R.L. Nelson: German Soldier Newspapers of the First World War

Cover
Titel
German Soldier Newspapers of the First World War.


Autor(en)
Nelson, Robert L.
Reihe
Studies in the Social and Cultural History of Modern Warfare 33
Erschienen
Anzahl Seiten
268 S.
Preis
£ 60.-
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Steffen Bender, Seminar für Neuere Geschichte, Eberhard Karls Universität Tübingen

Zeitungen versprechen als historische Quelle einen Einblick in zeitgenössische Diskurse und Weltsichten sozialer und politischer Gruppen und Milieus, bilden jedoch auch methodisch unwägbares Terrain. Die hohe Publizität von Presseerzeugnissen bietet die Frage nach den Interdependenzen zwischen der veröffentlichten Meinung, die im Extremfall diejenige eines Einzelnen ist, und einer – wie auch immer gearteten – öffentlichen Meinung an. Die historiographische Analyse dieser sozialen und medialen Kommunikationsprozesse muss hierbei auf das feingliedrige methodische Instrumentarium der modernen Medienforschung verzichten, weil es nicht auf die Vergangenheit angewendet werden kann. Eine breite Datenbasis über die Leserseite fehlt, und so kann sich die geschichtswissenschaftliche Arbeit mit Zeitungen meist nur an den Medieninhalten orientieren, wenn sie sich auf empirisch abgesichertem Boden bewegen möchte.

Vor diesen methodischen Untiefen steht auch Robert L. Nelson, der in seiner Studie „German Soldier Newspapers of the First World War“ die Zeitungen untersucht, die deutsche Soldaten des Ersten Weltkrieges in den Schützengräben gelesen haben. Bei diesen Soldatenzeitungen tritt als methodisch relevantes Merkmal hinzu, dass die Artikel dieses Zeitungstyps von Soldaten geschrieben und redaktionell bearbeitet wurden. Aus dem Zusammenfallen von Autoren- und Leserschaft leitet Nelson die Möglichkeit ab, die Soldatenzeitungen als Ausdruck der Wahrnehmungen ihrer Leserschaft zu verstehen: Die Autoren hätten mit den Soldatenzeitungen einen „club newsletter“ (S. 4) verfasst, mit dem eine weitgehend homogene Gruppe angesprochen werden sollte, die durch ihre gemeinsame Kriegserfahrung konstituiert gewesen sei; die Soldatenzeitungen würden einen „soldier-to-soldier discourse“ repräsentieren (S. 17). Die Ergebnisse von Anne Lipp, die in ihrer Studie „Meinungslenkung im Krieg“ herausgearbeitet hat, dass die deutschen Armee- und Feldzeitungen spätestens seit 1916 unter den inhaltlichen Einfluss einer vom Oberkommando eingerichteten Feldpressestelle geraten waren, mit dem der Durchhaltewillen gestärkt und die Friedenssehnsucht unterdrückt werden sollte1, akzeptiert Nelson hierbei, kündigt jedoch eine „analysis of the way in which these images used, and the arguments made, reflect broader currents of opinion about Germany, the war and the occupied territories“ an (S. 6).

Durch seine Untersuchung der deutschen Soldatenzeitungen möchte Nelson die Motive und Legitimationsstrategien des Kriegseinsatzes deutscher Soldaten des Ersten Weltkrieges ergründen. Seine These lautet, dass „a negotiated discourse of nationalistic, defensive ‚manliness‘ […] provided an important set of ideas and explanations that helped many soldiers of all ranks to understand and justify their ‚holding out‘” (S. 10). Im Gegensatz zu Lipps Lesart, die in den Soldatenzeitungen die Konstruktion eines Bruchs zwischen der Front und der Heimat ausmacht, unterstreicht Nelson die Betonung des ‚Burgfriedens‘ und einer nationalen Einheit der Kriegsanstrengung, die in den Zeitungen beständig reproduziert worden sei.

Zunächst stellt Nelson die Struktur, Entstehung und Entwicklung der Soldatenzeitungen vor, wobei er sich wesentlich auf eine empirische Untersuchung des Zeitungswissenschaftlers Karl Oswin Kurth aus dem Jahr 1937 stützt.2 Die Autoren der Soldatenzeitungen entstammten demnach in ihrer überwiegenden Mehrzahl dem Bildungsbürgertum und besaßen häufig journalistische oder schriftstellerische Vorerfahrungen. Rund 115 verschiedene Zeitungstitel erschienen während der Gesamtdauer des Krieges; die Zeitungen wurden über Abonnements oder im Straßenverkauf an und hinter der Front verkauft. In den Jahren 1916 und 1917 wurden pro Monat über eine Million Exemplare von Soldatenzeitungen an der Westfront und über zwei Millionen Exemplare auf dem östlichen Kriegsschauplatz verkauft; die Zahl der Soldaten, die mit den Soldatenzeitungen in Berührung kamen, dürfte noch wesentlich höher liegen.

Im diskursanalytischen Hauptteil der Studie macht sich Nelson auf die Suche nach Topoi, die den Antrieb und die fortgesetzte Kampfbereitschaft der deutschen Soldaten erklären können. Anders als in britischen und französischen Soldatenzeitungen, mit denen Nelson seine Ergebnisse abgleicht, habe die Möglichkeit, ein Zusammengehörigkeitsempfinden über eine „cross-class national popular culture“ (S. 57) anzusprechen – also die Referenz auf gemeinsame populärkulturelle Codes wie Liedgut, Theater, Kino und Sport – im deutschen Fall nicht existiert. Diese seien im Jahr 1914, so Nelsons Erklärung, im noch jungen, nationalstaatlich geeinten Kaiserreich sozial übergreifend nicht so stark etabliert gewesen, um als klassenübergreifendes Bindeglied fungieren zu können.

