P. Hoffmann: Weibliche Arbeitswelten in der Wissenschaft

Titel
Weibliche Arbeitswelten in der Wissenschaft. Frauen an der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1890–1945


Autor(en)
Hoffmann, Petra
Reihe
Histoire 11
Anzahl Seiten
405 S.
Preis
€ 38,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Claudia Kemper, Forschungsstelle für Zeitgeschichte

Im Jahr 1902 berichtete ein wissenschaftlicher Leiter an der Preußischen Akademie der Wissenschaften (PAW) zu Berlin, die Einarbeitung der technischen Assistentinnen sei zwar eine Mehrbelastung für ihn, doch würde diese „durch die größere Arbeitsleistung der geringer zu honorierenden weiblichen Arbeitskräfte bald reichlich aufgewogen werden“ (S. 196). Dieses Zitat verdeutlicht, dass Frauen zwar innerhalb der Akademie beruflich wie wissenschaftlich Fuß fassen konnten, womit eine qualitative Ausweitung von Arbeitsmöglichkeiten von gebildeten Frauen erreicht war. Jedoch veranschaulicht der Bericht auch, wie sich die strukturelle Benachteiligung von Frauen innerhalb der Akademie fortsetzte.

Mit der Dissertation von Petra Hoffmann liegt nun eine differenzierte Untersuchung der akademischen Arbeitswelt vor, die sich diesen geschlechterpolitischen Strukturen in der preußischen Wissenschaft zwischen 1890 und 1945 widmet. Auf der Grundlage von Kommissionsberichten, Statistiken und biographischem Material bietet sie ein lesbares und empirisch gesättigtes Grundlagenwerk hinsichtlich „weiblicher Arbeitswelten“ und praktizierter Geschlechterdifferenz in der Wissenschaft. Neben einer grundsätzlichen Aufbereitung der Personaldaten, untersucht Hoffmann 15 Projekte im Detail, um den Zugang, die Tätigkeiten und Strategien der Anerkennung von Frauen in der PAW offenzulegen.

Mittlerweile kann die historische Geschlechterforschung auf eine fundierte Untersuchungstradition zurückgreifen, in der zunehmend auch multiperspektivische Ansätze greifen. Erkenntnisse zum Konstruktions- und Wahrnehmungscharakter von Geschlecht (gender) werden mit Sozial-, Kultur- und Wissenschaftsgeschichte verflochten. Bildung und Arbeit bilden hierbei die bislang am gründlichsten untersuchten Themenfelder.1 Seit einiger Zeit rücken im Zuge einer breiten Wissenschaftsgeschichte Frauen in den Blick, die sich innerhalb der Hochmoderneprozesse um eine akademische Ausbildung und Laufbahn bemühten. Bis kurz nach der Jahrhundertwende an Universitäten nur geduldet, durften sich Frauen in Preußen ab 1908 immatrikulieren und ab 1920 habilitieren. Neben der Universität als klassischem Modell wissenschaftlicher Laufbahnen boten die Akademien eine Alternative, um sich in der Forschung etablieren zu können, und ab 1890 waren auch Frauen in der PAW tätig; bis 1945 konnten etwa 200 Frauen an zwei Drittel aller Akademie-Unternehmungen mitarbeiten.

Die PAW war bis zu ihrer Überführung in den ministerialen Apparat der DDR eine Gelehrtengesellschaft, die sich trotz erheblicher Forschungsdifferenzierung während der Weimarer Republik und auch während der politischen Restriktionen nach 1933 immer eine gewisse Unabhängigkeit, bisweilen Abgewandtheit, erhielt. Die PAW pflegte seit Beginn des 19. Jahrhunderts vor allem die historisch-philologische Grundlagenforschung und trat ab 1890 unter anderem mit dem Thesaurus lingua Latinae oder der Leibniz-Edition hervor. Mit den Großprojekten stieg auch der Arbeitskräftebedarf, um Material zu sammeln, zu verarbeiten und schließlich zu verwalten. Die akademischen Mitarbeiterfunktionen differenzierten sich entsprechend aus: hochrangige Kommissionsmitglieder repräsentierten nach außen und kontrollierten nach innen, wissenschaftliche Mitarbeiter trugen die Hauptlast der einzelnen Projekte und wissenschaftlich-technische Assistenten übernahmen die Routinearbeiten. Im Zuge dieser Entwicklung setzte sich eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung durch, denn Frauen nutzten die „Gelegenheitsstrukturen“, um in der Akademie eine meist prekäre und nie langfristige, aber dennoch ihrem akademischen Bildungsprofil entsprechende Arbeit übernehmen zu können.

Hoffmann unterteilt die akademischen Arbeitsfelder von Frauen in drei Kategorien. Zur ersten Kategorie zählen Ehefrauen und Töchter von Wissenschaftlern an der Akademie, die meist ohne formalen Abschluss und im Verbund mit dem Ehemann oder Vater aushalfen. Sie überschritten zwar die Grenzen des traditionellen bürgerlichen Familienlebens, aber agierten noch ganz im herkömmlichen Rollenverständnis. Ihre Anwesenheit bewirkte eine subtile Sichtbarkeit weiblicher Bildung und Hoffmann gibt ihnen die etwas unglückliche Bezeichnung „Übergangsfrauen“ (S. 159).

