaillierte Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Formen politischer Opposition in Bahrain (Kap.5-7). Schmidmayr verortet zunächst das bahrainische Oppositionsspektrum nach konfessionellen Gesichtspunkten und hinterfragt dabei auch kritisch die dafür in der Literatur gebrauchten Termini und Konzepte (bspw. Anwendbarkeit des Konzepts des Konfessionalismus), um in einem nächsten Schritt die bahrainische Opposition auszudifferenzieren und eine ‚politische Landkarte‘ zu zeichnen (Kap.6). Schmidmayr abstrahiert im Folgekapitel und fragt – dem theoretischen Zugang und den gewonnenen empirischen Ergebnissen folgend – nach den Konsequenzen für das autoritäre politische System Bahrains. Er konzentriert sich hier insbesondere auf Art und Verlauf der Interaktion zwischen Opposition und herrschender Al Khalifa-Familie und analysiert hierbei die Motive und Strategien beider Seiten. Die Studie endet mit einem umfassenden Fazit, in dem der Autor zum einen die gewonnenen Erkenntnisse nochmals zusammenfasst und zum anderen den Blick auf andere Golfmonarchien und die Perspektiven für politische Oppositionsgruppen und -akteure richtet.

Die Studie von Schmidmayr ist eine sehr präzise und profunde Aufarbeitung der Oppositionslandschaft in Bahrain, die durch eine umfassende historische Kenntnis des Autors und einer von ihm sehr gelungenen Zuspitzung der für die Fragestellung relevanten Aspekte profitiert. Gerade die konzeptualisierte Darstellung der Schnittstelle von parlamentarischer und außerparlamentarischer Opposition sowie ihren Ursachen, Motiven und Bestimmungsfaktoren ist ein ganz wesentlicher Beitrag für die Forschung zu Bahrain im Besonderen und für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit autoritären Systemen im Allgemeinen. Schmidmayr schreibt treffend: „Gesetzt den Fall, dass in autoritären Regimen in der Regel keine reellen Kompetenzen für außerhalb der Regierung angesiedelte Akteure vorgesehen sind, führt dies zur simplen Frage, was Opposition […] überhaupt bezwecken kann.“ (S.14) An diesem Punkt ansetzend, versucht der Autor die Binnenstrukturen und die Funktionsweise der bahrainischen Oppositionslandschaft aufzuarbeiten und mit dem systemischen (autoritären) Kontext zu kontrastieren. Er verfügt hierbei über eine sehr intime Kenntnis des empirischen Gegenstands und bearbeitet diesen beeindruckend im sechsten Kapitel auf über 100 Seiten. Dabei bricht er die ‚amorphe‘ Kategorie der Oppositionslandschaft in die einzelnen Gruppen und Akteure entlang vertikaler und horizontaler Trennlinien auf. Überzeugend stellt Schmidmayr dar, wie konfessionelle Trennlinien von den meisten Akteuren instrumentalisiert werden, der Referenzrahmen aber in erster Linie der Nationalstaat bleibt. An dieser Stelle abstrahiert der Autor weiter und versucht die Schnittstelle von Regime und Oppositionslandschaft zu erfassen und thematisiert dabei vor allem die Instrumente, Strategien und Taktiken beider Seiten, zur Umsetzung ihrer jeweiligen machtpolitischen Interessen. Schmidmayr arbeitet in der Analyse von außerparlamentarischen Gruppierungen insbesondere mit dem Konzept von ‚street politics‘, was durchaus sinnvoll ist, aber von einer klareren Verortung im Konzept von Asef Bayat profitiert hätte.1 Die grundsätzliche Gratwanderung oppositioneller Kräfte, die ‚roten Linien‘ des Erlaubten nicht zu überschreiten bzw. zum Teil bewusst zu ignorieren, gilt ebenso für das Regime. So schreibt Schmidmayr im Anschluss an eine Skizzierung der Regimetaktiken des ‚Divide et impera‘ und von ‚Zuckerbrot und Peitsche‘, dass sich das Regime bemühen müsse, ein Erstarken der Opposition zu verhindern, aber gleichzeitig für Ventile des oppositionellen Tuns zu sorgen habe (S. 289).

Leider bleibt der Autor bei der Kontextualisierung des theoretischen Rahmens und der Überleitung zum empirischen Untersuchungsgegenstand etwas vage, was unter Umständen mit einer an dieser Stelle zu umfassenden Kürzung der ursprünglichen Dissertationsschrift zu begründen ist. So fehlt in der Aufarbeitung des für die Golfregion typischen Musters von autoritärer Herrschaft die Systematik hinsichtlich Gemeinsamkeiten und Unterschieden im Vergleich zu anderen autoritären Systemen im Nahen Osten. Erst mit der sehr präzisen Aufarbeitung des rechtlichen Rahmens und der Rechtslage von Partizipation, Versammlungs- und Meinungsfreiheit bekommt die Studie wieder ihre beeindruckende analytische und empirische Tiefe. Schmidmayr gelingt es, die für Bahrain gewonnenen Erkenntnisse, die er in der Konklusion in zehn griffigen Thesen zusammenfasst, für die Region zu verallgemeinern. In der Tat bestehen hier sehr viele Anknüpfungspunkte, um frappierende Ähnlichkeiten aber auch Unterschiede mit den übrigen Monarchien der arabischen Halbinsel aufzuzeigen.

Insgesamt handelt es sich bei der vorliegenden Studie um ein uneingeschränkt zu empfehlendes Werk, das sich als Lektüre für aktuelle politische, ökonomische und soziale Veränderungsprozesse im Königreich Bahrain für eine breite Leserschaft empfiehlt, da es die Akteurskonstellation in fundierter Weise abbildet, konzeptualisiert und damit erstens in der deutschsprachigen Literatur eine wichtige Lücke schließt, zweitens einen Mehrwert für die Debatte zu Art, Ursachen und Zweck von Opposition in autoritären Systemen liefert und drittens auch vor dem Hintergrund der Proteste 2011 mitnichten an Aktualität eingebüßt hat.

Anmerkung:
1 Asef Bayat, Street Politics: Poor People's Movements in Iran, New York 1997.

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