Eine einende Funktion sieht Nelson vielmehr in den Konzepten von Kameradschaft und Männlichkeit. Die Vorstellung von Kameradschaft, wie sie in den Soldatenzeitungen verhandelt worden sei, habe dabei neben der ‚Frontgemeinschaft‘ der Soldaten auch die Heimatfront eingeschlossen, deren Einsatz für den Krieg als gleichwertig anerkannt worden sei. Die deutschen Frauen seien hierbei als ‚Kameradinnen‘ in diesen Kreis aufgenommen und als treu, hart arbeitend und duldsam beschrieben worden. Heroisierende Männlichkeit sei im Bild des deutschen Familienvaters evident geworden, der sich in einem Verteidigungskrieg befand.

Deutungen der Besatzung, die die deutschen Soldaten auf allen Kriegsschauplätzen ausübten, hätten nach Nelson einen prominenten Platz in den Soldatenzeitungen eingenommen, da sie mit der Charakterisierung des Krieges als Verteidigungskampf in Einklang gebracht werden mussten. Die Rechtfertigung sei in den Soldatenzeitungen durch eine Darstellung der Zivilbevölkerung der besetzten Gebiete als kulturell tieferstehend vorgenommen worden; ein „cross-class sense of nationalistic and moral superiority“ (S. 15) sei dabei, wie Nelson konstatiert, zum Tragen gekommen. Während die Soldatenzeitungen Respekt für gegnerische Soldaten erkennen lassen würden – ausgenommen wurden hierbei die afrikanischen Kolonialtruppen auf britischer und französischer Seite –, sei diese Abgrenzung besonders bei Beschreibungen des östlichen Kriegsschauplatz zu beobachten. Diese kulturelle, sozialdarwinistisch geprägte Perspektive sei, so Nelson, noch nicht von biologistischen und rassistischen Argumenten durchzogen gewesen; in einem abschließenden Exkurs stellt Nelson dar, dass sich die Soldatenzeitungen über die „Ostjuden“ mehrheitlich positiv äußerten und den Antisemitismus auf der russischen Seite anprangerten.

Nelson konzentriert sich bei seiner Auswertung der Soldatenzeitungen fast ausschließlich auf die in ihnen vorgefundenen Inhalte und Deutungsmuster. Er arbeitet hierbei mit starken Thesen – die Abgrenzung zu den Ergebnissen und der Perspektive von Anne Lipp, deren Studie Nelson dennoch durchgängig lobt, sei hier noch einmal als Beispiel genannt. Umso erstaunlicher ist es daher, dass Nelson in der Zusammenfassung die Möglichkeit einer Synthese seiner Ergebnisse wieder relativiert: „German soldier newspapers were prismatic, representing a myriad ideas, and were never completely controlled, by either author or audience.“ (S. 243) Die Vielstimmigkeit und Heterogenität der in den untersuchten Soldatenzeitungen verhandelten Deutungen des Krieges, die sich häufig nicht unmittelbar zu Mustern und Topoi zusammenfassen lassen, begegnen dem Leser auch im darstellenden Text häufig. Insbesondere der klassenübergreifende Charakter, den Nelson vielfach in den Deutungsangeboten der Soldatenzeitungen erkennen will, wäre in diesem Zusammenhang kritisch in Frage zu stellen.

Nelsons Untersuchung steht mit über 100 ausgewerteten Soldatenzeitungstiteln auf einer beeindruckend breiten Quellenbasis. Zweifellos handelt es sich bei den Soldatenzeitungen um eine wertvolle Quelle, die mentalitäts- und kulturgeschichtliche Einblicke in die Wahrnehmungswelt und den Frontalltag der Soldaten des Ersten Weltkrieges bereit hält. Nelsons Studie kann als Versuch gelesen werden, diese Quellengattung vorzustellen und exemplarisch heuristische Möglichkeiten aufzuzeigen, die sie bieten kann. Die Studie könnte dann den Ausgangspunkt einer weiteren Beschäftigung mit den Deutungsangeboten der Soldatenzeitungen und eines vergleichenden Ansatzes darstellen, den Nelson in der Untersuchung andeutet. Die aufgeworfene Fragestellung nach Antrieb und Motivation der deutschen Soldaten kann die Studie jedoch nur punktuell beantworten. Die Achillesferse stellt die grundlegende Einordnung der erarbeiteten Ergebnisse dar: Eine diskursanalytische Auswertung, die die Mechanismen und Intentionen staatlicher und militärischer Behörden bei der Beeinflussung der publizierten Medieninhalte weitgehend außen vor lässt, steht auf methodisch tönernen Füßen, wenn der Brückenschlag von der veröffentlichten Meinung zu den Wahrnehmungen der Leser vollzogen werden soll.

Anmerkungen:
1 Siehe Anne Lipp, Meinungslenkung im Krieg. Kriegserfahrungen deutscher Soldaten und ihre Deutung 1914-1918, Göttingen 2003; vgl. Volker Ackermann: Rezension zu: Lipp, Anne: Meinungslenkung im Krieg. Kriegserfahrungen deutscher Soldaten und ihre Deutung 1914-1918. Göttingen 2003, in: H-Soz-u-Kult, 13.05.2004, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-2-101> (17.10.2011).
2 Siehe Karl Oswin Kurth, Die deutschen Feld- und Schützengrabenzeitungen des Weltkrieges, Leipzig 1937.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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