Die zahlenmäßig größte Frauengruppe in der PAW stellten die wissenschaftlich-technischen Assistentinnen dar, an der deutlich wird, dass sich zwar die beruflichen Optionen für gebildete Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts erweiterten, aber zugleich die Segregation der Geschlechter innerhalb der Arbeitswelt fortgeschrieben und sogar zementiert wurde. Seit den 1890er-Jahren stellte die Akademie weibliche Assistenten ein, die meist mit dem Abschluss einer Töchterschule oder eines Lyzeums und teils auch mit einer Berufsausbildung ausgestattet waren. Die Arbeitsorganisation und Aufgabenbereiche der Frauen belegen eine bislang nur vermutete Grundstruktur im Wissenschaftsbetrieb, die sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts hartnäckig halten konnte: „In den Forschungsprojekten wurden Frauen gezielt für Vor-, Zu- und Nebenarbeiten nachgefragt.“ Frauenarbeit in der Wissenschaft bedeutete „Ordnungsarbeiten jeglicher Art“ (S. 175), von Katalog-, Korrektur-, Schreib- und Registerarbeiten bis zum Konservieren oder Fotografieren.

In der dritten Kategorie analysiert Hoffmann die Zugänge und Arbeitsmöglichkeiten von wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen in Akademie-Projekten. Die PAW beschäftigte normalerweise nur Akademie-Mitglieder, stellte aber seit dem 19. Jahrhundert auch Nicht-Mitglieder als wissenschaftliche Hilfsarbeiter ein. Da Frauen generell von der Akademie-Mitgliedschaft ausgeschlossen blieben, ergab sich über diese institutionelle Lockerung ein Zugangsweg. Hoffmann erklärt plausibel, wie wenig aussagekräftig der erste Anstellungsvertrag einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin an der PAW sei – 1921 abgeschlossen mit Edith Dörschel –, denn schon lange zuvor arbeiteten Frauen als Wissenschaftlerinnen teils unbezahlt an Projekten mit. Bis 1945 schafften es schließlich etwa 90 Frauen als Wissenschaftlerin beschäftigt zu werden, 20 von ihnen längerfristig. Überwiegend promoviert, gelangten die Frauen meist durch den persönlichen Kontakt mit Universitätsprofessoren in den Auswahlkreis und wurden vorrangig für teamorientierte Projekte, wie die Wörterbuch-Editionen, eingestellt. Der Frauenanteil unter den Wissenschaftlern erreichte zeitweise bis zu 30%, aber die intransparente Stellenvergabe und innerakademische Arbeitszuordnung machten diese Laufbahn für Frauen kaum berechenbar. Geschlechtersegregation galt als selbstverständlich und notwendig, wodurch das zunehmend formalisierte Einstellungsverfahren zwar einen gleichberechtigteren Zugang zur Wissenschaft möglich machte, jedoch keine Gleichbehandlung innerhalb des Systems nach sich zog.

So ergiebig und fundiert sich die Auswertung Hoffmanns präsentiert, so sehr erstaunt das wenig weiterführende Resümee der Arbeit. Die Autorin beschränkt sich allzu defensiv auf die empirische Untermauerung von vermuteten Strukturen im außeruniversitären Wissenschaftsbetrieb im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Die Ergebnisse ließen sich jedoch weitreichender kontextualisieren, als die hier vorgenommene Einordnung der Frauen in eine „Übergangsperiode ins Wissenschaftssystem“ zwischen 1890 und 1945. Was zuvor auf über dreihundert Seiten als komplexe Bewegung von Frauen in und aus dem System heraus aufgefächert wurde, wird im Resümee kurzerhand in eine lineare Erfolgsstory verwandelt. Erfolg allein nach Quantität zu messen, führt jedoch zu wenig stichhaltigen Einordnungen. Nur nach Zahlen bewertet befindet sich das gesamte Bildungssystem in Deutschland seit Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart im Übergang. Immer mehr Menschen haben Zugang zur Bildung, wodurch sich die statistische Wahrscheinlichkeit erhöht, dass immer mehr Wissenschaftler produziert werden und der Anteil von Frauen entsprechend auch steigt. Diese Zahlen sagen also nur wenig über den qualitativen Zustand innerhalb des Wissenschaftssektors aus. Hoffmanns Untersuchung lassen jedoch mindestens weiterführende Fragen zu: Welche Geschlechtertypologien, Diskursfelder, Sprechweisen etc. innerhalb der Akademie erfuhren Brüche oder zeigten sich langlebig über die gesellschaftlichen Erfahrungen von Krieg, Inflation, Wirtschaftskrise und Diktatur hinweg? In welchem Zusammenhang standen nicht nur die Arbeitsformen, sondern auch der wissenschaftliche Stellenwert der Akademie-Projekte, mit der praktizierten Geschlechterdifferenz an der PAW? Hoffmann deutet an manchen Stellen den weiteren Verlauf von Frauenkarrieren an der PAW an, aber auch hier wäre eine deutlichere Problematisierung der in der Wissenschaftspraxis zu Beginn des 20. Jahrhunderts festgeschriebenen Geschlechterrollen mit Blick auf die Zeit nach 1945 und für Frauen wie Männer naheliegend gewesen.

Die vorliegende Studie bietet somit reichhaltiges Material und überzeugende Nachweise für das Wechselverhältnis von Differenzierungs- und Rationalisierungsprozessen in der akademischen Forschungsarbeit und den von Frauen genutzten Gelegenheitsstrukturen, um wissenschaftlich tätig sein zu können. Für weiterführende Forschungsfragen ergeben sich zahlreiche Anknüpfungspunkte.

Anmerkung:
1 Z.B. Rita Bake, Frauen im Hamburger Hafen, Hamburg 1989; Ute Daniel, Arbeiterfrauen in der Kriegsgesellschaft. Beruf, Familie und Politik im Ersten Weltkrieg, Göttingen 1989; Edith Glaser, Hindernisse, Umwege, Sackgassen. Die Anfänge des Frauenstudiums in Tübingen (1904-1934), Weinheim 1992; Karin Hausen (Hrsg.), Geschlechterhierarchie und Arbeitsteilung. Zur Geschichte ungleicher Erwerbschancen von Männern und Frauen, Göttingen 1993.

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