B. Weghofer: Cinéma Indochina

Titel
Cinéma Indochina. Eine (post-)koloniale Filmgeschichte Frankreichs


Autor(en)
Weghofer, Beate
Anzahl Seiten
256 S.
Preis
€ 29,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Frederik Holst, Institut für Asien- und Afrikawissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Das Medium Film hat im Rahmen der postkolonialen Studien schon seit einiger Zeit eine feste Position als Analysekategorie, wobei der filmische Text dabei ähnlich wie in den Literaturwissenschaften sowohl eine Perspektive über als auch aus den (post-)kolonialen Gesellschaften bietet. Was den regionalen Fokus anbelangt, ist jedoch auffällig, dass der Raum Indochina mit den Ländern Vietnam, Kambodscha und Laos diesbezüglich lange Zeit ein weitestgehend weißer Fleck zu bleiben schien. Selbst in der ersten Hochphase der postkolonialen Theorie, Anfang/Mitte der 1990er-Jahre, blieben auch in den Filmwissenschaften Analysen mit einem Fokus auf diese Region eher rar, zumindest im Vergleich zu den Gesellschaften Afrikas oder des Nahen Ostens. Dies trifft auch für Frankreich als ehemalige Kolonialmacht zu, wo ebenfalls lange Zeit eine intensivere Auseinandersetzung mit dem filmischen Werk aus der und über die Region ausblieb. Erst Mitte der 1990er-Jahre erschien mit Panivong Norindrs „Phantasmic Indochina“ (1996) eine Beschäftigung mit den Repräsentationen Indochinas in Frankreich im Umfang einer Monografie, die zumindest zu einem Teil auch die filmischen Repräsentationen behandelt.

Beate Weghofer hat diese noch immer lückenhafte Auseinandersetzung ein Stück weiter vorangetrieben, indem sie mit einer umfangreichen Studie die postkoloniale Filmgeschichte Frankreichs in einem historisch weit gefassten Zeitraum von 1895 bis 1975 untersucht. Während diese große Zeitspanne zuerst Skepsis erzeugt, ob in solch einem breit angelegten Rahmen überhaupt genügend in die Tiefe gegangen werden kann, so erweist sich die gleichzeitige Fokussierung auf einen ebenfalls wissenschaftlich bisher vernachlässigten Aspekt als sinnvolle Kombination: Weghofers besonderes Augenmerk gilt den Filmschaffenden, die als „Grenzgänger“, als „hybride Individuen“ zwischen kolonisierter und kolonisierender Gesellschaft displaced sind, durch wechselnde Lebensmittelpunkte, Funktionen oder Migration, und die diese postkolonialen Verortungserfahrung filmisch umsetzen. Neben dedizierten Filmemacher_innen wie Resnais oder Godard zählen dazu auch Kameraleute der französischen Armee oder die Exilerfahrungen diasporischer Filmemacher_innen.

Eingerahmt wird diese Perspektive in das Konzept der räumlichen turns der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften, zu dem das vorliegende Buch einen Beitrag leisten möchte. Weghofer positioniert sich dabei im Kontext des topographical turns, der Raum nicht primär als zentrale Kategorie von Macht wahrnimmt, sondern vielmehr als Ergebnis von sozialen und technischen Praktiken der Kulturgeschichte. Aufbauend auf den Theorien von Lefebvre gilt ihr Forschungsinteresse den filmischen Repräsentationstechniken und -formen des kolonialen und postkolonialen Kulturraums Indochina.

Das Zusammenspiel der Perspektive filmschaffender „Grenzgänger“ einerseits und der Frage nach den Repräsentationen des (post-)kolonialen Raumes andererseits zeigt wichtige und teilweise bisher unbeachtete Elemente, aber auch Widersprüche auf, darunter die Dekonstruktion sowohl einer angenommenen politisch-ideologischen wie ästhetischen Homogenität des Films während der Kolonialzeit, als auch des kolonial Imaginierten durch die persönlichen und widersprüchlichen Einflüsse der eigenen Erfahrungen der Filmemacher_innen und ihrer „Geographie der kulturellen Unsicherheit“. Gleichzeitig ermöglicht die übergreifende Fragestellung der Autorin, eine thematische Klammer zu setzen, die auf den ersten Blick disparate Filmgenres und -epochen miteinander in Verbindung bringt, darunter auch den frühen Film, Dokumentar- oder Experimentalfilme.

Eine Auswahl dieser Filme wird nach den theoretischen und historischen Hinführungen, die in Art und Umfang noch spürbar den Charakter der diesem Buch zugrunde liegenden Dissertation tragen, im Hauptteil des Buches untersucht.

Den Anfang machen die Werke zweier Kameramänner, die im Auftrag französischer Filmunternehmen in Indochina koloniale Unternehmungen in Bildern dokumentarisch begleiten sollten. Während diese frühe Form des Films oftmals nur am Rande behandelt wird – und dann meist nur mit einer kursorischen Referenz auf die ideologisch-propagandistische Prägung – zeigen die Filme von Gabriel Veyre und Léon Busy neben diesem Aspekt im Subtext auch eine Darstellung, die sich distanzierter mit den Umständen in der Kolonie und dem darunter liegenden System auseinandersetzt. Statt den Voyeurismus und die exotisierende Neugier des Publikums zu befriedigen, herrschen vom Realismus geprägte Darstellungen vor, die zwar keine Auflehnung gegenüber dem kolonialen System bedeuten, jedoch im Vergleich zu anderen zeitgenössischen Filmen nicht die gleiche Qualität an ideologischen Festschreibungen erkennen lassen, wie Weghofer herausarbeitet.

Anders sieht dies bei dem Gros der Spielfilme aus, die Bilder aus und über die Kolonien vermitteln sollten. Die darüber transportierte pro-koloniale Propaganda war dabei sowohl relevant, um den Menschen in der Metropole die Bedeutung der Kolonien deutlich zu machen, diente aber auch dazu, die Größe der Nation zu unterstreichen, um das nationale Bewusstsein zu verstärken. Der dargestellte Raum der Kolonie bekommt dabei eine stärkere Bedeutung. Im Gegensatz zu den frühen Filmen, in denen die landschaftlichen und architektonischen Besonderheiten eher im Hintergrund bleiben, bekommt die topographische Darstellung der Kolonie im weiteren Verlauf eine besondere Bedeutung: Die „Wiederentdeckung“ historischer Stätten, wie zum Beispiel der Tempelstadt Angkor, wird zu einer zentralen Legitimation der kolonialen Präsenz, die sich die Funktion des Bewahrens zuschreibt, die auch durch die filmische Darstellung der früheren Größe unterstrichen werden soll. Weghofer zeigt auch hier Brüche in Darstellung und Umsetzung auf, jedoch bleibt fraglich, inwieweit ihre Interpretationen zu optimistisch sind, die besagen, dass Filme über Angkor, wie Sous l'oeil de Bouddha, durch die Einbindung indigener Darsteller_innen und einiger geschichtlicher Bezüge als „Anstrengung, die Ruinen in – vulgarisiertes – lokales Wissen einzubinden“ zu werten sind, die „den Respekt, den Frankreich den traditionellen Kulturen [...] entgegenbrachte“ (S. 92) reflektiere solle.

Der lange Dekolonialisierungsprozess Indochinas, der durch die zwei großen Indochinakriege gut 30 Jahre umfasst, hat auch im Film sehr unterschiedliche Einflüsse hinterlassen. In Abgrenzung zu Filmen, die zum Zweck der Propaganda oder geschichtlicher Schönfärberei produziert wurden, rücken bei Weghofer Filme in den Vordergrund, die wiederum die Zerrissenheit sowohl der Thematik als auch der Filmemacher widerspiegeln. Die Betrachtungen des Ersten Indochinakrieges werden beispielhaft an Pierre Schoendoerffers Film La 317e section analysiert, der als Kolonialkriegsfilm zwar die Absurdität des Krieges aufzeigt, jedoch den Fokus auf den individuellen Schicksalen der Soldaten belässt. Ähnlich Schoendoerffers eigener Biographie als Soldat während jenes Krieges und seinem späteren Betätigungsfeld als Kriegsreporter, kommen hier autobiographische Elemente zum Vorschein, die die Desillusionierung und das individuelle Schicksal hervorheben, sich aber aus den konkreten politischen Debatten eher heraushalten. Ganz anders die spätere Befassung mit dem Zweiten Indochinakrieg durch Alain Resnais und Jean-Luc Godard in Loin du Vietnam Gegenüber dem „Kino der Erläuterung“ setzt das „Kino der Intervention“ die Positionierungen ungleich politischer ein und erschafft im Gegensatz zu kolonialen Repräsentationen Räume, die es laut Weghofer zum einen ermöglichen, geteilte historische Erfahrungen zu parallelisieren, wie zum Beispiel die Besatzungszeiten Frankreichs und Vietnams. Zum anderen beginnen die Filme dieser Zeit, den Raum in einer Form zu öffnen, der über die Projektionsfläche der eigenen Geschichte hinaus geht. Im Gegensatz zu den meisten US-amerikanischen Filmproduktionen, so Weghofer, in denen Vietnam nur den Hintergrund für die eigene historische Erzählung darstellt, wird in Filmen wie Hoa Binh von Raoul Coutard versucht, diesen Eindruck zu vermeiden – was Weghofer nicht ganz unproblematisch als eine „Rückerstattung des Raumes an die indigene Bevölkerung“ (S. 200) bewertet.

Das Ende des Untersuchungszeitraums markiert 1974 India Song von Marguerite Duras, die von den behandelten Filmemacher_innen durch ihre Ver- und spätere Entwurzelung in der Kolonie wohl am stärksten in die „Grenzgänger“-Kategorie fällt. In India Song entdeckt Weghofer die Suche nach der Erinnerung an die Kolonie, die nicht mehr existiert, und dabei heterotope Orte schafft, sowohl in Asien wie auch in Paris, welche die Verortungserfahrungen Duras‘ widerspiegeln.

Ob mit diesen Verortungserfahrungen der topographical turn vollzogen ist, wie die Autorin in ihrem Fazit schreibt, sei einmal dahingestellt. Festzuhalten ist, dass Beate Weghofer mit Cinéma Indochina eine umfangreiche Studie vorgelegt hat, die durch die Einbeziehung der Repräsentationen von Raum in den untersuchten Filmen, Genres und Strömungen eine besondere Komponente aufweist, die über an sich schon anspruchsvolle Filmanalysen hinausgeht. In Verbindung mit der Perspektive der Filmemacher_innen als „Grenzgänger“ zeichnet sie eine „Geographie der Unsicherheit“, aus der eine spezifische imaginäre Geographie des (post-)kolonialen Raumes entsteht, die die klassischen Imaginierungen der Kolonie durchbrechen und eine Heterogenität aufzeigen, die bis zu den frühen Filmen zurückreicht. Während diese Leistung des Buches hervorzuheben ist, bleiben an manchen Stellen Fragezeichen. Diese betreffen nicht nur die mitunter zu positiven Einschätzungen über die Rolle und Funktion der Filmemacher_innen; vielmehr fällt dabei die zu oberflächliche Behandlung der Produktionen aus der südostasiatischen Diaspora auf, obwohl deren Relevanz in der Einleitung noch betont wird. Der Blick bleibt größtenteils beschränkt auf eine Filmgeschichte Frankreichs aus und über Indochina, die zwar das displacement und die daraus hervorgehenden Umgangsformen der französischen Cineasten detailliert aufzeigt, aber dem eigenen holistischen Anspruch nur bedingt gerecht wird. Mit dieser Fokussierung ist die Arbeit für Romanist_innen und Filmwissenschaftler_innen mit Schwerpunkt Frankreich sicherlich empfehlenswert, in anderen Disziplinen, wie zum Beispiel den postkolonial orientierten Regionalwissenschaften mit Südostasienbezug, wird dies wohl nicht in gleichem Maße der Fall sein.

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